Benutzer:Haubi/Spielwiese
Meine ersten 30 Lebensjahre
Weiden / Oberpfalz
BearbeitenMeine Vorfahren
Mein Vater, Erich Haubold, stammt aus einer Dresdener Großfamilie: Großvater Max und Großmutter Elisabeth Haubold mit 6 Söhnen und 2 Töchtern. Vater machte eine Banklehre in der Dresdener Handelsbank und zog - 18 Jahre alt - mit zwei weiteren Brüdern in den 1. Weltkrieg. Nach Kriegsende war er 1919 noch in Galizien stationiert. Meine Dresdener Großmutter starb 1918 an Unterernährung. Die Stiefgroßmutter Gerda hat Großvater 1920 geheiratet.
Nach seiner Heimkehr aus dem 1. Weltkrieg war Vater als Angestellter der Dresdener Handelsbank tätig, emigrierte dann zu Beginn 1922 nach Bayern, wo er in Cham, München und Windischeschenbach Arbeit fand. Durch Freunde lernte er die Weidnerin Berta Dölfel kennen. Ihre protestantischen Vorfahren stammen mütterlicherseits aus einer Salzburger Exilanten-Familie, die 1731 als Glaubensflüchtlinge ihre Heimat verlassen mussten.
Die Zeit auf dem Rehbühl
Am 7. Juni 1929 findet im der Gaststätte Heimgarten auf dem Rehbühl in Weiden die Heirat meiner Eltern statt. Einen Tag vorher hatten sie auf dem Rehbühl, in der Hohenstaufenstr. 21, eine der gerade fertiggestellten Wohnungen angemietet. Der genossenschaftlich geführte Rehbühl steht etwa 1,5 km von der Stadtmitte entfernt, damals als eine imposante, abgeschlossene Anlage, erhaben auf einer Anhöhe am Nordrand der Stadt, umgeben von Feldern, Wiesen und wenigen Einzelhäusern. Die heute noch aufstehende, modernisierte Anlage stellt ein Häusergeviert aus siebzehn dreigeschossigen Gebäuden mit über 100 Wohnungen dar. An der nordöstlichen und nordwestlichen Ecke des Gevierts befanden sich damals noch hohe hölzerne, nachts geschlossene Zufahrtstore und Türzugänge, im Südwesten ein festungsartiges Zufahrtstor. Im inneren der Anlage liegt der Rundum-Hof, das Holzlegen-, heute Carport-Geviert und der zentrale Innengarten mit damals 95 kleinen Gartenparzellen, der 2013 in eine baumbestandene Grünfläche umgestaltet wurde. Gleich dem Palas einer Burg steht am Mauertor ein mächtiges vierstöckiges Gebäude mit einem Turmaufsatz. Hier handelt es sich - wie auch heute noch - um das kulturelle Zentrum des Rehbühls, den Heimgarten, mit großem Gasthaus, Metzgerei, einer Kegelbahn und einem urgemütlichen, von Kastanien bestandenen Biergarten.
Unsere Wohnung im 2. Stockwerk der Hohenstaufenstraße 21 hatten meine Eltern zu Beginn des Jahres 1929 bezogen, eine für damalige Verhältnisse geräumige Wohnung, in der es allerdings ab 1934 mit zwei, ab 1938 mit drei Jungens räumlich sehr beschränkt wurde. Der Grundriss zeigt den einen großen zentralen Wohnungsflur, hinten raus (nach NO) das Wohn- und das Schlafzimmer, zum Garten hin (nach SW) die große Wohnküche mit anschließendem innenliegendem Balkon, sowie mit Oberfenster zum Treppenhaus eine Einbettkammer, außerdem eine Speisekammer und ein Spülklosett. Auf dem hohen Spitz-Dachboden stand uns ein großer Bodenraum zur Verfügung, im Untergeschoß des Hauses ein geräumiger Kellerraum und die Nutzung des Waschhauses gemeinsam mit den 5 anderen Mietparteien des Hauses. Hinzu kam zwischen Hof und Gartengelände eine eigene verschließbare Holzlege und die etwa 20 m² große Gartenparzelle.
In unserer Rehbühl-Wohnung wurde ich am 25. Juli 1930 geboren. Nach schwerer Geburt wurde ich von der Hebamme hinter dem Schrank deponiert, da man sich zuallererst um meine Mutter kümmern musste. In einem Korbwagen und später im Kinderbett schlief ich im Schlafzimmer zwischen hohem Kachelofen und Waschtisch. Meine frühen Jahre hat mein Vater mittels seines Balgen-Fotoapparates und in der Speisekammer selbstentwickelter Fotos ausführlich dokumentiert.
Drei Häuser weiter auf dem Rehbühl, in der Behaimstr. 6, wohnten ebenfalls seit 1929 Onkel Fritz Dölfel, der Bruder meiner Mutter, mit Tante Betty, den Zwillingen Fritz, gen. Fritzi, und Dora (Jahrgang 1929), sowie mit Heinrich, gen. Heini (Jahrgang 1933). Familiärer Kontakt zwischen den Eltern und uns Kindern hat sich trotz der Nähe nicht nennenswert entwickelt. Ich erinnere mich aber doch, dass ich mich des Öfteren in den frühen Rehbühljahren an Sonntagsspaziergängen der Dölfel-Familie beteiligen durfte, die meistens im Heimgarten endeten.
Bei uns in der Hohenstaufenstraße, am selben Treppenflur im 2. Stockwerk, wohnte die Familie Albrecht. Das besonders außergewöhnliche war dabei, dass die drei Albrecht-Jungens denselben Jahrgängen entstammten wie wir drei Haubold-Buben. Uns trennte nur eins: die Religion und zwar beidseitig in ihrer strengsten Ausprägung. Nur etwa ½ km vom Rehbühl entfernt wohnten Herr und Frau Schärtel, geb. Müller, letztere eine Jugendfreundin meiner Mutter. Die beiden waren kinderlos.Wir trafen uns an den Festtagen und suchten regelmäßig in ihrem Garten unsere Ostereier.
Wenn wir aus den Wohn- oder Schlafzimmerfenstern nach Nordosten schauten, so hatten wir hinter Wiesen, Bäumen und Feldern in 400 m Entfernung die doppelgleisige Bahn-Hauptstrecke München-Regensburg-Weiden-Hof-Plauen-Dresden vor uns. Das einsichtige Teilstück war von Süden nach Norden stark ansteigend und kurvig. Lange D- und Güterzüge wurden von zwei der damals stärksten Dampflokomotiven mühsam bergauf gezogen. In einem komfortablen D-Zug reiste die Familie 1934 auf dieser Strecke in Vaters Heimatstadt Dresden . Auch Dresdener Verwandtschaft besuchte uns auf diesem Wege des Öfteren: mein Patenonkel Gerhard Haubold mit Tante Ellen, Onkel Werner mit Tante Gerda, Großvater Max mit Großmutter Gerda, Tante Gretel, die nach Amerika ausgewanderte Schwester von Vater.
Für die kinderreichen Familien bot der Rehbühl ein ideales Umfeld: Felder und Wiesen ringsum, im Nordosten der Rehbühlbach (150 m) und die Schweinenaab (300 m) und zur anderen Seite der abgeschlossene, von allen Wohnungen einsichtige Innenhof, die Holzlegen und die große Gartenanlage. Hier wurde gespielt, getollt, versteckt und gerauft. Insbesondere im Sommer war der Trubel groß. Im umlaufenden Innenhof, im Wald der Stangenbohnengestelle im Garten bot das unermüdliche Reiber und Tschante-Spiel, das Plantschen am zentralen Gartenwasserbehälter unbändigen Spaß.
Im Alter von 3 Jahren gaben mich die Eltern in den von Bethel-Diakonissen geführten Kindergarten, der sich im Stadtzentrum befand. Hier war auch mein Cousin Dieter Kunz. Die von den Nationalsozialisten benannte Hans-Schemm-Volksschule, im Zentrumder Stadt an der Katholischen St. Josef-Kirche besuchte ich von Ostern 1937 bis Juli 1941. Unvergessen bleibt mir Klassenlehrer Kreuzer. In seinem Kleiderspint im Klassenraum hing sein weißer Berufskittel und dort stand auch eine etwa eine Meter lange Rute. Der zu bestrafende Schüler musste sich bäuchlings über die vorderste Schulbank legen und bekam wenigstens 5 kräftige Schläge auf das Hinterteil. Die Rutenschläge waren nur mit der Hirschledernen auszuhalten.
