Benutzer:Matutinho/Arbeitsindex/Hexenprozesse in Freiburg (Schweiz)
Die Hexenprozesse in Freiburg sind Teil einer gross angelegten, in der Schweiz organisierten Hexenverfolgungskampagne, die mit den Hexenprozessen im Wallis ab 1428 begann. Zu dieser Zeit legten das Konzil von Basel und verschiedene päpstliche Bullen, darunter die Vox in Rama, den Grundstein für die Verurteilung der Hexerei als Ketzerei, sowie für die Möglichkeit, Hexenprozesse von einem Inquisitionsgericht untersuchen zu lassen. Im Kontext von Freiburg begannen die konstituierenden Prozesse der Hexenverfolgung 1429 und wechselten sich ab mit Prozesswellen, die sich 1399 und 1430 gegen die Ketzer der Waldenser richteten. Sie markierten den Beginn der Inquisition in der Westschweiz. Dieser enge Wechsel zwischen Ketzer- und Hexenprozessen ist eine Besonderheit der frühen Hexenprozesse in Freiburg.
Diese Prozesse sind im regionalen Kontext der territorialen Herausforderungen der Stadt Freiburg im 16. Jahrhundert zu sehen, die ihren Einfluss ausweiten wollte, und sind repräsentativ für die Umwandlung von Ketzerprozessen in Hexenprozesse, wobei gleichzeitig die Frauen, die in diesen Verfahren angeklagt wurden, in den Vordergrund gerückt sind. Die Prozesse werden in gesetzliche Register eingetragen und finden sich auch in Auszügen aus Gemeinderechnungen, die seit den 1990er Jahren von Archivaren und Historikern in der Schweiz ausgewertet werden.
Ab 1475 finden sich auch Spuren in den Schwarzbüchern (Thurnrodel), die Abschriften von Verhören verdächtigter Personen enthalten.
Eine erste Welle von Prozessen, die man wirklich als organisierte Hexenverfolgung bezeichnen kann, findet 1429 statt, eine zweite zwischen 1438 und 1442 und eine dritte zwischen 1462 und 1464. Während die ersten Prozesse von 1429 unter der Ägide der Inquisition von Ulric de Torrenté geführt wurden, wurden die folgenden Hexenprozesse von den Behörden der Stadt Freiburg geleitet und waren somit weltliche Verfahren, die im Rahmen der territorialen Expansion der Stadt durchgeführt wurden, mit dem Wunsch, sich von der Bevormundung durch die Inquisition zu befreien. Die Opfer dieser Prozesse sind, von Ausnahmen abgesehen, zu drei Vierteln Frauen und richten sich im Laufe der Zeit immer mehr in ihrer grossen Mehrheit gegen die bäuerliche Bevölkerung ausserhalb der Stadt Freiburg. Dadurch wurden diese Prozesse zu einer Methode, um die Macht der Stadt über die umliegenden ländlichen Gebiete zu etablieren, was von Historikern und Historikerinnen manchmal als „Krieg zwischen Stadt und Land“ bezeichnet wird.
Das letzte Opfer der Hexenprozesse in Freiburg (und in der Westschweiz) war Catherine Repond, genannt „la Catillon“. 1731 wurde sie dazu verurteilt, erdrosselt und dann lebendig verbrannt zu werden. 2009 wurde eine Motion, die die Rehabilitierung von Catherine Repond forderte, vom Grossen Rat des Kantons Freiburg abgelehnt. 2010 wurde am Ort ihrer Hinrichtung, auf dem Guintzet-Hügel in Freiburg, ein kleiner Platz eingeweiht, der nach ihr benannt ist. Im Jahr 2020 stellte das Kantonsarchiv die Abschriften von mehr als 108 Prozessen online zur Verfügung. 500 Menschen fielen diesen Prozessen zum Opfer, und während der gesamten Dauer der Prozesse starben insgesamt 300 Menschen auf dem Scheiterhaufen, was Freiburg gleich nach dem Kanton Waadt zu einem der tödlichsten Kantone der Schweiz in Bezug auf die Hexenverfolgung machte. Die Schweiz ist nach wie vor das Land mit den meisten Hexenverbrennungen im Verhältnis zur Einwohnerzahl in Europa.
