Diatretglas

prunkvolles doppelwandiges Gefäß mit durchbrochenem Glas
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Ein Diatretglas (altgriechisch διάτρητος diatretos „durchbrochen, durchbohrt“) ist ein meist glockenförmiges, prunkvolles doppelwandiges Gefäß mit durchbrochenem Glas. Gemeint ist damit, dass der Gefäßkörper von einem durchbrochenen Glasnetz umfangen wird. Die Gefäße werden daher auch als Netzbecher[1] und im Englischen auch als cage cups (Käfiggläser) bezeichnet.

Diatretglas aus Pljevlja, Montenegro

Herstellungstechnik

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Die geschliffene Netzhülle ist durch einzelne, teilweise ungeschliffene Verbindungsstege mit dem Gefäßkörper verbunden. Detail des Braunsfelder Diatretglases in Köln
 
Die geschliffene Hülle verbinden einzelne Stege mit dem Gefäßkörper. Umschrift: BIBE MULTIS ANNIS Staatliche Antikensammlungen München.

In der nachrömischen Zeit wurde das erste derartige Glas 1680 in Norditalien wiederentdeckt.[2] Seit der Zeit versucht man, die Herstellungsweise zu ergründen und sie nachzubilden. Es gibt zwei Theorien, wie ein Diatretglas hergestellt wurde: Die seit den 1880er Jahren für Replikate[3] genutzte Schleifmethode ist Grundlage der Schleiftheorie. Sie kann allerdings nicht wie die Presstheorie die ungeschliffenen Zwischenstege[4] antiker Diatrete erklären.

  • Schleiftheorie: Zuerst wurde das Motiv als Relief aus einem geblasenen Rohling herausgeschliffen und anschließend das Material dahinter, bis auf einige Glasstege, entfernt. Diese Theorie scheint auch in der Praxis zu funktionieren, wie in dieser Technik hergestellte Diatretglas-Repliken von Josef Welzel zeigen.[5] Die Schleiftheorie nimmt den Ausschliff aus einem massiven Glasstück an, erklärt aber nicht den Befund der vollständig erhaltenen Diatreta wie zum Beispiel des Braunsfelder Diatretglases in Köln (siehe Abbildung rechts). Die Schleiftheorie greift eine 1930 veröffentlichte Deutung von Fritz Fremersdorf auf.[6] Erst Otto Doppelfeld sah die Schleiftheorie dann aufgrund der Schleifversuche der Ichendorfer Glashütte bei Köln unter der Leitung von R. Penkert und der Übergänge vom farblosen zum farbigen Glas gerade an den Verbindungsstegen skeptisch.[7] Dementsprechend zeigen die von Doppelfeld 1961 veröffentlichten Makroaufnahmen den Farbwechsel in den nur im Bereich des Gefäßrandes beschliffenen Glasflussstegen (Abb. links). Diesen auch an den übrigen Diatreten zu beobachtenden Befund sucht die Presstheorie zu erklären.
  • Presstheorie: Mit einem perforierten Zwischenbecher aus Gips oder einer Mischung aus Gips und Quarzmehl könnte möglicherweise ein zweischaliger Glasrohling hergestellt werden, der dann aufgeschliffen wurde.[8] Die erfolgreiche Umsetzung dieser Theorie in die Praxis fehlt bislang.

Funktion

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Die Diatrete werden meist als Trinkgefäße angesehen, weil sie oft die Form von Trinkbechern haben und mit Trinksprüchen verziert sind. Die Verwendung als Trinkbecher ist auch in einem Gedicht des Martial überliefert.[9] Allerdings spricht die für die Diatrete typische abgesetzte Lippe der erhaltenen Gefäße, die bei einem Exemplar im Corning Museum of Glass von einem dreihenkligen Bronzering umfasst ist, gegen dieses Verständnis.[10] Dieser Haltering weist das Gefäß als hoch aufgehängten Leuchtkörper aus. Damit ist die Funktion der Gefäßlippe erklärt, was die Untersichtigkeit sämtlicher Diatrete und selbst Becherform und Trinksprüche aus dem Zusammenhang mit dem Dionysoskult herleiten würde, vgl. Ampel und Ampelos und den Lykurgosbecher.[11] Überdies inszenieren die veröffentlichten Fotografien der Diatrete mit entsprechender Beleuchtungsführung den Leuchtkörper von Glaslampen mit schwimmendem Docht.[12] Allerdings sind beispielsweise die aus Kölner Gräbern des 4. Jahrhunderts bekannten Exemplare in einer Zeit in die Erde gelangt, als im Rheinland die Beigabe von Lampen längst unüblich geworden war. Eine eindeutige, einheitliche Deutung der Funktion der Diatretgläser ist daher wohl nicht möglich.

