Benutzer:HCBaldinger/Der ontologische Gottesbeweis bei Baruch de Spinoza
Spinozas Werk hat die Hauptzüge der europäischen Modernisierung vorweggenommen, wozu Säkularisierung, Bibelkritik, Bestätigung der Naturwissenschaften, Aufklärung und die Entwicklung zum liberalen, demokratischen Staat. Er hat ein neues, philosophisches Prinzip aufgestellt, welches das diesseitige Leben als einzig wirkliches Sein und einzige Quelle ethischer Werte sieht. Es gibt keinen persönlichen Schöpfer-Gott, vielmehr ist Gott identisch mit der Gesamtheit der Natur. Sein revolutionäres Denken hat Generationen nach ihm beeinflusst, Denker wie Goethe, Hegel, Heine, Marx, Nietzsche, Freud und Einstein sahen sich in gewissem Sinne als Spinozisten.1 In Spinozas Metaphysik erhält das ontologische Argument beherrschende Stellung. Im tractatus brevis entwickelte er noch einen aposteriorischen Beweis aus dem Vorhandensein der Gottesidee im Bewusstsein. In der Ethik vertrat er nachdrücklich die Ansicht, dass die Existenz Gottes, also die einer absolut unendlichen Instanz in rein apriorischer Weise demonstriert werden könne. Spinoza setzt Gott mit der Natur gleich, was dazu führte, dass ihm vorgeworfen wurde, einen Pantheismus zu vertreten. Seine Methode stützt sich auf jene von Descartes. Er gibt (hier auszugsweise) Definitionen vor:
1 Unter Ursache seiner Selbst verstehe ich das, dessen Wesen, die Existenz einschließt, oder das dessen Natur als existierend begriffen werden kann. 3 Unter Substanz verstehe ich das, was in sich ist und sich begriffen wird, das heißt, dass dessen Begriff nicht den Begriff eines Anderen Dings nötig hat, um daraus gebildet zu werden. 6 Unter Gott verstehe ich das absolut unendliche Seiende, das heißt die Substanz, die aus unendlichen Attributen besteht, von denen ein jedes ewiges und unendliches Wesen ausdrückt. Alles, was ist, ist entweder in sich oder in einem anderen. Was als nicht-existierend begriffen werden kann, dessen Wesen schließt die Existenz nicht ein. Ferner Axiome: (die wesentlichen) 1 Alles was ist ist entweder in sich oder in einem anderen. 7 Was als nicht existierend begriffen werden kann, dessen Wesen schließt die Existenz nicht ein. Darauf folgen von ihm so bezeichnete Lehrsätze. Die wesentlichen herausgegriffen: 6 Eine Substanz kann von einer anderen Substanz nicht hervorgebracht werden 3 7 Zur Natur der Substanz gehört das Existieren. 11 Gott oder die Substanz, die aus unendlichen Attributen besteht, von denen jedes ein ewiges und unendliches Wesen ausdrückt, existiert notwendig. Hierzu führt er als weiteren Beweis: "Von jedem Ding muss eine Ursache oder ein Grund angegeben werden, sowohl warum es existiert, als auch warum es nicht existiert“. Als Beispiel führt er jenes vom viereckigen Kreis, der nicht existiert, weil es sich eben aus der Natur des Kreises selbst ergäbe, dass dieser nicht viereckig sei, da dies einen Wiederspruch in sich schließen würde. Daraus folgert er, dass dasjenige mit Notwendigkeit existiere, wovon kein Grund und keine Ursache vorhanden wäre, die es hinderten zu existieren. Wenn also kein Grund und keine Ursache gegeben seien, die verhindern, dass Gott existiere oder seine Existenz aufhebe so müsse daraus zwingend gefolgert werden, dass er unbedingt existiere. Gäbe es einen solchen Grund oder solche Ursache, so müsste sie entweder in der eigenen Natur Gottes liegen oder außerhalb desselben, das heißt in einer anderen Substanz von anderer Natur. Wäre sie von derselben Natur, so wäre damit schon zugestanden, dass es Gott gibt. Es gibt also weder in Gott, noch außerhalb Gottes irgendeine Ursache oder einen Grund, welcher seine Existenz aufhebe, folglich existiert Gott notwendig. „Nicht existieren können ist ein Unvermögen, existieren können dagegen ein Vermögen, wenn das, was schon notwendig existiert nur endlich Seiende sind, so wären also endlich Seiende mächtiger, als das absolut unendlich Seiende und das ist selbstverständlich widersinnig. Somit existiert entweder nichts oder das absolut unendlich Seiende existiert notwendig. Nun existieren wir aber selbst, entweder in uns oder einem anderen, das notwendig existiert (Axiom eins, Lehrsatz sieben) folglich muss das absolut unendlich Seiende, das heißt nach Definition sechs Gott, notwendig