Historischer Kontext
BearbeitenDie Inquisition und die Verfolgung von Ketzern und Hexen
BearbeitenEuropäischer Kontext
Bearbeiten1199 legte Papst Innozenz III. auf europäischer Ebene den Grundstein für die mittelalterliche Inquisition. Im Jahr 1231 veröffentlichte Gregor IX. die päpstliche Bulle Excommunicamus, die sich gegen Häretiker richtete.[1][2] Damit übertrug er die Aufgabe der Verurteilung von Ketzern einem Sondergericht, der Inquisitio hereticae pravitatis[3]. Im Jahr 1233 folgte die erste Bulle gegen Hexerei, die Vox in Rama. 1318 wurden die Rechte der Inquisitoren nach einer Vergiftungs- und Verhexungsaffäre gegen Papst Johannes XXII. durch eine Bulle erweitert. Im August 1326 schließlich wurde in der päpstlichen Bulle „Super illius specula“ die Hexerei mit der Ketzerei gleichgesetzt. All diese Elemente schaffen die rechtliche Voraussetzung, Hexenprozesse von einem Inquisitionsgericht führen zu lassen.[4]
Ungefähr zur selben Zeit, als die ersten Prozesse in Freiburg anfingen, begann das Konzil von Basel (1431-1442). Johannes Nider stellte in seinem Formicarius die Hexe als ungebildete Frau dar, die in der Lage ist, Magie zu praktizieren, was bis dahin dem Magier vorbehalten war. Dieser Johannes Nider nahm am Konzil teil.[5] Auch Martin Le Franc, der Verfasser von Le Champion des dames, sowie viele der Verfasser der ersten Manuskripte über Hexen und den Sabbat. Auf dem Konzil werden auch die Errores Gazariorum verbreitet, die zwischen Akten des Konzils von Basel im Vatikan aufbewahrt werden.[6]
Laut der Mittelalter-Expertin Kathrin Utz Tremp wurden zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert europaweit 30'000 bis 60'000 als Hexen Verurteilte hingerichtet, darunter etwa 6000 in der Schweiz.[7]
Westschweizer Kontext
BearbeitenIn der französischsprachigen Schweiz war die Inquisition seit 1267 präsent, griff aber nicht massiv ein. In Lausanne gab es jedoch ein französischsprachiges Inquisitionsgericht, das zunächst bei vereinzelten Vorfällen eingriff. Im Jahr 1375 führte der erste Inquisitor von Lausanne, François de Moudon, ein Verfahren gegen die Beginen vom Freien Geist in Freiburg durch, welcher der Ketzerei verdächtigt wurde. Es gelang ihm nicht, den Prozess gegen die Freiburgerinnen, die der Häresie beschuldigt wurden, zu Ende zu führen.[8] Unter dem Einfluss von Ulric de Torrenté wurde die Inquisition zum Dauerzustand.[9] 1429-1430 ermittelte Ulric in der Diözese Lausanne gegen die Waldenser in Freiburg.[10] Er begann 1429 mit den ersten Hexenprozessen und 1430 mit den Prozessen gegen die Waldenser,[11][12] die auf eine erste Prozesswelle gegen die ketzerischen Waldenser im Jahr 1399 folgten. Ulrich gelang es mit Unterstützung von Papst Martin V. und später Felix V., die Unabhängigkeit seiner Mission von der dominikanischen Hierarchie zu gewährleisten und die Inquisition als Institution zu etablieren, indem er sie mit einer Struktur und mit Personal ausstattete. Ulric verfasste auch Formulare für Verhöre, um Ketzer zu überführen.[13] Die Stadt Freiburg war laut den Historikern Georg Modestin und Kathrin Utz Tremp die erste und beste Kundin des Inquisitionsgerichts in der französischen Schweiz.[14]
Die Verhöre der Hexenprozesse in der Zeit nach 1475 wurden in Freiburg in gesetzlichen Registern niedergeschrieben, die allgemein als Schwarzbuch bezeichnet werden.[15][16]
Im Kanton Freiburg wurden laut Utz Tremp zwischen dem 15. und dem 18. Jahrhundert etwa 300 Beschuldigte als Hexen verurteilt und hingerichtet. Damit habe Freiburg am drittmeisten Hexen zum Tod verurteilt und die Freiburger Behörde sei die erste gewesen, die Hexenprozesse ohne kirchliche Inquisitoren durchführte.[7]
=== Territorialkonflikte === Ganzer Abschnitt muss hier weg
