Benutzer:Dawson41/VergabeWM86
Vergabe
BearbeitenDie Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft folgte über mehrere Jahrzehnte einem Rotationsprinzip zwischen Europa und Amerika. Zum Zeitpunkt des FIFA-Kongresses 1974 standen Argentinien als Ausrichter für 1978 und Spanien für 1982 bereits fest. Für 1986 wurde daher ein Gastgeber aus Amerika gesucht.[1]
Ausgangssituation in Südamerika
BearbeitenIn Südamerika hatten bereits Uruguay (1930), Brasilien (1950) und Chile (1962) eine Fußball-Weltmeisterschaft ausgerichtet. Mit der bevorstehenden WM in Argentinien waren somit die größten Fußballnationen des Kontinents als Gastgeber an der Reihe gewesen.
Peru, das bei der WM 1970 erfolgreich teilgenommen hatte, kam aufgrund eines verheerenden Erdbebens 1970 in der Region Ancash nicht in Frage. Diese Naturkatastrophe, die sich am Eröffnungstag der WM 1970 ereignete, forderte knappe 67.000 Menschenleben und verursachte Schäden in Höhe von schätzungsweise 530 Millionen US-Dollar (was 2024 etwa 4,2 Milliarden US-Dollar entspräche). Die enormen Kosten für den Wiederaufbau machten eine Bewerbung für die WM 1986 unmöglich.[2]
Bei der Suche nach einem geeigneten Gastgeber wurden Bolivien, Ecuador, Paraguay und Venezuela ausgeschlossen, da sie aufgrund unzureichender Infrastruktur und finanzieller Kapazitäten nicht in der Lage waren, die logistischen Anforderungen eines Turniers dieser Größenordnung zu erfüllen.[3]
Vergabe an Kolumbien
BearbeitenSo blieb Kolumbien als einzige realistische Option übrig und erhielt folglich als einziger Bewerber den Zuschlag für die Fußball-WM-Endrunde 1986 auf dem FIFA-Kongress in Stockholm am 9. Juni 1974. Bei dieser Entscheidung spielte auch die persönliche Freundschaft zwischen dem damaligen FIFA-Präsidenten Stanley Rous und Alfonso Senior Quevedo eine wichtige Rolle.[4] Quevedo, der sowohl Mitglied des FIFA-Exekutivkomitees (1970-1986) als auch zweimaliger Präsident des kolumbianischen Fußballverbands FCF (1964-1971 und 1975-1982) war, hatte darüber hinaus als Geschäftsmann und Sportvisionär einen Namen gemacht.[5]
Geplante Austragungsorte
BearbeitenKolumbien hatte insgesamt 5 Stadien in ebenso vielen Städten für die Weltmeisterschaft vorgesehen. Alle bestehenden Stadien sollten renoviert werden und eines sollte komplett neu errichtet werden. Diese Stadien waren:
- Stadion Nemesio Camacho "El Campín" in Bogotá
- Estadio Olímpico Pascual Guerrero in Cali
- Estadio Metropolitano Roberto Meléndez in Barranquilla (Neubau, Baubeginn 1979)
- Estadio Atanasio Girardot in Medellín
- Estadio Alfonso López in Bucaramanga
Politische und wirtschaftliche Entwicklung in Kolumbien
BearbeitenDie anfängliche Euphorie über die Vergabe wich jedoch schon nach zwei Monaten der Ernüchterung. Die politische Landschaft Kolumbiens durchlief in dieser Zeit mehrere Veränderungen. Während die ursprüngliche Bewerbung unter dem konservativen Präsidenten Misael Pastrana Borrero (1970-1974) vorangetrieben wurde, übernahm im August 1974 der Liberale Alfonso López Michelsen (1974-1978) die Präsidentschaft. López Michelsen, obwohl aus derselben Partei wie der frühere Unterstützer des WM-Projekts Carlos Lleras Restrepo (1966-1970), zeigte weniger Enthusiasmus für das Großereignis. Diese Haltung setzte sich auch unter seinem Nachfolger Julio César Turbay Ayala (1978-1982) fort, der zwar öffentlich die WM-Ausrichtung befürwortete, aber wenig konkrete Unterstützung bot.