existieren“. Das Denken und die Ausdehnung, beides Attribute Gottes, lassen sein Wesen erkennen und zeigen nach Spinoza auch, dass das Wesen Gottes die Existenz einschließt, zeigen ihn somit etwas Reales. Wesenheit und Existenz sind in Gott somit ein und Dasselbe. Ein Wesen, dessen Wesenheit die Existenz einschließt ist somit notwendig, also existiert Gott. Man nehme einmal an Gott existiere nicht, das sei widersinnig, denn Gott ist Mittelpunkt von allem. Nach Definition der Substanz gehöre es eben zu ihrer Natur, dass sie existiere, Ursache ihrer selbst sei. Also existiert Gott notwendig. Als Umkehrung liefert er das Argument: „Es existiert das notwendig, das kein Grund und keine Ursache verhindern kann zu existieren. Es gäbe aber keinen Grund und keine Ursache, welche verhindern könne, dass Gott existiere, somit seine Existenz aufgehoben würde. Daraus müsse unbedingt gefolgert werden, dass Gott notwendig existiert. Gäbe es nämlich etwas, das geeignet wäre die Existenz Gottes zu hindern, müsse dies entweder in der Natur Gottes selbst liegen oder in einer anderen Substanz von anderer Natur, dann wäre diese gleicher Natur und somit Gott“. Eine andere Substanz kann es aber laut Spinoza nicht geben. Daraus schließt er, dass dann, wenn Gott nicht existierte der Grund der Nichtexistenz in der Natur Gottes selber liege, was einen Widerspruch darstellt. Solchen Widerspruch erklärt er als widersinnig“. Schließlich erbringt er noch einen aposteriorischen Beweis; “Existieren können ist ein Vermögen, nicht existieren ein Unvermögen. Wenn das, was notwendig existiert nur endliche Wesen wären, dann wären endliche Wesen somit mächtiger als absolut unendliche, das ist absurd“. Daraus folgt, dass entweder nichts existiere oder aber, dass absolut unendliche Wesen notwendigerweise existieren. Da wir selbst aber existieren muss das absolut unendliche Wesen – Gott– notwendigerweise auch existieren. Das Argument wonach entweder nichts existiere oder das absolut unendliche Wesen notwendigerweise existiere wird darauf gestützt, dass wir selbst existieren müssen. Hier ist unzweifelhaft vorausgesetzt, dass wir selbst existieren, diese Voraussetzung ist somit empirischer Natur. Zusammengefasst nochmals der Lehrsatz elf:
1. Gott existiert nicht (Annahme für reductio) 2. Zur Natur Gottes gehört nicht notwendig das Existieren (abgeleitet aus 1 und aus Axiom 7) 3. Gott ist die Substanz, die aus unendlichen Attributen besteht, von denen jeder sein ewiges und unendliches Wesen ausdrückt (Definition 6) 4. Zur Natur der Substanz gehört notwendig das Existieren (Lehrsatz 7) 5. Also zur Natur Gottes gehört notwendig das Existieren (aus 3 und 4; Widerspruch zu 2!) 6. Also: Gott existiert Spinozas Gottesbeweis läuft letztlich auf den Nachweis hinaus, dass es überhaupt etwas gibt, nämlich alles Wirkliche.
Einzelnachweise: Bromand Joachim/ Guido Kreis (Hg), Gottesbeweise von Anselm bis Gödel, Suhrkamp Verlag, Berlin, 20206. Cottier, Athanas, Der Gottesbeweis in der Geschichte der modernen Aufklärungsphilosophie Descartes -Spinoza-Leibnitz-Wolff-Kant, Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der philosophischen Fakultät der Universität Freiburg in der Schweiz, Freiburg 1940. Röd, Wolfgang, Struktur und Funktion des onthologischen Argumentes in Spinozas Metaphysik, Revue international de philosophie, Vol 31 Nr 119/120, 1977. Spinoza, Benedictus de, Opera: Latein und Deutsch, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 19894. Yovel, Yirmiyahu, Spinoza, das Abenteuer der Immanenz, Steidel-Verlag, Göttingen 2012. Übersicht: Hiltscher, Reinhard, Gottesbeweise, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2008. Israel, Jonathan I., Spinoza life and legacy, Oxford University Press, Oxford 2023. Kühnlein, Michael, Religionsphilosophie und Religionskritik, Suhrkamp Verlag, Berlin 20222. Röd, Wolfgang, Geschichte der Philosophie, die Philosophie der Neuzeit 1 von Francis Bacon bis Spinoza, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 20212. Schmidt, Joseph, Philosophische Theologie, Grundkurs Philosophie 5, Kohlhammer, Stuttgart 2003. Sobel, Jordan-Howard, Logic and theism arguments for and against beliefs in God, Cambridge University Press, Cambridge, New York etc 2004.
Hanns Christian Baldinger