Die Stadt Freiburg wurde 1157 von Herzog Berthold IV. gegründet. Im Spätmittelalter stand die Stadt nacheinander bis 1218 unter der Herrschaft der Zähringer, bis 1277 unter der der Kyburger und bis 1452 unter der Herrschaft der Habsburger, bevor sie an Savoyen fiel.[17]
Nach dem Tod von Herzog Berthold IV. fiel die Stadt an seinen Sohn Berthold V., der 1191 die Stadt Bern gründete. Bern hatte im Gegensatz zu Freiburg nach dem Tod von Berthold V. keinen anderen Herrn, wurde Reichsstadt und erhielt die kaiserliche Unmittelbarkeit. Freiburg fiel an die Kyburger, aber die historische Verbindung mit Bern machte es laut Kathrin Utz Tremp zu einer Einheit, die sowohl "Schwester wie Rivalin" war.[18]
Am 26. November 1277 verkaufte Anna von Kiburg die Stadt an die Söhne Rudolfs von Habsburg. Unter der Herrschaft der Habsburger, die versuchten, die Macht Österreichs zu festigen, obwohl sie nicht den Status einer Reichsstadt hatten, gelang es der Stadt, sich zu befreien und zunehmend autonom zu werden. Die Tatsache, dass die Habsburger ihre Macht ausweiten wollten, führte paradoxerweise dazu, dass Freiburg immer autonomer wurde, sich von den Habsburgern löste, sich aber geschickt auf den Kaiser und Österreich berief, um von Bern unabhängig zu bleiben.[19]
Diese beiden historischen Tendenzen riefen territoriale Spannungen um die Stadt Freiburg herum hervor, insbesondere auf dem Land, wo es ab 1429 vermehrt zu Ketzer- und Hexenprozessen kam.[20] Seite ? checken
Die Prozesse
BearbeitenDie Hexenprozesse begannen 1437 oder 1438, doch finden sich Elemente gegen Hexen bereits in den ersten Prozessen von 1429 und 1430 mit Verfahren, die eher auf magische Praktiken als auf häretische Haltungen abzielten.[21][22]
Die historischen Forschungen von Georg Modestin und Kathrin Utz Tremp zeigen für die Stadt Freiburg eine zeitliche und thematische Konvergenz dieser Prozesse sowie ihren Zusammenhang mit den territorialen Herausforderungen der Stadt Freiburg im 15. Jahrhundert.[23] Wiederholung: Autor (Jahr), aber welche Seite?[11][21][24] Um die Prozesse in der Westschweiz zu erklären, greift die Historikerin Utz Tremp die Hypothese von Joseph Hansen auf, wonach das kumulative Konzept der Hexerei auf eine Verschiebung der mit der mittelalterlichen Häresie verbundenen Stereotypen zurückzuführen ist[25] Artikel ist eine Rezension: evtl. online ab Bibliothek erreichbar. Der angebene DOI führt nicht zum ganzen Artikel. checken!,[26] hier fehlt Seitenangabe,[27] auch hier (ganzes Buch) fehlt Seitenangabe, aber evtl. verzichtbar, eine These, die auch von Georg Modestin bestätigt wird. Es gebe eine Kontinuität zwischen den ersten Ketzerprozessen gegen die Katharer in Südfrankreich und den Hexenprozessen, die im 15. Jahrhundert allmählich zu Hexenjagden führten.[14] Diese Tatsache wurde bereits von Carlo Ginzburg in seinem Buch Hexensabbat - Entzifferung einer nächtlichen Geschichte in allgemeinerer Form festgestellt, der eine semantische Kontinuität in der Anklageschrift und der imaginären Rede von Brunnenvergiftungen durch Leprakranke und Juden in Südfrankreich, der Rede gegen Ketzer und der Rede gegen Hexen durch den ausgearbeiteten Begriff „Sabbat“ feststellte.[28]
Die ersten Häresieprozesse von 1399 und 1430
BearbeitenOchsenbein war zwischen 1854 und 1877 Pfarrer der reformierten Kirche in Freiburg.[29] Seine Darstellung der Prozesse, die zwischen 1399 und 1430 geführt wurden,[30] stellen die erste historische Studie zu diesen Prozessen dar.[31]
Prozess von 1399
BearbeitenDer Prozess von 1399 richtete sich gegen den deutschen Flügel der Waldenserbewegung – deutsch nicht der Sprache wegen, sondern weil die Prediger, die hier wirkten, Deutsche oder möglicherweise Böhmen waren. Die Akten des Prozesses von 1399 sind nicht vollständig erhalten, es gibt nur noch Auszüge und die verkündeten Urteile.
