Johann Max Emanuel Plenge
Johann Max Emanuel Plenge (* 7. Juni 1874 in Bremen; † 11. September 1963 in Münster) war ein deutscher Soziologe, Volkswirt und bedeutender Propagandaforscher. Er war Schüler von Karl Bücher, Professor für Staatswissenschaften und Volkswirtschaftslehre an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster und unter anderem der Doktorvater von Kurt Schumacher.[1]
Leben
BearbeitenJohann Plenge gehörte zu den deutschen Intellektuellen, die im Zuge des Augusterlebnisses 1914 den Ersten Weltkrieg als Chance sahen, gesellschaftliche Konflikte und Gräben zu überwinden, und in diesem Zusammenhang Begriffe wie „Volksgemeinschaft“ prägten und die spezifisch deutschen Werte und Tugenden als „Ideen von 1914“ priesen. Plenge gilt nach Steffen Bruendel als Erfinder des Schlagworts Ideen von 1914.[2] In seinem 1916 erschienenen Werk 1789 und 1914 verglich er Wilhelm II. mit Napoleon Bonaparte: „Zum zweiten Male zieht ein Kaiser durch die Welt als Führer eines Volkes mit dem ungeheuren, weltbestürzenden Kraftgefühl der allerhöchsten Einheit.“[3]
In seiner Schrift Über den politischen Wert des Judentums aus dem Jahr 1920 vertrat Plenge antisemitische Standpunkte. Er war Sozialdemokrat und stand der nationalistisch orientierten Lensch-Cunow-Haenisch-Gruppe innerhalb der SPD nahe.
An der Westfälische Wilhelms-Universität unterhielt er ein „Staatswissenschaftliches Institut“, das Propagandaforschung betrieb. Der Kaffeefabrikant Ludwig Roselius finanzierte dieses Institut im Jahre 1921 mit 250.000 Reichsmark Grundkapital, 30.000 Mark für Grundanschaffungen und weiteren 100.000 Reichsmark für den Betrieb der ersten fünf Jahre.[4] Dort gründete er auch das erste Universitätsinstitut für Organisationslehre in Deutschland.[1]
Plenge wurde 1935 vorzeitig und gegen seinen Willen emeritiert. Im Universitätsarchiv Münster befinden sich seine umfangreichen Personalakten.
Schriften
Bearbeiten- Westerwälder Hausierer und Hausgänger, Duncker & Humblot (= Schriften des Vereins für Socialpolitik 78), Leipzig 1898
- Gründung und Geschichte des Crédit Mobilier. Zwei Kapitel aus Anlagebanken, eine Einleitung in die Theorie des Anlagebankgeschäftes (= Habilitation Leipzig), Laupp, Tübingen 1903 (Reprint: Detlev Auvermann, Glashütten im Ts. 1976)
- Marx und Hegel, Laupp, Tübingen 1911
- Von der Diskontpolitik zur Herrschaft über den Geldmarkt, Springer, Berlin 1913
- Der Krieg und die Volkswirtschaft, Borgmeyer, Münster 1915
- 1789 und 1914: Die symbolischen Jahre in der Geschichte des politischen Geistes, Springer, Berlin 1916
- Die Revolutionierung der Revolutionäre, Der Neue Geist, Leipzig 1918
- Zur Vertiefung des Sozialismus, Der Neue Geist, Leipzig 1919
- Über den politischen Wert des Judentums, Essen 1920 (PDF Uni Frankfurt)
- Deutsche Propaganda, [1922], ²1965
- Die Altersreife des Abendlandes, Robert Kämmerer, Düsseldorf 1948
- Cogito ergo sumus. Eine Auswahl aus den Schriften. Hgg. von Hanns Linhardt, Duncker & Humblot, Berlin 1964
- Michael Busch: Der Gesellschaftsingenieur Johann Plenge (1874–1963) (= Universitätsarchiv Münster: Veröffentlichungen des Universitätsarchivs Münster. Nr. 13). Aschendorff, Münster 2019, ISBN 978-3-402-15895-1.
Literatur
Bearbeiten- Klaus Ansorg: Johann Plenges Sozialismusvorstellungen und ihre Rezeption in der Sozialdemokratie während des Ersten Weltkrieges, R. G. Fischer, Frankfurt am Main 1984, ISBN 3-88323-546-6.
- Werner Bode: Die Darstellung der Organisationslehren von Johann Plenge und Heinrich Nicklisch und die Betrachtung dieser Lehren im Hinblick auf die Organisationslehre der Unternehmung. Dissertation, Hochschule Wirtschaft Mannheim, 1965.
- Steffen Bruendel: Volksgemeinschaft oder Volksstaat. Die „Ideen von 1914“ und die Neuordnung Deutschlands im Ersten Weltkrieg. Akademie Verlag, Berlin 2003, ISBN 3-05-003745-8.
- Michael Busch: Organisation durch Propaganda. Zur Begründung der Massenbeeinflussung bei Johann Plenge. In: Medien & Zeit, Jg. 22 (2007), Heft 2, S. 15–30.