Abenteuerlich war für mich ein Erlebnis mit den sudetendeutschen Verwandten unserer Dölfel-Großmutter, einer geborenen Seifert. Am 1. Oktober 1938 marschierte die deutsche Wehrmacht ins Sudetenland ein. Hinter den einziehenden Truppen fuhr Karl Seifert, Cousin der Großmutter, mit seinem PKW nach Eger, seiner Heimatstadt. Von da war er mit Ehefrau wegen der angespannten Situation wenige Wochen zuvor nach Weiden emigriert. Als 8-Jähriger war ich mit von der Partie. Wir fanden Onkel Karls Hotel, das damalige Bahnhofshotel in Eger, ohne jeglichen Kriegsschaden vor. Der treue tschechische Oberkellner hatte Wache gehalten. Nachts hörten wir noch Schießereien in der Stadt. Am Ende der Besetzung von Eger waren 2 Tote zu beklagen. Den Beginn des 2. Weltkrieges erlebte ich mit meinen Eltern in Dresden, wo wir die Ferien bei Vaters Geschwistern verbrachten. Vater wurde als Reservist zur Wehrmacht eingezogen.
Mit einem sehr lobenswerten Übertrittszeugnis kam ich 1941 auf das Gymnasium Weiden. Es ist mir nie recht klar geworden, warum mir meine Eltern eine altsprachliche, humanistische Bildung verpassen wollten: bereits ab der 1. Klasse Latein, ab der 3. Griechisch, ab der 4. Physik, ab der 5. Englisch, ab der 6. Chemie-Wahlfach, ab der 8. Französisch-Wahlfach und all die Jahre wenig Mathematik und Physik, keine Chemie. Meine Leistungen waren bis zum Ende des Krieges recht gut. Als Klassenbester erhielt ich zum Ende der 3. Klasse eine Auszeichnung des Bayerischen Kultur-Staatsministers. Zur gleichen Zeit verließen zahlreiche Schüler und 4 von den 5 Mädchen unsere Klasse und die beiden Parallelklassen wurden zusammengelegt.
Vater wurde zu Kriegsbeginn zur Wehrmacht eingezogen und diente als Unterfeldwebel, kam jedoch nicht zum Fronteinsatz. Das Arbeitsamt Weiden, bei dem er Als Regierungsinspektor beschäftigt war, erreichte sein Freistellung für einen Sondereinsatz, den er bis Kriegsende inne hatte.
Bei der DJ, dem Deutschen Jungvolk, diente ich mit Oskar als Pimpf im selben Fähnlein. Unser Standort war eine Baracke hinter dem Rebühl. Ich avancierte zum Jungenschaftsführer. Mit 14 Jahren traten wir in den Spielmannszug der HJ, der Hitlerjugend, ein. Wir spielten beide die vor dem Bauch hängende Militärtrommel. Der Übungslärm in der Hohenstaufenstr. 21 war höllisch laut. Eltern und Nachbarn litten. Oskar und ich teilten einige gemeinsame Interessen: Wir bastelten auf dem Dachboden des Hauses in zwei nebeneinander liegenden Bodenverschlägen. Insbesondere ging es um Kriegsschiffe im Maßstab 1:500, wovon zu Kriegsende vom Schlachtschiff Bismark bis zum Torpedoboot etwa 15 Modelle hinter Glas im Aufsatz des Wohnzimmerschranks standen. Die zweite große Leidenschaft war die Zierfischhaltung und –Zucht in zwei Aquarien von 80 und 50 ltr. am Küchen- und am Balkonfenster.
Meine Konfirmation in der großen St. Sebastian-Kirche im Zentrum der Weidener Altstadt fand im Mai 1944 statt, einer Zeit, in der es für Mutter bei der Nahrungsmittel-Versorgung schwer war, ein Festessen auf den Tisch zu bringen. Aber ich kann mich an ihre besondere Pfannkuchensuppe erinnern. Um diese Zeit herum kamen die ersten Überlegungen auf, was der Junge wohl werden sollte oder wollte. Bei den meisten von uns ging es in Richtung Lehrer, Juristen, Ärzte oder bei den Katholiken um Theologen. Unser Religionslehrer, Dekan Wunderer, hatte wohl die Hoffnung, dass er mindestens einen der drei Evangelen in der Klasse zum Pfarrersamt bringen könnte. Im Frühjahr 1944 kam es dann aber bei mir zu einer ganz außergewöhnlichen Entscheidung. Ausgangspunkt war im Jahre 1943 die Werbung des WBK (Wehrbezirkskommandos), Bereich Marinestreitkräfte, die mich zum Modell-Großschiffbau, Maßstab 1:200 bis 1:50, in eine Tischlerwerkstatt und schließlich zu der Überlegung führte, mich für die Laufbahn des Schiffsbauingenieurs, vorneweg kriegsbedingt eines Offiziersanwärter bei der Kriegsmarine zu interessieren. Hieraus resultierte meine Teilnahme an einem 14-tätigen Ausflug von zehn etwa 14- bis 15-jährigen Schülern des Gymnasiums und der Oberrealschule an den Ostseehafen Kolberg. Es war bei den schweren Luftangriffe der Alliierten auf Mittel- und Norddeutschland und insbesondere durch Berlin hindurch, ein gefährliches Unternehmen. Auch Oskar war Mitglied der Marine-Anwärter-Gruppe. Seine Eltern verweigerten jedoch die Mitreise. Bei unserem Kahn handelte es sich um ein Torpedo-Versuchsschiff, das festvertäut an der Mole im Außenhafen der Stadt Kolberg, direkt neben der alten Festung lag. Das größte Erlebnis war nicht der Dienst auf dem Schiff, das Entern von auslaufenden Schnellbooten, die Luftangriffe der Briten, sondern die Filmarbeiten um uns herum für den letzten Durchhaltefilm Stadt und Feste Kolberg von Veit Harlan, mit Heinrich George und Kristina Söderbaum. Als die Baltische Operation begann, schickte man uns wieder nach Hause.
Wie jeder Familie auf dem Rehbühl wurden 1944 in den Wohnzimmern Flüchtlinge aus dem deutschen Osten zugeteilt. Wir erhielten Frau Buddensieg mit Kleinkind aus Schlesien. Wie sich bald herausstellte, war der Ehemann und Vater nahebei, im Konzentrationslager Flossenbürg als SS-Hauptsturmführer und Kommandeur des KZ-Wachbataillons stationiert. Er besuchte am Wochenende in vollem Ornat seine Familie in unserem Wohnzimmer. Irgendwann und warum auch immer, fuhren Vater und Mutter mit ihm nach Flossenbürg. Wie sie uns nach Kriegsende erzählten, bekamen sie nur die den berüchtigten Steinbrüchen vorgelagerten SS-Behausungen zu sehen. Ludwig Buddensieg wurde im Flossenbürg-Hauptprozess zu lebenslanger Haft verurteilt, jedoch bereits 1952 wieder auf freien Fuß gesetzt.
Die Schäden in der Stadt Weiden beschränkten sich im Kriegsverlauf auf einen einzigen, für uns großen Vorfall. Feindliche Bomberverbände konnten wir des Öfteren auf ihrem Flug in großer Höhe nach Osten ins Sudetenland hören und beobachten. An einem der letzten Tage des Krieges standen wir vor der offenen Haustüre zur Straße hin mit Blick in den östlichen Himmel als eine gewaltige Explosion uns veranlasste, zurück ins Haus und in den Kellerabgang zu stürzen. Dabei flogen uns die Glasscherben von der anderen, der Hofseite entgegen. Es stellte sich heraus, dass ein auf der Gleisanlage der Porzellan Fabrik Bauscher, etwa 600 m Luftlinie vom Rehbühl entfernt stehender Munitionszug von Bomben getroffen worden war. Als wir in unsere Wohnung hinauf stürmten um die Schäden festzustellen, fanden wir auf dem nassen Küchenboden die noch zappenden, etwa 50 Zierfische aus dem 80-Liter-Aquarium vor. Platys, Guppys, Schwertträger und Zebras wurden schnell eingesammelt und in einem Glas zu Freunden gebracht. Das etwas kleinere Aquarium auf dem Balkon mit den, Wasserflöhe fressenden, Makropoden war unversehrt geblieben.
