Längsschnittstudie

soziologische Studie mit zeitlich mehrfachem Ansatz
(Weitergeleitet von Longitudinalstudie)
Kategorien von patientenorientierten Studien[1]

Eine Längsschnittstudie (Verlaufsstudie[2], Longitudinalstudie[3][4], Längsschnittuntersuchung[3], Längsschnitterhebung[5]) ist ein Forschungsdesign der empirischen Forschung zur Untersuchung sozialer und individueller Wandlungsprozesse. Bei einer Längsschnittstudie wird, im Unterschied zu einer Querschnittstudie, dieselbe empirische Studie zu mehreren Zeitpunkten durchgeführt, und die Ergebnisse der einzelnen Untersuchungswellen werden verglichen. Es gibt sowohl prospektive als auch retrospektive Längsschnittstudien,[6] wobei mit diesem Begriff in der Regel prospektive (vorausschauende) Studien gemeint sind.[7]

A: Alterseffekt (Längsschnitt),
K: Kohorteneffekt,
P: Periodeneffekt

Formen von Längsschnittuntersuchungen

Bearbeiten

Man unterscheidet Längsschnittuntersuchungen in Trendstudien (auch: replikativer Survey) und Panelstudien.[8] Auch Kohortenstudien werden zu den Längsschnittstudien gezählt,[4] wobei in der Regel prospektive Kohortenstudien gemeint sind.

Bei einer Trendstudie wird dieselbe Studie zu mehreren Zeitpunkten mit jeweils unterschiedlichen Stichproben durchgeführt. Mit Hilfe von Trendstudien ist es möglich, Veränderungen auf Aggregatebene (d. h. auf Ebene der gesamten Stichprobe, die wiederum die Bevölkerung repräsentieren soll) nachzuvollziehen. Es ist allerdings nicht möglich, aus Trenddaten Veränderungen auf der Individualebene abzuleiten. Wird dies dennoch getan, spricht man von einem sogenannten ökologischen Fehlschluss.

Im Unterschied zur Trendstudie erfolgt bei der Panelstudie (auch Panelerhebung, Panelbefragung) die Erhebung zu mehreren Zeitpunkten mit derselben Stichprobe. Auf diese Art lassen sich auch intra-individuelle Veränderungen erfassen (so genannte interne Fluktuation). Die aggregierten Werte ermöglichen außerdem – wie beim Trenddesign – den Rückschluss auf interindividuelle, d. h. die gesamte Stichprobe betreffende, Veränderungen (so genannte Nettoveränderungen). Die Daten bei einer Panelstudie können autokorreliert sein.

Einschätzung und Probleme

Bearbeiten

Eine Panelstudie ist aussagekräftiger als eine Trendstudie: Wie bereits oben erwähnt, ist es nicht möglich, aus Trenddaten Veränderungen auf der Individualebene abzuleiten. Beim Paneldesign hingegen können auch intra-individuelle Veränderungen erfasst werden.

Die beiden Formen von Längsschnittstudien müssen sich mit jeweils anderen Problemen auseinandersetzen: Bei einer Trendstudie müssen die Stichproben der einzelnen Erhebungswellen vergleichbar sein. Sind beispielsweise die Anteile verschiedener Bevölkerungsgruppen in den einzelnen Wellen unterschiedlich, können die Ergebnisse signifikant verfälscht werden.

Diese Gefahr besteht bei einer Panelstudie nicht, da immer dieselbe Stichprobe verwendet wird. Allerdings tritt das Problem der Panelmortalität auf: Darunter versteht man Sterblichkeit, Umzüge, Verweigerungen und ähnliche Ausfälle aus dem Panel, die durch Ersatzpersonen kompensiert werden müssen. Häufig sind die Ausfälle nicht zufällig, sondern systematisch, das heißt die Panelmortalität bestimmter Bevölkerungs- oder Risikogruppen ist gegenüber anderen erhöht.

Um die Panelmortalität möglichst gering zu halten, ist es nötig, das Panel regelmäßig zu pflegen, d. h., die Adresskartei muss aktualisiert, Ausfälle durch geeignete Ersatzpersonen kompensiert werden. Da dieser Vorgang sehr aufwendig ist, ist eine Panelstudie teurer als eine Trendstudie. Verzerrt werden kann eine Panelstudie auch dadurch, dass das Messinstrument (Fragebogen) durch den soziokulturellen Wandel veraltet. Eine weitere Fehlerquelle sind so genannte Paneleffekte, wie ein gestiegenes Problembewusstsein durch die Teilnahme am Panel.

