Hieratische Schrift

linksläufige altägyptische Schrift um die Zeitenwende 3000 v. bis 300 n. Chr.
(Weitergeleitet von Hieratik)

Die hieratische Schrift (von altgriechisch ἱερατικός hieratikós ‚geweiht‘, ‚heilig‘, auch: ‚priesterlich‘) ist eine mit den Hieroglyphen eng zusammenhängende Kursivschrift, die ab dem 3. Jahrtausend v. Chr. in Ägypten bis in die Mitte des 1. Jt. n. Chr. verwendet wurde und die als eigentliche Schrift des alten Ägypten gelten darf. Dies zeigt sich sowohl an der Hieroglyphe für Schrift, die aus dem Schreibgerät für die Handschrift besteht, als auch daran, dass das Hieratische bis in die Römerzeit als erste Schriftart gelehrt wurde. Geschrieben wurde mit einem Pflanzenstängel (Binse) und Rußtusche auf verschiedenen Materialien: Papyrus, Ostraka aus Kalkstein oder Ton, Leinen, Leder, stuckierte Holztafeln, Stelen, Grab- oder Tempelwände u. a. m. Es finden sich auch in Stein geritzte hieratische Texte. Die hieratische Schrift konnte im Gegensatz zu den Hieroglyphen immer nur von rechts nach links geschrieben werden. Sie blieb in ihrer Grundstruktur unverändert, es entwickelten sich aber im Laufe der Zeit unterschiedliche Zeichenformen und Schreibgewohnheiten, die mitunter abhängig von Textgattung, Funktion, Kontext oder persönlicher Vorliebe waren.

Papyrus Edwin Smith in hieratischer Schrift (um 1550 v. Chr.)

Entwicklung

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Das Alte Ägypten
Zeitleiste
Vorgeschichte: vor 4000 v. Chr.
Prädynastische Zeit: ca. 6000–3032 v. Chr.
0. Dynastie
Frühdynastische Zeit: ca. 3032–2707 v. Chr.
1. bis 2. Dynastie
Altes Reich: ca. 2707–2216 v. Chr.
3. bis 6. Dynastie
Erste Zwischenzeit: ca. 2216–2137 v. Chr.
7. bis 11. Dynastie
Mittleres Reich: ca. 2137–1781 v. Chr.
11. bis 12. Dynastie
Zweite Zwischenzeit: ca. 1648–1550 v. Chr.
13. bis 17. Dynastie
Neues Reich: ca. 1550–1070 v. Chr.
18. bis 20. Dynastie
Dritte Zwischenzeit: ca. 1070–664 v. Chr.
21. bis 25. Dynastie
Spätzeit: ca. 664–332 v. Chr.
26. bis 31. Dynastie
Griechisch-römische Zeit: 332 v. Chr. bis 395 n. Chr.
Daten nach Stan Hendrickx und Jürgen von Beckerath
Zusammenfassung
Geschichte des Alten Ägypten

Anfänge (2850–2700 v. Chr.)

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Die älteste Tuscheschrift ist bereits in der prähistorischen Epoche Naqada IIIB belegt. Papyrusmaterial sowie Schreibgerät sind schon aus der 1. Dynastie bekannt. Von Frühhieratisch wird in der Forschung aber erst ab der 2. Dynastie gesprochen.[1]

Althieratisch (2700–2100 v. Chr.)

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Die ältesten beschrifteten Papyri stammen aus der Zeit der 4. Dynastie unter Cheops (Papyrus Jarf A und B) und enthalten hieratische, aber auch (kursiv-)hieroglyphische Zeichen. Zu dieser Zeit wurde das Hieratische in senkrechten Kolumnen geschrieben, die von rechts nach links auf dem Papyrusblatt angeordnet waren. Es treten bereits auch Ligaturen auf, d. h. zwei oder mehr Einzelzeichen wurden miteinander verbunden.

 
Papyrus Berlin P. 9010 (6. Dynastie)

Mittelhieratisch (2100–1550 v. Chr.)