Am Ende des Krieges erlebte Weiden ein kurzes Scharmützel am Stadtrand zwischen wenigen deutschen Wehrmacht-Soldaten und vorrückenden amerikanischen Panzern. Der Volkssturm, der bei uns auf dem Rehbühl von Vater befehligt worden war, hatte sich da schon zurückgezogen, die Panzerfäuste und sonstigen Waffe wieder im Heimgarten deponiert. Vater lief im letzten Moment aus dem Haus, vergrub irgendwo seine Pistole und dann saßen wir im Luftschutzbunker und harrten der Befreier. Furchtlos sahen wir die ersten amerikanischen Soldaten im Jeep auf der unteren Hohenstaufenstraße kommen. Sie gingen die Häuser nach oben hin ab und fragten nach Waffen, kamen aber nicht ins Haus. Wir dachten und hofften: das war für uns das schmerzlose Ende des Krieges. Doch ungeschoren sollten wir doch nicht davonkommen. Noch im Mai 1945 wurde Vater vom Arbeitsamt Weiden wegen seiner NSDAP-Mitgliedschaft entlassen und musste sich zur Ernährung der Familie Arbeit beschaffen. Er war vier Jahre lang als Hilfsarbeiter auf dem amerikanischen Truppenübungsplatz Grafenwöhr beschäftigt. Seine fast täglichen Mitbringsel von Lebensmittelresten aus einer der dortigen Armeekantine war bei seinem dürftigen Lohn für die 5-köpfige Familie eine ganz große Hilfe, wahrscheinlich sogar Überlebens wichtig. Im Jahre 1949 erhielt Vater eine Hilfsarbeiterstelle bei der Deutschen Tafelglas AG in Weiden. Hier erhielt er bei schmalem Lohn Deputatglas. Mit den auf Rucksackgröße geschnittenen Fensterglasscheiben fuhr Vater an den Wochenenden aufs Land und tauschte seine Ware gegen Geflügel, Butter oder Milch.
Die US-Army forderte dann ganz überraschend kurz nach ihrem Einmarsch in Weiden die Räumung des gesamten Rehbühlblocks. Dieser wurde von der Army als Durchgangsquartier verschiedener nach Osten in das Sudetenland, die heutige Tschechische Republik, vorrückender amerikanischer Truppenteile genutzt. Nur das Nötigste durfte mitgenommen werden. Die Frage wo wir bleiben konnten, war für uns allerdings nicht schwer zu beantworten: in der Prinz-Ludwig-Straße 14, in Dölfel-Großmutters Haus. Wir transportierten dorthin, in etwa 1 km Entfernung; auf unserem Leiterwagen Betten, Wäsche und Geschirr in mehreren Fuhren. Die Hoffnung war groß, dass wir bald wieder zurückkehren durften. Nach unserem Auszug lief die kesse Rehbühljugend zurück in den mit Militärfahrzeugen zugeparkten Innenhof des Blocks und ergatterte von den Amis nie gekannte Leckereien und Lebensmittel, darunter Schokolade und die ersten Bananen ihres Lebens. Beim jeweiligen Wechsel der Einheiten konnten wir kurz in unsere Wohnung. Dabei holten wir uns das eine oder andere heraus und ich konnte nach meinen Zierfischen in den beiden Aquarien auf dem Balkon und in der Küche sehen. In kürzester Zeit war dort infolge unsachgemäßer Fütterung der Fische durch die Soldaten das Wasser trübe und die Fische schwammen tot obenauf: das traurige Ende meines etwa 4jährigen Aquarium-Hobbys. Eine der Frauen, meist freigekommene Femdarbeiterinnen, die im Tross mit den Soldaten zogen und sich mit einquartierten, hatte in unserem Wohnzimmerschrank Federvieh gehalten. Master Sergeant Dembry verewigte sich auf meiner Konfirmationsurkunde, die im Schlafzimmer hing, in deutscher Sütterlinschrift. Die Besetzung des Rebühls dauerte etwa 3 Monate und wir konnten unsere Wohnung wieder beziehen.
Es begann eine sehr sorgenvolle und für die Eltern mit ihren drei Jungens entbehrungsvolle Zeit, da Vater als Hilfsarbeiter wenig verdiente. Doch der Segen kam schließlich aus Amerika. Es begann für uns die Zeit der CARE-Pakete: die mit Familie in den 20er Jahren nach New York ausgewanderte Schwester des Vaters, Tante Gretel, versorgte uns mit Lebensmitteln und Kleidung. Ich wurde besonders reichlich bedacht: Sohn Rudi war in New York tödlich verunglückt. Da packten wir phantastische Jacken, Hosen, Schlipse, Hemden und Schuhe aus. Ich zog damit stolz in die Schule und galt dort als der Ami-Jeck, besonders als solcher zu erkennen an den hellbraunen Schuhen mit weißem Spiegel.
Meine 5 Jahre in der Prinz-Ludwig-Straße
1947 wurde uns und einer weiteren Familie im Haus von der Rebühlverwaltung mitgeteilt, dass wir für nicht absehbare Zeit wegen Vaters Einstufung als NSDAP-Mitläufer das Wohnrecht auf dem Rebühl verlieren. Wir zogen wiederum hinunter in die Stadt, ins Dölfel-Haus. Nach Vaters Entnazifizierung unter Bewährungsauflage hat man uns Monate später angeboten, in unsere Rehbühl Wohnung zurückzukehren, was die Eltern jedoch ablehnten. Die Familie blieb die nächsten 5 Jahre in der Prinz-Ludwig-Straße wohnen. Bei Großmutter wurde es sehr eng: Im Erdgeschoß wohnte sie selbst, im 1. Geschoß die 5-köpfige Familie Dölfel, im 2. Geschoß die Familie Kunz mit 3 Personen und einquartierte Flüchtlinge in den 3 Geschoßen. Wir richteten uns bei Großmutter in ihrer Parterrewohnung ein, wo allerdings wegen Platzmangel nicht alle schlafen konnten. So stellten wir drei Notbetten auf den Dachboden. Dort schliefen Vater, Mutter und ich unter dem schrägen Ziegeldach. Als es im Sommer dort oben heiß wurde, schütteten wir abends zwecks Kühlung eimerweise Wasser durchs Lukenfenster aufs Ziegeldach. Im Winter war's unter dem Dach schauerlich kalt. Das Zusammenleben mit Oma war für uns Jungen eine besondere Freude. Oma legte immer wieder gute Worte bei Differenzen mit den Eltern ein, hatte im Vertiko einen Eierlikör für ihre Enkel parat, spielte mit mir und Fritz Dölfel aus dem 1.Stock Tarock mit guten Chancen für uns auf kleines Taschengeld.
Der Schulbetrieb lag infolge der Kriegsereignisse ab April 1944 still. Bei unabsehbaren Auszeit, der völlig ungewisse Zukunft und - mitentscheidend - des in den letzten Kriegsjahren recht mühsamen Lernens, wollte ich mir jetzt einen Jugendtraum erfüllen: Das Tischlerhandwerk zu erlernen. Dieser Wunsch kam auf, als ich zweimal die großen Ferien bei der Verwandtschaft meines Dölfel-Großvaters in Wald bei Gunzenhausen a. d. Altmühl verbrachte. Onkel Geißelmeier besaß dort eine Möbelschreinerei mit schätzungsweise 50 bis 70 Leuten. Aus seiner Werkstatt stammten unsere 1929 gefertigten Wohn-, Schlafzimmer- und Küchenmöbel, die Mitgift meiner Mutter. So begann ich direkt nach Kriegsende die Probezeit bei einem Schreiner in Weiden, der für Zigeuner Bauwagen zu Wohnwagen umbaute. Innerhalb der ersten 3 Monate bekam ich jedoch kein Werkzeug in die Hand: Als Hilfs- und Putzarbeiter im Betrieb und im Kolonialladen der Ehefrau des Meisters verbrachte ich meine Zeit. Die Eltern drängten schließlich, das Schreinern aufzugeben und mich auf die wahrscheinlich doch wieder bevorstehende Neueröffnung des Gymnasiums vorzubereiten. Hierzu nahm ich lateinischen Nachhilfeunterricht in einem Nonnenkloster in der Stadt. Mit Schulbeginn im Herbst 1945 wurde uns mitgeteilt, dass wir im Schuljahr 1946/47 die 4. Klasse zu wiederholen, also 9 Schuljahre, abzudienen hatten.