Bekannte Studien

Bearbeiten

Siehe auch

Bearbeiten

Literatur

Bearbeiten
  • C. F. Belanger, C. H. Hennekens, B. Rosner, F. E. Speizer: The Nurses' Health Study. In: Am J Nurs. 78, 1978, S. 1039–1040. PMID 248266.
  • Andreas Diekmann: Empirische Sozialforschung – Grundlagen, Methoden, Anwendungen. Rowohlt, Hamburg 2006.
  • W. Schneider: Entwicklung von der Kindheit bis zum Erwachsenenalter: Befunde der Münchner Längsschnittstudie LOGIK. Beltz Psychologie Verlags Union, 2008, ISBN 978-3-621-27605-4.
  • R. Schnell, P. B. Hill, E. Esser: Methoden der empirischen Sozialforschung. Oldenbourg, München 2005.
  • Karl F. Schumann: Diskussion – Sind Arbeitsbiographie und Straffälligkeit miteinander verknüpft? – Aufklärungen durch die Lebenslaufforschung. In: MschrKrim. 87. Jahrgang, Heft 3/4, 2004, S. 222–243.

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. C. M. Seiler: Patientenorientierte Forschung in der Chirurgie. In: Manfred Georg Krukemeyer, Hans-Ullrich Spiegel (Hrsg.): Chirurgische Forschung. Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2005, ISBN 978-3-13-133661-3, S. 205–212 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  2. Gaus Wilhelm, Muche Rainer: Medizinische Statistik: Angewandte Biometrie für Ärzte und Gesundheitsberufe. Schattauer Verlag, 2017, ISBN 978-3-7945-3241-4, S. 37 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  3. a b Jürgen Bortz, Nicola Döring: Forschungsmethoden und Evaluation für Human- und Sozialwissenschaftler: Limitierte Sonderausgabe. Springer-Verlag, 2007, ISBN 978-3-540-33306-7, S. 732 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  4. a b Uwe Tewes, Klaus Wildgrube: Psychologie-Lexikon. Walter de Gruyter GmbH & Co KG, 2016, ISBN 978-3-486-80174-3, S. 436 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  5. Annette Fink, Claudia Tritschler: Prüfungsfragen Psychotherapie: Fragensammlung mit kommentierten Antworten - Mehr als 50 neue Fragen. Springer-Verlag, 2013, ISBN 978-3-642-34722-1, S. 138 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  6. Georg Rudinger, Katharina Olejniczak, Thomas Krüger: Forschung und Beratung – Das Zentrum für Evaluation und Methoden: . E-BOOK. Vandenhoeck & Ruprecht, 2009, ISBN 978-3-86234-088-0, S. 285 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  7. Nicola Döring, Jürgen Bortz: Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften. Springer-Verlag, 2015, ISBN 978-3-642-41089-5, S. 213 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  8. Regina Rettenbach, Claudia Christ: Psychotherapie-Prüfung: Kompaktkurs zur Vorbereitung auf die Approbationsprüfung nach dem Psychotherapeutengesetz mit Kommentar zum IMPP-Gegenstandskatalog. Schattauer Verlag, 2016, ISBN 978-3-7945-3186-8 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  9. dza.de
  10. psychologie.uni-heidelberg.de
  11. IMAGEN – IMAGEN study in Europe. Abgerufen am 14. März 2021 (britisches Englisch).
  12. Bremer Längsschnittstudie 1: Berufsausbildung und Arbeit@1@2Vorlage:Toter Link/prisonportal.informatik.uni-bremen.de (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im April 2019. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
  13. Generations and Gender Survey. (Memento vom 23. Juli 2012 im Webarchiv archive.today) auf: www.bib-demografie.de
  14. bls.gov
  15. ssc.wisc.edu
  16. nkps.nl
  17. Longitudinal Study of Generations. (Memento vom 19. Oktober 2011 im Webarchiv archive.today) auf: usc.edu
  18. isr.umich.edu
  19. share-project.org
  20. Studien – Study of Personality Architecture and Dynamics | Psychologische Persönlichkeitsforschung. Abgerufen am 9. Oktober 2021 (deutsch).
  21. Studie (PDF, 3 MB)
  22. gesis.org
  23. Rostocker Längsschnittstudie. In: Entwicklung und soziale Beziehungen, Prävention und Sozialpsychiatrie. (abgerufen am 5. April 2023)