Entwurf
Silvester II. (Gerbert von Aurillac, Gerbert von Reims; * ca. 950 in Aquitanien; † 12. Mai 1003 in Rom) war Leiter der Domschule von Reims, Abt von Bobbio und Nonantula, Erzbischof von Reims und Ravenna, schließlich Papst der katholischen Kirche und zählt besonders als Mathematiker und Logiker zu den bedeutendsten Gelehrten an der Schwelle zum Hochmittelalter.
Jugend und Studienjahre
BearbeitenGerbert war der Herkunft nach Aquitanier, über seine Familie und deren Stand ist nichts bekannt. Er wurde bereits als Kind im Kloster Saint-Geraud-d'Aurillac in den Cevennen erzogen. Dies hat man später gelegentlich so verstehen wollen, daß er als Findelkind aufgenommen worden sei, muß aber nicht mehr besagen, als daß seine Eltern ihn im Knabenalter in der gewöhnlichen Weise als puer oblatus dem Kloster zur Erziehung übergaben. Die Ausbildung in Aurillac ging vermutlich nicht wesentlich über den Elementarunterricht hinaus, da Sigers späterer Schüler und Biograph Richer von Reims lediglich Lateinunterricht erwähnt ("grammatica edoctus est" PL 138,101).
Um 967 besuchte der Markgraf Borell von Barcelona das Kloster und bestätigte dem Abt auf dessen Nachfragen, daß in seiner Heimat gute Möglichkeiten zu einer Ausbildung in den Artes bestanden. Als der Abt ihm vorschlug, einen der Zöglinge bei der Rückreise zu Ausbildungszwecken dorthin mitzunehmen, fiel die Wahl des Markgrafen auf den jungen Gerbert. Nach der Ankunft in Katalonien wurde Gerbert dem Bischof Hatto von Vich anvertraut, bei dem er dann unter anderem auf dem Gebiet der Mathematik umfangreiche und gründliche Kenntnisse erwarb ("etiam in mathesi plurimum et efficaciter studuit"), wie Richer hervorhebt (PL 138,101).
Vich, das in römischer und westgotischer Zeit Ausona hieß, war im 8. und 9. Jh. durch arabische Einfälle weitgehend verwüstet worden, wurde aber seit 880 unter westfränkischer Herrschaft wieder aufgebaut. Das zur Diözese gehörenden Kloster Santa Maria de Ripoll verfügte über eine umfangreiche Bibliothek und war zu Gerberts Zeit eines der kulturellen Zentren Kataloniens. Der Einfluß arabischer Kultur war in dieser Grenzregion immer noch beträchtlich, und es ist anzunehmen, daß Gerbert dort auch mit arabischer Mathematik und Rechenpraxis in Berührung kam, die sich im Vergleich zur lateinischen Welt in einem deutlich fortgeschritteneren Entwicklungsstadium befand. Daß er sich zu weiteren Studien auch nach Sevilla und Cordoba begeben hätte ist allerdings eine Erfindung moderner Autoren, die in den Quellen nicht belegt und nach Lage der erhaltenen Schriften Gerberts unwahrscheinlich ist.
Nach mehreren Jahren der Studien beschloß Gerbert, nach Frankreich zurückzukehren und überredete den Markgrafen und Bischof Hatto, mit ihm gemeinsam eine Reise nach Rom zu unternehmen, wo er 971 das Weihnachtsfest beging. Dort wurde Papst Johannes XIII. auf Gerberts mathematischen Kenntnisse aufmerksam, von denen er sich nach Darstellung Richers besonders eine Erneuerung der in Italien darniederliegenden Musiklehre versprach. Der Papst empfahl Gerbert durch Legaten für eine Stellung am Hof Ottos I., und Otto willigte ein und forderte den Papst auf, Gerbert vorläufig in Rom zu behalten und ihn nicht nach Katalonien zurückkehren zu lassen. Gerbert seinerseits zog es jedoch vor, seine wissenschaftliche Ausbildung, die er in der Mathematik als abgeschlossen betrachtete, durch ein Sudium der Logik zu erweitern. Mit Erlaubnis Ottos begab er sich zu diesem Zweck nach Reims, das dann während folgenden zweieinhalb Jahrzehnte, wenn auch mit Unterbrechungen, seine Hauptwirkungsstätte blieb.
