Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe

pseudowissenschaftliches NS-Forschungsinstitut

Die Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe e. V. war eine Forschungseinrichtung der SS, die am 1. Juli 1935 von Heinrich Himmler (Reichsführer SS) und dem niederländischen Privatgelehrten Herman Wirth als „ ‚Deutsches Ahnenerbe‘ Studiengesellschaft für Geistesurgeschichte e. V.“ gegründet worden war.[1] Sie firmierte ab 20. März 1937 als „Das Ahnenerbe e. V.“[2] Seit dem 17. März 1942 bestand die auch als SS-Ahnenerbe bezeichnete Gemeinschaft parallel als Amt A innerhalb des „Hauptamtes Persönlicher Stab Reichsführer-SS“.[3] Es ist nicht zu verwechseln mit der Ahnenerbe-Stiftung.[4] Diese 1937 ins Leben gerufene „gemeinnützige“ Institution hatte das Ziel, als Finanzträger der Forschungsgemeinschaft zu fungieren.

Wappen der Forschungs­gemeinschaft Deutsches Ahnenerbe

Nach außen standen archäologische, anthropologische und geschichtliche Forschungen sowie Expeditionen als Arbeitsgegenstand. Eigentlich jedoch war es ein Instrument nationalsozialistischer Kulturpolitik. Während des Zweiten Weltkrieges beteiligte sich das Ahnenerbe am systematischen Kunstraub. Seine Leitungsebene war identisch mit der aus dem Ahnenerbe hervorgegangenen „Institut für wehrwissenschaftliche Zweckforschung“, das für andere Einrichtungen wie die Luftwaffe, aber auch eigeninitiativ Menschenversuche in nationalsozialistischen Konzentrationslagern wie Natzweiler-Struthof und Dachau sowie dessen Außenlagern Schlachters, Forelle und Lochau durchführte. Daneben nutzte der stark an okkulten Themen interessierte Himmler das Ahnenerbe als Apparat für weitere Projekte im persönlichen Interesse.

Amtschef des Amtes A im Hauptamt Persönlicher Stab Reichsführer-SS war ab dem 17. März 1942 der Indologe und Ahnenerbe-Kurator Walther Wüst, sein Stellvertreter war der Reichsgeschäftsführer des SS-Ahnenerbes Wolfram Sievers. Ahnenerbe-Präsident Himmler war auch in dieser Konstellation formal Vorgesetzter. Über das Amt A wurden 197 von 281 angeforderten Planstellen (Stand 1943) des Ahnenerbes bezahlt, für die restlichen 84 Stellen kam Das Ahnenerbe e. V. auf.[5]

Die Organisation ermöglichte einigen ariosophisch[6] -okkultistischen Protagonisten wie Herman Wirth und Karl Maria Wiligut eine zumindest zeitweise prestigeträchtige Integration in das nationalsozialistische System. Demgegenüber wurden etliche völkische Gruppierungen verboten, einzelne Vertreter wie der Runenokkultist Friedrich Bernhard Marby wurden verhaftet oder wie Ernst Wachler zunehmend marginalisiert. Im Laufe der Zeit entwickelte sich die Einrichtung zu einem berüchtigten Dreh- und Angelpunkt für Fiktion, Pseudoarchäologie und Verschwörungstheorien.

Gründungszweck und Institute

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Mit der Gründung der Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe 1935 in Berlin baute sich Himmler eine personenbezogene Institution auf, deren Aufgabe es sein sollte, „Raum, Geist, Tat und Erbe des nordrassischen Indogermanismus zu erforschen“.[7] Das eigentliche Ziel jedoch bestand in der Infiltration der nationalsozialistischen Ideologie in- und außerhalb der bestehenden Strukturen des NS-Herrschaftsapparates, um Himmler letztendlich seine Stellung im nationalsozialistischen Machtapparat auf Dauer zu sichern. Das bezog die schrittweise Überstülpung der Weltanschauung und politischen Macht der SS auf das bestehende deutsche Kultur- und Geistesleben ein. So wurde bereits 1936 als unmittelbare Aufgabe formuliert, den „erbmäßigen Eigenwert der Deutschen Seele zu schützen, zu erhalten und vor Verkümmerung zu bewahren“.[8] Dazu hofften die Gründer, mit einer solchen Institution ihre weltanschaulichen Positionen für das zukünftige Deutsche Reich „wissenschaftlich“ absichern zu können, um ihnen mehr Gewicht zu verleihen. Das auf den ersten Blick verwirrende und abstruse Spektrum an Untersuchungsbereichen der Institute der Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe diente in seiner Gesamtheit dem Zweck, die NS-Rassenideologie des „Arischen Herrenmenschen“ wissenschaftlich zu untermauern und daraus abgeleitete Verbrechen wie ethnische und kulturelle Verfolgung pseudowissenschaftlich zu legitimieren. Himmler selbst ließ sich um die Jahreswende 1938/1939 zum Präsidenten der Forschungsgemeinschaft erheben.