Verbreitung

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Das Braunsfelder Diatretglas des Römisch-Germanischen Museums in Köln

Diatretglas war ein wertvolles Prunkglas der römischen Zeit; es gab sogar antike Gesetze zur Regelung der Schadenshaftung für Diatretglasschleifer. Die ersten derartigen Gläser sind aus dem 1. Jahrhundert bekannt. Die wenigen bekannten frühen Exemplare sind noch nicht mit dem charakteristischen Netzwerk, sondern mit unterschiedlichen Motiven verziert[13]. Im 3. und 4. Jahrhundert war die Glasschleifkunst auf ihrem Höhepunkt. Bis heute sind über 70 Exemplare bekannt, die häufig nur noch als Scherben überliefert sind[14]. Um ein größeres Publikum zu bedienen, wurden auch preiswerte Imitationen angefertigt. Eines dieser Gläser wurde beispielsweise an dem spätrömischen, in valentinanischer Zeit erbauten Burgus Budakalász-Luppa csárda am Donaulimes in Ungarn gefunden.[15]

Bekannte Diatretgläser

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Lykurgosbecher
  • Lykurgosbecher aus dem 4. Jahrhundert, seit 1945 im Besitz des British Museum. 16,5 cm hoch, 13,2 cm Durchmesser. Goldrubinglas, welches im Gegenlicht rot und im Auflicht opak-gelbgrün erscheint. Dieser Effekt entsteht, weil in das Glas kleinste Gold- und Silberpartikel (etwa 70 nm) im Verhältnis von drei zu sieben eingearbeitet wurden. Damit ist es das einzige vollständig erhaltene Glas mit einem solchen Effekt. Einmalig auch seine figurative Gestaltung mit einer mythologischen Szene: Die in einen Weinstock verwandelte Mänade Ambrosia hält König Lykurgos gefangen, der von Dionysos gezüchtigt wird.[16]
  • Das Köln-Braunsfelder Diatretglas im Römisch-Germanischen Museum in Köln[17] wurde 1960 im Gräberbezirk des römischen Gutshofs im Kölner Stadtteil Braunsfeld ausgegraben. Es wird auf 330 bis 340 n. Chr. datiert. Der griechische Schriftzug ΠΙΕ ΖΗCΑΙC ΚΑΛѠC ΑΕΙ (= PIE ZESAIS KALOS AEI) lässt sich als „Trinke, lebe schön immerdar“ übersetzen.
  • Netzbecher aus Daruvar (Kroatien) Kunsthistorisches Museum Wien, Fragment, 4. Jh. n. Chr. Höhe 9,5 cm. Die Inschrift ist zu FAVENTIBUS (etwa: „denen, die wohlgesinnt sind“) zu ergänzen.[18]
  • Coppa diatreta Trivulzio (coppa Trivulziana Inv. A 0.9.2840) Museo Archeologico in Mailand.[19] Inschrift BIBE VIVAS MULTIS ANNIS: Trinke, auf dass du viele Jahre lebest! 4. Jh. n. Chr., im 17. Jahrhundert in einem Sarkophag in Castellazzo Novarese aufgefunden, in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts von Carlo Trivulzio (auch Abate Trivulzio, Bruder des 1763 verstorbenen Marchese Alessandro Theodoro Trivulzio) für sein Museum in Mailand erworben und 1935 von der Stadt Mailand, heute dort im Museo Archeologico.[20]
  • Cage Cup aus dem Corning Museum of Glass, Durchmesser 12,2 cm, Höhe 7,4 cm, mit dreihenkeligem Bronzering[21]
 
Diatretglas aus Niederemmel im Rheinischen Landesmuseum Trier
  • Diatretglas von Niederemmel:[22] Bei Ausschachtungsarbeiten im Jahre 1950 in Niederemmel (Mosel) wurden drei Sandsteinsarkophage ca. 35 cm unter der Erdoberfläche gefunden. In einem dieser Sarkophage befand sich neben Skelettresten, einem Tongefäß, einer 38 cm langen Glasphiole auch ein außerordentlich gut erhaltenes 18 cm hohes Diatretglas. Es wird heute im Rheinischen Landesmuseum in Trier ausgestellt.