Dort waren wir jetzt 33 Schüler, davon 29 Katholiken, drei Ketzer, und ein Gottloser, mein Freund Ernst Hanauer. Mit ihm drückte ich die letzten 4 Jahre dieselbe Bank in der letzten Reihe. Wir ergänzten uns vorzüglich, er mit den besseren Kenntnissen in Mathematik und Englisch, ich in Latein und Griechisch. Auch mein Rebühlnachbar Oskar Albrecht war jetzt bis ins Abitur im Juni 1950 in meiner Klasse. In den ersten Nachkriegsjahren entwickelte sich bei mir erstes Interesse an der Aquarellmalerei, das sich bis zur Besessenheit steigerte. Dazu kam Klavierunterricht, der allerdings nur ein halbes Jahr lang finanzierbar war. Mein Schlafplatz fand sich jetzt auf dem Küchensofa bei Tante Marie im 2. Stock des Dölfel Hauses. In den Jahren 1946 bis 1949 engagierte ich mich als Jugendleiter in der Evangelischen Gemeindejugend im Dekanat Weiden, und als B-Trompeter im kirchlichen Posaunenchor.
Meine Leistungen fielen nach dem Wiederbeginn der Schule bis zum Ende der Gymnasialzeit ab. Der Anfangserfolg der ersten 4 Jahre war verflogen. Die vier Sprachen, vor allem Latein und Griechisch erdrückten mich. Dazu wurden in der letzten, der 9. Klasse die Zukunftsplanung akut. Die Perspektiven waren wenig günstig, da wegen Vaters Verlust seiner einträglichen Beamtentätigkeit keinerlei Unterstützung für ein Studium zu erwarten war. Ich musste mir Lebensunterhalt und Studiengeld selbst erarbeiten. In einer ähnlichen, wenn auch nicht so prekären Lage, fand sich einer meiner Klassenkameraden, Felix Eckert aus Tirschenreuth. Er hatte in den letzten Jahren als Fahrschüler drei Häuser weiter in der Prinz-Ludwig-Str. 9 eine Schülerbude gemietet, in der er mit seiner Schwester, die ebenfalls in unserer Klasse saß, hauste. Felix erzählte später, dass ich ihn auf die Bergbaulaufbahn angesprochen hatte, worauf er allerdings bereits durch eine Werbeveranstaltung – er nennt das durch Berggeschrei - aufmerksam geworden sei. So kamen wir zu der Überlegung, uns möglicherweise in den Hochschulferien als gut bezahlte Bergleute das nötige Studiengeld verdienen zu können. Ob bei uns, den schmächtigen und unsportlichen Pennälern, Kraft und Durchhaltevermögen ausreichte, war ungewiss. Als Studienfach stand damals Bergbau noch nicht zur Debatte. Auf Anfrage im März 1950, drei Monate vor dem Abitur, tauchte dann das Merkblatt über das Studium an der Bergakademie Clausthal auf und das Oberbergamt München ermunterte uns zum Ansuchen zur Zulassung als Bergbaubeflissener nach Ablegung der Reifeprüfung. Letztere hatte ich im Juni 1950 mit wohl befriedigendem Ergebnis abgelegt. In Erwartung der beantragten Zulassung suchte ich für die Übergangszeit nach einträglicher Beschäftigung und bekam zur Überbrückung im Juli dort, wo Jahre zuvor mein Vater tätig war, die Stelle eines Rifle Range Attendant bei der US-Army auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr.
Bergbaubeflissener 1950 – 1951
BearbeitenAm 7. August 1950 erreichte uns beide - Felix Eckert und mich - die Zulassung des Oberbergamtes als Bergbaubeflissene und kurz darauf die Zuweisung der ersten Arbeitsstelle, ein Eisenerzbergwerk bei Auerbach in der Oberpfalz, nur km von Weiden entfernt. Vom 1. September bis 29. Dezember 1950 leisteten wir auf der Grube Maffei/ Nitzlbuch der Eisenwerk-Gesellschaft Maximilianshütte als Zimmerhauergehilfen bei der Eisenerzgewinnung vor Ort d.i. Untertage, in Aus- und Vorrichtung und in der Erzförderung unseren Einstieg in den Bergbau ab. Erinnern kann ich mich allerdings nur daran, dass man uns hier dem ersten bergbaulichen Härtetest unterzogen hat, der darin bestand, dass wir die längste Zeit beim Versatz ausgeerzter Baue eingesetzt wurden, d.h. Berge in den Alten Mann schippen mussten. Für uns Nachkriegs-Schwächlinge war das besonders harte Arbeit. Die Arbeitskleidung mussten wir selbst beibringen, meine Mutter musste die völlig verdreckten Hosen, Jacken, Hemden und Socken waschen. Zu Beginn trug ich zeitweise mangels passendem Outfits meine Hirschlederhose, die sich rötlich färbte. Meine wichtigste Anschaffung war die bergmännische Lederkappe, die mir von Anfang bis Ende der Studienzeit über drei Untertage-Jahre als bergmännische Kopfbedeckung diente. An dem in Auerbach groß gefeierten Barbarafest am 6. Dezember 1950 nahmen wir in geliehenen Bergmannsuniformen teil.
Als nächstes wollten wir uns in den für die bergmännische Laufbahn und die Verdienstmöglichkeite3n vielversprechendsten Bergbau, den Kohlebergbau, begeben. Unser Antrag wurde angenommen. Wir reisten mit Angst und Bangen ins Ruhrgebiet, wo uns die Schachtanlage Prosper III der Rheinischen Stahlwerke, zugewiesen worden war. Erstes Quartier am Zechenstandort Bottrop war in Zechennähe das Bullenlager Schubertstraße, wo Felix wohnen blieb, während ich mir ein Privatquartier, ein sehr komfortables Zimmer bei einer Witwe mit älteren Töchtern suchte. Auf Zeche empfing uns der Ausbildungsleiter, Dipl. Berging. Höffker, der wie sich herausstellte, Alter Herr bei der Clausthaler Studentenverbindung Wingolf-Catena war. Vom 15. Januar bis 31. Mai 1951 malochten wir als Gedingeschlepper vor Ort in der Kohle. Bei der Steinkohlegewinnung gestaltete sich für uns die Arbeit bei Staub und ungewöhnlich hohen Temperaturen erwartungsgemäß schwer und kaum erträglich. Wir gelangten oft an die Grenzen unserer physischen Möglichkeiten. Felix litt erschwerend an Furunkulose. Oft gelangten wir an den Punkt, den Bergmannsjob an den Haken zu hängen.
Bei zahlreichen Einladungen in die vornehme Höffkersche Behausung hatte ich vieles zu lernen und nachzuholen, was ich bei meiner Erziehung zu Hause in Weiden nicht mitbekommen hatte. Einer der beiden Söhne war schulmäßig leicht zurückgeblieben, sodass ich wenigstens durch Nachhilfe in Latein punkten konnte. Der Alte Herr versuchte, mich für die Verbindung in Clausthal zu keilen, wobei noch gar nicht feststand, dass ich dort studieren werde.
Auf den Untertage-Einsatz folgte eine einmonatige, vergleichsweise erholsame Beschäftigung als als angelernter Handwerker Übertage und einen weiteren Monat auf der Zentralkokerei der Zeche als Lade-und Transportarbeiter. Hier hat man uns die schlimmst mögliche Arbeit übertragen: Auf dem heißen Koksofenbatteriedach kehrten wir in Holzpantoffeln als Beschickungsarbeiter die Streukohle der Füllmaschine in die zu schließenden Füllöffnungen der Koksbatterien. Hitze und Ausgasungen setzten uns mächtig zu. In der freien Zeit radelte ich mit Felix durch die stark zerstörte Kruppstadt Essen, in der ich mich mit Änne 10 Jahre später niedergelassen habe. Mit meinem Cousin Fritz Dölfel unternahmen ich eine Reise rheinaufwärts und wir besuchten seine Verwandtschaft in Wuppertal. Nach einem halben Jahr hatten wir die schwerste Etappe unserer Beflissenenzeit hinter uns, verließen das Ruhrgebiet (18.Juli 1951), und kehrten in die Oberpfalz zurück, in der uns ein neuer Pütt vom Oberbergamt zugewiesen wurde.