Reims
BearbeitenErzbischof Adalbero von Reims, Parteigänger Ottos I. und einflußreichster Kirchenfürst des westfränkischen Reiches, war zu dieser Zeit bestrebt, die Kathedralschule von Reims zu einem der intellektuellen Zentren des Reiches auszubauen. Gerbert erlangte bald eine Vertrauensstellung bei Adalbero, der ihn als Lehrer und dann auch als Leiter der Schule einsetzte und ihm Zeit seines Lebens als Freund und Förderer verbunden blieb. Gerbert unterrichtete in Reims nach Darstellung Richers besonders Logik, Rhetorik, Musiklehre und Astronomie.
Das Unterrichtsprogramm Gerberts, das dieser in Reims sicherlich nicht vollständig neu einführte, aber doch wesentlich mitgeprägt haben wird, umfaßte nach Darstellung Richers für die Logik und Rhetorik die folgenden Lehrwerke (PL 138,102-103):
Logik (Dialektik)
- Die Isagoge des Porphyrius in der Übersetzung von Marius Victorinus und Kommentierung von Boethius
- Von Aristoteles die Kategorien, De interpretatione und Topik, jeweils anhand der Kommentare von Boethius, der für die beiden ersteren die eigene Übersetzung und für letztere Cicero zugrundelegt.
- Von Boethius' selbständigen Abhandlungen De topicis differentiis (über die Arten der Beweisführung, nach Cicero und Themistios), De syllogismis categoricis (nach Aristoteles), De hypotheticis syllogismis (über hypothetische Schlußformen), De divisione (von den Arten der Einteilung, etwa der Gattung in Arten, des Ganzen in Teile), sowie einen Liber diffinitionum
Rhetorik
- Werke der "Dichter" Vergil, Statius und Terentius, der "Satiriker" Juvenal, Persius und Horaz, sowie des als "Historiographen" eingestuften Lucan, ausserdem zur Einübung in Streitgespräche ein Werk oder Autor, der als "sophista" bezeichnet wird.
Für die übrigen Fächer führt Richer keine besonderen Lehrschriften an, er schildert jedoch mehrere neuartige astronomische Instrumente, die Boethius zu Lehrzwecken anfertigen ließ, darunter eine Himmelssphäre mit einem verstellbarem Ring für den Horizont, und er geht auf den Abacus ein, den Gerbert als Recheninstrument von einem Schildmacher herstellen ließ .
Bei Gerberts Abacus, wie er auch aus Gerberts eigenen Schriften und anderen Quellen bekannt ist, handelte es sich um ein Rechenbrett mit Dezimalspalten, auf dem -- anders als auf dem antiken Abacus -- die Zahl der Einer, Zehner, Hunderter etc. pro Spalte nicht durch eine gleiche Zahl von Rechensteinen (und Fünferbündelung durch Verschieben eines einzelnen Steins in einen Sonderbereich der Spalte), sondern durch einen einzigen mit dieser Zahl bezifferten Stein dargestellt wurde. Die Ziffern 1-9, mit denen die Rechensteine beschriftet waren, waren in der Form angelehnt an die westarabischen Gubarziffern, und auch ein Stein mit der Ziffer Null war vorhanden, der aber nicht für die Darstellung des Dezimalwerts Null eingesetzt wurde (hierfür wurde die entsprechende Spalte einfach leer gelassen), sondern als Merkstein für andere Zwecke Verwendung fand. Das Rechnen auf diesem Abacus erforderte besonders für die Durchführung von Dvision, Multiplikation und Bruchrechnen die Kenntnis komplizierter Regeln, die durch abazistische Lehrwerke vermittelt wurden.
