Geschlossener Jugendwerkhof Torgau

Disziplinareinrichtung im System der Spezialheime der Jugendhilfe in der DDR.
(Weitergeleitet von GJWH)

Der Geschlossene Jugendwerkhof Torgau (GJWH) war eine Disziplinareinrichtung im System der Spezialheime der Jugendhilfe in der DDR. Er unterstand direkt dem Ministerium für Volksbildung. Leiter der Anstalt in Torgau waren von 1964 bis 1968 Günther Lehmann und von 1968 bis 1989 Horst Kretzschmar.[1]

Gebäudekomplex des Geschlossenen Jugendwerkhofs Torgau (2012)
Verwaltungsgebäude, heute Gedenkstätte
Schleusenbereich mit Erinnerungsstelen und Zellentrakt

In den geschlossenen Jugendwerkhof wurden laut Anordnung vom 22. April 1965 Insassen von Jugendwerkhöfen und Spezialkinderheimen im Alter von 14 bis 20 Jahren eingewiesen, welche die Heimordnung „vorsätzlich schwerwiegend und wiederholt verletzen“.[2]

Geschichte

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Der GJWH Torgau wurde am 1. Mai 1964 eröffnet, wobei weitgehend die Einrichtung des vormaligen Jugendgefängnisses übernommen wurde. Der Gebäudekomplex war von ca. fünf Meter hohen Mauern umgeben, die zusätzlich mit Stacheldraht und Glasscherben gesichert waren. Einer der beiden Höfe war mit einer Sturmbahn ausgestattet. In den Gebäuden befanden sich vergitterte Aufenthalts- und Schlafräume, Produktionsstätten sowie Arrest- und Dunkelzellen.

Die Aufgabe des GJWH bestand darin, die Bereitschaft der Insassen zu erzeugen, sich widerspruchslos allen zukünftigen Maßnahmen der Umerziehung unterzuordnen. Der ehemalige Leiter Horst Kretzschmar beschrieb dies als „Anbahnung der Umerziehungsbereitschaft“.[3] Militärischer Drill, ein rigides Strafsystem, monotone körperliche Arbeit und ideologische Schulung sollten denjenigen Jugendlichen, die in den Spezialheimen durch mehrfache Ausbrüche oder Widerstand gegen die dortige Umerziehung aufgefallen waren, den Willen zu jeder Widersetzlichkeit nehmen. Infolge der unerträglichen Lebensverhältnisse, gezielten Demütigungen und körperlichen Misshandlungen kam es zu einer Reihe von Selbstmorden und Selbstverstümmelungen, deren Anzahl bis heute nicht endgültig festgestellt werden konnte.[4] Den letzten vollzogenen Suizid registrierte die Staatssicherheit am 29. April 1988.[5] Bis zur Schließung am 17. November 1989 durchliefen mehr als 4000 Jugendliche die Anstalt, die jeweils 40 männliche und 20 weibliche Insassen aufnehmen konnte.

Torgau galt als einziger geschlossener Jugendwerkhof der DDR.[6]

Verantwortlich für den Aufbau des Jugendwerkhofs war Eberhard Mannschatz, in einem Raum der Gedenkstätte hängt sein Porträt zusammen mit denen der anderen Verantwortlichen: Heimleiter und Margot Honecker.[7]

Historische und juristische Aufarbeitung

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Im ehemaligen Verwaltungsgebäude des GJWH befindet sich heute die Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau. Der Gefängnistrakt wurde zu einer Wohnanlage umgestaltet. Eine Dauerausstellung in den unteren Räumen der Gedenkstätte zeigt anhand von Dokumenten und Zeitzeugenberichten den Alltag im GJWH. Sie weist darüber hinaus auf die Geschichte der repressiven Heimerziehung in der Deutschen Demokratischen Republik sowie in ganz Europa hin. Zu den Aufgaben der Gedenkstätte gehört es weiterhin, einen breiten Austausch zwischen den Betroffenen zu ermöglichen, unter denen viele an posttraumatischen Belastungsstörungen, körperlichen und seelischen Schädigungen leiden. Getragen wird die Arbeit durch die 1996 gegründete Initiativgruppe Geschlossener Jugendwerkhof Torgau e. V. Der Verein finanziert sie durch jährlich neu zu beantragende Projektmittel vorwiegend des Landes Sachsen und des Beauftragten für Kultur und Medien der Bundesregierung.

Obwohl bereits einige Untersuchungen vorliegen (vgl. Literatur), ist die wissenschaftliche Erforschung des GJWH Torgau noch nicht abgeschlossen.

