Lübecker Kreuzweg

Wallfahrtsweg in Lübeck, Deutschland
(Weitergeleitet von Jerusalemsberg)

Der Lübecker Kreuzweg ist einer der ältesten seiner Art in Deutschland und wird seit 1994 wieder begangen. Von den gegen Ende des 15. Jahrhunderts geschaffenen, ehemals sieben Stationen des 1650 Meter langen Weges sind nur noch die erste und letzte, Anfang und Ende des Kreuzweges erhalten.

Der Jerusalemsberg, Ende des Kreuzweges, mit Kreuzigungsdarstellung
Der Beginn des Lübecker Kreuzweges mit der Darstellung „Christus vor Pilatus“ (an der Jakobikirche)

Entstehung

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Nach der Überlieferung der bis 1619 entstandenen Rehbein-Chronik reiste der Lübecker Kaufmann und Ratsherr Hinrich Constin 1468 als Pilger ins Heilige Land und vermaß dort die Via Dolorosa. Nach seiner Rückkehr veranlasste er den Nachbau des Weges in seiner Heimatstadt Lübeck in der Form eines Sieben-Stationen-Weges. Die Vollendung seiner Idee im Jahr 1493 erlebte er nicht mehr. Er starb 1482 und vermachte der Stadt sein Vermögen mit der Auflage, dies für die Fertigstellung des Kreuzweges zu verwenden.

Eine alte Sage berichtet von der Entstehung des Kreuzweges in folgender Weise:

„1493 ist in dem Eichholz, vor dem Burgtor zu Lübeck, welches Jerusalem hieß, der Berg Golgatha von Herrn Heinrich Constin aufgehöht. Dieser war ein reicher Kaufherr und allewege sehr angesehen. Aber er war heftig im Jähzorn, und so tat er einst seiner Frau, die er sonst zärtlich geliebt, ein so großes Herzeleid an, daß sie seitdem nimmer genesen wollte und endlich gestorben ist. Von Stund an hat er keine Ruhe gehabt in seiner Heimat. Er überlässt also sein Haus und seine Güter einem treuen und erfahrenen Diener, gibt seine einzige Tochter einem frommen Kaufgesellen in Nowgorod zum Ehegemahl und zieht selber in das gelobte Land, um Buße zu tun und seiner Seele Frieden zu gewinnen. Dort hat er gegen die Ungläubigen sich so tapfer erwiesen, daß man ihn zum Jerusalemsritter gemacht. So hat er alle Wege und Stege wohl ausgemessen und sich vorgenommen, wenn Gott ihn wohlbehalten in die Stadt Lübeck zurückführe, den Schädelberg an der Stätte, die Jerusalem vor alters genannt ist, aufzurichten. Seitdem ist er ruhig und friedsam geworden, und es ist ihm seiner Frauen Gestalt im Traum erschienen und hat ihm verheißen, daß Gott wegen seiner innigen Reue ihm gnädig sei. Da er nun zurückgekehrt, hat er alles fleißig abmessen und aufreißen lassen, und hat sich befunden, daß von der alten Gerichtsstube an der Kanzlei bis an das Jerusalem vor dem Burgtor genau die Zahl der Schritte sei, wie von Pilati Richthaus bis zur Schädelstätte. Danach sind die Schritte von der Stätte, wo Christus das Kreuz getragen, abgezählt und ein Denkstein in die Mauer der Jakobikirche am Koberge gefügt, wo die Kreuzestracht begonnen. Desgleichen ist vom ersten Burgtor ab bis nach dem Jerusalem die Länge des Weges gefunden, wo Simon von Kyrene für den Herrn das Kreuz genommen. Als nun der Berg erhöht und das Bild der Kreuzigung aufgestellt ist und Herr Constin inbrünstig anbetet, siehe, da kommt ein großes Schiff die Trave aufwärts, das führt seine Tochter samt ihrem Eheherrn daher. Die legen ihm ihr Kind, seiner verstorbenen Frauen Ebenbild, in den Arm. Danach ist er sanft und selig entschlafen. Als aber nach vielen Jahren durch einen Blitz der Stein der Kreuzigung zerrissen, sind doch die Beine ganz heil und unzerbrochen geblieben, wie zuvor gesagt ist: ‚Ihr sollt ihm kein Bein zerbrechen.‘ Dessen haben sich verständige Leute, die es gesehen, nicht genug verwundern können.“

