Patulin

chemische Verbindung
(Weitergeleitet von Clavacin)

Patulin ist ein Mykotoxin, also ein Schimmelpilzgift. Es kann in die Stoffgruppen der Hydroxypyrofurane, der toxischen Lactone oder der γ-Pyrone eingeordnet werden. Patulin wurde erstmals 1943 von Birkinshaw und Mitarbeitern aus Penicillium griseofulvum und Penicillium expansum isoliert.[3]

Strukturformel
Strukturformel von Patulin
Allgemeines
Name Patulin
Andere Namen
  • 4-Hydroxy-4H-furo[3,2-c]pyran-2(6H)-on (IUPAC)
  • 2-Hydroxy-3,7-dioxabicyclo[4.3.0]nona-5,9-dien-8-on
  • Clavacin
  • Clavatin
  • Claviformin
  • Expansin
  • Gigantin
  • Mycoin C3
  • Leucopenin
  • Penicidin
  • Penantin
Summenformel C7H6O4
Kurzbeschreibung

farblose kompakte Prismen oder dicke Platten[1]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 149-29-1
EG-Nummer 205-735-2
ECHA-InfoCard 100.005.215
PubChem 4696
ChemSpider 4534
DrugBank DB15586
Wikidata Q414526
Eigenschaften
Molare Masse 154,12 g·mol−1
Aggregatzustand

fest

Schmelzpunkt

110–111 °C[2]

Löslichkeit

löslich in Wasser und vielen organischen Lösemitteln[1]

Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung[2]
Gefahrensymbol

Gefahr

H- und P-Sätze H: 300​‐​315
P: 264​‐​301+310[2]
Toxikologische Daten

17 mg·kg−1 (LD50Mausoral)[2]

Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet.
Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen (0 °C, 1000 hPa).

Vorkommen

Bearbeiten

Patulin wird von Schimmelpilzen der Gattungen Penicillium, Aspergillus, Byssochlamys und Paecilomyces gebildet. Vor allem in angefaultem Kernobst wird Patulin produziert, hier von Penicillium expansum. In Äpfeln oder Birnen können bis zu zwei Gramm Toxin pro Kilogramm Faulstelle gefunden werden. Bei Äpfeln diffundiert Patulin praktisch nicht in das gesunde Gewebe, sodass bei großzügigem Entfernen der angefaulten Stellen das Obst noch verarbeitet bzw. verzehrt werden kann. Bei einer Kernhausfäule kann Patulin in äußerlich intakten Äpfeln vorhanden sein und so z. B. unbemerkt in Süßmost geraten.[4] Bei anderen Obstarten kann auch der gesunde Teil patulinhaltig werden.[5]

Bei Verarbeitung des Obstes zu Säften ist darauf zu achten, dass keine Früchte verwendet werden, die faule Stellen aufweisen. Das Pasteurisieren der Fruchtsäfte ist in der Regel wirkungslos, da Patulin gegenüber kurz einwirkender Hitze relativ beständig ist.[6] Die Fruchtsäfte können aber z. B. durch Vergärung oder in begrenztem Maß durch Verschwefelung entgiftet werden.[7]

Eigenschaften und biologische Wirkung

Bearbeiten

Patulin ist ein weißes, kristallines Pulver. Im Organismus wirkt es hämorrhagisch. Als Zellgift greift es in die Atmungskette ein. In höheren Dosen eingenommen, kann das Schimmelpilzgift Übelkeit verursachen sowie zu Magenschleimhautentzündung und Schädigung der Leber führen. Im Tierversuch wirkt es bei der Ratte subkutan appliziert krebserregend (Sarkome). Bei oraler Gabe konnte keine karzinogene Wirkung festgestellt werden.[8]

Patulin ist ein wirksames Antibiotikum, das aber wegen seiner Giftigkeit nicht therapeutisch eingesetzt werden kann.

Gemäß Risikobewertung der WHO sollte unter toxikologischen Gesichtspunkten die pro Tag aufgenommene Menge (PMTDI: provisional maximum tolerable daily intake) an Patulin 0,4 µg/kg Körpergewicht nicht überschreiten.[9]

Lebensmittelrechtliche Regelung

Bearbeiten

In der EU werden die Höchstmengen an Mykotoxinen wie Patulin in Lebensmitteln durch die Verordnung (EG) Nr. 1881/2006 geregelt. Die jeweiligen Höchstgrenzen hängen dabei vom Erzeugnis ab und orientieren sich auch daran, was durch gute Herstellungspraxis oder gute landwirtschaftliche Praxis erreichbar ist. Für Patulin gibt es verschiedene (auch von der Verarbeitung abhängige) Grenzwerte für Beikost und Apfelsaft für Säuglinge und Kleinkinder (10 μg·kg−1), Fruchtsäfte (50 μg·kg−1), feste Apfelerzeugnisse, wie Apfelkompott (25 μg·kg−1), und aus Äpfeln gewonnene alkoholische Getränke und Spirituosen (50 μg·kg−1).[10]