- Michael Busch: Der Gesellschaftsingenieur Johann Plenge (1874–1963) (= Veröffentlichungen des Universitätsarchivs Münster, Band 13), Aschendorff, Münster 2019, ISBN 978-3-402-15895-1.
- Sara-Marie Demiriz: Aus den „Ideen von 1914“. Der Staatswissenschaftler Johann Plenge und seine Institute an der Universität Münster. In: Hans-Ulrich Thamer und andere (Hrsg.): Die Universität Münster im Nationalsozialismus. Kontinuitäten und Brüche zwischen 1920 und 1960 (= Veröffentlichungen des Universitätsarchivs Münster, Band 5). Aschendorff, Münster 2012, ISBN 978-3-402-15884-5, S. 1083–1112.
- Sara-Marie Demiriz: Zum Gedenken an Johann Plenge, 2017, Gedenkblatt im Rahmen des Projekts „flurgespräche“, aufgerufen am 24. November 2017.
- Manfred Hermanns: Sozialethik im Wandel der Zeit. Schöningh, Paderborn 2006, ISBN 3-506-72989-6, insbesondere S. 125–127 und 132–143.
- Peter Hoeres: Der Krieg der Philosophen. Die deutsche und britische Philosophie im Ersten Weltkrieg. Schöningh, Paderborn 2004, ISBN 3-506-71731-6.
- Dirk Kaesler: Plenge, Johann Max Emanuel. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 20, Duncker & Humblot, Berlin 2001, ISBN 3-428-00201-6, S. 530 f. (Digitalisat).
- Joachim Müller: Die „Ideen von 1914“ bei Johann Plenge und in der zeitgenössischen Diskussion. Ein Beitrag zur Ideengeschichte des Ersten Weltkrieges. Ars Una, Neuried 2001, ISBN 3-89391-116-2.
- Konrad Pfaff: Johann Plenge zum 75. Geburtstag. In: Zeitschrift für philosophische Forschung. Bd. 5, H. 1 (1950), S. 121–126.
- Bernhard Schäfers: Johann Plenge als Wegbereiter der Organisationssoziologie und des organisatorischen Zeitalters. In: Karl Acham, Stephan Moebius (Hrsg.): Soziologie der Zwischenkriegszeit. Ihre Hauptströmungen und zentralen Themen im deutschen Sprachraum, Band 2. Springer VS, Wiesbaden 2022, S. 361–373.
- Bernhard Schäfers: Plenge, Johann. In: Wilhelm Bernsdorf, Horst Knospe (Hrsg.): Internationales Soziologenlexikon. Band 1: Beiträge über bis Ende 1969 verstorbene Soziologen. 2. neubearb. Aufl. Enke, Stuttgart 1980, ISBN 3-432-82652-4, S. 333 ff.
- Bernhard Schäfers (Hg.): Soziologie und Sozialismus. Organisation und Propaganda. Abhandlungen zum Lebenswerk von Johann Plenge. Geleitwort Leopold von Wiese; Anhang: Johann Plenge, Obtinenz und Realität. Enke, Stuttgart 1967.
- Axel Schildt: Ein konservativer Prophet moderner nationaler Integration, Biographische Skizze des streitbaren Soziologen Johann Plenge (1874–1963). In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jg. 35 (1987), S. 523–570.
- Leopold von Wiese: Erinnerungen an Johann Plenge. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg. 15 (1963), Heft 4.
Weblinks
Bearbeiten- Literatur von und über Johann Max Emanuel Plenge im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Übersicht der Lehrveranstaltungen von Johann Max Emanuel Plenge an der Universität Leipzig (Wintersemester 1901 bis Wintersemester 1912)
- Johann Max Emanuel Plenge im Professorenkatalog der Universität Leipzig
- Marx oder Kant? von Johann Plenge in Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft / Zeitschriftenband (1910) S. 213/239
- Nachlassstücke von Johann Plenge in der Staats und Universitätsbibliothek Bremen (PDF; 104 kB)
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ a b Hans-Albrecht Koch: In den großen Schlachten. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. September 2024, S. 12.
- ↑ Steffen Bruendel: Die Geburt der „Volksgemeinschaft“ aus dem „Geist von 1914“. Entstehung und Wandel eines „sozialistischen“ Gesellschaftsentwurfs. In: Zeitgeschichte-online, Dossier: Fronterlebnis und Nachkriegsordnung. Wirkung und Wahrnehmung des Ersten Weltkriegs, Mai 2004, S. 6 (online, abgerufen am 30. September 2024).
- ↑ Johann Plenge: 1789 und 1914. Berlin 1916, S. 15, zitiert nach Willibald Gutsche, Fritz Klein, Kurt Petzold: Der Erste Weltkrieg. Ursachen und Verlauf. Köln 1985, S. 70.
- ↑ Thymian Bussemer: Propaganda: Konzepte und Theorien. VS, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2., überarb. Aufl. 2008, S. 117.
Personendaten | |
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NAME | Plenge, Johann Max Emanuel |
ALTERNATIVNAMEN | Plenge, Johann |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Soziologe und Volkswirt |
GEBURTSDATUM | 7. Juni 1874 |
GEBURTSORT | Bremen |
STERBEDATUM | 11. September 1963 |
STERBEORT | Münster |