Mittels einiger Institute – wie dem „Institut für wehrwissenschaftliche Zweckforschung“ oder dem später in dieses integrierte Entomologische Institut – wurde versucht, das Ahnenerbe zu erhalten, dessen Forschungen bislang eher weniger kriegswichtig waren. Insbesondere Wolfram Sievers strebte als faktischer Direktor des Instituts für wehrwissenschaftliche Zweckforschung danach, wehrmedizinische Erkenntnisse zu erlangen, um Himmler als Chef der Waffen-SS gegenüber den Chefs der anderen Teilstreitkräfte politisches Kapital zu verschaffen. Zudem versuchte er, über die geplanten Einkünfte, beispielsweise für das Hämostyptikum „Polygal“ oder das Rostschutzmittel „Sicabo“, das Ahnenerbe noch unabhängiger von bisherigen Finanzierungsstrukturen zu machen. In den unverdächtig erscheinenden Instituten für Volkskunde und Kunst gewann man wichtige Informationen für die Germanisierung eroberter Gebiete und das Erschließen von Geldquellen durch den Raub von Kunstschätzen.

Das Ahnenerbe der SS begann seine Tätigkeit im Sommer 1935 in Berlin C 2 (Berlin-Mitte), Brüderstraße 29/31, in doppelter Form abgedeckt durch das am gleichen Standort etablierte Kaufhaus „Rudolf Hertzog“ und als eingetragener Verein mit der Bezeichnung als „Studiengesellschaft für Geistesurgeschichte“. Herman Wirth war im April gleichen Jahres in eine Wohnung unter dieser Adresse gezogen und hatte hier mit der Organisation einer Freilichtschau „Lebensbaum im germanischen Brauchtum“ begonnen. Heinrich Himmler war Vorsitzender des Kuratoriums vom Ahnenerbe. Bereits ein Jahr später erfolgte eine Änderung des Namens in „Das Ahnenerbe“ und eine Satzungsänderung, die durch einen Brief auf dem Kopfbogen des Reichsführer-SS beantragt wurde. Auf Grund der Erweiterung des Arbeitsgegenstandes und Zugliederung von neuem Personal wurde 1937 ein weiterer Standort in die Raupachstraße 9 in Berlin eröffnet. Ab 1939 übernahm die Institution das arisierte Anwesen von Rudolf Löb in der Pücklerstraße 16 in Berlin-Dahlem. Unter Beibehaltung dieser Adresse zog die Führungsebene um Wolfram Sievers im August 1943 ins weniger bombengefährdete Waischenfeld in Oberfranken, wo es das ehemalige Rentamtsgebäude vom „SS-Hauptamt Volksdeutsche Mittelstelle“ übernahm.[9]

Verhältnis zu anderen Einrichtungen

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Durch den Fokus der ersten Jahre des Ahnenerbes auf germanische Geschichte und Vorgeschichte waren Konflikte mit anderen nationalsozialistischen „Forschungseinrichtungen“ abzusehen. An erster Stelle ist dabei das Amt Rosenberg zu nennen, dessen Leiter Alfred Rosenberg sich schon vor der Gründung des Ahnenerbes einen ideologischen Kleinkrieg mit Herman Wirth lieferte. Ein anderer Konkurrent war in den ersten Jahren Karl Maria Wiligut, der Leiter des Amtes für Vor- und Frühgeschichte im Rasse- und Siedlungshauptamt. Da Himmler ihn als eine Art persönliches Medium betrachtete, war das Ahnenerbe gezwungen, mit Wiligut, dessen bizarre Gedankenwelt keinerlei Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben konnte, zusammenzuarbeiten.

 
„Heinrichsfeier“ 1938: Himmler legt einen Kranz am Grab von Heinrich I. in der Stiftskirche Quedlinburg ab. Die „Heinrichsfeiern“ wurden 1936 bis 1939 von der SS begangen, nachdem Archäologen des Ahnenerbes dort mit der Suche nach den Gebeinen Heinrichs I. begonnen hatten.

