Ida Kerkovius

deutschbaltische Malerin und Bildteppichweberin
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Ida Kerkovius (* 31. August 1879 in Riga, Russisches Kaiserreich; † 7. Juni 1970 in Stuttgart) war eine deutsche Malerin und Bildteppichweberin, die zum Stuttgarter Kreis der Avantgardisten und zu den bedeutendsten weiblichen Vertreterinnen der Klassischen Moderne in Deutschland zählt.

Biografie und künstlerisches Wirken

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Ida Kerkovius wurde als viertes von zwölf Kindern in eine deutschbaltische Gutsbesitzer- und Kaufmannsfamilie in Riga geboren. Ihre Kindheit verbrachte sie auf Gut Saadsen (heute lett.: Zādzenes muiža, ca. 60 km östlich von Riga). Im Alter von 18 Jahren begann sie ihre Ausbildung an einer privaten Mal- und Zeichenschule in Riga. Sie beendete die Ausbildung 1899 mit einem Diplom, das sie zum Kunstunterricht berechtigte. Begeistert von den Werken einer Adolf Hölzel-Schülerin fasste sie den Entschluss, ihr Studium in Dachau weiterzuführen. 1903 machte sie eine Bildungsreise nach Italien und besuchte Venedig, Florenz und Rom. Im Anschluss daran studierte sie fünf Monate als Schülerin von Adolf Hölzel in der Künstlerkolonie Dachau.[1] Diese kurze Zeit war für sie sehr prägend, da sie dort das von Hölzel gelehrte flächige Sehen erlernte, mit dem man die dreidimensionale Natur auf die zweidimensionale Leinwand übertragen kann. Im Folgenden kehrte sie auf Wunsch ihrer Eltern nach Riga zurück.

Blumen vor blauem Grund von Ida Kerkovius (um 1914) aus dem Bestand der Staatsgalerie Stuttgart
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1908 konnte Kerkovius an der privaten Malschule von Adolf Mayer in Berlin studieren, erkannte jedoch nach kurzer Zeit, dass dessen naturalistische Aktstudien ihr keine neuen Erkenntnisse brachten. Dort lernte sie Lily Uhlmann kennen; knapp zehn Jahre später werden beide sich in Stuttgart gegenseitig porträtieren. Die Künstlerin ging an die Akademie der bildenden Künste Stuttgart, wo sie Meisterschülerin von Adolf Hölzel wurde, der dort seit 1905 eine Komponierschule leitete. Ab 1911 unterrichtete sie als seine Assistentin Privatschüler, die noch nicht zur Akademie zugelassen waren und führte sie in seine Lehre ein, unter anderen auch Johannes Itten. 1911 nahm sie im Berliner „Sturm“ bei Herwarth Walden an einer Ausstellung teil. 1912 sah sie erstmals in einer Ausstellung Werke von Vincent van Gogh, Paul Cézanne, Kubisten, italienischen Futuristen und Brücke-Malern. In Adolf Hölzels sogenannten Expressionisten-Saal war sie im Rahmen der vom Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein 1914 in Stuttgart ausgerichteten Kunstausstellung mit einem Werk vertreten.[2] 1916 stellte sie in Freiburg in der Ausstellung „Hölzel und sein Kreis“ gemeinsam mit Willi Baumeister, Oskar Schlemmer und Johannes Itten aus.

1920 bis 1923 verbrachte Ida Kerkovius die Wintersemester am Bauhaus in Weimar, besuchte den Vorkurs bei Johannes Itten und Georg Muche, den Kunstunterricht von Wassily Kandinsky und Paul Klee und erlernte die Kunst des Webens in der Klasse von Gunta Stölzl. Anschließend kehrte sie in ihr Stuttgarter Atelier zurück und entwickelte eine neue künstlerische Selbständigkeit gegenüber Hölzel, mit dem sie auch weiterhin freundschaftlich verbunden blieb. 1930 hatte sie ihre erste große Einzelausstellung beim Württembergischen Kunstverein.