Guillaume de Menthonnay, der Bischof von Lausanne, wurde von einem Stadtamann und der Stadt Freiburg darüber informiert, dass einige Personen von ihren "Nachbarn" der Ketzerei verdächtigt werden. Mit den "Nachbarn" war offenbar die Stadt Bern gemeint, die ebenfalls 1399 einen Prozess gegen die Waldenser geführt hatte. Am Ende dieses Prozesses übergab eine Berner Delegation einer Delegation der Stadt Freiburg eine Liste mit den angeklagten Personen (26 Männer und 28 Frauen) und den Anklagepunkten. Die Personen waren bei den Prozessen, die in Bern stattgefunden hatten, denunziert worden. Hintergrund war der Verlust der Region Simmental an die Stadt Bern, die die örtlichen Grundherrschaften aufkaufte.[32] Die Motive für die Abgabe dieser Liste waren also nicht unbedingt freundschaftlich gegenüber der Stadt Freiburg.[33]
Am 28. November 1399 wurde der Dominikaner Humbert Franconis vom Bischof von Lausanne, Guillaume de Menthonnay, ermächtigt, die Inquisition in Freiburg zu leiten. Am 3. Dezember 1399 traf die Inquisition in Freiburg ein, um den Prozess zu untersuchen. Aber die Untersuchungsphase wurde dadurch blockiert, dass bereits eine Liste mit Anklagepunkten vorhanden war. Die Stadt Bern weigerte sich auf Antrag von Humbert Franconis am 5. Dezember 1399, die Prozessakten herauszugeben. Dem Inquisitionstribunal in Freiburg blieb daher keine andere Wahl als die Verdächtigen angesichts fehlender Dokumente zum Reinigungseid zuzulassen und von jedem Verdacht zu entlasten. Die Stadt Freiburg behinderte scheinbar die Mission des Inquisitors, was bei dieser Art von Verfahren bemerkenswert war. Dieser Freispruch lag wohl auch daran, dass der Prozess den Freiburgern von den Berner "Freunden" gegen ihren Willen aufgezwungen worden war. Und der Vergleich zwischen diesem Prozess und dem folgenden von 1430 zeigt, dass sich nicht weniger als 20 Personen (zehn Frauen und zehn Männer) identifizieren lassen, die bei beiden Prozessen angeklagt waren. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass sie im Sinne der Anklage im Jahr 1430 schuldig und im Jahr 1399 nicht schuldig waren.[34]
Prozesse von 1429: erste Hexenjagd
BearbeitenDie Prozesse von 1429 richteten sich im Gegensatz zu denen von 1399 und 1430 gegen Personen, die der Hexerei verdächtigt werden, und sind laut Kathrin Utz Tremp und Georg Modestin ein Vorspiel zu den Ketzerprozessen von 1430.[35] [21] Der mit der Durchführung der Verfahren beauftragte Inquisitor war Ulric de Torrenté.[10][21] Die einzigen Dokumente, die diese Hexenverfolgung belegen, sind die Auszüge aus den Rechnungen der Stadt Freiburg, die in frankoprovenzalischer Sprache verfasst sind und die Ausgaben während der Gerichtsverfahren erwähnen.[36] Die Opfer dieser Prozesse von 1429 stammten mehrheitlich aus der deutschsprachigen Alten Landschaft und waren überwiegend Frauen, was ein Merkmal für die Verschiebung von der Anklage der Ketzerei zur Anklage der Hexerei zu sein scheint.[37] welche Seite? Mit dieser Verschiebung der Anklagepunkte lässt sich eine Feminisierung der Angeklagten feststellen, da Frauen stärker als bei Ketzereivorwürfen Gegenstand von Hexereivorwürfen waren. Georg Modestin weist ebenso wie Kathrin Utz Tremp darauf hin, dass sich auch das Profil der Opfer änderte und sich auf ortsfremde, verwitwete und marginalisierte Personen konzentrierte, wobei das Stereotyp der „verweigerten Wohltätigkeit“ nach einem typischen Szenario verwendet wurde: Eine wohlhabende Person verweigert einer armen Frau die Wohltätigkeit und beschuldigt sie dann der Hexerei, wenn ihre Verwandten später von einem Unglück heimgesucht wurden. Diese Praxis zeugt von einer Methode der Stadt Freiburg, um ihre Macht über die umliegenden ländlichen Gebiete zu festigen.[11]
Prozesse von 1430
BearbeitenDie zweite Prozesswelle richtete sich gegen hussitische Häretiker und Anhänger von Jan Hus, der eine Rückkehr zur apostolischen, spirituellen und armen Kirche predigte und glaubte, dass die Reform der Kirche durch weltliche Macht erfolgen müsse.[38] Die Hussiten standen im Mittelpunkt einer spezifischen Verfolgung, die in den 1420er Jahren nach der Verurteilung von Jan Hus zum Scheiterhaufen im Jahr 1415 während des Konzils von Konstanz ausgelöst wurde.[39]
Die Anhänger der deutschen Waldenserbewegung, die bereits 1399 inkriminiert wurden, obwohl sie keineswegs den Hussiten angehörten, wurden aufgrund der Verwechslung zwischen der Hussitenbewegung und der Waldenserbewegung Opfer dieser Verfolgungswelle.[40] Diese Prozesse von 1430 sind typisch für Prozesse gegen Ketzer, mit dem Unterschied, dass sie laut Georg Modestin einige Elemente von Hexerei aufweisen: Erstens betrafen die Vorläuferprozesse von 1429 vor allem Hexen[21], und vor allem wurden zweimal wahrscheinlich zwei Frauen in einem Bad untergetaucht, wahrscheinlich auf der Suche nach dem Zeichen des Teufels, obwohl dies in einem Verfahren zum Nachweis der Ketzerei nicht üblich war.