Auf Grube Johannes der Flußspatwerke GmbH in Wölsendorf, 30 km südlich meiner Heimatstadt Weiden, heuerten wir als Gedingeschlepper an. In dem sehr kleinen Betrieb mit etwa 50 Beschäftigten, in max. nur 90 m Teufe, war der Vortrieb und Abbau im Flußspat bei erträglichen Wettern eine gut bezahlte Tätigkeit. Es ging recht familiär zu: Ehefrauen, Kinder oder Bekannte brachten die Brotzeit nach Untertage. Äußerst interessant war der Abbau des violetten, uranhaltigen Stink-Spats, der nur mit vorgebundenen Bleischürzen gewonnen und nicht nach Übertage gefördert werden durfte. Er wurde in ausgeerzte und dann zugemauerte Strecken versetzt und regelmäßig vom Bergamt auf seine Strahlung untersucht wurde.
Untergebracht waren wir mit Familienanschluss im Haus der Witwe Pösl. Im Dorf begegnete ich meinem allerersten Schwarm, Ursula Uschi Rupprecht, Tochter des Dorfschullehrers. Ich versprach ihr übers Jahr wiederzukommen. Ein ziemlich bescheidener Briefverkehr und ihr gerahmtes Foto begleitete mich mehr als drei Jahre lang bis zu ihrer Ablösung im November 1954. Mit dem Einsatz in Wölsendorf (24.Juli-20.Oktober 1951) war unsere Beflissenenzeit nach insgesamt 14 Monaten abgelaufen.
Bergakademie Clausthal 1951 - 1956
BearbeitenWir bewarben uns an den Bergakademien Clausthal, Leoben und Freiberg, wollten aber zusammen nach Clausthal. Wegen des dort geltenden Numerus Clausus erhielt Felix leider keine Zulassung. Wir mussten uns nach dem gemeinsamen Start trennen: So war das nicht angedacht und sehr traurig. Erst zwei Jahre später trafen wir uns in Leoben wieder.
WS 1951/52 1. Semester
Die Aufnahmeurkunde als Studierender der Bergakademie Clausthal datiert vom 30. Oktober, die feierliche Immatrikulation 12. Dezember 1951. Meine erste Studentenbude fand weitab von der Bergakademie auf der Tannenhöhe, dem höchstgelegenen Stadtteil von Clausthal, bei der jungen Flüchtlingsfamilie Kaiser. In ihrem neugebauten Siedlungshaus bezog ich ein nettes kleines Zimmer, das für mich im anbrechenden Harzer Winter schrecklich kalt war. Mit dem Hausherrn karrte ich in den nahen, von den englischen Besatzern abgeholzten Wald, wo wir Stuken rodeten. Bei starkem Schneefall schnallte ich meine Skier unter und fuhr ins Clausthaler Tal zum metallurgische Institut und von da zu Fuß zum jeweiligen Fakultätsgebäude. In der Ungewissheit, ob der in der Beflissenenzeit verdiente Bergmannslohn übers Semester ausreichen würde, heuerte ich über Weihnachten vom 17. Dezember bis zum 5. Januar auf der Blei-Zink-Grube Bergwerks-Wohlfahrt der Preußag AG in Bad Grund als Gedingeschlepper im Bergeversatz an.
Wie vom Ausbildungsleiter auf Zeche Prosper III in Bottrop, dem Wingolfiten Höffker empfohlen, nahm ich erste Verbindung mit der Evangelischen Studentengemeinde in Clausthal unter Pfarrer Flügge auf und geriet von da geradewegs in die evangelische Studentenverbindung, in den Wingolf. Bereits Ende 1951 wurde ich als Fux aufgenommen. Neben dem Studium zählte im ersten Wintersemester das Skilaufen im tiefverschneiten Oberharz zu den besonderen Erlebnissen. Allerdings konnte ich hierfür nur sehr wenig Zeit aufbringen, da ich bei meinen gymnasialen Defiziten in Mathematik, Physik und Chemie großen Nachholbedarf hatte.
Für die Zeit der Frühjahrsferien vom 18.Februar bis 25.April bot sich wiederum in der Steinkohle auf Zeche Prosper III in Bottrop die Tätigkeit als Hauer Untertage an. Als willkommene Abwechslung und Erholung genoss ich mehrere Besuche bei AH Höffker, in dessen Haus mir an den Wochenenden großes Essen geboten wurde und ich dem jüngeren Sohn Latein-Nachhilfe erteilte. Meine Wohnstätte war das Ledigenheim der Zeche in der Schubertstraße.
SS 1952
Mein zweites Studiensemester war stärker geprägt vom Verbindungsleben, Höhepunkt dabei das Bordfest und das Stiftungsfest, das ich bereits als Bursche erlebte. Die persönliche Finanzierung der Feste war ein großes Problem. Dafür reichte das Ersparte aus den Ferienjobs nicht aus, auch wenn ich in allen Semesterferien, vom ersten bis zum letzten Ferientag, tätig war. Das Nebeneinkommen hierfür kam aus den Taschen der Alten Herren des Wingolf, die ihre Töchter zu den Festen mitbrachten: Da fanden sich nette und hübsche Mädchen, aber auch wenig attraktive und wünschenswerte, die auch an die Bundesbrüder verteilt werden mussten.
Für die Ferienzeit vom 1. August bis 30. September 1952 entschied ich mich wieder ins Ruhrgebiet zu ziehen: auf Zeche Heinrich, Heinrich-Bergbau-AG in Essen-Überruhr, als Hauer Untertage. Die täglich vor Schichtbeginn für Bergbaustudenten obligatorische Stellenzuteilung lief auf der nassen Zeche Heinrich – wenn man auf guten Akkordlohn aus war - auf die wenig gefragte Kohlegewinnung im nassen Streb hinaus. Das hieß in leicht geneigter Lagerung, bei einer Flözmächtigkeit, d.i. Arbeitshöhe, von etwa einem Meter und starker Nässe, waren in der 8-Stundenschicht mit dem anschaffenden Kumpel 10 m Kohle herein zugewinnen und auf den Panzerförderer zu scheppen. Ich erinnere mich ganz besonders an einen Kumpel, der an manchen Tagen keine große Lust verspürte durchzuarbeiten und schon mal auf die Akkordprämie verzichtete. Er steckte eine seiner Reservespitzen für den Pickhammer in die Kette des Panzerförderers. Sobald diese die Umkehrtrommel erreichte, riss die Kette und der Förderer stand eine Stunde still. Mich hatte er unter Drohungen dazu gebracht, ihn nicht als den Schuldigen zu verraten.
Die erste Fremdarbeiter denen ich an der Ruhr begegnete, kamen nicht aus armen südlichen Ländern, sondern Bus weise aus dem Bayerischen Wald. Ich hatte am Essen-Kupferdreher Bullenkloster am Eisenhammer das Vergnügen, mit fünf von ihnen in zwei dreistöckigen Holzbetten in einer engen Bude zu wohnen. Viele von ihnen kamen in Lederhosen und dürftiger Bekleidung an, mussten Arbeitskleidung finden, bekamen die ersten beiden Wochen bei freier Verpflegung keinen Vorschuss auf ihre Arbeitsleistung. Um an Zigaretten und Bier zu kommen, wurden irre Wetten abgeschlossen mit einem, der noch Geld auf der Hand hatte. Das war des Öfteren bei mir der Fall.