Abstraktes Stilleben von Ida Kerkovius (um 1935) aus dem Bestand der Staatsgalerie Stuttgart
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Die Nationalsozialisten diffamierten ihre Werke als Entartete Kunst, und so wurde sie in ihrem Wirken ab 1933 eingeschränkt. In der Zeit von 1934 bis zum Zweiten Weltkrieg reiste sie im Sommer jeweils für längere Zeit ins Ausland, besuchte hierbei Norwegen, Bulgarien und fuhr zu ihren Geschwistern nach Riga. Die Reisen regten sie zur Landschaftsmalerei an. 1939 wurde ihre deutschstämmige Familie wegen der Bestimmungen des Deutsch-Sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrags nach Polen in den sogenannten Warthegau umgesiedelt. Dabei gingen viele Werke von Kerkovius verloren. Sie arbeitete zurückgezogen als Malerin und verdiente mit ihrer Lehrtätigkeit und der Bildteppichweberei ihren Lebensunterhalt.

Durch einen Bombenangriff im März 1944 brannte ihr Stuttgarter Atelier völlig ab. Viele ihrer Bilder und Arbeiten wurden dabei vernichtet, so dass ihr Œuvre vor 1945 nur lückenhaft erhalten ist. In Stuttgart kam sie bei Freunden unter.

Nach 1945 setzte sie ihr reiches künstlerisches Schaffen fort. Sie machte zahlreiche Reisen und hatte repräsentative und erfolgreiche Ausstellungen im In- und Ausland. 1954 wurde ihr von Bundespräsident Theodor Heuss das Bundesverdienstkreuz verliehen. 1955 erhielt Ida Kerkovius den ersten Preis der Ausstellung „Ischia im Bilde deutscher Maler“. 1958 wurde ihr vom Bundesland Baden-Württemberg der Professorentitel verliehen.

Paar im Garten von Ida Kerkovius (nicht datiert) aus dem Bestand der Staatsgalerie Stuttgart
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In den fünfziger Jahren erweiterte sie ihr künstlerisches Schaffen auch auf Entwurf und Gestaltung von Glasfenstern. So entstanden unter anderem 1955 die Glasfenster für das Stuttgarter Rathaus und 1958 diejenigen im Andachtsraum der Universitätsklinik in Tübingen. Ferner entstanden in dieser und in der Folgezeit neben zahlreichen Ölgemälden, Pastellen und Zeichnungen eine Anzahl bedeutender Knüpfteppiche.

Trotz nachlassender Kräfte und Gesundheit in den 1960er Jahren währte ihr künstlerisches Schaffen bis in ihr hohes Alter. Die Künstlerin starb nach langer schwerer Krankheit im 91. Lebensjahr. Ihr letztes Ölgemälde Bel Vue blieb unvollendet. Ida Kerkovius’ letzte Ruhestätte befindet sich auf dem Waldfriedhof Stuttgart.

Ehrungen

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Ausstellungen – eine Auswahl

