Fixpunktfreie Permutation

Permutation der Elemente einer Menge, sodass kein Element seine Ausgangsposition beibehält
(Weitergeleitet von Derangement)

Eine fixpunktfreie Permutation oder Derangement (von französisch déranger „durcheinanderbringen“) ist in der Kombinatorik eine Permutation der Elemente einer Menge, sodass kein Element seine Ausgangsposition beibehält. Die Anzahl möglicher fixpunktfreier Permutationen einer Menge mit Elementen wird durch die Subfakultät angegeben. Für wachsendes strebt innerhalb der Menge der Permutationen von Elementen der Anteil der fixpunktfreien Permutationen sehr schnell gegen den Kehrwert der eulerschen Zahl . Sollen in einer Permutation manche der Elemente an ihrem alten Platz verbleiben, spricht man von einem partiellen Derangement, deren Anzahl durch die Rencontres-Zahlen ermittelt werden kann.

Graph einer fixpunktfreien Permutation der Zahlen von 1 bis 8. Durch die Permutation wird keine der Zahlen festgehalten.

Ausgangsproblem

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Beim Treize-Spiel gewinnt der Spieler, falls bei 13 durchmischten Spielkarten einer Farbe (untere Reihe) mindestens eine Karte an der richtigen Position (obere Reihe) auftritt, hier die Zehn.

Der französische Mathematiker Pierre Rémond de Montmort stellte Anfang des 18. Jahrhunderts in seinem Buch Essai d’analyse sur les jeux de hazard ein Spiel namens Treize („Dreizehn“) vor, das in vereinfachter Form wie folgt beschrieben werden kann:[1]

Ein Spieler mischt einen Satz von 13 Spielkarten einer Farbe und legt ihn als Stapel vor sich hin. Nun deckt er die Karten der Reihe nach auf, wobei er jede Karte gemäß der Reihenfolge As, Zwei, Drei bis König aufruft. Sollte irgendwann die aufgerufene Karte mit der aufgedeckten Karte übereinstimmen, so gewinnt er das Spiel; trifft dies bei keiner der 13 Karten zu, verliert er.

Nun stellt de Montmort sich die Frage nach der Wahrscheinlichkeit, mit der der Spieler das Spiel gewinnt. In der ersten Auflage seines Buchs von 1708 gibt de Montmort zwar das korrekte Ergebnis an, allerdings ohne genauere Herleitung. In der zweiten Auflage von 1713 stellt er dann zwei Beweise vor, einen eigenen, der auf einer rekursiven Darstellung beruht, und einen weiteren aus einem Briefwechsel mit Nikolaus I Bernoulli, der auf dem Inklusions-Exklusions-Prinzip basiert. De Montmort zeigt weiter, dass die Gewinnwahrscheinlichkeit sehr nahe an dem Wert von   liegt. Vermutlich stellt dies die erste Verwendung der Exponentialfunktion in der Wahrscheinlichkeitstheorie dar.[2]

Ohne die Vorarbeiten zu kennen, analysierte Leonhard Euler 1753 ein verwandtes Glücksspiel namens Rencontre („Wiederkehr“), das folgendermaßen abläuft:[3]

Zwei Spieler besitzen jeweils ein vollständiges Kartenspiel mit 52 Karten. Sie mischen ihre Karten und legen diese als Stapel vor sich ab. Nun ziehen beide Spieler gleichzeitig immer wieder die oberste Karte von ihrem Stapel. Erscheint zu irgendeinem Zeitpunkt zweimal die gleiche Karte, so gewinnt der eine Spieler, andernfalls der andere.

Wiederum stellt sich die Frage nach der Gewinnwahrscheinlichkeit. Euler leitet die Lösung mit Hilfe weiterer Rekurrenzformeln her, wobei er annehmen darf, dass nur einer der Spieler seine Karten mischt und der andere Spieler seine Karten in einer vorgegebenen Reihenfolge aufdeckt. Weitere Varianten und Verallgemeinerungen der Fragestellung wurden unter anderem von de Moivre[4], Lambert[5] und Laplace[6] untersucht.

In modernen Lehrbüchern zur Kombinatorik wird das Problem häufig als „Problem der vertauschten Hüte“ (auch Mäntel, Koffer, Briefe oder ähnliches) in etwa so formuliert:[7][8][9]

Bei einem Empfang geben   Gäste ihre Hüte an der Garderobe ab. Die Garderobenfrau ist an diesem Abend jedoch sehr zerstreut und gibt beim Verlassen jedem Gast einen zufällig gewählten Hut zurück. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass mindestens ein Gast den richtigen Hut erhält?