Im direkten Anschluss hatte ich mich für die zweite Ferienhälfte wieder für eine Tätigkeit in der Oberpfalz entschieden: Vom 6. Oktober bis 4. November 1952 schuftete ich in der Flußspatgrube Marienschacht der Gewerkschaft Wölsendorf als Hauer Untertage. Wölsendorf liegt nur 35 km südlich meiner Heimatstadt Weiden, die allerdings Eltern und Brüder damals gerade verlassen hatten. Sie waren nach Landshut gezogen, wo Vater 7 Jahre nach seiner Entlassung aus dem Staatsdienst als Regierungsinspektor am Versorgungsamt wieder Anstellung fand. In Wölsendorf traf ich Uschi wieder
WS 1952/1953
Im dritten Semester, gab ich im November 1952 mein Akademie fernes Domizil auf und zog nahe an das Hauptverwaltungsgebäude, in die Buntenböckerstraße, eine Wingolfs-Wohngemeinschaft mit Bb „Karlchen“ Wolter als Mieter und Bb Ulli Höppe. Der Winter war der kälteste und Schnee reichste, den ich im Harz erlebte: Der Schnee reichte bis zur Fensterbank unserer Bude im 1. Stock des Hauses (Fotos). Zum Aufwärmen fand im Karneval das Wingolf-Bordfest statt (Fotos). In den Frühjahrsferien 1953 stand der Eisenspatbergbau im Siegerland auf dem Plan: vom 24. Februar bis 2. Mai in Weidenau auf der Grube Neue Haardt als Hauer Untertage (Fotos).
SS 1953
Zu Beginn des vierten Semesters, im Mai 1953 bot der Sozialreferent des ASTA für die Sommerferien Praktikumstätigkeit im Ausland an. Ich interessierte mich für Norwegen und hatte die Wahl zwischen Kohlebergbau auf Spitzwegen oder Kupferbergbau in Nordnorwegen. Ich tendierte indessen nicht weiter zur Kohle hin, sondern ins Erz und entschied mich für die Ferientätigkeit im Kupferbergbau. Zuerst allerdings mussten am Ende des SS 1953 die Vordiplomprüfungen bestanden werden. Trotz aller Anstrengungen passierte das für mich Undenkbare: Nach der Einnahme einer dicken Beruhigungspille vor der letzten, der Maschinenelemete-Prüfung, mussten wir außerordentlich lange warten und es hatte sich das Gegenteil, eine starke Aufregung aufgebaut. Ich kam an die Reihe, bekam eine Aufgabe gestellt, ging an die Tafel und zeichnete und beschrieb, und das ohne Pause. Als ich mich fertig wähnte, erklärte Professor Engel, dass es gut und flüssig gelaufen wäre, ich aber nicht auf seine Zwischenfragen reagiert hätte. Der „Schwanz“ war perfekt, somit das Vordiplom nicht bestanden obwohl ich in den anderen 7 Prüfungen gut abgeschnitten hatte.
Nun ging‘s am 4. August erst mal auf große Reise nach Nord-Norwegen um auf der Grube Sagmo, der Sulitjelma AB, meinen Ferienjob als Hauer im Schwefel- und Kupferkiesbergbau anzutreten. Mit dem Fährschiff „Deutschland“ erreichte ich von Gedser aus Oslo. Nach einigen Tagen in und um die norwegische Hauptstadt ging’s per Bahn 1200 km nach Norden über Trondheim und Lønsdalen nach Bodø, Hauptstadt der Provinz Nordland. An der hier, mit nur etwa 80 km schmalsten Stelle des Landes führte meine Reiseroute nach Osten Richtung schwedische Grenze an’s Ziel, nach Sulitjelma. Auf einen Dampfschlepper erreichte ich im Skjerstadfjord Fauske, stieg wiederum auf die Bahn um und erreichte die Endstation Sandnes am Nordufer des 140 m hochgelegenen Langvatnet. Von der am See gelegenen Aufbereitungs- und Hüttenanlage der Firma Sulitjelma AB ging‘s über km Schotterstraße zu Ort und Grube Sagmo auf 540 m Höhe. Dort oben wohnte ich mit 50 Kumpeln nun für m ehr als 4 Monate im großen, 2-stöckigen Bergmannsheim, umgeben von wenigen Eigentumshäusern, dem Velferdshuset der Gewerkschaft und einigen kleinen Grubengebäuden. Über die tonnlägige Hauptzugangsstrecke wurde eingefahren und Material transportiert. Der Abbau geschah von verschiedenen Sohlen aus im Kammerbau durch Schießen und Schrappen. Der Abtransport des Erzes erfolgte über Sturzrollen, die Hauptförderstrecke und schließlich die Seilbahn hinunter über den Langvatnet zu Aufbereitung und Schmelzhütte. Die Arbeit vor Ort war weitestgehend mechanisiert, für mich aber doch wieder sehr Kräfte zehrend. Allerdings stellte sich dann aber die Entlohnung als besonders gut heraus: Am Ende hatte ich brutto 3.718 kr, d.i. 2.200 DM, verdient.
Das Leben in Sagmo begann äußerst eintönig solange man keinen Anschluss fand. Der ergab sich schließlich durch die Bekanntschaft mit drei anderen Studenten, die schon vor mir eingetroffen waren: zwei Österreicher (Sepp Riedel und Adi Salzmann) von der Montanistischen Hochschule Leoben und ein älteres Clausthaler Semester (Jungk). Drei im Heim bedienstete junge Norwegerinnen kümmerten sich um etwa 60 Bergleute, von denen sich einige um die Gunst die beschäftigten Mädchen bisweilen laut und heftig schlugen. Auch ich geriet zwischen die Fronten als offensichtlich wurde, dass ich im Begriff war, mit der Jüngsten, Magda Grimstad, anzubandeln. Der Österreicher Sepp Riedel bemühte sich um Magdas Schwester Jorunn. So fanden wir beide, Sepp und ich, uns von Vater Eugen Grimstad in sein Haus in Sagmo eingeladen, und saßen oft und lange inmitten der Familie. Er nahm mich am Wochenende mit auf seine stunden- und auch tagelangen Entenjagd- und Fischfangtouren in die Seenlandschaft westlich von Sagmo zum Skuortacokka. Unser Ziel an diesem Hochgebirgssee war Grimstads Bootshütte. Spät abends ruderten wir vor einen in den See stürzenden Wasserfall, legten die Netze aus, die wir am nächsten Morgen mit reicher Forellenbeute wieder einholten. Es waren großartige Erlebnisse in dieser urigen Landschaft.
Ein Erlebnis der besonderen Art war auch eine Solo-Tour auf den Blaamands-Gletscher: Eine Rutschtour auf meinem Rucksack sitzend, über eine Gletscherzunge bis auf das abrupt abbremsende Geröllbett (Fotos). Ein andermal wanderten wir zu fünft, drei Studenten und die Grimstad-Schwestern, zum Vardetoppen und zum mächtigen Saulo (1600 m). Das Ferienhaus der Grimstads am Nordmeer in Erikstad bewohnten wir mehrere Tage.
Der Winter hatte sich bereits Anfang Oktober mit heftigem Schneefall eingestellt. Die Straße nach Sandnes war kaum noch befahrbar, zeitweise unterbrochen. So nutzten wir zum Besuch des Stadtcafés verbotenerweise die Erzseilbahn. Wir schlichen uns an die Zwischenstation nahe der Mine, warteten auf eine leere Material Lore, rannten ein paar Schritte nebenher, schwangen uns hinein und duckten uns bei der Durchfahrt durch die Station tief in die Lore. Es geschah zuweilen, dass wir bei dieser Aktion vom Personal beobachtet wurden, das die Seilbahn dann stillsetzte und uns eine Weile über dem See hängend frieren ließ. Für etwaige längere technische Stillstände hatten wir eine Seilrolle bei uns, um uns schlimmstenfalls abseilen zu können. Am Hochzeitstag von Sepp und Jorunn, am 19. Oktober 1953, gab es bei hohem Schnee kein Durchkommen zur Kirche hinunter nach Sulitjelma. So wurden mehrere lange Materialloren an der Bergstation vorgefahren, die das Brautpaar, die Trauzeugen und andere Eingeladenen ganz offiziell per Seilbahn zum Ort der Trauung abseilten. Auf dem gleichen Wege ging es dann wieder hinauf nach Sagmo, wo im Gemeinschaftshaus gefeiert wurde. Als ich mich wegen des Auslaufens der Aufenthaltsgenehmigung gegen Ende Oktober auf meine Heimreise vorbereitete, verunglückte ich in der Sagmo-Mine. Bei der Überfahrt eines nicht mehr genutzten und abgedeckten nahezu senkrechten, 200 m tiefen Erzförderschachtes brach die Abdeckung und ich stürzte in die Tiefe. Nachkommende Bergleute hatten das mitbekommen, leuchteten in den Schacht, konnten mich aber nicht orten. Sie alarmierten den Rettungsdienst, konnten dann aber mit verstärkten Lampen mich etwa 10 m unterhalb der Absturzstelle ausmachen. Ich hing bewusstlos über eine in der Schachtwand steckenden Bohrstange. Ein Helfer seilte sich ab, band mich fest und ich wurde hochgehievt. Mit einigen Wunden am Kopf und einem angebrochenen Becken kam ich in das firmeneigene Hospital. Nach bester Umsorgung wurde ich etwa Mitte November aus dem Hospital entlassen und erhielt bis zu meiner Abreise am 14. Dezember nur noch leichte Arbeiten, u.a. auch die eines Haspelmaschinenfahrers. Die letzten Tage war ich gemeinsam mit Magda viel auf den Skiern unterwegs, sehr oft bis in die Nacht bei hell leuchtenden Nordlichtern (Fotos).
