Bulle (Siegel)
In der Sphragistik (Siegelkunde) ist Bulle (von lateinisch Bulla – eine Blase, z. B. eine Lehmkugel mit Siegelabdrücken) die Bezeichnung für alle Siegel aus Metall, neben den Siegeln aus Blei insbesondere für goldene oder vergoldete Siegel. Silberbullen sind selten.
Bei der Bullierung werden zwei Metallplättchen über der Siegelschnur, die bereits durch Löcher in der Plica des Pergaments gezogen wurde, mit Hilfe eines Siegelstempels (Typar) durch mechanischen Druck miteinander verbunden und dabei geprägt. Die Siegelschnur lässt sich dann nicht herausziehen.
Umschrift und Ikonographie von Vorder- und Rückseite sind unterschiedlich.
Byzanz und östlicher Mittelmeerraum
BearbeitenIm östlichen Mittelmeerraum waren Metallsiegel seit der Spätantike üblich, Wachssiegel hingegen auch später sehr selten. Bleibullen sind in so großer Zahl erhalten, dass sie als prosopographische und onomastische Quellen genutzt werden können.[1] Vom 10. Jahrhundert ist belegt, dass Siegel aus Gold ein Instrument des staatlichen Protokolls in Byzanz waren und ihre unterschiedliche Masse die Würdigung ihrer Empfänger ausdrückte, nicht die Wichtigkeit der Urkunde.[2] Ab dem 12. Jahrhundert siegelten auch die weltlichen und geistlichen Herrscher in den lateinischen Kreuzfahrerstaaten mit Blei.[3] Auch in anderen lateinischen Herrschaften im östlichen Mittelmeerraum war Blei als Siegelmaterial gebräuchlich.[4]
Päpste
BearbeitenIm mittelalterlichen Westeuropa war Wachs das übliche Siegelmaterial und Blei die Ausnahme; nur päpstliche Siegel sind regelmäßig aus Blei. Solche Siegel sind schon aus dem 7. Jahrhundert (allerdings ohne die dazugehörigen Urkunden) belegt.[5] Päpstliche Goldbullen sind sehr selten; für das Mittelalter sind sie nur aus Erwähnungen in Schriftquellen belegt, das früheste erhaltene Exemplar stammt erst von 1524.[6] Noch seltener sind Bullen aus Silber.[2] Die Bezeichnung der Siegel als bulla wird schon im Mittelalter auf die Urkunden selbst übertragen.
Ab dem 12. Jahrhundert stabilisiert sich die päpstliche Besiegelungspraxis deutlich. Der dominierende Typus trägt auf einer Seite den Namen des regierenden Papstes. Auf der Rückseite sind die Köpfe der Apostel Petrus und Paulus abgebildet. 1878 wurde es durch einen Stempel ersetzt. Bei besonders bedeutenden Urkunden wird weiterhin eine Bleibulle verwendet, so zuletzt bei der Ausschreibung des Heiligen Jahres 2000 durch Johannes Paul II.[8]
Für die weniger wichtigen Schreiben (Breven) verwendeten die Päpste ab dem Spätmittelalter Siegel aus Wachs. Dieses sogenannte „Fischerringsiegel“ zeigt den heiligen Petrus im Boot und oben rechts den Namen des Papstes. Sein Gebrauch ist seit Beginn des 15. Jahrhunderts belegt. 1842 wurde es durch einen Stempel ersetzt.
Bleibullen kommen nicht nur in Archiven, sondern auch in archäologischen Fundzusammenhängen vor, selbst wenn der Erhaltungszustand dabei nicht immer sehr gut ist. In Deutschland beschränkt sich das auf päpstliche Bullen[9], in Südosteuropa sind die verschiedenen Formen byzantinischer Bleibullen ebenfalls archäologisch nachweisbar.[10]
Weltliche Herrscher
BearbeitenBleisiegel
BearbeitenBleisiegel sind besonders von Herrschern des Mittelmeerraums verwendet worden (Könige von Sizilien, Dogen von Venedig, Kaiser von Byzanz), aber auch von Otto III. und Heinrich II. Daneben finden sich in geringerer Zahl auch Goldbullen. Auf das Siegelmaterial kann in der Corroboratio hingewiesen werden.