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Als Mittelhieratisch wird die Schrift bezeichnet, die etwa ab der 12. Dynastie im Mittleren Reich und der Zweiten Zwischenzeit sowie teilweise noch im Neuen Reich benutzt wurde. In der 12. Dynastie vollzog sich der Übergang von Spalten zu Zeilen, die untereinander in der Form von Kolumnen angeordnet wurden. Im späteren Mittelhieratisch teilt sich die hieratische Schrift erstmals in zwei verschiedene Typen:

  • eine abkürzende Schrift für den Geschäftsgebrauch, die Kanzleischrift (oder auch Kursive),
  • eine sorgfältigere, geschwungene Buchschrift, die sog. Unziale.

Bildbeispiel: Papyrus Edwin Smith (16.–17. Dynastie)

Hieratisch der 18. Dynastie und Neuhieratisch der 19.–20. Dynastie (1550–1100 v. Chr.)

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In der Buchschrift werden jetzt in literarischen Texten häufig rote Gliederungspunkte verwendet. Überschriften, besondere Textstellen oder Zahlen werden mit roter Farbe hervorgehoben. Mit Beginn der 18. Dynastie, aber auch noch später, wurde die hieratische Schrift häufig für Tuschegraffiti (Dipinti) verwendet, mit denen Schreiber ihre Besuche in alten oder bedeutenden Bauwerken dokumentierten. Zahlreiche Quellen von Papyri und Ostraka der 19. und 20. Dynastie stammen aus dem Arbeiterdorf Deir el-Medina, worunter sich auch Hinweise auf den Schulunterricht finden.

 
Ostrakon Berlin P. 11288 (19. Dynastie)
 
Papyrus Berlin P. 10498 (20. Dynastie)

Späthieratisch (1100 v. Chr. – 4. Jh. n. Chr.)

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Die Kanzleischrift verkürzte sich zum Ende des Neuen Reiches immer weiter, ab der Dritten Zwischenzeit bezeichnet man deren oberägyptische Variante als Kursivhieratisch bzw. Abnormhieratisch. Diese spezielle Schriftform wird ab dem 7. Jh. v. Chr. von der demotischen Schrift, die sich in Unterägypten entwickelte, verdrängt. Ab der 21. Dynastie wird daneben die sogenannte späthieratische Buchschrift für religiöse, funeräre und literarische Texte verwendet. Sie bleibt neben der demotischen Kursivschrift bis in Römerzeit in Gebrauch.

 
Papyrus Hannover, Kestner Museum 3454 (Ptolemäerzeit)

Forschungsgeschichte

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Der Entdecker des Hieratischen ist Jean-François Champollion. 1821, ein Jahr vor der Entzifferung der Hieroglyphen, erkannte er das Hieratische als eine Schriftsprache. Adolf Erman wies bei den Märchen des Papyrus Westcar 17 verschiedene Handschriften nach und lieferte einen Anstoß zu Georg Möllers vierbändiger Hieratischen Paläographie (1909–1936), die lange als Standardwerk galt. Das langfristig angelegte Mainzer Akademievorhaben Altägyptische Kursivschriften erarbeitet seit 2015 unter anderem erstmals eine digitale Paläographie.[2]

Parallelen und Unterschiede zu Hieroglyphen

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Hieroglyphische und hieratische Schrift beeinflussten sich gegenseitig; die Verbindung war zu jeder Zeit erkennbar. Fast alle hieratischen Zeichen (ausgenommen Ligaturen) haben eine hieroglyphische Entsprechung. Bei einigen Zeichen ist dies auf den ersten Blick erkennbar (besonders Mensch- und Tierhieroglyphen), bei anderen fällt dies schwerer. Komplizierte Zeichen werden vermieden oder vereinfacht. Die Lesbarkeit wird aber unterstützt beziehungsweise erleichtert durch zunehmende phonetische Komplementierung und Determinierung mit weiteren Zeichen. Sowohl einzelne hieratische Zeichen und Abkürzungen als auch die Tendenz zur Komplementierung wurde zum Teil in die hieroglyphischen Inschriften übernommen, die ja in der Regel auf hieratisch geschriebenen Vorlagen basierten.