In den folgenden Jahren wurden kaum Fortschritte bei der Umsetzung der FIFA-Anforderungen bezüglich Infrastruktur und Stadionbau gemacht. Die jeweiligen Regierungen schoben die Verantwortung für die Weltmeisterschaft auf ihre Nachfolger ab. Die angespannte wirtschaftliche Lage des Landes zeigte sich deutlich, als im September 1977 in Bogotá aufgrund von Nahrungsmittelknappheit, Inflation und hoher Arbeitslosigkeit zum Generalstreik aufgerufen wurde.[6][7][8] Dabei brachen weitverbreitete Unruhen aus, bei denen 33 Menschen ihr Leben verloren, mehr als 3.000 verletzt und tausende weitere Menschen verhaftet wurden.[9]
Das Organisationskomitee sah sich schließlich einer weiteren Herausforderung gegenüber, als die FIFA bei ihrem 41. Kongress im Mai 1978 in Buenos Aires beschloss, das Teilnehmerfeld ab der WM 1982 von 16 auf 24 Mannschaften zu erweitern, was die Anforderungen an die Organisation unerwartet erhöhte.
Zusätzlich sorgten Anfang des Jahrzehnts wirtschaftliche Schwierigkeiten des ohnehin als Entwicklungsland beschriebenen Landes,[10] der Aufstieg des kolumbianischen Drogenbosses Pablo Escobar sowie der interne Konflikt zwischen der linksgerichteten Guerillabewegung FARC und der kolumbianischen Regierung bei der FIFA für Unruhe. FIFA-Präsident João Havelange zeigte sich bei seinen Besuchen zwischen 1978 und 1980 trotz stetigen Bekundungen der beiden Präsidenten López Michelsen und Turbay Ayala skeptisch.
Daraufhin überstellte DFB-Präsident und WM-Organisationschef Hermann Neuberger dem kolumbianischen Fußballverband einen Forderungskatalog mit einem Ultimatum bis November 1982. Als Voraussetzungen wurden neben Transport, Sicherheit, Fernsehen und finanziellen Aspekten auch der Bau von zwölf Stadien festgeschrieben, zwei von ihnen mit einer Mindestkapazität von 80.000 Zuschauern.[11]
In einer Radio- und Fernsehansprache am 25. Oktober 1982 verkündete Kolumbiens neuer Präsident Belisario Betancur (1982-1986) die Absage.[12] Er erklärte, dass sein Land nicht über die wirtschaftlichen Mittel zur Ausrichtung eines 24er-Turniers verfüge und bezeichnete viele der FIFA-Anforderungen als Extravaganz. Betancur betonte ebenfalls, dass Kolumbien wichtigere Prioritäten als ein Fußballturnier habe.[13]
Neuvergabe
BearbeitenVier Ersatzgastgeber gaben ihre Kandidatur bis zum 10. März 1983 ab: Brasilien, Kanada, die USA und Mexiko.[14] Brasiliens Bewerbung schied als erste im Februar 1983 aus. Offiziell wurde angegeben, dass die Bewerbung bestimmte Kriterien nicht erfüllte.[15] Inoffiziellen Berichten zufolge zog sich Brasilien jedoch zurück, um mögliche Vorwürfe der Begünstigung durch den Brasilianer Havelange zu vermeiden.[16]
Es entwickelte sich schließlich ein Zweikampf zwischen Mexiko und den USA, die durch den ehemaligen US-Außenminister Henry Kissinger, dessen Nachfolger Cyrus Vance sowie den Fußballlegenden Pelé und Franz Beckenbauer unterstützt wurden. Dank ihrer langjährigen Beziehungen zu Havelange gelang es jedoch dem mexikanischen Medienmogul Emilio Azcárraga Milmo[17] sowie Guillermo Cañedo, einem von acht FIFA-Vizepräsidenten und Mitbegründer des mexikanischen Medienunternehmens Televisa, das 22-köpfige FIFA-Exekutivkomitee schon frühzeitig von Mexiko zu überzeugen.[14][18][19] So flog FIFA-Präsident Havelange bereits wenige Tage nach Kolumbiens Rückzug nach Mexiko.[20] Dies verstärkte Spekulationen über eine mögliche Vorauswahl des Gastgebers, da Havelange in Mexiko über einflussreiche Verbündete verfügte, die ihn 1974 bei seiner erfolgreichen Kandidatur gegen Stanley Rous für das FIFA-Präsidentenamt unterstützt hatten.