Der Prozess fand in drei Phasen statt. In der ersten Phase vom 23. März bis 5. April 1430 wurden vier Frauen zu lebenslanger Haft und drei Männer zum Tragen des gelben Ketzerkreuzes verurteilt. In der zweiten Phase vom 23. April bis 9. Mai wurden zwei Frauen zu lebenslanger Haft und der Beschlagnahmung ihres Besitzes und ein Mann zum Fasten und zur Spende von Almosen verurteilt. Peter Sager, ein Wiederholungstäter, wurde am 4. Mai zum Scheiterhaufen verurteilt, und ein Ehepaar wurde am 9. Mai verurteilt, die Frau zum Tragen des Ketzerkreuzes und zur Konfiszierung ihres Besitzes, der Mann zu einer Busse.[41]
Während der dritten Phase vom 20. bis 30. Juni 1430 wollten die Stadtbehörden die Auswirkungen der Prozesse und die Macht des Inquisitors Ulric de Torrenté angesichts der zunehmenden Zahl von Anschuldigungen begrenzen.[42] Seite? Anonym? Die Anschuldigungen begannen nämlich, hohe Würdenträger zu betreffen, während dem Gericht auch Mitglieder der städtischen Behörden angehörten. Es wurde daher keine Verurteilung ausgesprochen.[43]
Bei den beiden Prozesswellen von 1429 und 1430 wurden vor allem ausländische Personen auf den Scheiterhaufen geschickt.
Säkulare Verfahren
BearbeitenUm den Einfluss des Inquisitors der Diözese Lausanne, Ulric de Torrenté, bei der zweiten Welle von Hexenprozessen im Jahr 1437 zu begrenzen, zog die Stadt den Inquisitor nicht mehr bei. Die Tatsache, dass sich die Stadt Freiburg bei den Prozessen von 1429 und 1430 zunächst an das Inquisitionsgericht und den Inquisitor wandte, dann aber dessen Einmischung ablehnte und die Verfahren allein führte, ist recht bemerkenswert, zumal Ulrich de Torrenté im selben Zeitraum 1438 in Dommartin bei Lausanne und 1439 in Neuchâtel Hexenprozesse durchführte.[14][10]
Die Prozesse wurden also entgegen der Auffassung, dass die katholische Kirche für die Hexenverfolgungen verantwortlich sei, von einem säkularen Gericht geführt.[44] Seitenangabe fehlt In Wirklichkeit ist in der Schweiz jedoch feststellbar, dass die Prozesse trotz des Einflusses einer von der Kirche unterstützten Propaganda eher im Rahmen weltlicher Einflusskonflikte von mächtigen Notabeln geführt wurden, die ihre Macht ausweiten wollten (sichtbar z. B. im Wallis im Fall von Pierre de Torrenté, der fälschlicherweise der Hexerei angeklagt und unter dem Einfluss von Walter Supersaxo, der die Unabhängigkeit des Wallis festigen wollte, verurteilt wurde).[45]
Die zweite Hexenverfolgung von 1437 bis 1442 in Freiburg
BearbeitenDie Verfolgungswelle begann in Grasburg, wo 1277 Ketzer hingerichtet wurden, parallel zu einer Wirtschaftskrise, die die Tuchmacherei in Freiburg traf. Der Bürgermeister Jean Bugniet wurde nach Grasburg geschickt, um eine Frau zu vernehmen, die daraufhin hingerichtet wurde. 1438 wurden ein Mann und eine Frau zum Scheiterhaufen verurteilt,[46] und 1440 zwei Männer und zwei Frauen hingerichtet. Im Jahr 1442 wurden sieben Personen auf den Scheiterhaufen geschickt, vier davon aus der Alten Landschaft und ein Mann aus Jaun (unter der Gerichtsbarkeit von Corbières).[47]
Insgesamt wurden zwischen 1437 und 1442 neunzehn Personen hingerichtet, darunter zwölf Frauen und sieben Männer, allesamt Opfer aus den ländlichen Gebieten rund um die Stadt. Der Inquisitor Ulric de Torrenté nahm an den Prozessen nicht teil, nur die Magistrate führten das Verfahren durch. 1448 protestierte Savoyen dagegen, dass Janni Ruppo und seine Frau festgenommen wurden, obwohl ihr Fall unter die Gerichtsbarkeit Savoyens fiel.[48]