Während die Hieroglyphen sich in der Schreibrichtung an die Ausrichtung oder Symmetrie von Bildern anpassen können (von oben nach unten, von rechts nach links, von links nach rechts), kann das Hieratische immer nur von rechts nach links geschrieben werden.

bei Wikipedia nur Darstellung in dieser Ausrichtung möglich
Hieroglyphen Hieratisch Zeichennummer nach Gardiner-Liste
A1
  A1
D4
  D4
F4
  F4
N35
  N35
V31
  V31
Z2
  Z2

Bearbeiten hieratischer Schriftstücke

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Für die wissenschaftliche Bearbeitung werden hieratische Texte in der Regel zunächst faksimiliert, wobei die Schriftzeichen (auf dem Original oder einem Foto) per Hand auf Transparentpapier und/oder auf digitalem Weg am Bildschirm abgezeichnet werden. Danach erfolgt die Übertragung in Standardhieroglyphen sowie Übersetzung und Kommentierung.

Die Einzelzeichen des Hieratischen verändern sich im Laufe der Zeit, was in Paläographien erfasst wird. Es lassen sich bei eingehender Analyse auch Idiosynkrasien einzelner Schreiberpersonen und wechselnde Schreiberhände innerhalb eines Textes identifizieren. Interessant sind auch wiederverwendete Papyri, die mehrere Schichten von Beschriftung enthalten. Die Schreiber hinterließen häufig Randbemerkungen, Korrekturen, Ergänzungen oder Streichungen und kombinierten Hieratisch mit Hieroglyphen und/oder Demotisch.

Literatur

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  • Georg Möller: Hieratische Paläographie. Die aegyptische Buchschrift in ihrer Entwicklung von der fünften Dynastie bis zur römischen Kaiserzeit. 3 Bände. Hinrichs, Leipzig 1909 / 2. Auflage, Hinrichs, Leipzig 1936, Band 4 (Ergänzungsheft zu Band I und II), Hinrichs, Leipzig 1936 (Digitalisat).
  • Hans Goedicke: Old Hieratic Paleography. Halgo, Baltimore 1988, ISBN 0-9613805-4-3.
  • Stefan Wimmer: Hieratische Paläographie der nicht-literarischen Ostraka der 19. und 20. Dynastie. Harrassowitz, Wiesbaden 1995, ISBN 3-447-03776-8.
  • Ursula Verhoeven: Untersuchungen zur späthieratischen Buchschrift (= Orientalia Lovaniensia analecta. Band 99). Peeters, Leuven 2001, ISBN 90-429-0932-3.
  • Ilona Regulski: The Beginning of Hieratic Writing in Egypt. In: Studien zur Altägyptischen Kultur. Band 38. Buske, 2009, ISSN 0340-2215, S. 259–274 (online).
  • Ursula Verhoeven: Stand und Aufgaben der Erforschung des Hieratischen und der Kursivhieroglyphen. In: Ursula Verhoeven (Hrsg.): Ägyptologische „Binsen“-Weisheiten I–II. Neue Forschungen und Methoden der Hieratistik. Steiner, Stuttgart 2015, ISBN 978-3-515-11127-0, S. 23–63 (Open Access).
  • Svenja A. Gülden, Kyra van der Moezel, Ursula Verhoeven (Hrsg.): Ägyptologische „Binsen“-Weisheiten III. Formen und Funktionen von Zeichenliste und Paläographie. Steiner, Stuttgart 2018, ISBN 978-3-515-12265-8 (Open Access).
  • Svenja A. Gülden, Celia Krause, Ursula Verhoeven: Digital Palaeography of Hieratic. In: Vanessa Davies, Dimitri Laboury (Hrsg.): The Oxford Handbook of Egyptian Epigraphy and Palaeography. Oxford 2020, doi:10.1093/oxfordhb/9780190604653.013.42 (online).
  • Hans-Werner Fischer-Elfert: Grundzüge einer Geschichte des Hieratischen (= Einführungen und Quellentexte zur Ägyptologie. Band 14). 2 Teilbände, Lit, Berlin / Münster 2021, ISBN 978-3-643-15014-1.
  • Ursula Verhoeven: Hieratic. In: Andréas Stauder, Willeke Wendrich (Hrsg.): UCLA Encyclopedia of Egyptology. 2023, ISSN 2693-7425, doi:10.5070/G9.4138 (englisch).

Einzelnachweise

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  1. Ilona Regulski: The Beginning of Hieratic Writing in Egypt. In: Studien zur Altägyptischen Kultur. Band 38, 2009, S. 259–274.
  2. Altägyptische Kursivschriften. Auf: aku.uni-mainz.de; abgerufen am 24. Oktober 2020.
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Commons: Hieratische Schrift – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien