BR-Klasse 71
Die British Rail Class 71 von British Railways (BR), zunächst als Class HA bezeichnet, war eine Baureihe von elektrischen Lokomotiven für den Einsatz vor Personen- und Güterzügen in Südengland. Die 24 Lokomotiven wurden zwischen 1958 und 1960 von den bahneigenen Werkstätten in Doncaster gebaut und waren bis Ende der 1970er Jahre im Einsatz. Zehn Lokomotiven der Class 71 wurden Ende der 1960er Jahre in Zweikraftlokomotiven der Class 74 umgebaut.
BR-Klasse 71 | |
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E5001 des National Railway Museum
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Nummerierung: | bei Ablieferung: E5000–E5023 ab 1962: E5001–E5024 ab den 1970er-Jahren: 71 001–71 014 |
Anzahl: | 24 |
Hersteller: | BR-Werkstätte Doncaster |
Baujahr(e): | 1958–1960 |
Ausmusterung: | 1967–1977 |
Achsformel: | Bo’Bo’ |
Spurweite: | 1435 mm (Normalspur) |
Länge über Puffer: | 15,4 m |
Länge: | 15.240 mm |
Höhe: | 4000 mm |
Breite: | 2820 mm |
Drehzapfenabstand: | 8230 mm |
Drehgestellachsstand: | 3200 mm |
Gesamtradstand: | 11.430 mm |
Dienstmasse: | 78,2 t |
Radsatzfahrmasse: | 19,6 t |
Höchstgeschwindigkeit: | 145 km/h (90 mph) |
Stundenleistung: | 1900 kW |
Anfahrzugkraft: | 190 kN bei µ = 0.25 |
Treibraddurchmesser: | 1220 mm |
Stromsystem: | Gleichstromsystem mit 650 oder 750 V Nennspannung |
Stromübertragung: | Hauptstrecke: Schleifschuhe Nebengleise: Stromabnehmer |
Anzahl der Fahrmotoren: | 4 |
Antrieb: | BBC-Scheibenantrieb (Hohlwellenantrieb) |
Übersetzungsverhältnis: | 1:3,45 |
Bremse: | Dualbremse |
Zugbremse: | Dualbremse, druckluftgesteuert |
Zugheizung: | elektrisch |
Steuerung: | Auf-Ab-Steuerung |
Kupplungstyp: | UIC-Kupplung |
Besonderheiten: | Gleichstrom-Gleichstrom-Umformerlokomotive |
Geschichte
BearbeitenIm Juni 1959[1] wurde der elektrische Betrieb auf dem Streckennetz entlang der Küste von Kent aufgenommen. Die Elektrifizierung dieses Teils des Streckennetzes der Southern Region der BR erfolgte mit 650 V Gleichspannung, die über seitlich angeordneten Stromschienen an die mit Schleifschuhen ausgerüsteten Fahrzeuge abgegeben wurde. Da vorgesehen war, den Dampfbetrieb auf den Strecken vollständig abzuschaffen, mussten neben den Triebwagen auch Lokomotiven für Güterzüge und Reisezugdienste beschafft werden, die nicht von den Triebwagen abgedeckt werden konnten. Dazu gehörten die hochwertigen Reisezüge wie den Golden Arrow und den Night Ferry.[1]
Von der Baureihe mit der Achsfolge Bo’Bo’ wurden 24 Maschinen[2] mit den Betriebsnummern E5000 bis E5023 gebaut. Die Lokomotive E5000 wurde 1962 in E5024 umgezeichnet. Im Total Operations Processing System (TOPS) erhielten die Lokomotiven in den 1970er Jahren die Baureihenbezeichnung Class 71.
Der Rückgang der Güterbeförderung auf der Schiene führte in den 1960er Jahren zur Abstellung von zehn Maschinen. 1967/68 wurden zehn Lokomotiven in Zweikraftlokomotiven umgebaut und der Baureihe HB zugeordnet, die später als Class 74 bezeichnet wurde.[3] Die verbliebenen HA-Lokomotiven wurden in 71001 bis 71014 umnummeriert und im November 1977 abgestellt.