Ernst Deecke: Lübische Geschichten und Sagen (1852)[1]

Erste Station (an der Jakobikirche)

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Beginn des Kreuzweges an der Außenwand von St. Jakobi
 
Der Jerusalemsberg im Lübecker ABC von Carl Julius Milde, 1857

Der Lübecker Kreuzweg beginnt bei einem Kalksandsteinrelief an der Nordseite von St. Jakobi. Es vertritt als erste Station das Richthaus des Pilatus und zeigt die Szene der Passionsgeschichte, in der Jesus vor Pontius Pilatus geschleppt wird, der sprichwörtlich seine Hände in Unschuld wäscht. Die mittelniederdeutsche Inschrift darunter lautet:

Hir.beginet.de.crucedracht.xsti
butē.de borchdare.to.Jherusalē.
(Hier beginnt die Kreuztragung Christi
durch das Burgtor nach Jerusalem.)

Dem historischen Vorbild der Via Dolorosa nachempfunden führt der Kreuzweg dann genau 1650 Meter weit von der Kirche bis zur Kreuzesstation am Jerusalemsberg (Travemünder Allee/Ecke Konstinstraße). Der Weg führte zunächst jedoch südwärts die Breite Straße entlang bis zum Kanzleigebäude und von da ab wieder nordwärts über den Koberg durch die Große Burgstraße aus der Altstadt hinaus.

Zweite Station

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Die zweite Station befand sich an der Nordfassade des Kanzleigebäudes und zeigte die Kreuzauflegung.

Dritte Station

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Die dritte Station befand sich schon knapp außerhalb des Burgtors und zeigte, wie Simon von Cyrene Jesus das Kreuz tragen half.

Vierte bis sechste Station

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Die drei weiteren Stationen, die wie die letzte als backsteinerne Gehäuse mit einer Kalksteintafel in einer Nische gestaltet waren, lagen nördlich des Burgfelds. Sie wurden als die drei Steinwurf des Herrn Christi oder erstes bis drittes Jerusalem bezeichnet und zeigten, wie Jesus zum ersten, zweiten und dritten Mal unter der Last des Kreuzes zusammenbrach.

Siebte Station (auf dem Jerusalemsberg)

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Das Ende des Kreuzweges liegt auf einem – etwa vier Meter hohen, vierzig Meter breiten und sechzig Meter langen rampenförmigen – künstlichen Hügel als Kalvarienberg gestaltet, der hier Jerusalemsberg heißt. Er trägt ein gotisches Häuschen (früher mit Treppengiebel), in dem ein grobes Relief aus gotländischem Kalkstein eingelassen ist. Das Relief ist 3,30 Meter hoch und 1,77 Meter breit und zeigt Jesus am Kreuz mit Maria und Johannes. Schwebende Engel fangen in Kelchen das Blut auf, das aus Christi Wunden strömt. Vor dem mit Knochen belegten Kreuzeshügel ist das Wappen des Stifters angebracht. Eine ehemals auf der Umrahmung angebrachte Inschrift ist nicht mehr zu entziffern. Das Relief wurde mehrfach restauriert. Größere Wiederherstellungen erfolgten in den Jahren 1680 und 1882. Ein Teil der Anlage fiel topografischen Veränderungen während der Lübecker Franzosenzeit zum Opfer, um das freie Schussfeld vor dem Burgtor zu gewährleisten.[2] Eine Überarbeitung der Grünanlage nahm der Stadtgärtner Metaphius Theodor August Langenbuch 1896 vor.

Zu Konstins Gedächtnis wurde der Weg, der vom Denkmal hinunter zur Trave führt, nach ihm „Konstinstraße“ benannt. Später erhielten auch die dortigen Kai- und Umschlaganlagen an der Trave, der Konstinkai und der Konstinbahnhof der Lübecker Hafenbahn, seinen Namen.

In der Zeit des Nationalsozialismus wurde der Jerusalemsberg am 3. Dezember 1936 in Kreuzberg umbenannt.[3] Diese Umbenennung wurde nach 1945 wieder rückgängig gemacht.