Die drei mathematischen Probleme sind zueinander äquivalent und können durch das Studium fixpunktfreier Permutationen gelöst werden.

Definition

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Ist   die symmetrische Gruppe aller Permutationen der Menge  , dann heißt eine Permutation   fixpunktfrei, wenn

 

für alle   gilt. Eine fixpunktfreie Permutation ist damit eine Permutation, bei der kein Element seine Ausgangsposition beibehält, das heißt, es tritt kein Zyklus der Länge eins auf. Bezeichnet   die Menge aller fixpunktfreien Permutationen in   und   deren Anzahl, dann entspricht der Anteil

 

nach der Laplace-Formel gerade der Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer fixpunktfreien Permutation, wenn man annimmt, dass alle   möglichen Permutationen in   gleich wahrscheinlich sind. Allgemeiner können auch Permutationen beliebiger endlicher Mengen, beispielsweise Alphabete, betrachtet werden, zur Analyse der mathematischen Eigenschaften kann man sich jedoch auf die ersten   natürlichen Zahlen beschränken.

Beispiele

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Die neun fixpunktfreien Permutationen von vier Elementen sind hervorgehoben

Ein Fixpunkt einer Permutation ist dadurch charakterisiert, dass in ihrer Zweizeilenform zweimal die gleiche Zahl untereinander steht. Die einzige Permutation in  

 

hat einen Fixpunkt und es gilt damit   und  . Die beiden Permutationen in   sind

    und    ,

wobei die erste zwei Fixpunkte hat und die zweite keinen. Es gilt also   und  . Von den sechs Permutationen in  

    und    

sind nur die vierte und fünfte fixpunktfrei, es gilt also   und  .

In   besteht die Trägermenge aus der leeren Menge mit der einzigen Permutation darin, die leere Menge auf die leere Menge abzubilden. Da aus der leeren Menge kein Element ausgewählt werden kann, ist diese Permutation fixpunktfrei und es gilt   und  .

  fixpunktfreie
Permutationen
alle
Permutationen
Anteil
0 1 1 1
1 0 1 0
2 1 2 0,5
3 2 6 0,33333333…
4 9 24 0,375
5 44 120 0,36666666…
6 265 720 0,36805555…
7 1.854 5.040 0,36785714…
8 14.833 40.320 0,36788194…
9 133.496 362.880 0,36787918…
10 1.334.961 3.628.800 0,36787946…

Die Anzahl der fixpunktfreien Permutationen in   lässt sich mit Hilfe der Subfakultät durch

    (Folge A000166 in OEIS)

ausdrücken. Der Anteil der fixpunktfreien Permutationen in   ist entsprechend

 .

Die Anzahl   der fixpunktfreien Permutationen und ihr Anteil   an der Gesamtzahl der Permutationen sind für   bis   in nebenstehender Tabelle zusammengefasst.

Für   liegt damit der Anteil der fixpunktfreien Permutationen bei etwa 37 % (daher auch 37%-Regel). Asymptotisch gilt für diesen Anteil

 ,

wobei   die eulersche Zahl ist.

Herleitungen

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Herleitung über das Inklusions-Exklusions-Prinzip

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Nach dem Prinzip von Inklusion und Exklusion ergibt sich die Mächtigkeit der Vereinigung dreier Mengen   aus der Summe der Mächtigkeiten der einzelnen Mengen   minus der Summe der Mächtigkeiten der Schnittmengen von je zwei Mengen   plus der Mächtigkeit der Schnittmenge der drei Mengen  .

Bezeichnet

 

die Menge der Permutationen, die einen Fixpunkt an der Stelle   aufweisen, dann hat die Menge der fixpunktfreien Permutationen die Darstellung

 .

Damit ist die Anzahl der fixpunktfreien Permutationen durch

 

gegeben. Nach dem Prinzip von Inklusion und Exklusion gilt nun für die Mächtigkeit einer Vereinigungsmenge

 .

Jede der Schnittmengen   besteht aus den Permutationen mit mindestens den   Fixpunkten  . Da die Werte   dieser Permutationen festgelegt sind und die übrigen Werte durch eine beliebige Permutation der restlichen   Zahlen gewählt werden können, gilt demnach

 .

Da es   Möglichkeiten gibt,   Fixpunkte auszuwählen, erhält man somit

 

und weiter

 .

Herleitung über Rekurrenzen

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Bei der Herleitung sind zwei Fälle zu unterscheiden: ist  , dann kann entweder   sein (oben) und es verbleiben   Bedingungen oder es ist   (unten), dann verbleiben   Bedingungen. Im Beispiel ist  .