Vorkriegszeit

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Im Oktober 1936 wurde die „Pflegstätte für Germanenkunde“ in Detmold (Hermannsdenkmal) übernommen. Zur Pflegstätte gehörte auch der sogenannte „Führungsdienst Externsteine“, betreut durch Wilhelm Teudt. Diese Sandstein-Felsformationen wurden als „Kultstätte der Ahnen“ verehrt. Auch vermutete man dort den Ort einer Irminsäule, die von Karl dem Großen zerstört worden sei.

Gemäß Himmlers Befehl vom 11. August 1938 schieden Ende Oktober desselben Jahres alle mit wissenschaftlichen Forschungsfragen befassten Mitarbeiter aus dem Rasse- und Siedlungshauptamt aus. Die Abteilungsleiter wurden in den Persönlichen Stab Reichsführer-SS übernommen.[10] Einige Mitarbeiter arbeiteten nebenberuflich für das Ahnenerbe. Mit der Satzungsänderung des Ahnenerbes vom 20. März 1937 war es Himmler gelungen, den Einfluss Walther Darrés auf das Ahnenerbe auszuschalten. Dieser hatte über den Reichsnährstand das Ahnenerbe in den ersten Jahren erheblich mitfinanziert und seine Gewährsleute George Ebrecht, Richard Hintmann und Erwin Metzner im Ahnenerbe als einflussreiche Gründungsmitglieder platziert.

In der Satzung wurde ebenfalls Wirth aus der Führungsebene des Vereins verdrängt. Dessen spekulative und skurrile Ideen standen im Widerspruch zu dem angestrebten Ideal echter Wissenschaftlichkeit. Unter der Leitung von Wolfram Sievers als Reichsgeschäftsführer und Walther Wüst als Präsident (bis 1. Januar 1939) expandierte das Ahnenerbe beträchtlich. Es umfasste bald mehrere Dutzend Forschungsabteilungen. Hinzu kamen Fotolabore, ein Museum, eine Bildhauerwerkstatt sowie mehrere Bibliotheken und Archive in München, Salzburg und Detmold. Die Finanzierung und Auswertung von Ausgrabungen (u. a. im Quedlinburger Dom, wo die Gebeine Heinrichs I. gesucht wurden, in Haithabu durch Herbert Jankuhn) sowie von Expeditionen wie der Tibet-Expedition unter Leitung von Ernst Schäfer 1938 machte sich der Verein ebenso zur Aufgabe wie die Veranstaltung von Tagungen und Kongressen. Für die Grabungen von Haithabu wurde über die Hälfte des zur Verfügung stehenden Ausgrabungsetats verwendet.[11] Gleichzeitig versuchte man gemeinsam mit dem Sicherheitsdienst (SD) der SS Einfluss auf die offizielle Wissenschaftspolitik zu nehmen und die Besetzung von Lehrstühlen zu kontrollieren.

Aktivitäten während des Krieges

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Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs änderte sich die Ausrichtung des Ahnenerbes. Der Raub von Kulturgütern in den besetzten Gebieten wurde maßgeblich von hauptamtlichen Mitarbeitern organisiert. In den „germanischen“ Ländern Belgien, Dänemark, Niederlande und Norwegen warb man im Rahmen eines „Germanischen Wissenschaftseinsatzes“ Freiwillige für die Waffen-SS an. Parallel dazu versuchte man durch Projekte, die das vermeintlich gemeinsame germanische Erbe in den Mittelpunkt rückten, Autonomie- und Widerstandsbewegungen zu schwächen und stärker an das kommende Reich nach dem Krieg zu binden. Im Kontext der Option in Südtirol wirkte in den Jahren 1940–1943 eine vom Ahnenerbe geleitete Kulturkommission, die eine systematische Erhebung von materiellem und immateriellem Kulturgut vornahm.[12]

Institute bzw. Abteilungen des Ahnenerbes

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Bis 1943/44 waren die Abteilungen des Ahnenerbes in verschiedenem Ausmaße realisiert, einige nur geplant und weitere wieder aufgelöst oder umorganisiert worden, so dass sich für diese Zeit folgende Übersicht ergibt[13]:

Realisierte „Naturwissenschaftliche Lehr- und Forschungsstätten“

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Aus dem Ahnenerbe hervorgegangen