Meine Rückreise nach einem Aufenthalt von mehr als 17 Wochen führte zuerst nach Norden, nach Narvik, von dort auf der Erz Bahn nach Osten über die Grenze nach Schweden. Ich konnte den damals größten Eisenerzbergbau Europas in Kiruna Über- und Untertage besichtigen, fuhr in Schweden nach Süden und besuchte den Bruder meines Vaters in Stockholm. Onkel Kurt Haubold lebte dort mit Tante Agda seit 1922.
Über Großenbrode (21.12.) und Clausthal ging’s nach Landshut, wo die Familie vollzählig Weihnachten feierte. Als großes Thema dieser Familientage entwickelte sich meine seit mehr als 2 Jahren dauernde Liaison mit Uschi Rupprecht, zumal ich verkündete, dass ich in drei Monaten, den Frühjahrsferien, wieder in Wölsendorf sein wollte. Das Drama endete mit der Aussage meiner Mutter, dass ich mich zwischen Uschi, einer Katholikin, und ihr entscheiden müsste. Das war starker Tobak und schweres Gepäck für die bevorstehende Reise nach Wölsendorf.
WS 1953/54 5. Semester
Vor Jahresende fand ich mich dann mit drei monatlicher Verspätung zum Studium in Clausthal ein. Ich holte meinen einen mit aller Habe untergestellten Koffer und zog zur Familie Kleinschmidt auf die Sorge in Clausthal. Als erstes musste ich den Schwanz, mein schlechtes Abschneiden in Maschinenkunde, abhacken. Einen dazu erforderlichen Antrag an das Ministerium in Hannover hatte ich bereits gestellt, der Bescheid war positiv: Sollte ich eine Nachprüfung in Maschinentechnik bestehen, so bliebe mir die Wiederholung des 4. Semester erspart. Gleich am 11. Januar war erst mal wieder im Harzer Blei-Zink-Bergbau für 17 Tage in Bad Grund, in der Grube Bergwerks-Wohlfahrt in Bad Grund, angesagt. Für diese Arbeit blieb nur die Nachtschicht, d.i. mit An- und Abfahrt von 9 Uhr abends bis 7 Uhr morgens.
Nach der positiv abgeschlossenen Nachprüfung befand ich mich dann glücklicherweise im Februar im regulären 5. Semester, das allerdings schon einen Monat später mit der Semesterschlusskneipe endete. Und wieder zog es mich in die Oberpfalz. Am 28. Februar traf ich in Stulln bei Nabburg ein, um tags darauf in der Grube Erika der Fa. Mineral- u. Granitwerke Emil Hofmann GmbH, Schweinfurt, meinen Job als Hauer im Flussspat- und Braunkohlebergbau Untertage anzutreten. Ich kam direkt am Schacht in einem Verschlag artigen Raum innerhalb des Kompressor Hauses unter. Hier war ich für den Betriebsleiter jederzeit erreichbar, wenn ein Bergmann in der Morgen- oder Nachmittagschicht ausfiel. Zuweilen arbeitete ich auch zwei Schichten am Tage. Als mein erster Monatsverdienst bekannt wurde, kam’s zum Aufschrei: Der Haubold hat mehr Geld in der Tüte als irgendeiner von uns. Wölsendorf und Uschi waren in nächster Nähe. Wir trafen uns im ersten Monat oft im Haus ihrer Eltern, unternahmen einen Ausflug nach Weiden, besuchten Mutters Schwester, Tante Marie und ihr Töchterchen Uschi. Und dann kam - für mich völlig überraschend - der Eklat: Uschis Erklärung, dass die langwährende Trennung - zuletzt 17 Monate - dazu geführt hat, dass sie sich einem neuen Freund zugewandt hat. Ich war demnach wohl abgemeldet, fühlte mich ziemlich erschlagen, gleichzeitig aber auch im Hinblick auf Mutter’s Ultimatum auch wieder erleichtert. Über diese Abfuhr half nur noch mehr Untertagearbeit abseits von Wölsendorf auf Grube Erika hinweg.
SS 1954
Nach zwei Monaten in der Oberpfalz war ich zurück in Clausthal zum 6. Studiensemester. Ich zog zum 4. Mal um in die Sägemüllerstraße, in das Haus des Hausmeisters der dortigen Grundschule. Der Wingolf, dessen Bundesloch sich gleich um die Ecke im Hinterhaus der Glückauf-Gaststätte befand, wartete auf mich und kürte mich prompt zum Erstchargierten, der ich dann auch im nächsten Semester blieb. Im Studium ging's jetzt in den Hauptfachgebieten zur Sache. Die Sommerferien ließ ich es ruhig angehen: Ich zehrte noch von meinen Sagmo-Einkünften. Das Ferienziel war für die Zeit vom 18. bis 25. Juni Dresden, 15 Jahre nach meinem ersten dortigen Besuch. Genauer gesagt war mein Ziel die Familie meines Patenonkels Gerhard, der im Krieg vermisst blieb. Ich traf Tante Ellen und meine Cousine Ingrid, ihren zweiten Mann und den kleinen Rolfi aus der zweiten Ehe der Tante. Ein recht umfängliches Programm erwartete mich: Die in Ruinen liegende Stadt, aber auch die bereits wiederaufgebauten Teilbereiche der Innenstadt, Zwinger und Semperoper, der Weiße Hirsch, Sächsische Schweiz, Schloss Moritzburg und anderes mehr. Nach meiner Rückkehr nach Clausthal lud ich Ingrid in den Oberharz ein, wo sie an meinem Geburtstag eintraf und eine Woche blieb. Ihr Besuch im Westen endete mit schlimmen Folgen: Wir hatten eine Postkarte an ihre Eltern abgeschickt, auf der ein Coupe mit fröhlichen, winkenden Leuten dargestellt war. Die Reifen des Fahrzeugs hatten wir platt gezeichnet und auf das Nummernschild DDR geschrieben. Nach Rückkehr wurde sie zu ihrem Chef gerufen, der sie fristlos entließ.
Es blieben am Ende der Ferien vom 6.August bis 16.Oktober 1954 noch 9 Wochen zum Geldverdienen als Aufsichtshauer auf Zeche Germania in Dortmund-Marten. Der Karrieresprung vom Hauer zum Aufsichtshauer erwies sich als kräftesparend und einträglich zugleich.
WS 1954/55
Bereits am 1. Juli 1954 hatte sich mein und unser späteres Ehe-Schicksal angebahnt: Annemarie Keiner war an diesem Tag an der Bergakademie als Sekretärin für die beiden Fakultäten Mathematik/Mechanik und Geologie angestellt worden und geriet damit nach meiner Rückkehr aus dem Ruhrgebiet in meinen Blickpunkt. Praktika in beiden Bereichen, verbunden mit fingierten Gründen, brachten mich in die beiden Sekretariate, und morgens durchgeschobene Briefchen zu ersten Kontakten. Schließlich folgte ich am 12. November 1954 ihren Spuren auf dem Mittagsheimweg nach Zellerfeld, nahm alle Schneid zusammen und sprach sie am oberen Zellbach auf Höhe der Hausnummer 8 an. Ich durfte sie begleiten und wir schafften es zu einer Verabredung. Diese konnte ich am Ufer eines der Zellerfelder Teiche auch photographisch festhalten. Man beachte die gekreuzten Beine, nicht zu erkennen ist der wegen Sehnenscheidenentzündung, einer Schreibmaschinen Krankheit, geschiente rechte Arm.