Wiederentdeckung

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Nach Einführung der Reformation in Lübeck durch die Kirchenordnung Johannes Bugenhagens 1531 wurde der Kreuzweg aus Gründen des neuen Glaubens aus dem Bewusstsein der Bürger als solcher verdrängt. Bis auf die erste und letzte Station wurden die Stationen zerstört. Die zweite Station war 1615 bei der Erweiterung des Kanzleigebäudes noch vorhanden und wurde in das damals neu erbaute Neue Gemach integriert, verschwand aber bald danach. Die dritte Station wurde beim Umbau des Burgtors 1623/24 zerstört. Reste der vierten bis sechsten Station, die Jakob von Melle 1713 noch sah, sollen 1798 abgeräumt worden sein.

Anfang der 1990er Jahre initiierte Helmut Siepenkort, der damalige Propst der römisch-katholischen Propsteikirche Herz Jesu (Lübeck), den früheren Lübecker Kreuzweg am Karfreitag neu zu begehen. Die Sitte entwickelte sich in den Folgejahren mit Unterstützung der evangelischen Jakobi-Gemeinde zu einem ökumenischen Ereignis, an dem im Jahr 2007 über 650 Menschen teilnahmen, darunter der Lübecker evangelische Altbischof Karl Ludwig Kohlwage, Propst Ralf Meister und der Hamburger Erzbischof Werner Thissen.

Bedingt durch das gute ökumenische Miteinander der Kirchen in Lübeck, hat der Kreuzweg eine neue Wichtigkeit erfahren. An Karfreitagen wird er von vielen hundert Menschen begangen und an seinen Stationen werden Lieder gesungen und Lesungen gehört. In kurzen Ansprachen versuchen Persönlichkeiten aus Kirche und Gesellschaft, darunter z. B. der ehemalige schleswig-holsteinische Ministerpräsident Björn Engholm, das Leiden und die Botschaft Jesu in das Hier und Jetzt zu übersetzen. Dabei wird oft an das Vermächtnis der Lübecker Märtyrer angeknüpft. Das Kreuz wird von Menschen getragen, die dies gerne von Station zu Station tun möchten – dabei gibt es jetzt fünf Stationen, die 2013 nach einem Bildhauer-Symposium[4] ganz neu gestaltet wurden.

Station Erläuterung Skulptur Beschreibung
1: Jesus vor Pontius Pilatus

St. Jakobi

Als Sohn Gottes predigte Jesus Christus von Nächstenliebe auf Erden. Dennoch wurde er von Pontius Pilatus zum Tode verurteilt. Die erste Station des Kreuzweges markiert den beginnenden Leidensweg Jesu Christi: Mahnung und Aufruf, grundlegende Werte wie Recht, Menschlichkeit und Toleranz zu achten.
 
In Ergänzung zu dem alten Relief steht neben der Kirche eine Skulptur aus Cortenstahl, der zum Perspektivwechsel einlädt (Künstler Winni Schaak).
2: Im Vertrauen auf Gott geht Jesus dem Tod entgegen

Burgtor-Durchgang

An dieser Stelle kreuzen sich der älteste Kreuzweg Deutschlands und der 2011 symbolisch erschaffene Weg der vier Lübecker Märtyrer. Im Bekenntnis zu Jesus Christus und in seiner Nachfolge hatten sich die Lübecker Geistlichen im Zweiten Weltkrieg dem NS-Unrechtsregime widersetzt. Sie wurden am 10. November 1943 in Hamburg hingerichtet.
 
Im Durchgang des Burgtores befindet sich an der Wand ein Relief aus Cortenstahl, welches an die vier Märtyrer erinnert, die gegen den Nationalsozialismus angepredigt haben und hingerichtet wurden. Die gotische Formgebung verbindet diese Aussage mit dem Kreuzweg: Jesus geht im Vertrauen zu Gott dem Tod entgegen. (Künstler Winni Schaak)
3: Jesus bricht unter der Last des Kreuzes zusammen

Burgfeld/Gustav-Radbruch-Platz

Für einen Teil des Leidensweges von Jesus Christus nimmt Simon von Kyrene die Last des Kreuzes auf sich. Seine Hilfe steht stellvertretend für die Fähigkeit, Mitleid zu empfinden und Menschen in Not beizustehen. Ein zeitloses Zeichen der Nächstenliebe und Humanität.
 