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Entomologisches Institut der Waffen-SS (1942 integriert in das Institut für wehrwissenschaftliche Zweckforschung)

Institut für Wehrwissenschaftliche Zweckforschung der Waffen-SS

  • Direktor: Wolfram Sievers

Arbeitende Abteilungen:

  • Abteilung R
    • Leiter: Sigmund Rascher
  • Abteilung P (entstanden aus Umbenennung und Fortführung der Abteilung R durch Plötner)
  • Abteilung H
    • Leiter: August Hirt
  • Abteilung Entomologisches Institut
    • Leiter: Eduard May
  • Abteilung L (formal nicht integriert, laut Reitzenstein eine faktische Abteilung)
    • Leiter: Philipp von Lützelburg

Bis 1944 nicht arbeitende und/oder im Aufbau befindliche Abteilungen:

  • Abteilung für Züchtungsforschung
    • Leiter: Ernst Schäfer
  • Karstwissenschaftliche Abteilung (laut Reitzenstein identisch mit Forschungsstätte für Karst- und Höhlenkunde, zur besseren Versorgung durch Sievers als „kriegswichtige Forschungsstelle“ auf dem Papier eingestuft)
    • Leiter: Hans Brand
  • Forschungsstätte für Pflanzengenetik
    • Leiter: Heinz Brücher

Realisierte „Geistes- und kulturwissenschaftliche Lehr- und Forschungsstätten“

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Bis 1944 wieder aufgelöste oder umorganisierte, neu eingegliederte Abteilungen

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Geplante, aber nicht nachgewiesene Abteilungen

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  • Abteilung für die gesamte Naturwissenschaft
  • Abteilung für Friesenkunde
  • Abteilung für germanische Kunst
  • Abteilung für indogermanisch-deutsche Musikwissenschaft
  • Abteilung für Philosophie
  • Abteilung zur Überprüfung der sogenannten Geheimwissenschaften
  • Abteilung für Urgeschichte
  • Abteilung für Volksmedizin

Menschenversuche

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Raum für medizinische Experimente, Seziertisch, KZ Natzweiler-Struthof

1942 wurde unter dem Dach des Ahnenerbes mit Mitteln der Waffen-SS das „Institut für wehrwissenschaftliche Zweckforschung“ gegründet.[16] Dieses Institut führte tödliche Menschenversuche an KZ-Häftlingen in den Konzentrationslagern Dachau und Natzweiler durch; einige der beteiligten Ärzte waren Mitglieder der Waffen-SS. Sigmund Rascher führte in Dachau Unterdruck- und Kälteexperimente durch, August Hirt in Natzweiler Experimente mit Kampfstoffen. Er selbst, bzw. sein Assistent Karl Kaspar Wimmer, experimentierten mit flüssigem Lost. Formal stand der mit gasförmigem Phosgen experimentierende Otto Bickenbach unter Hirts Leitung. Diese Menschenversuche waren auch Gegenstand des Nürnberger Ärzteprozesses.

Im Juni 1943 wählten die Anthropologen SS-Hauptsturmführer Bruno Beger und Hans Fleischhacker in Auschwitz 115 Häftlinge aus, darunter 109 Juden, und begannen diese zu vermessen. Beger zeigte sich enttäuscht, in Auschwitz nur vier Innerasiaten (sowjetische Kriegsgefangene) gefunden zu haben. Nachdem er aufgrund einer Fleckfieberepidemie aus Auschwitz abreiste, wurden 86 noch nicht ausgemessene Juden zum KZ Natzweiler-Struthof verschleppt und dort im August 1943 vom Lagerkommandanten Josef Kramer in einer eilig improvisierten Gaskammer mit einem Blausäurederivat ermordet.[17] Die Leichen wurden in die Anatomie der Reichsuniversität Straßburg verlegt, wo sie bei der Befreiung Straßburgs am 23. November 1944 als „Straßburger Schädelsammlung“ aufgefunden wurden.[18] Sievers behauptete beim Nürnberger Ärzteprozess, der Professor der Reichsuniversität Straßburg, August Hirt, habe für die Universität ein Museum mit toten Juden geplant und bestätigte so den Zeugen der Anklage, Henri Henripierre. Dieser hatte als Heinrich Heinzpeter für Hirt die Leichen konserviert und erhielt bis März 1945 von der SS monatliche Zahlungen. Beger stellte in seinen Arbeiten Zusammenhänge zwischen seinem Besuch in Auschwitz und seiner „Mongolenforschung“ her. Er hatte nie Judenforschung betrieben und war von 1938 bis 1945 ausschließlich mit dem Beweis der These Blumenbachs befasst, wonach der Ursprung der Europäer in Tibet liege. Lebensechte Dioramen, bis heute im Haus der Natur Salzburg ausgestellt, sollten den Besucher von Asien bis Nordeuropa führen.

Nürnberger Prozesse

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Die 23 Angeklagten im Nürnberger Ärzteprozess, 1946/47

Der Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher erklärte das „Ahnenerbe“ im Gegensatz zur SS nicht als verbrecherische Organisation.[19]

Nur Wolfram Sievers wurde als Reichsgeschäftsführer des Ahnenerbes im Nürnberger Ärzteprozess am 20. August 1947 zum Tode verurteilt und am 2. Juni 1948 in Landsberg hingerichtet. Sigmund Rascher war noch vor Kriegsende in Ungnade gefallen und am 26. April 1945 auf Anordnung Himmlers in Dachau hingerichtet worden.

Die meisten Mitarbeiter des Ahnenerbes fassten nach einer mehr oder weniger kurzen Karriereunterbrechung in ihrem Fachgebiet wieder Fuß. 1980 stand die Eröffnung eines Museums, mit dem Wirth seine Ideologie verbreiten wollte, kurz bevor. Erst ein Spiegel-Artikel, der Wirths Vergangenheit an die Öffentlichkeit brachte, konnte das Museum verhindern.[20] Dennoch findet das Gedankengut immer noch seine Anhänger.[21]

Warum Wissenschaftler so bereitwillig im Ahnenerbe mitgearbeitet haben, lässt sich nur mutmaßen. Dabei waren offenbar nicht alle überzeugte Nationalsozialisten, viele, wie der an zentraler Stelle forschende Eduard May, gehörten überhaupt keiner NS-Organisation an. Für viele mögen die umfangreichen Forschungsförderungen entscheidend gewesen sein, aber auch die Möglichkeit, Wissenschaft im Bereich der Archäologie, die umfassend finanziert wurden, zu betreiben; überdies dürfte die Forschung ohne behindernde ethische Grenzen anziehend gewirkt haben – wobei festzuhalten ist, dass es sich nur teilweise um Forschung im wissenschaftlichen Sinne handelte.

Pseudoarchäologie

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Nach dem Anthropologen Jeb J. Card sei das Ahnenerbe eine bizarre Forschungseinrichtung gewesen, die ein berüchtigter Dreh- und Angelpunkt für Fiktion, Pseudoarchäologie und Verschwörungstheorien war. Der Glaube an Runenmagie, übernatürliche Waffen, mystische Artefakte, den heiligen Gral und Atlantis hätte nach Card unmittelbar geholfen, Massenmord zu rechtfertigen.[22]

 
Fries des Sonnentores von Tiwanaku, anhand dessen Edmund Kiss die Einwanderung der Urarier datierte.

Ein Beispiel für die pseudoarchäologischen Aktivitäten der Einrichtung sind die Planungen von Ausgrabungen in Tiwanaku basierend auf den pseudowissenschaftlichen Vorstellungen von Edmund Kiss. Kiss erforschte Tiwanaku für die SS und war ein Vertreter der pseudowissenschaftlichen Welteislehre des Mathematik-hassenden Ingenieurs Hanns Hörbiger, welche das offizielle Dogma der SS darstellte.[23] Kiss erklärte Tiwanaku zu einer von nordisch-germanischen Menschen gegründeten Stadt, da er den indigenen Ureinwohnern nicht zutraute, solche imposante Bauwerke zu errichten. Die Einwanderung der Urarier datierte er anhand des Sonnentors auf einen Zeitpunkt vor mehreren Millionen Jahren.[24] Sein Buch Das Sonnentor von Tihuanaku und Hörbigers Welteislehre inspirierte populärwissenschaftliche Artikel in Naziveröffentlichungen, wie zum Beispiel dem offiziellen Magazin der Hitlerjugend. Die Veröffentlichung dieses Buches brachte Kiss die Aufmerksamkeit von Heinrich Himmler. Himmler war so begeistert von Kiss’ Theorien, dass er eine ledergebundene Kopie von Das Sonnentor von Tihuanaku und Hörbigers Welteislehre Adolf Hitler zu Weihnachten schenkte. Kiss hatte die Absicht, seine Forschungen in Südamerika mit einer zwanzigköpfigen Ahnenerbe-Forschergruppe fortzuführen.[25] Von den Ausgrabungen erhoffte er sich Belege für eine Herrenrasse zu finden, die seiner Ansicht nach einst Amerika bevölkert hatte. Die geplante Expedition stimmte Himmler und Wüst derart enthusiastisch, dass Wüst Forschungsresultate erwartete, von denen er glaubte, sie könnten eine revolutionäre Wichtigkeit für die Geschichte der Menschheit haben.[26] Schließlich wurde die Expedition aufgrund des deutschen Überfalls auf Polen auf unbestimmte Zeit verschoben, Kiss schloss sich der Waffen-SS an und wurde Kommandant der Wache von Hitlers Hauptquartier Wolfschanze.[27]