Die Begünstigung Mexikos zeigte sich auch im weiteren Verlauf des Auswahlprozesses: Die FIFA setzte eine Kommission ein, um die Eignung der potenziellen Gastgeber zu prüfen. Diese besuchte jedoch lediglich Mexiko, wo FIFA-Vizepräsident Cañedo persönlich die Besichtigung der Stadien und Einrichtungen leitete. Die USA und Kanada erhielten keinen Besuch der Kommission, was klar gegen die FIFA-eigenen Regularien verstieß, die eine Inspektion aller Bewerberländer vorschrieben.[21] Die FIFA begründete ihre Entscheidung gegen Inspektionen in den beiden Ländern offiziell mit der zu geringen Stadionanzahl in Kanada (Kanada hatte ursprünglich neun Stadien angeboten und weitere in Reserve, was aber von der FIFA nicht berücksichtigt wurde) und unzureichenden logistischen Garantien der US-Regierung.[22] Die Kommission kehrte nach Europa zurück und empfahl einstimmig Mexiko als Ausrichter.[23]
Die finale Entscheidung sollte auf dem FIFA-Kongress in Stockholm fallen. Dort präsentierten die drei verbliebenen Kandidaten ihre Bewerbungen. Kanada benötigte 30 Minuten für ihre Vorstellung, während die USA eine ausführliche 60-minütige Präsentation mit umfangreichen Planungsunterlagen vorlegten. Der Präsident des mexikanischen Fußballverbandes FEF Rafael del Castillo hingegen benötigte lediglich acht Minuten für seine Vorstellung, die auf sechs Seiten einfachem Kanzleipapier beruhte.[24] Georges Schwartz, Vorsitzende der kanadischen WM-Bewerbung, bezeichnete die schriftlichen Unterlagen Mexikos als „Witz“.[25]
Obwohl die USA und Kanada 90-seitige Hochglanzbroschüren vorlegten und Mexikos Bewerbung zusätzlich in Bereichen wie Stadien, Transport, allgemeine Infrastruktur und Unterbringung technisch schwächer war als die der Konkurrenten, wählte die FIFA auf ihrem Stockholmer Kongress am 20. Mai 1983 Mexiko einstimmig[26] zum Ersatzausrichter. Damit wurde Mexiko das erste Land, das die Weltmeisterschaft zum zweiten Mal ausrichten durfte. Die offizielle Begründung lautete, dass nur Mexiko ein komplettes Bewerbungsdossier abgegeben hatte.[27]
Die Vorentschiedenheit der Wahl zeigte sich auch daran, dass im Sheraton Hotel in Stockholm bereits vor der offiziellen Verkündung Tequila-Cocktails für die mexikanische Siegesfeier vorbereitet wurden.[28] Zu einem späteren Zeitpunkt, als Castillo auf die kurze Dauer seiner Präsentation angesprochen wurde, prahlte dieser damit, dass er nur 60 Sekunden gebraucht hätte, um die Bewerbung zu gewinnen.[29]
FIFA-Präsident Havelange, den Auswahlprozess als „mehr als demokratisch“ bezeichnete, räumte jedoch nach der Wahl ein, dass die USA und Kanada zwar bessere Präsentationen abgeliefert hätten, diese aber „aus Fairness gegenüber Mexiko“ nicht berücksichtigt werden konnten. Henry Kissinger kommentierte seine erste Erfahrung mit Fußballdiplomatie im Nachhinein mit den Worten, die Politik des Fußballs lasse ihn mit Nostalgie an die Politik des Nahen Ostens zurückdenken.[30]
- ↑ Steven Scragg: In the Heat of the Midday Sun : The Indelible Story of the 1986 World Cup, Pitch Publishing, 2022, ISBN 1-80150-097-5, S. 25
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- ↑ Steven Scragg: In the Heat of the Midday Sun : The Indelible Story of the 1986 World Cup, Pitch Publishing, 2022, ISBN 1-80150-097-5, S. 26
- ↑ A 35 años del Mundial 86: del imposible de Colombia al feroz temblor que no privó a México de disfrutar del mejor Maradona. In: clarin.com (spanisch). Abgerufen am 27. Oktober 2024.
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- ↑ General Strike Called in Colombia By Country's 4 Largest Unions. In: nytimes.com (englisch). 14. September 1977, abgerufen am 27. Oktober 2024.
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- ↑ El Paro Cívico Nacional de 1977, lección de unidad y movilización obrera y popular. In: pressarural.org (spanisch). Abgerufen am 27. Oktober 2024.
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- ↑ a b Mark Odgen: Shadow of 'World Cup that never was' now hangs over Qatar after bribery fears, just as it did Colombia in 1986. In: telegraph.co.uk. The Telegraph, 10. Juni 2014, abgerufen am 14. Juli 2018.
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- ↑ Steven Scragg: In the Heat of the Midday Sun : The Indelible Story of the 1986 World Cup, Pitch Publishing, 2022, ISBN 1-80150-097-5, S. 30
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