Literatur

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Commons: Diatretglas – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

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  1. Anton Kisa: Das Glas im Altertume. Hiersemann, Leipzig 1908, S. ?.
  2. Zur Forschungsgeschichte etwa David Whitehouse: Cage Cups. Late Roman Luxury Glasses. Corning, New York 2015, ISBN 978-0-87290-200-8, S. 33–37.
  3. Anton Kisa: Vasa diatreta. In: Zeitschrift für christliche Kunst 12, 1899, Sp. 40.
  4. Kisa 1899, Sp. 41f.
  5. Josef Welzel: Becher aus Flechtwerk von Kristall – Diatretgläser, ihre Geschichte und Schleiftechnik. (Ausstellung in: Glasmuseum Rheinbach, Fürstenschloß Hadamar, Landesmuseum Mainz, Kestner-Museum Hannover, Museum G. M. Kam Nijmegen, Glasmuseum Wertheim, Glasmuseum Frauenau), Staatliche Glasfachschule Hadamar / Glasmuseum Wertheim, 1994, ISBN 3-922000-04-5.
  6. Fritz Fremersdorf: Die Herstellung der Diatreta. In: Festschrift zum 70. Geburtstag Karl Schumachers. Mainz 1930, S. 295–300.
  7. Otto Doppelfeld: Der Muschelpokal und das neue Diatretglas von Köln. In: Glastechnische Berichte, 34 (1961) H. 12, S. 566.
  8. Rosemarie Lierke: Diatretglas. In: Antike Glastechnologie. Abgerufen am 3. Februar 2016 (10 Fragen an einen Vertreter der Schleiftheorie).
  9. Martial, Epigramme 12, 70.
  10. Cornelius Steckner: Pharokantharoi und Kylikeia. Dionysische Lichtgefässe in architektonischem Kontext. In: Annales du 11e Congrès de l’Association internationale pour l’histoire du Verre: Bâle, 29 août-3 septembre 1988. Association internationale pour l’histoire du verre, Amsterdam 1990, S. 257–270.
  11. Heinrich Wunderlich: Light-Kultur – vorgeschichtliche Beleuchtung. Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, 12. Mai 2001, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 13. Oktober 2010; abgerufen am 3. Februar 2016.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www2.archlsa.de
  12. Christian Heinrich Wunderlich: Light and Economy. (PDF; 650 kB) LychnoServices, 2003, S. 251 (14), archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 4. März 2016; abgerufen am 3. Februar 2016 (englisch).  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.chaman.ch
  13. Zusammenstellung bei Whitehouse 2015, S. 21–31.
  14. Vgl. den Katalog bei Whitehouse 2015.
  15. Lajos Nagy: L’imitation d’un vase diatrete, retrouvee au burgus de Budakalász. In: Budapest Régiségei 15, 1950, S. 535–539.
  16. drinking-cup | British Museum. Abgerufen am 19. Mai 2023 (englisch).
  17. T. Nagel: Ein gläsernes Meisterwerk, Bild der Woche, Woche 28/2013, Museen der Stadt Köln, gesehen am 22. Mai 2016
  18. Archivierte Kopie (Memento des Originals vom 3. Oktober 2011 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/bilddatenbank.khm.at
  19. La coppa diatreta. Museo Archeologico, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 10. Juni 2010; abgerufen am 3. Februar 2016.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.poliarcheo.it
  20. Zugabe zu Göttingische Gelehrte Anzeigen 13. Jan. 1781, S. 21 – Tobias Biehler: Über Gemmenkunde. Wien 1860 S. 12 Fußnote books.google
  21. http://www.cmog.org/artwork/cage-cup
  22. Lothar Schwinden: Das Diatretglas von Niederemmel, Kreis Bernkastel-Wittlich. In: Funde und Ausgrabungen im Bezirk Trier 47, 2015, S. 80–89 (Digitalisat); Eintrag zu Diatretglas im Gemeindewappen (Niederemmel, Gemeinde Piesport) in der Datenbank der Kulturgüter in der Region Trier, abgerufen am 3. Februar 2016.