Ist   mit   eine fixpunktfreie Permutation, dann gilt per Definition  . Nun werden die folgenden zwei Fälle unterschieden:

  • Befindet sich die Zahl   an der Stelle  , dann können die übrigen   Zahlen auf   Möglichkeiten fixpunktfrei auf die verbleibenden Plätze verteilt werden.
  • Ansonsten betrachtet man die Menge  . Diese Zahlen müssen nun die Positionen   einnehmen, sodass keine der Zahlen festbleibt und zudem die   nicht an der Stelle   steht. Die Anzahl der Möglichkeiten dies zu erreichen ist gerade  .

Nachdem es   mögliche Werte für   gibt, folgt daraus die lineare Rekurrenz

 

mit   und  . Diese Rekurrenz lässt sich nun zu

 .

umformen. Mit der Ersetzung   erkennt man  , also  , und damit

 .

Die explizite Summenformel kann dann durch vollständige Induktion verifiziert werden:

 

wobei  .

Partielle Derangements

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Rencontres-Zahlen dn,k
  0 1 2 3 4 5 Summe
0 1 1
1 0 1 1
2 1 0 1 2
3 2 3 0 1 6
4 9 8 6 0 1 24
5 44 45 20 10 0 1 120

Sollen in einer Permutation   genau   Zahlen an ihrem Platz verbleiben, so spricht man von einem unvollständigen oder partiellen Derangement. So sind beispielsweise die drei partiellen Derangements in  , bei der genau eine Zahl an ihrem Platz bleibt

    und    .

Bezeichnet nun   die Menge der partiellen Derangements in   bei denen genau   Zahlen an ihrem Platz verbleiben, dann wird die Anzahl   durch die Rencontres-Zahlen

 

angegeben (Folge A008290 in OEIS). Als Spezialfall für   erhält man mit   die Menge der fixpunktfreien Permutationen und mit   die Subfakultät.

Anwendungen

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Vertauschung von Buchstaben im Walzensatz der ENIGMA

Die deutsche Schlüsselmaschine ENIGMA, die während des Zweiten Weltkriegs zum Einsatz kam, führte konstruktionsbedingt fixpunktfreie (und selbstinverse) Permutationen durch. Eine spezielle Walze, nämlich die ganz links liegende Umkehrwalze, bewirkte, dass der Strom den Walzensatz zweimal durchfloss, einmal in Hinrichtung und einmal in Rückrichtung. Dadurch konnte ein Buchstabe nicht mehr in sich selbst verschlüsselt werden, was zwar die Konstruktion und Bedienung der Maschine vereinfachte, da Verschlüsselung und Entschlüsselung hierdurch gleich waren, zugleich allerdings eine signifikante kryptographische Schwächung bewirkte (siehe auch: Kryptographische Schwächen der ENIGMA).

Das Wichteln ist ein vorweihnachtlicher Brauch, bei dem eine Gruppe von Personen auf zufällige Weise Geschenke austauscht. Nimmt man dabei an, dass sich keine Person selbst beschenkt, kann der Austausch der Geschenke mathematisch als fixpunktfreie Permutation der Personen beschrieben werden.[10]

Literatur

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Einzelnachweise

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  1. Pierre Rémond de Montmort: Essai d’analyse sur les jeux de hazard. Jacque Quillau, Paris 1708, S. 58 f. (erste Auflage 1708, zweite Auflage 1713 u. a. mit Briefen von Nikolaus I Bernoulli).
  2. Florence Nightingale David: Games, Gods and Gambling. Griffin, London 1962, S. 162.
  3. Leonhard Euler: Calcul de la probabilité dans le jeu de rencontre. In: Memoirs de l’academie des sciences de Berlin. Band 7, 1753.
  4. Abraham de Moivre: Doctrine of Chances. W. Pearson, London 1718, S. 109–117.
  5. Johann Heinrich Lambert: Examen d’une espèce de Superstition ramenée au calcul des probabilités. In: Nouveaux Mémoires de l’Académie Royale des Sciences et des Belles-Lettres. 1771, S. 411–420.
  6. Pierre-Simon Laplace: Théorie Analytic des Probabilities. Courcier, Paris 1812.
  7. Jiří Matoušek, Jaroslav Nešetřil: Diskrete Mathematik: Eine Entdeckungsreise. S. 100–101.
  8. Herbert Kütting, Martin J. Sauer: Elementare Stochastik: Mathematische Grundlagen und didaktische Konzepte. S. 155.
  9. Albrecht Beutelspacher, Marc-Alexander Zschiegner: Diskrete Mathematik für Einsteiger. S. 57.
  10. Stefan Bartz: Selbst-Bewichtelungen in 2 von 3 Spielen. In: Stochastik in der Schule. Nr. 33, 2013 (stefanbartz.de [PDF; 684 kB]).