Die Radiofamilie
Die Radiofamilie war eine österreichische Radio-Seifenoper, die vom 2. Februar 1952 an mehr als acht Jahre lang, bis zum 25. Juni 1960, ausgestrahlt wurde. Sie lief in 351 halbstündigen Folgen auf dem US-amerikanischen Besatzungssender Rot-Weiß-Rot und von 1955 an im Österreichischen Rundfunk.
Geschichte
BearbeitenEntwickelt wurde die Sendereihe von Jörg Mauthe und Peter Weiser, die als ständige Autoren tätig waren und das „Script Department“ des Senders Rot-Weiß-Rot bildeten; Regie führte Walter Davy. An der im Herbst 1951 konzipierten populären Serie wirkte bis zum Sommer 1953, als sie nach Rom übersiedelte, die 1951 zum Sender gekommene Ingeborg Bachmann als Autorin mit: Von ihr stammten 11 Sendemanuskripte, je zwei weitere sind Gemeinschaftsarbeiten Bachmanns mit Mauthe bzw. Weiser. (Bachmann hat über diese Tätigkeit nie gesprochen und ihre Beiträge auch nicht in ihr Werkverzeichnis aufgenommen. Von Mauthe, 1986 gestorben, sind dazu ebenfalls keine Äußerungen bekannt; Weiser hat Bachmanns Mitarbeit von den 1990er Jahren an erwähnt.)
In der subtil zu Liberalität und Demokratie erziehenden Sendung wurde vordergründig der Alltag der bürgerlichen Wiener Familie Floriani in der fiktiven „Taubengasse“ unweit der am zentrumsseitigen Rand des bürgerlichen Bezirks Josefstadt bestehenden Landesgerichtsstraße[1] dargestellt. (Beim dortigen Landesgericht für Strafsachen Wien besteht eine Florianigasse, die als Vorlage für den Familiennamen gedient haben könnte.)
Ständige „Familienmitglieder“ waren
- Hans Thimig als Dr. Hans Floriani, Oberlandesgerichtsrat (in der NS-Zeit außer Dienst gestellt),[2]
- Vilma Degischer als seine Ehefrau Vilma, Tochter eines k.u.k. Offiziers aus Kroatien,
- Helli Servi als anfangs 16-jährige Hanni, später Helli, Tochter von Hans und Vilma, Gymnasiastin, und
- Wolf Harranth als anfangs 12-jähriger Peter, später Wolferl, Sohn von Hans und Vilma, Gymnasiast,
- Guido Wieland als „Onkel Guido“ Floriani, in Purkersdorf, heute ein westlicher Vorort Wiens, auf dem Land lebender Halbbruder von Hans Floriani, in der NS-Zeit Anhänger Hitlers,
- Elisabeth Markus als „Tante Liesl“, Ehefrau Guidos.
Weiters wirkten mit:
- Peter Gerhard als Erzähler, der jede Sendung einbegleitete, aber nicht Teil der Handlung wurde,
- Rosl Dorena als Haushälterin Maria Gamsbartl,
- Alfred Böhm als Hausmeistersohn Holzinger, Freund von Wolferl Floriani.
Auf Grund des großen Erfolgs der ersten Sendungen wurde der Senderhythmus am 30. August 1952 von zweiwöchentlich auf wöchentlich umgestellt. Ausgestrahlt wurden die Sendungen jeweils an Samstagabenden.
Die Typoskripte fast aller Sendungen fanden sich Ende der 1990er Jahre im Nachlass Jörg Mauthes, der seit 2008 von der Wienbibliothek im Rathaus, Abteilung Handschriftensammlung, aufbewahrt wird.
Nachruhm
Bearbeiten1958 griff der Österreichische Rundfunk mit der monatlichen Serie Familie Leitner das Konzept der Radiofamilie für das Fernsehen auf.
2011 rückte Familie Floriani wieder ins Interesse der Öffentlichkeit, als durch eine Buchpublikation breiteren Kreisen bekannt wurde, dass Ingeborg Bachmann mehrere Folgen der Serie verfasst hat. Unter dem Titel Ingeborg Bachmann: Die Radiofamilie veröffentlichte der Suhrkamp Verlag die vom US-amerikanischen Germanisten und Historiker Joseph McVeigh sorgfältig edierten und kommentierten Manuskripte. McVeigh hatte, wie er schrieb, bereits im Jahr 2000 mit Peter Weiser über die Entstehung der Sendung und die Arbeitsweise des Autorenteams gesprochen.
2013 brachte das Volkstheater Wien in seinen Spielstätten in den Bezirken von Ingeborg Bachmann verfasste Radiofamilie-Folgen auf die Bühne.[3][4]
Literatur
Bearbeiten- Ingeborg Bachmann, Joseph McVeigh (Hrsg.): Die Radiofamilie, Suhrkamp Verlag, Berlin 2011, ISBN 978-3-518-42215-1
- Jörg Mauthe, Peter Weiser: Familie Floriani. Ein wienerischer Lebenslauf in dreißig Bildern, Wiener Journal Zeitschriftenverlag, Wien 1990
- Lena Nitsch: Die Radiofamilie Floriani in: junk. Das Leben eine Seifenoper. Diplomarbeit, Universität Wien, Wien 2009 (Nitsch führt als erstes Jahr der Serie irrtümlich 1953 an)
Weblinks
Bearbeiten- Martin Blumenau: Frau Bachmann und die Radiofamilie. Oder: Der Onkel Guido ist nicht umzubringen. Website FM4-online des ORF, 7. Juli 2011
- Edith Schlocker: Die alltäglichen Sorgen des Herrn Rat und seiner Mischpoke, Website der Tiroler Tageszeitung, Innsbruck, 3. Juli 2011
- Das Faustische in Onkel Guido, Website der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), Frankfurt am Main, 30. Juni 2011
- Martin Halter: So was Bürgerliches ist auch ganz nett, Website des Tages-Anzeigers, Zürich, 17. Juni 2011
- Beginn einer Folge Radiofamilie (1958) im O-Ton aus dem Online-Archiv "Österreich am Wort" der Österreichischen Mediathek
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Hinweis in der zweiten Sendung, der ersten von Ingeborg Bachmann (siehe Literatur) verfassten, am 16. Februar 1952
- ↑ Hinweis in der zweiten Sendung
- ↑ Die Produktion auf der Website des Volkstheaters, Premiere 6. März 2013 ( vom 8. Juli 2013 im Internet Archive)
- ↑ Bernhard Doppler: Nachkriegsprobleme auf Wienerisch, Website Deutschlandradio Kultur, Text vom 6. März 2013