Die Bildhauerin Karin v. Ommeren, Holland hat ein eigenwilliges Kreuz gestaltet, welches die Grenze zwischen Innen und Außen aufbricht. Durch den Stein hindurch geht der Blick zum Lübecker Hafen. Licht fällt durch den Stein – das Leid des Kreuzes wird durch die Sonne durchstrahlt.
4: Jesus wird verspottet und gekreuzigt

Jugendherberge

Sein Kreuz fordert Solidarität und Mitgefühl mit denen, deren Würde missachtet wird. Es stellt das Recht des Stärkeren in Frage und erinnert zugleich an die vier Lübecker Geistlichen, die nicht schwiegen, sondern öffentlich gegen den NS-Totalitarismus predigten und ihr Leben riskierten.
 
Hier treffen sich viele junge Menschen und die Stele von Frede Troelsen[5], Dänemark lädt ein, diesen Ort als Ort der Begegnung, der Verschränkung, zu erfahren.

Jeder Mensch lebt sein Leben, aber die ineinander gesetzten Bausteine des Kunstwerks erinnern daran, dass unser aller Leben aufeinander bezogen ist. In dem Miteinander der Elemente entstehen neue Kreuzformen, die das Recht des Stärkeren in Frage stellen.

5: Jesus stirbt am Kreuz

Jerusalemberg

Jesus nimmt seinen Tod in Kauf, um die Menschen zu retten. Der Gekreuzigte stellt die Überheblichkeit des Machtmenschentums infrage. Aus seinem Aufruf zu tätiger Nächstenliebe eine Lebenshaltung aller Menschen zu machen, ist die Botschaft seines Todes.
 
Hier fällt der Blick auf das im Eingangsteil abgebildete Relief mit der Passionsdarstellung. Davor, einem Katafalk ähnlich, wieder ein neues Werk von Frede Troelsen. Auch hier wieder die Verbindung von sich ineinander verschränkenden Bausteinen. Besucher können sich  setzen und den Weg bedenken, den Jesus gegangen ist und den jeder selbst gehen muss. Mal ist das Werk poliert, mal behauen – so wie das Leben einen Menschen formt.

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Literatur

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  • Uwe Müller (Verf.), Archiv der Hansestadt Lübeck (Hrsg.): St. Gertrud. Chronik eines vorstädtischen Wohn- und Erholungsgebietes. Schmidt-Römhild, Lübeck 1986 (= Kleine Hefte zur Stadtgeschichte; Heft 2), ISBN 3-7950-3300-4.
  • Johannes Baltzer u. a. (Verf.), Denkmalrat (Hrsg.): Lübeck. Die Bau- und Kunstdenkmäler der Freien und Hansestadt Lübeck; Band 4: Die Klöster. Die kleineren Gotteshäuser der Stadt. Die Kirchen und Kapellen in den Außengebieten. Denk- und Wegekreuze und der Leidensweg Christi. Verl. für Kunstreprod., Neustadt an der Aisch 2001, ISBN 3-89557-168-7, S. 623–627. (Unveränd. Nachdruck der Ausg.: Verl. von Bernhard Nöhring, Lübeck 1928).
  • Beate Bäumer: Von Jakobi nach Jerusalem – Deutschlands ältester Kreuzweg in Lübeck. Imhof Verl., Petersberg 2008, ISBN 978-3-86568-351-9.
  • Peter Schemeinda / Ingrid Sudhoff (HG) – Lübeck und Umgebung – Teil 2: [1] – darin: Kapitel 24: Die Kreuzwegstation am Jerusalemsberg in Lübeck-St. Gertrud und Kapitel 31: Die Kreuzwegstation an St. Jakobi.
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Commons: Lübecker Kreuzweg – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Jerusalemsberg (Lübsche Sage) – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise

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  1. Ernst Deecke (Hrsg.): Lübische Geschichten und Sagen. 10., unveränd. Aufl., Schmidt-Römhild, Lübeck 1980, ISBN 3-7950-0074-2, Nr. 148, S. 146–147. (Gesammelt von: Ernst Deecke, Erstausg.: Boldemann, Lübeck 1852; neu hrsg. von Werner Neugebauer)
  2. Müller: St. Gertrud, S. 20
  3. Müller: St. Gertrud, S. 66
  4. Stelen für den Lübecker Kreuzweg bei shz.de
  5. Ende und Anfang / Kreuzweg, 5. Station bei kunst-im-oeffentlichen-raum-luebeck.de

Siehe auch

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Koordinaten: 53° 52′ 51,2″ N, 10° 41′ 45,6″ O