Aufarbeitung und Rezeption

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Wissenschaftsgeschichtlich wurde die Tätigkeit des SS-Ahnenerbes vor allem dank der Arbeiten von Michael H. Kater seit den 1960er Jahren im Detail aufgearbeitet. Dabei wurde erstmals der breite personelle Unterbau sichtbar, auf den sich die „wissenschaftliche“ Tätigkeit der Einrichtung stützen konnte. Viele der in die Aktivitäten des Ahnenerbes verstrickten Intellektuellen konnten nach 1945 ihre Karrieren ungehindert fortsetzen und dabei oftmals sogar auf ihre Feldforschungen im Kontext des Krieges zurückgreifen.

Eine künstlerisch orientierte Aufarbeitung gelang seit 2014 dem irischen Künstler Gareth Kennedy, der die intensive Tätigkeit des SS-Ahnenerbes in Südtirol – im Zusammenhang der sogenannten Option – zum Ausgangspunkt seiner auf Aufklärung der Motive gerichteten Bestrebungen machte.[28]

Siehe auch

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  • David Korn-Brzoza: Blut und Boden. Nazi-Wissenschaft. Frz. Originaltitel Sciences Nazies. La Race, le sol et le sang. Dokumentation. Arte France, 2017. 1:37 min.[29]

Literatur

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  • Julien Reitzenstein: Himmlers Forscher. Wehrwissenschaft und Medizinverbrechen im 'Ahnenerbe' der SS. 1. Auflage. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2014, ISBN 978-3-506-76657-1, Rezension Rezension Rezension.
  • Julien Reitzenstein: Das SS-Ahnenerbe und die »Straßburger Schädelsammlung« – Fritz Bauers letzter Fall. Duncker&Humblot, Berlin, 2018, ISBN 978-3-428-15313-8.
  • Michael H. Kater: Das „Ahnenerbe“ der SS 1935–1945. Ein Beitrag zur Kulturpolitik des Dritten Reiches. 4. Auflage. Oldenbourg, München 2006, ISBN 978-3-486-57950-5, (Studien zur Zeitgeschichte 6), (Teilw. zugl.: Heidelberg. Univ., Diss., 1966), (Volltext bei der BSB, doi:10.1524/9783486594683.
  • Heather Pringle: The Master Plan. Hachette Books, 2006, ISBN 1-4013-8386-6 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche), (englisch)
  • Sven Devantier, Claudia Schmidt: Bundesarchiv Forschungs- und Lehrgemeinschaft „Das Ahnenerbe“. NS 21, 1865–1945. Berlin, Datenbank über Schriften, Aktionen und Korrespondenz Online (Stand April 2010 bei Abruf am 4. Juli 2014).
  • Volker Koop: Himmlers Germanenwahn. Die SS-Organisation Ahnenerbe und ihre Verbrechen. be.bra verlag, Berlin 2012, ISBN 978-3-89809-097-1.
  • Hans-Joachim Lang: Die Namen der Nummern. Wie es gelang, die 86 Opfer eines NS-Verbrechens zu identifizieren. Überarbeitete Ausgabe. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-596-16895-8 (Fischer. Die Zeit im Nationalsozialismus. 16895), Inhalt, (Erstausgabe: Hoffmann und Campe, Hamburg 2004, ISBN 3-455-09464-3), (siehe zu den 86 Opfern auch: Weblinks).
  • Hans-Joachim Lang: Eine Schädelstätte moderner Forschung. In: FAZ, 20. Februar 2019, Nr. 43, S. N 3.
  • Isabel Heinemann: „Rasse, Siedlung, deutsches Blut“. Das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS. Wallstein, Göttingen 1999, ISBN 3-89244-623-7 (Abschnitt I: „Vom Rassenamt der SS… 1932–1938“, Unterabschnitt „Germanenforschung und Ausbau der ideologischen Grundlagen: Der Verein Ahnenerbe“ S. 88 ff.)
  • Wolfgang Kaufmann: Das Dritte Reich und Tibet. Die Heimat des „östlichen Hakenkreuzes“ im Blickfeld der Nationalsozialisten. 2. korrigierte und ergänzte Auflage, Ludwigsfelder Verlagshaus 2010, ISBN 978-3-933022-58-5 (das Buch behandelt vor allem die Tibetforschung usw. im Rahmen der „Ahnenerbe“-Lehr- und Forschungsstätte für Innerasien und Expeditionen).
  • Peter Meier-Hüsing: Nazis in Tibet – Das Rätsel um die SS-Expedition Ernst Schäfer. Theiss 2017, ISBN 978-3-8062-3438-1.
  • Uwe Puschner, Clemens Vollnhals (Hrsg.): Die völkisch-religiöse Bewegung im Nationalsozialismus. Eine Beziehungs- und Konfliktgeschichte. Reihe: Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung, Bd. 47, Göttingen 2012.
  • Malte Gasche: Zum Konzept der „Germanenkunde“ im Ahnenerbe der SS. In: Ethnographisch-archäologische Zeitschrift. Band 47, 2006, S. 127–135.
  • Malte Gasche: Der „Germanische Wissenschaftseinsatz“ des „Ahnenerbes“ der SS 1942–1945. Zwischen Vollendung der „völkischen Gemeinschaft“ und dem Streben nach „Erlösung“, Bonn (Habelt) 2014. ISBN 978-3-7749-3880-9
  • James R. Dow: Angewandte Volkstumsideologie. Heinrich Himmlers Kulturkommissionen in Südtirol und der Gottschee. StudienVerlag, Innsbruck/Wien/Bozen 2018, ISBN 978-3-7065-5640-8.
  • Christoph Weyer: Gregorianik unterm Hakenkreuz. Vier Türme Verlag, Münsterschwarzach 2019, ISBN 978-3-89680-601-7.
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Einzelnachweise