Zum Amt des Wingolf-Erstchargierten musste ich auch noch die Aufgabe des Sozialreferenten des ASTA übernehmen. Das brachte mir dann gleich zu Beginn des Semesters als Vertreter der Clausthaler Studentenschaft eine Einladung zum traditionellen Ledersprung an die Montanistische Hochschule Leoben anlässlich der dortigen jährlichen Immatrikulationsfeier. Erstmalig nach 3 Jahren traf ich bei dieser Veranstaltung meinen Kumpel Felix wieder und einen weiteren Bekannten, Karl Weiß, den späteren Betriebsführer der Flussspat Grube Gisela in Stulln. Auf der Reise konnte ich mich auch noch in Salzburg umsehen. Anschließend konnte ich das Weihnachtsfest bei den Eltern und Brüdern in Landshut feiern, wo ich die Gelegenheit nutzte, Änne erstmals ins Gespräch zu bringen und vorzustellen.
Jahresanfang und Frühjahr 1955 in Clausthal waren bestimmt durch viele Begegnungen, gegenseitiges Kennenlernen und schließlich heftiges Verliebt sein. Die Einführung von Änne in den Kreis der Wingolfiten nahmen wir gezielt vor, denn für das gemeinsame Feiern von Festen in der Verbindung war eine Liierung bindend vorgeschrieben, das hieß, dass zumindest Verlobungsabsichten bestehen mussten. Auch bei Ännes Eltern war ich zwecks Einführung des Öfteren zu Gast in der Bäckerstr. 4 in Zellerfeld. Mutter Ursula war bei den Einladungen bestrebt, den darbenden Studenten mit Weinsuppe, Knödeln und Braten zu versorgen.
Dann ging es erneut ab ins Ruhrgebiet: Ab 24. Februar 1955 verdiente ich mir in Dortmund auf Zeche Zollern Schacht 1, der früheren Zeche Germania neues Studiengeld. Hier besuchte mich Änne, wohnte in Lütgendortmund im Hotel und holte jeden Tag den Kumpel mit den schwarzen Augenlidern am Zechentor ab. Wir bereisten das Ruhrgebiet, die Gartenausstellung in der Dortmunder Westfalenhalle und nahmen uns am Ostersonntag eine Busreise nach Holland vor. Am Grenzübergang wurden wir aus dem Bus geholt. Änne war im Sammelvisum nicht eingetragen, wir saßen am Feiertag an der Autobahn bei Emmerich fest.
SS 1955
Ende Juli 1955 trat ich in Essen-Borbeck auf der Krupp'schen Schachtanlage Helene der Bergwerke Essen-Rossenray AG in Essen-Borbeck zur Ausarbeitung meiner Diplomarbeit an. Das Bergbau-Institut der Bergakademie hatte mir als Thema Die Wirtschaftlichkeit des Abbaus der auf den oberen Sohlen der Schachtanlage Helene noch anstehenden Restkohlemengen zugewiesen. Als Bergwerksdirektor der Zeche fungierte dort Bergassessor a.D. Rauschenbach, der Krupp'sche Kohle-Papst, der mich während der dreimonatigen Arbeit anleitete und mir bei der Verabschiedung anbot, nach bestandener Diplomprüfung in seinen Betrieb einzutreten. Ich habe ihn dann allerdings mit meiner Aussage überrascht, nicht in die Kohle sondern in den Erzbergbau im Ausland wechseln zu wollen. Dieser Entschluss war unausgesprochen längst gereift und hier erstmals mit allem Ernst ausgesprochen. Nichts desto trotz - meinte Rauschenbach - wolle er mir bei diesem Vorhaben behilflich sein. Die Diplomarbeit wurde mit gut bewertet. Mit der letzten Ausfahrt auf Zeche Helene am 24. Oktober 1955 ging meine dreijährige Plackerei als Beflissener und Ferienmalocher zu Ende.
WS 1955/56 8. Semester
Zur Vorbereitung auf die Diplomhauptprüfung ließ ich mich für dieses Semester auf Antrag beurlauben. Nach der schlecht bezahlten Arbeit auf Rossenray war der Verdienst schnell aufgebraucht, sodass ich erstmals einen Kredit der Studienhilfe des Deutschen Bergbaus über 500 DM aufnehmen musste, um das letzte Semester zu überstehen. Dabei trat mein Vater als Bürge ein. Im November 1955 erhielt Änne von ihm eine offizielle Einladung zu Weihnachten nach Landshut, wobei er voraussetzte, dass ihre Eltern für die Minderjährige die Einwilligung geben müssten. Ännes Einführung in den Kreis der Familie, die an den Feiertagen vollzählig in der Dammstraße versammelt war, gestaltete sich locker, positiv und äußerst erfreulich. Die Eltern erlebten uns als ein recht verliebtes Pärchen.
Im März 1956 fanden innerhalb von 2 Wochen die 14 Diplom-Einzelprüfungen statt. In unserer Vierer-Gruppe hatten sich die Wingolfiten Günter Althaus, Eberhard Uhrig, Ullrich Höppe und ich zusammengefunden. Kurz vor dem Prüfungstermin sprang Günter ab. Er peilte ein Einser-Diplom an und meinte, seine Vorbereitung darauf würde nicht ausreichen. Wir schafften alle drei ein gut.
In der letzten Prüfung, in der Aufbereitungskunde, erlebte ich einen völlig unerwarteten Höhenflug: Ich wurde hinterher nochmals ins Prüfungszimmer geholt und mir schwante nichts Gutes. Doch das Gegenteil trat ein: ich wurde mit einem sehr gut hochgelobt und Professor Schranz fragte, ob ich von der Bergbau- in die Aufbereitungssparte wechseln möchte. Daran habe ich während meines Studiums nie gedacht, wenig für das Fach getan und deshalb wenig interessiert reagiert. Ich sollte mich in den nächsten Tagen mit einem Vertreter der Metallgesellschaft Frankfurt treffen, der mir ein Angebot unterbreiten würde. Der Mann erschien zwei Tage später in Clausthal. Im Café Fischer unterbreitete er mir auf ausdrückliche Empfehlung von Professor Schranz das Angebot, für seine Firma als Aufbereitungsingenieur in eine Nickelerz Aufbereitung nach Norwegen zu gehen. Ich hatte bis dahin noch keinerlei Bewerbung geschrieben, erbat Bedenkzeit und lehnte schließlich ab.
Die Zeit zwischen März und Juni 1956 mit den sich abspielenden Ereignisse gestaltete sich als die aufregendste in meinem jungen Leben: Zum einen entschied sich in diesen drei Monaten meine berufliche Orientierung, meine zukünftige Arbeitsstelle und auch meine Lebens-Partnerschaft, die gerade erst vor 16 Monaten fest angepeilt hatte.
Nach dem Examen wandte ich mich brieflich am 8. März 1956 an Bergwerksdirektor Rauschenbach, dem ich vor 6 Monaten meine Diplomarbeit vorgelegt hatte, wobei er mir ja zugesagt hatte, mich beim Erzbergbau Krupp weiter zu empfehlen. Jetzt war Warten und Bangen angesagt. Ich reiste nach Landshut, meinem jetzt ausgewiesenen Wohnort, und besuchte dort die Eltern und Brüder. Dort erhielt ich am 31. März von der Firma Fried. Krupp GmbH Rohstoffe ein Schreiben, in dem man mir unverbindlich anheim stellte, die übermittelte Standesliste ausgefüllt einzureichen. Dem kam ich gerne am 31. März nach und fügte Lebenslauf und Diplomzeugnis bei. Zurück in Essen, kam Änne aus Clausthal angereist. Wir hatten uns ein Zimmer gemietet und verbrachten trotz der großen Spannung eine herrliche Zeit.