Die Einstellung der Hexenverfolgungen im Jahr 1442 fiel zeitlich mit dem Erwerb der Lehen von Thierstein durch die Stadt Freiburg zusammen, die der Graf von Thierstein seit 1428 nicht mehr abtreten wollte. Die Hexenverfolgungen waren also von Beginn der Verfolgungen an ein Mittel der Stadt, um ihre territorialen Expansionsbestrebungen zu befriedigen, und wurden zudem ab 1437 ausschließlich von den offiziellen Behörden der Stadt durchgeführt.[49][11]
Die Besonderheit dieser Prozesse liegt auch darin, dass sie nunmehr perfekte Prototypen von Hexenprozessen darstellen, wobei in der Praxis jede für schuldig befundene Person sofort zum Scheiterhaufen verurteilt wurde, während diese Strafe in früheren Prozessen nur für Wiederholungstäter vorgesehen war, und auf der Ebene des rhetorischen Diskurses die Begriffe „Pakt mit dem Teufel“ und „Hexensabbat“ etabliert waren. Das Konzil von Basel, das in der Region stattfand, förderte die Verbreitung der Konzepte. Es fand auch eine Feminisierung der Anklagen statt, wobei all diese Elemente mit dem Erscheinen von Vorläufermanuskripten der Hexenverfolgungen einhergingen, darunter die Chroniken von Hans Fründ über die Hexenprozesse von 1428 im Wallis[50] und die Errores gazariorum, die wahrscheinlich von Ulric de Torrenté, Claude Tholosan oder Ponce Feugeyron (drei in der Westschweiz aktive Hexenjäger) zwischen 1430 und 1440 verfasst wurden.[51] Dieses letzte Manuskript liefert eine der ersten Theoretisierungen der nächtlichen Flüge mit Stöcken oder Besen und des Hexensabbats. Darauf folgt Martin le Francs Gedicht Champion des Dames, das um 1440 geschrieben und um 1485 gedruckt wurde. Es enthält Zeichnungen von Frauen, die fliegen und auf einem Besen reiten, mit der Bildunterschrift Waldenser, was le Francs Sorge um die Frage der waldensischen Ketzer bezeugt.
Spätere Prozesse
BearbeitenDer Kampf gegen die Hexerei bleibt danach immer in den Händen der Stadtbehörden, was Georg Modestin als rechtliche Autarkie bezeichnet, mit Ausnahme des Falles von Christian Bastardet, einem Zoophilen, der 1457 auf Antrag des Abtes von Hauterive wegen Hexerei verurteilt wurde.[15],[16],[21]
Nach einem Jahrzehnt der Ruhe setzte die Verfolgung 1454 mit den Prozessen gegen Gueltina wieder ein, die während des Palmsonntags am 29. April 1453 inhaftiert und dank eines Briefes gerettet wurde. Zwischen 1457 und 1466 finden fünf Hexenprozesse in der südlichen Region von Freiburg statt.[42] Seite? Anonym?
Die Prozesse ab 1475 sind im Schwarzbuch dokumentiert. Sie wurden von P. Gyger, insbesondere die Fälle von Jeannette Lasme (1493), Pierre Bollengé (1502) und Pernette Fallewo (1505) untersucht. Hexenprozesse waren zu dieser Zeit gängige Verfahren und es wurden in der Regel nur sechs Richter für ihre Bearbeitung abgestellt.[11]
Rita Binz-Wohlhauser berichtet in ihrer Studie, die sich mit Hexenprozesse gegen Kinder im 17. Jahrhundert in der Stadt Freiburg befasst, dass im Zeitraum von 1595 bis 1695 30 Kinder im Alter von 1 bis 16 Jahren in Hexenprozesse verwickelt waren, deren Dokumentierung erhalten ist.[52] Unter Berücksichtigung bestehender grosser Dokumentationslücken muss davon ausgegangen werden, dass die Zahl betroffener Kinder im erwähnten Zeitraum höher war. Acht von dreissig Kindern oder Jugendlichen, ausschliesslich Knaben, wurden zum Tode verurteilt. Das letzte dieser Todesurteile wurde 1651 im Belluard vollstreckt. 22 der Angeklagten Kinder oder Jugendlichen wurden freigesprochen, unter Aufsicht gestellt oder verbannt.[53]
Der letzte Hexenprozess fand 1731 gegen Catherine Repond, genannt La Catillon, statt. Sie war die letzte Frau, die in der Westschweiz und in Freiburg aus diesem Grund zum Scheiterhaufen verurteilt wurde. Sie wurde im «Bösen Turm» (französisch Mauvaise Tour) in Freiburg eingesperrt, verhört und gefoltert und am 15. September 1731 auf einer der Freiburger Richtstätten hingerichtet.
