Stefan Hentschel (* 30. September 1948 in Chemnitz-Gablenz; † 18. Dezember 2006 in Hamburg) war ein Zuhälter und Boxer auf St. Pauli.
Leben
BearbeitenHentschel lebte bis zu seinem neunten Lebensjahr bei seinen Großeltern und zog dann nach Hamburg. Am 21. September 1973 bestritt er in der Ernst-Merck-Halle[1] seinen ersten und einzigen Kampf als Profiboxer. Dabei wurde er von Erwin Andreas Josefa „Big Ali“ (1949–2019) aus Curaçao in der zweiten Runde k. o. geschlagen. Daraufhin beendete Hentschel, nach weniger als sechs Kampfminuten, seine „Profiboxer-Laufbahn“. Das Hamburger Abendblatt berichtete über Hentschels Kampf wie folgt: „Das erste Kapitel im Boxprogramm war für übereifrige Manager und für die weiblichen Fans, die den Body-Builder Stefan Hentschel bewunderten, als dieser seinen Bademantel auszog, ein trauriges: Stefan Hentschel, der Boxer aus der Retorte, der noch nie einen echten Kampf bestritten hatte, der als K.o.-König den staunenden Betrachtern vorgestellt wurde, erlebte eine Blamage, wie sie ihm keiner gönnte. (…) In der zweiten Runde lagen die Muskelpakete des schönen Stefan zum zweiten Mal am Boden. Mit dem ‚Aus‘ gegen den zweitklassigen Josefa kam die Ernüchterung.“[2]
Hentschel galt in den 1980er-Jahren mit seinem Kumpan Waldemar Dammer, genannt Neger-Waldi, als Rotlicht-Pate auf dem Kiez von St. Pauli. Er war in den Kiez-Krieg verwickelt und überlebte mehrere Mordanschläge; bei einem Angriff mit einem Weißbierglas verlor er sein rechtes Auge. Hentschel war medienpräsent, beispielsweise durch seine Mitarbeit an der NDR-Reportage Hamburg-St. Pauli – da, wo die Kontraste knallen oder die Publikation Hamburgs Nachtjargon. Die Sprache auf dem Kiez in St. Pauli des Sprachforschers Klaus Siewert.
Internationale Bekanntheit erlangte Hentschel durch seinen Auftritt in einer als Internetvideo kursierenden Szene aus dem Dokumentarfilm Der Boxprinz von Gerd Kroske über das Leben des Boxers Norbert Grupe, der sich „Prinz von Homburg“ nannte: Während Hentschel über die Große Freiheit, eine Seitenstraße der Reeperbahn auf St. Pauli, flaniert und auf Nachfrage des Reporters von seinen Anfängen im Rotlichtmilieu erzählt („Ja, damals mit vier Frauen in der Tagesschicht...“)., werden die Dreharbeiten unversehens durch einen Mann gestört, der eigenmächtig in das Bild tritt und das Kamerateam anspricht. Hentschel fordert den jungen Mann auf, weiterzugehen („Hast Du ’n Problem?! Geh weiter!“). Da dieser auf die Aufforderung nicht reagiert, sondern ihn nur erstaunt anstarrt, ohrfeigt er ihn und empfiehlt ihm, zu verschwinden („Noch ’n Problem? Besser isses!“). Hentschel fordert anschließend das Filmteam auf, mit ihm weiterzugehen („So, komm, weiter!“), da er „keinen Bock“ darauf habe, „hier mit den Arschlöchern rumzureden“. Wenige Augenblicke später grüßt Hentschel in bester Laune einen „guten Freund“ („Hallo Werner!“). Diese Szene erlangte im Internet Kultstatus.[3][4] Er erklärte später, dass die Filmaufnahmen vorher schon mehrfach unterbrochen werden mussten, da eine Gruppe von drei jungen Männern immer wieder störte, zu der der Geohrfeigte gehörte.[5]
Am 18. Dezember 2006 erhängte sich Hentschel im Boxkeller der Szene-Kneipe „Zur Ritze“ an der Reeperbahn.[6] Die letzten Wochen vor seinem Suizid war er depressiv und äußerte gegenüber Freunden seine „Abwanderungsgedanken“. Nach seinem Tod wurde in der Presse über massive Geld- und Drogenprobleme spekuliert. Beigesetzt wurde Hentschels Urne auf dem Friedhof Ohlsdorf im Grab seiner Eltern.
Literatur
Bearbeiten- Ariane Barth: Im Rotlicht. Das explosive Leben des Stefan Hentschel. Ullstein, Berlin 2005, ISBN 3-548-36769-0
- Ariane Barth: Die Reeperbahn. Der Kampf um Hamburgs sündige Meile. Hoffmann und Campe, 1999, ISBN 3-455-15028-4
- Julia Jüttner: Die letzte Party des Bordellkönigs. In: Der Spiegel, 28. Dezember 2006
- Julia Jüttner: Das irre Leben des Paten von St. Pauli. In: Der Spiegel, 28. Dezember 2006
- Julia Jüttner: Milieu-Studie Der Kiez und Hentschels Selbstmord. In: Der Spiegel, 15. Juni 2007
- Klaus Siewert/Stefan Hentschel: Hamburgs „Nachtjargon“: Die Sprache auf dem Kiez in St. Pauli. Mit einer CD „Nachtjargon in vergessenen Hamburger Liedern“. Münster 2009, ISBN 978-3-00-012781-6.
Film
Bearbeiten- Gerd Kroske: Der Boxprinz. Realistfilm, 2000
- dctp: Tod eines Zuhälters – das exzessive Leben einer Hamburger Kiezlegende. VOX, 2007
- Spiegel TV: „Ich bin ein göttlicher Zuhälter“ – Leben und Sterben einer Kiezlegende. VOX, 2008
Weblinks
Bearbeiten- Literatur von und über Stefan Hentschel im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Der Boxprinz bei IMDb
- Stefan Hentschel in der BoxRec-Datenbank
- Tod der Kiez-Legende Stefan Hentschel ( vom 12. Mai 2012 im Internet Archive), sommer-in-hamburg.de, 2009
- Julia Jüttner: Milieu-Studie: Der Kiez und Hentschels Selbstmord, Der Spiegel, 2007.
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Neue Chance für Tombers. In: Hamburger Abendblatt. 21. September 1973, abgerufen am 19. September 2022.
- ↑ Der „Kleine“ stahl dem „Großen“ die Show. In: Hamburger Abendblatt. 22. September 1973, abgerufen am 3. Mai 2020.
- ↑ Ohrfeigen-Szene bei dailymotion.com
- ↑ [1] Ohrfeigenszene auf Youtube
- ↑ Stefan Hentschel - Erinnerungen eines Zuhälters. Youtube, 16. November 2009 : „es waren drei, und die haben da also sehr energisch in dieses Vorhaben, was die Kameraleute vorhatten, also Filmarbeiten unterbrechen, haben sich davorgestellt und alle genervt. Und jetzt war der Zeitpunkt, dass ich dran war […] und da passiert das, was im Vorfeld auch schon passiert ist, da machte sich einer aus der Gruppe raus, und stellt sich vor mich und baut sich auf.“
- ↑ Artikel: Selbstmord: Kiez-Legende erhängt sich in der „Ritze“. In: Die Welt. 19. Dezember 2006
Personendaten | |
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NAME | Hentschel, Stefan |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Bordellier |
GEBURTSDATUM | 30. September 1948 |
GEBURTSORT | Gablenz, Sowjetische Besatzungszone |
STERBEDATUM | 18. Dezember 2006 |
STERBEORT | St. Pauli, Hamburg, Deutschland |