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  1. Amtsgericht Charlottenburg von Berlin, Vereinsregister, 95 VR 7996, Registerblatt. (Der Verein ist in dieser oben genannten amtlichen Schreibweise eingetragen worden. Bei Kater, Ahnenerbe, S. 11, findet sich hingegen die Schreibweise „Studiengesellschaft für Geistesurgeschichte ‚Deutsches Ahnenerbe‘ “. Diese hat sich vermutlich als Kopierfehler in der Literatur verbreitet.)
  2. Julien Reitzenstein: Das SS-Ahnenerbe und die „Straßburger Schädelsammlung“ – Fritz Bauers letzter Fall. Duncker&Humblot, Berlin 2018, ISBN 978-3-428-15313-8, S. 39.
  3. Julien Reitzenstein: Himmlers Forscher. Wehrwissenschaft und Medizinverbrechen im „Ahnenerbe“ der SS. Schöningh, Paderborn 2014, ISBN 978-3-506-76657-1, S. 34.
  4. Julien Reitzenstein: Himmlers Forscher. Wehrwissenschaft und Medizinverbrechen im „Ahnenerbe“ der SS. Schöningh, Paderborn 2014, ISBN 978-3-506-76657-1, S. 263 f.
  5. Julien Reitzenstein: Himmlers Forscher. Wehrwissenschaft und Medizinverbrechen im „Ahnenerbe“ der SS. Schöningh, Paderborn 2014, ISBN 978-3-506-76657-1, S. 267.
  6. René Gründer: Germanisches (Neu-)Heidentum in Deutschland: Entstehung, Struktur und Symbolsystem eines alternativ-religiösen Feldes. Logos, Berlin 2008.
  7. Ernst Klee: Deutsche Medizin im Dritten Reich. Karrieren vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2001, ISBN 3-10-039310-4, S. 168, Anm. 58.
  8. Was will das Deutsche Ahnenerbe? vom Januar 1936, in: Michael H. Kater: Das „Ahnenerbe“ der SS 1935–1945 (Studien zur Zeitgeschichte). Oldenbourg Verlag, München 1997, S. 53f.
  9. Julien Reitzenstein: Himmlers Forscher. Wehrwissenschaft und Medizinverbrechen im „Ahnenerbe“ der SS. Schöningh, Paderborn 2014, ISBN 978-3-506-76657-1, S. 270 ff.
  10. Julien Reitzenstein: Das SS-Ahnenerbe und die »Straßburger Schädelsammlung« – Fritz Bauers letzter Fall. Duncker&Humblot, Berlin 2018, ISBN 978-3-428-15313-8, S. 179.
  11. Henning Bleyl: Wikinger jetzt nazifrei. Online auf www.taz.de vom 1. März 2013, abgerufen am 2. März 2013.
  12. Dow, James R.: In Search of All Things Nordic, in South Tyrol (Italy): The SS Ancestral Inheritance’s Cultural Commission 1940–1943. In: Journal of American Folklore 127 (2014), S. 365–399; ders.: Angewandte Volkstumsideologie. Heinrich Himmlers Kulturkommissionen in Südtirol und der Gottschee. Studienverlag, Innsbruck-Wien-Bozen 2018.
  13. Franz Januschek: Politische Sprachwissenschaft: Zur Analyse von Sprache als kultureller Praxis, Verlag für Sozialwissenschaften, 1985, ISBN 3-531-11719-X.