Catherine Repond beschuldigte einen Mann, einen Geldfälscher namens Bouquet, der im Jacquemart-Turm inhaftiert wurde.
Protagonisten
BearbeitenDer Inquisitor Ulrich de Torrenté
Bearbeiten1429-1430 ermittelte Ulrich de Torrenté aus dem Lausanner Dominikanerkonvent in der Diözese Lausanne gegen die Waldenser in Freiburg. Er verurteilt die angeblichen Mitglieder dieser Sekte und übergibt sie dem weltlichen Arm der lokalen Behörden, um sie auf dem Scheiterhaufen verbrennen zu lassen. Die Sekte wurde in der Folgezeit von den weltlichen Behörden verboten.
Opfer der Prozesse
BearbeitenRehabilitierung und Erhöhung der Sichtbarkeit der Hexenprozesse in Freiburg
BearbeitenIm Jahr 2020 stellte das Kantonsarchiv Freiburg verschiedene Quellen der in den Schwarzbüchern dokumentierten Hexenprozesse online. Das wissenschaftliche Editionsprojekt will die Geschichte der im Kanton Freiburg geführten Hexenprozesse sichtbar machen. Dazu wurden verschiedene unveröffentlichte notarielle und juristische Quellen wie beispielweise Thurnrödel, Ratsmanuale und Säckelmeisterrechnungen aus der Zeit von 15. bis 18. Jahrhundert digitalisiert und zweisprachig übersetzt und stehen einer interessierten Öffentlichkeit, aber auch der Wissenschaft weltweit zur Verfügung.[54]
Im Jahr 2009 wurde dem Staatsrat eine Motion überreicht, die verlangte, die wegen Hexerei hingerichtete Cathrine Repond und all jene zu rehabilitieren, denen unter Folter Geständnisse abgepresst worden waren. Der Grosse Rat des Kantons Freiburg lehnte dies am 8. Mai 2009 mit der Begründung ab, dass es keine politische und rechtliche Kontinuität zwischen dem Ancien Régime und dem 1831 entstandenen liberalen Rechtsstaat gebe. Deshalb sei eine Rehabilitierung im juristischen Sinn nicht möglich; der heutige Staat trage keine Verantwortung für Verbrechen des Ancien Régime. 2010 beschloss die Stadt Freiburg, einen Platz nach Catherine Repond stellvertretend für alle Justizopfer der Freiburger Hexenprozesse zu benennen.[55]
Die Rechtsquellenstiftung des Schweizerischen Juristenvereins liess unterschiedliche Quellen (Thurnrödel, Ratsmanuale, Säckelmeisterrechnungen etc.) im Freiburger Staatsarchiv vom Spätmittelalter bis ins 18. Jahrhundert editieren. Die Edition publiziert die Originaldokumente digital und vollständig mit Zusammenfassungen des rechtsrelevanten Inhalts (Regest) auf Französch und Deutsch. Damit sollen die Mechanismen der Freiburger Hexenprozesse im Ancien Régime offengelegt werden.[56]
Laut Archivar Lionel Dorthe fanden in Freiburg zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert 360 Hexenprozesse statt. Die Akten dieser Prozesse wurden von ihm und Rita Binz-Wohlhauser editiert und sind im Internet online. Die Editoren konnten Spuren von 309 der Hexerei beschuldigten Personen finden, einige wurden mehrmals verurteilt. 80 Verhöre führten zur Verurteilung zum Scheiterhaufen. Entgegen der verbreiteten Meinung, dass Hexenjagden von katholischen Instanzen befördert wurden, waren es in Freiburg sehr früh zivile Machthaber, welche Hexenprozesse durchführten und instrumentalisierten, und dies nicht nur im Mittelalter, sondern besonders ausgeprägt im Ancien Régime.[57]
Literatur
Bearbeiten- Bücher
- Kathrin Utz Tremp: Histoire de Fribourg: La ville de Fribourg au Moyen Âge (XIIe - XVe siècle). Band 1. Livreo-Alphil, Neuchâtel 2018, ISBN 978-2-88950-006-2.
- Kathrin Utz Tremp: Von der Häresie zur Hexerei. "Wirkliche" und imaginäre Sekten im Spätmittelalter (= Monumenta Germaniae Historica Schriften. Band 59). Hahnsche Buchhandlung, Hannover 2008, ISBN 978-3-7752-5759-6.
- Martine Ostorero et Kathrin Utz Tremp en collaboration avec Georg Modestin: Inquisition et sorcellerie en Suisse romande. Le registre AC 29 des Archives cantonales vaudoises (1438-1528) (= Agostino Paravicini Bagliani [Hrsg.]: Cahiers lausannois d'histoire médiévale. Band 41). Lausanne 2007, ISBN 2-940110-54-9.