Goldbullen der römischen Könige und Kaiser
BearbeitenDie römisch-deutschen Kaiser verwendeten im späteren Mittelalter Goldbullen auf Bitten der Empfänger für Urkunden von besonderer politischer und verfassungsrechtlicher Bedeutung. Die älteste erhaltene Goldbulle eines deutschen Kaisers befindet sich am Diplom Heinrichs II. für Stift Göß von 1020, heute im Steiermärkischen Landesarchiv in Graz. Die mit Abstand bekannteste Goldbulle ist die Goldene Bulle von Karl IV. von 1356, die meist einfach als die Goldene Bulle bezeichnet wird. Weitere Beispiele sind:
- die Sizilische Goldene Bulle von 1212
- die Goldbulle von Eger von 1213
- die Goldene Handfeste der Stadt Bern von 1218
- die Goldbulle von Rimini von 1226
- den Lübecker Reichsfreiheitsbrief von 1226
Goldbullen anderer Könige und Fürsten
BearbeitenAuch andere Fürsten haben seit Beginn des 13. Jahrhunderts Goldbullen verwendet:[11]
- König Leo II. von Armenien (1205, 1207)
- König Ottokar I. von Böhmen (1217)
- König Béla IV. von Ungarn (1238–1266)
- König Karl I. von Anjou (1266–1276)
- König Karl II. von Anjou (1284–1307)
- König Robert der Weise (1309–1335)
- Im 16. Jahrhundert waren Urkunden mit Siegeln aus Gold auch in der Republik Venedig üblich.[2]
Siehe auch
BearbeitenEinzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Zum Beispiel Christos Stavrakos: Die byzantinischen Bleisiegel mit Familiennamen aus der Sammlung des Numismatischen Museums Athen. Harrassowitz, Wiesbaden 2000, ISBN 3-447-04222-2 (google.de [abgerufen am 13. Juli 2022]).
- ↑ a b c Horst Enzensberger: Zur Goldsiegelausstellung des Vatikanischen Archivs in Bamberg 1991. Otto-Friedrich-Universität Bamberg, archiviert vom am 12. Juli 2022; abgerufen am 11. Juli 2022. Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ Hans Eberhard Mayer: Das Siegelwesen in den Kreuzfahrerstaaten (= Abhandlungen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften; Philosophisch-historische Klasse. Neue Folge. Heft 83). Verlag der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München 1978, ISBN 978-3-7696-0078-0.
- ↑ Wilhelm Ewald: Siegelkunde. Oldenbourg, München / Berlin 1914, Kap. VIII Die Siegelstoffe, S. 143–161, 152 (degruyter.com [abgerufen am 13. Juli 2022]).
- ↑ Thomas Frenz: Papsturkunden des Mittelalters und der Neuzeit (= Historische Grundwissenschaften in Einzeldarstellungen. Band 2). 2., aktualisierte Auflage. Steiner, Stuttgart 2000, ISBN 978-3-515-07788-0, S. 54–55 (steiner-verlag.de [abgerufen am 12. Juni 2022]).
- ↑ Wilhelm Ewald: Siegelkunde. Oldenbourg, München / Berlin 1914, Kap. VIII Die Siegelstoffe, S. 143–161, 149 (degruyter.com [abgerufen am 13. Juli 2022]).
- ↑ Michele Asolati: Una bulla plumbea del Doge Orso I Particiaco (864–881), in: Rivista Italiana di Numismatica 117 (2016) 35–54.
- ↑ Apostolorum limina Pauls VI. von 1974 ( vom 22. Mai 2011 im Internet Archive)
- ↑ Am Beispiel von Trier behandelt dies Lukas Clemens: Zeugen des Verlustes – Päpstliche Bullen im archäologischen Kontext. In: Kurie und Region. Festschrift für Brigide Schwarz zum 65. Geburtstag. Herausgegeben von Brigitte Flug, Michael Matheus und Andreas Rehberg. Stuttgart 2005, S. 341–357 (Geschichtliche Landeskunde, Band 59) online bei regionalgeschichte.net ( des vom 1. April 2015 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ Dazu beispielhaft Victoria Bulgakova: Neues zu den Anfängen russisch-byzantinischer Beziehungen aufgrund sigillographischer Zeugnisse. In: Claudia Ludwig (Hrsg.): Siegel und Siegler. Akten des 8. Internationalen Symposiums für Byzantinische Sigillographie. Frankfurt am Main 2005, S. 49–52 (Berliner Byzantinistische Studien, 7) ISBN 3-631-53564-3
- ↑ Die Angaben beziehen sich auf die im Vatikanischen Archiv überlieferten Exemplare.
Literatur
Bearbeiten- Harry Bresslau: Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien. Zweiter Band. Zweite Abteilung. 2. Auflage. de Gruyter, Berlin 1931, S. 562–566 (degruyter.com [abgerufen am 12. Mai 2022]). (Auch hier)
- Wilhelm Ewald: Siegelkunde. Oldenbourg, München / Berlin 1914, Kap. VIII Die Siegelstoffe, S. 143–161, 149 (degruyter.com [abgerufen am 13. Juli 2022]).
- Aldo Martini (Hrsg.): I sigilli d'oro dell'Archivio Segreto Vaticano = The gold seals of the Vatican Secret Archives. Ricci, Mailand 1984, ISBN 88-216-1006-3, (Quadreria).
- Julius von Pflugk-Harttung: Die Bullen der Päpste: bis zum Ende des 12. Jahrhunderts. Gotha 1901, Nachdr. Hildesheim-New York: Olms 1976, ISBN 978-3-487-06110-8.
Weblinks
Bearbeiten- Papstbullen bei Medieval Writing
- Goldbullen im Vatikanischen Archiv von der Universität Bamberg