Biosynthese

Bearbeiten

Die Fähigkeit zur Biosynthese von Patulin haben die Aspergillus-Arten A. clavatus, A. giganteus und A. longivesica[11], die Penicillium-Arten P. carneum, P. clavigerum, P. concentricum, P. coprobium, P. dipodomyicola, P. expansum, P. glandicola, P. gladioli, P. griseofulvum, P. marinum, P. paneum, P. sclerotigenum und P. vulpinum[12]. Von den Gattungen Paecilomyces und Byssochlamys produzieren nur Byssochlamys nivea und einige Stämme von Paecilomyces saturatus Patulin.[13]

Die Biosynthese erfolgt über etwa 10 Stufen. Es sind 15 Gene an der Biosynthese beteiligt.[14] Ausgangspunkt ist die Bildung von 6-MSA (6-Methylsalicylsäure) aus Acetyl-Coenzym A und drei Malonyl-CoA-Einheiten durch 6-MSAS (6-Methylsalicylsäure-Synthetase). 6-MSAS ist ein multifunktionales Enzym, welches die Funktionen Acetyltransferase, Malonyl-Transferase und Ketoacyl-Synthetase ausübt. Durch das Enzym 6-MSA-Decarboxylase entsteht m-Kresol. Unter Interaktion mit CYP619C2 entstehen verschiedene Zwischenprodukte wie Toluquinol, m-Hydroxybenzylalkohol, Gentisylalkohol und Gentisylaldehyd. Der weitere Syntheseweg führt über Phyllostin, Neopatulin und Ascladiol.[14]

Literatur

Bearbeiten
  • H. K. Frank: Mykotoxine in Lebens- und Futtermitteln, in: Materialien zur Umweltforschung, Band 16. Verlag W. Kohlhammer GmbH, 1988
Bearbeiten

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. a b Eintrag zu Patulin. In: Römpp Online. Georg Thieme Verlag, abgerufen am 9. Dezember 2014.
  2. a b c d Datenblatt Patulin bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 18. April 2011 (PDF).
  3. J H Birkinshaw, S E Michael, A Bracken, H Raistrick: Patulin in the common cold collaborative research on a derivative of Penicillium patulum Bainier. II. Biochemistry and Chemistry. In: Lancet. Band 245, 1943, S. 625.
  4. Beanstandeter Saft aus dem Handel genommen. „Kernhausfäule“ vermutlich Grund für erhöhten Wert von Patulin / Diesdorfer Hersteller reagiert umgehend. In: Volksstimme Stendal. 16. November 2019, S. 16.
  5. Frank, in: Confructa – internat. Zeitschr. für Technologie der Obst- u. Gemüseverarbeitung, Frankfurt (Main), JV-Journal Verl.-Ges., 25 (1980) S. 107–118.
  6. Anderson de Souza Sant’Ana, Amauri Rosenthal, Pilar Rodriguez de Massaguer: The fate of patulin in apple juice processing: A review. In: Food Research International. Band 41, Nr. 5, Januar 2008, S. 441–453, doi:10.1016/j.foodres.2008.03.001.
  7. Leonard F Burroughs: Stability of Patulin to Sulfur Dioxide and to Yeast Fermentation. In: Journal of AOAC INTERNATIONAL. Band 60, Nr. 1, 1. Januar 1977, S. 100–103, doi:10.1093/jaoac/60.1.100.
  8. Osswald, u. a., in: Food and Cosmetics Toxicology, 16 (1978) S. 243–247.
  9. Joint FAO/WHO Expert Committee on Food Additives (JECFA), Monograph für Patulin, abgerufen am 9. Dezember 2014.
  10. Verordnung (EG) Nr. 1881/2006 der Kommission vom 19. Dezember 2006 zur Festsetzung der Höchstgehalte für bestimmte Kontaminanten in Lebensmitteln.
  11. J Varga, M Due, J C Frisvad, R A Samson: Taxonomic revision of Aspergillus section Clavati based on molecular, morphological and physiological data. In: Studies in Mycology. Band 59, 2007, S. 89–106, doi:10.3114/sim.2007.59.11, PMID 18490946, PMC 2275193 (freier Volltext).
  12. J C Frisvad, J Smedsgaard, T O Larsen, R A Samson: Mycotoxins, drugs and other extrolites produced by species in Penicillium subgenus Penicillium. In: Studies in Mycology. Band 49, 2004, S. 201–242.
  13. R A Samson, J Houbraken, J Varga, J C Frisvad: Polyphasic taxonomy of the heat resistant ascomycete genus Byssochlamys and its Paecilomyces anamorphs. In: Persoonia. Band 22, 2009, S. 14–27, doi:10.3767/003158509X418925, PMID 20198134, PMC 2789542 (freier Volltext).
  14. a b Olivier Puel, Pierre Galtier, Isabelle Oswald: Biosynthesis and Toxicological Effects of Patulin. In: Toxins. Band 2, Nr. 4, 5. April 2010, S. 613–631, doi:10.3390/toxins2040613, PMID 22069602, PMC 3153204 (freier Volltext).