- Colette Arnould: Histoire de la sorcellerie. Paris: Tallandier 2019 [versch. ISBN] -->
- Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, IX. Abteilung : Die Rechtsquellen des Kantons Freiburg, Erster Teil : Stadtrechte, Zweite Reihe : Das Recht der Stadt Freiburg, Band 8 : Freiburger Hexenprozesse 15.–18. Jahrhundert (Procès de sorcellerie fribourgeois du XVe au XVIIIe siècle), Basel, Fondation des sources du droit, 2022, 1470 p.
- Artikel
- Georg Modestin, Alexia Rey und Céline Rochat: La répression de la sorcellerie à Fribourg en Suisse au tournant du XVIe siècle : les spécificités d’une juridiction laïque. In: Cahiers de recherches médiévales et humanistes. Journal of medieval and humanistic studies. Nr. 22, 1. Dezember 2011, ISSN 2115-6360, S. 279–288, doi:10.4000/crm.13460 (französisch, openedition.org [abgerufen am 4. Januar 2021]).
- Chantal Amman Doubliez: Les sources du droit du canton de Fribourg. Première section: Le droit des villes. Hrsg.: Société suisse de juristes. Bâle 2009, S. p 62–63 (französisch, ssrq-sds-fds.ch [PDF]).
- Georg Modestin: Der Teufel in der Landschaft. Zur Politik der Hexenverfolgung im heutigen Kanton Freiburg von 1440 bis 1470. In: Freiburger Geschichtsblätter 76 (1999). 1999, doi:10.5169/seals-341109.
- Josiane Ferrari-Clément: Catillon et les écus du diable. Éditions La Sarine, Fribourg 2008.
- Rezension Naïké Desquesnes: À nous le temps des sorcières. In: Le Monde diplomatique. September 2014 (monde-diplomatique.fr).
- Patrick J. Gyger: L'épée et la corde : criminalité et justice à Fribourg, 1475-1505. Hrsg.: Section d'histoire médiévale, Faculté des lettres, Université de Lausanne. Lausanne 1998, ISBN 2-940110-12-3 (französisch).
Weblinks
Bearbeiten- Band 8: Freiburger Hexenprozesse 15.–18. Jahrhundert in der Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen SSR]
- Nicht nur Kräuterfrauen waren Hexen, Kultur kompakt, Sendung vom 26. Sepember 2019 von SRF
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Corpus iuris canonici. Nr. X, S. 5, 7, 14.
- ↑ Yves Dossat: Les Vaudois méridionaux d’après les documents de l’Inquisition. In: Persée. Nr. 2, 1967, S. 207–226 (persee.fr).
- ↑ Alban Dignat: 20 avril 1233: Le pape établit l'Inquisition en France. In: herodote.ne Le média de l'histoire. 23. Mai 2023, abgerufen am 17. November 2024 (französisch).
- ↑ Colette Arnould: Histoire de la sorcellerie. Tallandier, Paris 2009, ISBN 978-2-84734-565-0, S. 494.
- ↑ Gabor Klaniczay: Entre visions angéliques et transes chamaniques : le sabbat des sorcières dans le Formicarius de Nider. In: Médiévales. Nr. 44, 2003, S. 47–72, doi:10.4000/medievales.710.
- ↑ Bernard Andenmatten et Kathrin Utz Tremp: De l'héresie à la sorcellerie: l'inquisiteur Ulric de Torrenté OP (vers 1420-1445) et l'affermissement de l'inquisition en Suisse romande. In: Vereinigung für schweizerische Kirchengeschichte (Hrsg.): Revue d'histoire ecclésiastique suisse. Band 86, 1992, S. 99–100, doi:10.5169/seals-130230 (französisch).
- ↑ a b Isabelle Eichenberger: Hexen in der Schweiz – ein trübes Kapitel. Übersetzung aus dem Französischen von Christine Fuhrer. In: swissinfo.ch. 30. Juli 2009, abgerufen am 29. November 2024.
- ↑ Bernard Andenmatten: François de Moudon. In: Historisches Lexikon der Schweiz (online). 23. Februar 2005, abgerufen am 17. November 2024.
- ↑ Pilippe Simon: Ulric de Torrenté, la foi du bûcher. In: Le Temps. 22. Juli 2012 (letemps.ch).
- ↑ a b c Chantal Ammann-Doubliez: Le notaire: Entre métier et espace public en Europe VIIIe - XVIIIe siècle. Presses universitaires de Provence, 7. August 2017, S. 302 (französisch).
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