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Literatur

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  • Kurt Leonhard: Die Malerin Ida Kerkovius. Stuttgart 1954.
  • Eduard Roditi: Kerkovius. simon u. koch, Konstanz 1961, DNB 452383331.
  • Kurt Leonhard: Ida Kerkovius Leben und Werk. Köln 1967.
  • Ernst Schremmer: Ida Kerkovius Landschaften. Eßlingen 1975.
  • Franz MengesKerkovius, Ida. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 11, Duncker & Humblot, Berlin 1977, ISBN 3-428-00192-3, S. 513 f. (Digitalisat).
  • Gerd Presler: Ida Kerkovius (1879–1870). Gesichter. In: Weltkunst 1979, 17/1959.
  • künstler des bauhauses: arbeiten von 26 meistern und schülern aus der zeit von 1919 bis 1983. mit einer einführung von peter hahn, berlin. Kunstverein Weingarten, Weingarten 1983, ISBN 3-921617-79-0, S. 15, Abb. S. 37 u. 38.
  • Iris Cramer: Ida Kerkovius, Die Wandteppiche. Magisterarbeit. Frankfurt am Main 1989.
  • Maja Riepl-Schmidt: Ida Kerkovius. „Sie ist ganz Kunst“. In: Maja Riepl-Schmidt (Hrsg.): Wider das verkochte und verbügelte Leben. Frauen-Emanzipation in Stuttgart seit 1800. Silberburg, Stuttgart 1990, ISBN 3-925344-64-0, S. 229–235.
  • Katharina Hadding: Ida Kerkovius, Die Aquarelle. Magisterarbeit. Marburg 1993.
  • Gerhard Leistner: Ida Kerkovius – Retrospektive. Ausstellungskatalog. Riga/Regensburg 2001.
  • Hannelore Cyrius: Sie ist ganz Kunst, Ida Kerkovius 1879–1970. Norderstedt 2010.
  • Ingrid Mössinger, Gesa Jürß (Hrsg.): „Meine Welt ist die Farbe“, Ausstellungskatalog. Kerber, Bielefeld (u. a.) 2014, ISBN 978-3-86678-814-5 (anlässlich der Ausstellung Ida Kerkovius „Meine Welt ist die Farbe“ 2. Februar bis 27. April 2014, Kunstsammlungen Chemnitz).
  • Tom Beege, Andrea Fromm (Hrsg.): „Sie ist ganz Kunst“. Ida Kerkovius. Eine Künstlerin des Bauhauses. Kunstverein Apolda Avantgarde e. V., Apolda 2019, ISBN 978-3-9817420-6-0.
  • Dietrich Heißenbüttel: Farbe und Form nach Hölzel, vor Itten. Ida Kerkovius und ihre Glasfenster in Stuttgart und Tübingen. Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart, Esslingen am Neckar 2019, ISBN 978-3-9817420-6-0.
  • Regine Nothacker: Ida Kerkovius. Farben, Formen und Linien treffen auf „Zeichen der Welt“. In: Carla Heussler, Christoph Wagner (Hrsg.): Stuttgarter Kunstgeschichten, von den schwäbischen Impressionisten bis zur Stuttgarter Avantgarde (= Regensburger Studien zur Kunstgeschichte. Bd. 21). Schnell & Steiner, Regensburg 2022, ISBN 978-3-7954-2888-4, S. 170–191.
  • Sophie Jürgens-Tatje: Ida Kerkovius. „Ich brauche den Wechsel, die Spannung zwischen Natur und freier Gestaltung“. In: Stefanie Patruno (Hrsg.): So viel Anfang! KünstlerInnen der Moderne und ihr Werk nach 1945. Wienand, Köln 2023, ISBN 978-3-86832-761-8, S. 107–116.
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Einzelnachweise

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  1. Arne Mentzendorff: Baltische Lebenswege. Rätsel um Persönlichkeiten in Estland und Lettland. Neue Folge. Books on Demand, Norderstedt 2017, ISBN 978-3-7431-3284-9, S. 34 und 107.
  2. Ausstellungskatalog Kunst-Ausstellung Stuttgart 1914, Kgl. Kunstgebäude, Schloßplatz, Mai bis Oktober, hrsg. vom Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein, Stuttgart 1914, S. 48, Kat.–Nr. 417 („Komposition“, Ölgemälde).
  3. Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg (Hrsg.): Preisträgerinnen und Preisträger Staatspreis Kunsthandwerk Baden-Württemberg 1953–2020. (baden-wuerttemberg.de [PDF; abgerufen am 8. Oktober 2020]).
  4. kuenstlerbund.de: Vorstände des Deutschen Künstlerbundes seit 1951 (Memento vom 17. Dezember 2015 im Internet Archive) (abgerufen am 7. September 2015).
  5. Gabriele Katz: Stuttgarts starke Frauen. Theiss, Darmstadt 2015, S. 128.
  6. XII. Ostdeutsche Kulturtage 1965. Siebenbürgische Zeitung, 15. November 1965, abgerufen am 9. November 2017.
  7. Suche nach Kerkovius bei Google-Maps. Google LLC, abgerufen am 16. Januar 2015.
  8. Mitteilung zur Ausstellung, abgerufen am 30. Juli 2014.
  9. Brita Sachs: „Die Farbe ist mir angeboren“, in: F.A.Z. vom 11. Mai 2017.
  10. Begegnung mit der Zauberin der Farben in FAZ vom 14. Oktober 2017, Seite 49.
  11. Adrienne Braun: Lustige Punkte im Schwimmbassin. Das kleine Engen zeigt eine große Ausstellung von Ida Kerkovius, die zur Stuttgarter Kunstszene gehörte. In: Stuttgarter Zeitung. 8. Mai 2017, S. 11.
  12. Kai Agthe: Ihre Welt sind die Farben. In: Mitteldeutsche Zeitung. 1. März 2019, S. 21.
  13. Ida Kerkovius – Die ganze Welt ist Farbe. Ausstellung 12. Mai bis 13. September 2020. In: Staatsgalerie Stuttgart. Abgerufen am 6. Juni 2020.