Im Dezember 2004 erklärte das Kammergericht Berlin, dass die Einlieferung in den GJWH Torgau grundsätzlich rechtsstaatswidrig war. Grundlage dafür waren die haftähnlichen Bedingungen in der Anstalt, denen aber keine rechtskräftige Verurteilung der Eingewiesenen vorausging. Ehemalige Insassen haben daher Anspruch auf Entschädigung. Zuvor müssen sie sich vom zuständigen Landgericht strafrechtlich rehabilitieren lassen.[8]

Laut der Psychologin Beate Mitzscherlich, die Kinderheime und Werkhöfe untersuchte, war sexueller Missbrauch ein „normaler Teil der Heimerziehung“.[9] Der Heimleiter und ein Wächter vergingen sich regelmäßig an den Mädchen.[10]

Die Arbeit der Initiativgruppe Geschlossener Jugendwerkhof Torgau e. V. wurde 2015 von Bundespräsident Joachim Gauck durch die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an die Vorsitzende, Gabriele Beyler, und ihre Stellvertreterin, Bettina Klein, gewürdigt.[11]

Literatur

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  • Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg (Hrsg.): Einweisung nach Torgau. Texte und Dokumente zur autoritären Jugendfürsorge in der DDR, Band 4. BasisDruck Verlag, Berlin 1997, ISBN 3-86163-089-3.
  • Verena Zimmermann: „Den neuen Menschen schaffen“. Die Umerziehung von schwererziehbaren und straffälligen Jugendlichen in der DDR (1945–1990). Böhlau Verlag, Köln, Weimar, Wien 2004, ISBN 3-412-12303-X.
  • Andreas Gatzemann: Die Erziehung zum „neuen“ Menschen im Jugendwerkhof Torgau. LIT Verlag, Münster 2008, ISBN 978-3-8258-1599-8. (= Der Jugendwerkhof Torgau. Das Ende der Erziehung. LIT Verlag, Münster 2009, ISBN 978-3-8258-1996-5.)
  • Heidemarie Puls: Schattenkinder hinter Torgauer Mauern. Rinck Verlag, Rostock 2009, ISBN 978-3-9811262-3-5.
  • Daniel Krausz: Jugendwerkhöfe in der DDR. Der Geschlossene Jugendwerkhof Torgau. Diplomica Verlag, Hamburg 2010, ISBN 978-3-8366-8617-4.
  • Grit Poppe: Weggesperrt. Oetinger Taschenbuch Verlag, Hamburg 2011, ISBN 978-3-8415-0056-4.
  • Grit Poppe: Abgehauen. Oetinger Taschenbuch Verlag, Hamburg 2015, ISBN 978-3-8415-0329-9
  • Grit Poppe / Niklas Poppe: Die Weggesperrten: Umerziehung in der DDR – Schicksale von Kindern und Jugendlichen. Propyläen Verlag, Berlin 2021, ISBN 978-3-549-10040-0[12]
  • Grit Poppe: Rabenkinder. Die Akte Torgau. Ullstein Verlag, Berlin 2022, ISBN 978-3-548-06655-4[13]
  • Nicole Glocke: Erziehung hinter Gittern. Schicksale in Heimen und Jugendwerkhöfen der DDR. Mitteldeutscher Verlag, Halle 2011, ISBN 978-3-89812-782-0.
  • Kerstin Gueffroy: Die Hölle von Torgau. Wie ich die Heimerziehung der DDR überlebte. Unter Mitarbeit von Carsten Tergast. Orell Füssli Verlag 2015, ISBN 978-3-280-05593-9
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Einzelnachweise

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  1. Andreas Förster: Torgau: Ein faschistischer Fleck. In: Berliner Zeitung. (berliner-zeitung.de [abgerufen am 9. September 2018]).
  2. §2, Abs. 3 der Anordnung über die Spezialheime der Jugendhilfe vom 22. April 1965.In: GBl. der DDR II Nr. 53 vom 17. Mai 1965, S. 368.
  3. Horst Kretzschmar: Die Entwicklung des Jugendwerkhofs Torgau und die sozialpädagogische Aufgabenstellung (Diplomarbeit); hrsg. von der Humboldt-Universität, Berlin 26. Januar 1972, S. 21.
  4. Andreas Gatzemann: Der Jugendwerkhof Torgau. Das Ende der Erziehung. Lit Verlag, Münster 2009, S. 55 ff.
  5. Meldung vom 6. Mai 1988: Suizid eines Insassen des Geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau am 29. April 1988. In: BStU MfS HA XX Nr. 9205.
  6. Archivierte Kopie (Memento vom 7. November 2017 im Internet Archive)
  7. Lydia Rosenfelder: Stalins Vermächtnis im Herzen. In: FAZ.net. 21. April 2012, abgerufen am 28. Januar 2024.
  8. Aktenzeichen 5 Ws 169/04 REHA; Kammergericht Berlin, 5. Senat für Rehabilitierungssachen.
  9. Frank Bachner: Sexueller Missbrauch in der DDR: Der Schrecken von Torgau. In: tagesspiegel.de. 6. März 2019, abgerufen am 31. Januar 2024.
  10. Lydia Rosenfelder: Stalins Vermächtnis im Herzen. In: FAZ.net. 21. April 2012, abgerufen am 28. Januar 2024.
  11. Verdienstorden für Beyler und Klein am Vorabend des Tages der Deutschen Einheit.
  12. Die Weggesperrten – Hardcover. (ullstein.de [abgerufen am 30. Mai 2023]).
  13. Rabenkinder – Taschenbuch. (ullstein.de [abgerufen am 30. Mai 2023]).

Koordinaten: 51° 33′ 22″ N, 13° 0′ 32,8″ O