Der Lokomotive 71001, die ehemalige E5001, entging der Verschrottung und ist heute Teil der Sammlung des National Railway Museum. Bei Ablieferung waren die Lokomotiven grün lackiert, später erhielten sie eine blaue Lackierung mit gelben Stirnfronten.[3]
Technik
BearbeitenDie Class 71 hatten eine Stundenleistung von 1900 kW. Die Höchstgeschwindigkeit der 78,24 t schweren Maschine betrug 145 km/h. Im östlichen und zentralen Bereich des Netzes der Southern Region fuhren die Lokomotiven mit 650 V Nennspannung, im westlichen Bereich mit 750 V Nennspannung. Die Lokomotiven konnten 900 t-Güterzüge befördern.[4]
Zusätzlich zur Stromabnahme aus den Stromschienen über Schuhkontakte, waren die Lokomotiven mit einem mittig auf dem Dach montierten Stromabnehmer ausgerüstet, der für den Betrieb unter einer Oberleitung auf Nebengleisen und Rangierbahnhöfen vorgesehen war.[3]
Der Kasten ist eine nicht selbsttragende und verhältnismäßig leichte Konstruktion, die auf einen Rahmen aufgesetzt ist, der von zwei zweiachsigen Drehgestellen getragen wird. Die Achsen der Drehgestelle werden Gleichstrom-Fahrmotoren von English Electric angetrieben, die paarweise von einem Radiallüfter im Maschinenraum gekühlt werden. Der Achsantrieb ist als Hohlwellenantrieb in der Form des BBC-Scheibenantriebs ausgeführt.[5]
Die Lokomotive ist elektrisch als Umformerlokomotive in Gleichstrom-Gleichstrom-Technik ausgeführt,[6] was eine eher selten angewandte Technik darstellt, die aber bereits bei den drei Lokomotiven der BR-klasse 70 erprobt worden war. Anstelle von Anfahrwiderstände zur Regulierung der Fahrmotorspannung verwendet die Lokomotive eine rotierende Umformergruppe, die als booster motor-generator bezeichnet wird. Sie besteht aus zwei Gleichstrommaschinen mit baugleichem Anker, die auf einer gemeinsamen Welle sitzen.[7]
Der Motor des Umformers ist direkt mit der Fahrleitungsspannung verbunden, während der Generator in Reihe zwischen die beiden Fahrmotorgruppen geschaltet ist, wobei eine Gruppe mit der Fahrleitung und die andere mit der Schiene verbunden ist. Innerhalb einer Fahrmotorgruppe sind die beiden Fahrmotoren parallel geschaltet.[7] Der Energiefluss im Umformer wird über die Erregerwicklungen des Generators gesteuert. Der Generator des Umformersatzes hat eine Leistung von 945 kW bei 1750 Umdrehungen pro Minute. Der Motor hat bei einer Spannung von 675 V eine Leistung von 1000 kW. Zwei Schwungräder auf der Welle der Umformergruppe halten diese auch bei kurzen Spannungsunterbrechungen, wie sie beim befahren von Bahnübergängen auftreten, in Betrieb.[8]
Bei Anfahrt wird am Generator die Erregungen so eingestellt, dass an dessen Klemmen eine Spannung ansteht, die fast gleich der Spannung der Fahrleitungsspannung ist, aber dieser entgegengerichtet ist. Dadurch beginnt der Generator als Motor zu arbeiten, während der Spannungsabfall über den Fahrmotoren praktisch Null ist. Durch reduzieren der Spannung an den Generatorklemmen wird die Spannung an den Fahrmotoren schrittweise erhöht. Erreicht die Klemmenspannung des Generators Null, liegt über den beiden Fahrmotorgruppen die volle Fahrleitungsspannung an und der Umformer ist im Leerlauf. Wird die Klemmenspannung am Generator in gleicher Richtung wie die Fahrleitungsspannung aufgeschaltet, beginnt der Generator als Spannungsquelle zu arbeiten, die sich zur Fahrleitungsspannung hinzu addiert, weshalb der Umformersatz als booster bezeichnet wird. Wenn alle Stufen voll aufgeschaltet sind, arbeiten beide Fahrmotorgruppen mit der ganze Fahrleitungsspannung.[8]
Literatur
Bearbeiten- New Electric Locomotives for Southern Region. In: The Railway Magazine. April 1959, S. 275–278 (englisch, org.uk [PDF]).
Weblinks
Bearbeiten- Type HA / Class 71. In: Southern Railway E-Mail Group. 27. Juli 2004, abgerufen am 2. Januar 2025 (englisch).
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ a b New Electric Locomotives for Southern Region. S. 275 (org.uk [PDF]).
- ↑ Golden Arrow – Flèche d’Or. In: Eisenbahngeschichte Spezial: Eisenbahnen in London. Nr. 3, S. 61.
- ↑ a b c Type HA / Class 71. In: Southern Railway E-Mail Group. 27. Juli 2004, abgerufen am 2. Januar 2025.
- ↑ F.J.G. Haut: Die Geschichte der elektrischen Triebfahrzeuge. Band 1: Die Geschichte der Elektrolokomotive. Springer-Verlag, 2013, ISBN 978-3-0348-6519-7, S. 93 (google.com).
- ↑ F.J.G. Haut: Die Geschichte der elektrischen Triebfahrzeuge. Band 1: Die Geschichte der Elektrolokomotive. Springer-Verlag, 2013, ISBN 978-3-0348-6519-7, S. 94 (google.com).
- ↑ Karl Sachs: Elektrische Triebfahrzeuge. Hrsg.: Schweizerischer Elektrotechnischer Verein. 2. Auflage. Band 2. Springer, 1973, S. 668.
- ↑ a b New Electric Locomotives for Southern Region. S. 277 (org.uk [PDF]).
- ↑ a b Karl Sachs: Elektrische Triebfahrzeuge. Hrsg.: Schweizerischer Elektrotechnischer Verein. 2. Auflage. Band 2. Springer, 1973, S. 671–672 (Beschreibung der Schaltung in der BR-Klasse 70 Nr. 20003).