Dieser Abacus, in der Forschung auch Klosterabacus genannt, der zu in der zweiten Hälfte des 10. Jh. nicht nur durch Gerbert, sondern auch aus anderen Quellen Verbreitung fand und erst im Verlauf des 12. Jh. wieder außer Gebrauch kam, bedeutete einen wesentlichen Forschriftt gegenüber der voraufgegangenen Zeit, in der der antike Abacus außer Gebrauch gekommen war und für die Durchführung arithmethischer Operationen als Hilfsmittel im wesentlichen nur das Merken von Zwischenergebnissen mithilfe von Fingerzahlen oder römischen Ziffern zur Verfügung stand. Das dezimale Ziffernrechnen mit den arabischen Ziffern einschließlich der Null, das die arabischen Mathematiker von den Indern übernommen hatten, und dessen Einführung in der lateinischen Welt man in moderner Zeit häufig Gerbert hat zuschreiben wollen, hat dieser jedoch noch nicht gekannt oder, falls er es in Katalonien überhaupt schon kennenlernen konnte, in seiner Bedeutung nicht erkannt. Dieses wurde in der lateinischen Welt erst seit dem 12. Jh. von Spanien aus durch lateinische Übersetzungen des Rechenbuches von Al-Chwarizmi sowie, im Fall von Leonardo da Pisa (Fibonacci), durch italienische Handelskontakte mit der arabischen Welt bekannt.
Gerbert erlangte in der Folgezeit großes Ansehen in Frankreich, Italien und Deutschland. Auch Otto II., der nach dem Tod seines Vaters 973 die Regierungsgeschäfte übernahm, soll mehreren Disputationen Gerberts beigewohnt haben. Als Ohtrich, der ebenfalls hochangesehenen Leiter der Domschule und spätere Erzbischof von Magdeburg, Gerbert wegen seiner Einteilung des Systems der Wissenschaften angriff und seine Kritik auch vor den Kaiser brachte, veranlaßte dieser 981 in Ravenna eine Disputation der beiden Kontrahenten, bei der der Kaiser persönlich den Vorsitz führte. Gerbert soll in hierbei einen so glänzenden Erfolg über seinen Widersacher errungen haben soll, daß der Kaiser ihn fortan zu seinem persönlichen Lehrer und Ratgeber machte.
Wahrscheinlich Anfang 983 wurde Gerbert von Otto als Abt des KLosters Bobbio eingesetzt, dessen Skriptorium und Bibliothek zu den bedeutendsten des Reiches zählten. Gerberts Zeit in Bobbio währte allerdings nur kurz und war von Auseinandersetzungen über die Güter der Abtei mit den ottonenfeindlichen oberitalienischen Herren geprägt.
Als Otto II. im Dezember 983 überraschend verstarb und die Situation in Bobbio unhaltbar wurde, kehrte Gerbert zurück nach Reims und war in der Folgezeit gemeinsam mit Adalbero daran beteiligt, im Thronfolgestreit gegen Heinrich den Zänker die Ansprüche Ottos III. durchzusetzen, der sich noch im Kindesalter befand, und für den seine Mutter Kaiserin Theophanu und nach deren Tod († 991) die Großmutter Adelheid von Burgund die Regentschaft übernahm. Auch am französischen (westfränkischen) Thronfolgestreit war Gerbert beteiligt und unterstützte Adalberos Parteiname für Hugo Capet gegen den Karolinger Ludwig. Als Adalbero 989 starb, konnte jedoch zunächst nicht Gerbert die ihm bereits zugesagte Nachfolge als Erzbischof von Reims antreten, sondern er mußte zunächst dem Karolinger Arnulf den Vortritt lassen. 991 wurde Gerbert dann von Hugo Capet gegen den Willen von Papst Johannes XV. als Erzbischof eingesetzt und Arnulf zur Abdankung gezwungen, woraufhin gegen Gerbert ein Interdikt verhängte.
Otto III.
BearbeitenNach dem Tod der Regentin Theophanu kam es zeitweise zu einer Entfremdung zwischen Gerbert und dem Kaiserhaus, die jedoch von Gerbert wieder überwunden werden konnte, nachdem Otto III. 994 die Mündigkeit erlangte. 996 zog Otto nach Rom und ließ im Mai 996 seinen Vetter Bruno von Kärnten zum Papst ernennen, der ihn dann als Gregor V. seinerseits umgehend zum Kaiser krönte. Auch Gerbert war nach Rom gekommen und verteidigte auf der Krönungssynode sein Verhalten im Konflikt um das Episkopat von Reims. Er mußte zwar seinen Anspruch auf Reims zugunsten von Arnulf aufgeben, konnte aber die Wertschätzung und Freundschaft Ottos gewinnen, der ihm dann 998 das Erzbistum von Ravenna und die Reichsabtei Nonantula übertrug und ihn auch als Abt von Bobbio wieder einsetzte.