  14. Nationalsozialismus in den Kulturwissenschaften: Fächer, Milieus, Karrieren, hrsg. v. Hartmut Lehmann, Otto Gerhard Oexle, Vandenhoeck und Ruprecht Verlag, Göttingen, 2004, ISBN 978-3-525-35198-7.
  15. Mathias Schmoeckel (Hrsg.): Die Juristen der Universität Bonn im „Dritten Reich“. Böhlau, Köln/Weimar/Wien 2004, ISBN 3-412-12903-8, S. 175.
  16. Michael H. Kater ab S. 227.
  17. zeitgeschichte: Skelette für Straßburg. In: Die Zeit. 19. August 2004, ISSN 0044-2070 (zeit.de [abgerufen am 25. Januar 2018]).
  18. Julien Reitzenstein: Das SS-Ahnenerbe und die „Straßburger Schädelsammlung“ – Fritz Bauers letzter Fall. Duncker&Humblot, Berlin 2018, ISBN 978-3-428-15313-8.
  19. Thomas Brünner: Das „Ahnenerbe“ der SS. Lebendiges Museum Online, 14. September 2007.
  20. Schenkel der Göttlichen. In: Der Spiegel. Nr. 40, 1980 (online29. September 1980).
  21. Gemeinnützige Gesellschaft für europäische Urgeschichte
  22. Jeb J. Card: Spooky archaeology: Myth and the science of the past. University of New Mexico Press (2018), S. 120.
  23. Jeb J. Card: Spooky archaeology: Myth and the science of the past. University of New Mexico Press (2018), S. 123.
  24. Wulff E. Brebeck (Hrsg.): Endzeitkämpfer. Ideologie und Terror der SS. (= Schriftenreihe des Kreismuseums Wewelsburg. Band 8) Begleitband zur ständigen Ausstellung „Ideologie und Terror der SS“ in der „Erinnerungs- und Gedenkstätte Wewelsburg 1933–1945“ des Kreismuseums Wewelsburg, Deutscher Kunstverlag, Berlin 2011, ISBN 978-3-422-02327-7, zitiert nach Hermann Ritter, Johannes Rüster, Dierk Spreen, Michael Haitel: Heute die Welt-morgen das ganze Universum: Rechtsextremismus in der deutschen Gegenwarts-Science-Fiction| Science-Fiction und rechte Populärkultur (2016)
  25. Jeb J. Card: Spooky archaeology: Myth and the science of the past. University of New Mexico Press (2018), S. 124
  26. Heather Pringle: The Master Plan: Himmler's Scholars and the Holocaust, Hyperion, New York, 2006, ISBN 978-1-4013-8386-2.
  27. Jeb J. Card: Spooky archaeology: Myth and the science of the past. University of New Mexico Press (2018), S. 124.
  28. Gareth Kennedy: Die Unbequeme Wissenschaft (The Uncomfortable Science). In: Georg Grote, Hannes Obermair (Hrsg.): A Land on the Threshold. South Tyrolean Transformations, 1915–2015. Peter Lang, Oxford-Bern-New York 2017, ISBN 978-3-0343-2240-9, S. 239–256.
  29. Oliver Jungen: Der akademische Sündenfall. FAZ, 28. Mai 2019.