Mumia

ehemaliges Heilmittel menschlichen Ursprungs
(Weitergeleitet von Mumia vera)

Mumia (lateinisch; auch Pulvis mumiae, Mumiya, Mumienpulver) ist eine bis in die 1920er Jahre hinein als Heilmittel verwendete Substanz. Sie bestand aus zermahlenen ägyptischen Mumien. Die Substanz (oftmals bestehend aus mumifizierten Leichenteilen, Balsamierungsstoffen und einem Gemisch aus Pech und Asphalt[2]) war auch unter der Bezeichnung Mumia vera aegyptiaca im Handel und wurde auch von bekannten pharmazeutischen Unternehmen vertrieben. Daneben fand sie auch als farbschönes Braun-Pigment (Mumienbraun) Verwendung. Die Verwendung von Mumia wird heute aus ethischen Gründen nicht mehr akzeptiert. Mumia darf nicht verwechselt werden mit Mumijo, einem althergebrachten asphalthaltigen Naturprodukt, das in der zentralasiatischen Volksmedizin als Heil- und Stärkungsmittel verwendet wird.

Apothekendose aus dem 18. Jahrhundert mit Aufschrift „MUMIA“[1]

Laut Zekert[3] war die Verwendung des Wortes Mumia uneinheitlich:

  • Mischung von Einbalsamierungsstoffen aus den altägyptischen Mumien
  • Pulver aus den ganzen Mumien
  • Gemisch von Asphalt und Pech
  • Leichenteile von Gehängten

Geschichte

Bearbeiten
 
Natürliches Bitumen vom Toten Meer

Mumien wurden durch Grabraub in Ägypten und angrenzenden Landstrichen schon immer aus ihren Aufbewahrungsstätten entfernt. Neben den ‚Königsgräbern‘, also Gräbern hochgestellter Personen mit reichen Grabbeigaben, wurden auch riesige Mengen an schlichten Bestattungen gefunden. Daneben fanden sich auch zahlreiche Mumien von den Ägyptern heiligen Tieren, wie Falken oder Katzen.

Seit wann diese als Substanz verwendet wurden, ist unbekannt. Mumia soll vor zweitausend Jahren das erste Mal verwendet worden sein. Man nimmt heute an, dass sie ab dem 12. Jahrhundert nach Europa importiert wurde.[4] Zunächst war Mumia lediglich die arabische Bezeichnung für Erdpech (Asphalt und Bitumen), abgeleitet vom persisch-arabischen mûm bzw. môm für Wachs, das bereits seit der Antike als kostbares Heilmittel verwendet wurde. Aufgrund der Ähnlichkeit der in antiken ägyptischen Mumien vorgefundenen verharzten Balsamierungsprodukte mit diesen Erdpechen wurde deren Name Mumia oder Mumie auf die mumifizierten Körper übertragen. Zunächst wurden nur die harzähnlichen Balsamierungsprodukte aus den Mumien als Heilmittel gewonnen. Mit der Übertragung des Namens Mumia auf die mumifizierten Körper ging vermutlich auch die Vorstellung der heilenden Wirkung von den Erdpechen beziehungsweise der in den Mumien vorgefundenen Konservierungsprodukte auf die konservierten Körper selbst über.[5] Im 16. Jahrhundert verboten die Araber den Mumienhandel mit Europa. Sie wollten so verhindern, dass die Europäer ihre Vorfahren essen – damals hatte in Europa fast jede Apotheke ihre Mumie. Viele Mumienhändler haben darauf Gehängte und frisch Gestorbene im Wüstensand vergraben und zu „antiken Mumien“ gemacht.

 
Ägyptischer Mumienhändler (1875, Félix Bonfils)

Auch hat die beginnende Archäologie des 18. und 19. Jahrhunderts bestattete Altägypter wieder vermehrt zutage gefördert und den Markt mit deren sterblichen Überresten versorgt. In den Handel kam Mumia vera in Form eines hellen, schokoladenfarbenen Pulvers im Preis pro Pfund oder Kilogramm, oder ganze Köpfe nach Stück.[4] Noch 1924 wurde Mumia vera aegyptiaca für 12 Goldmark pro Kilogramm von der Firma Merck in Darmstadt verkauft.[6] Zu dieser Zeit wurde Mumia auch in Europa zunehmend verfemt. Der Kunstwissenschaftler Kurt Wehlte sicherte sich noch Material aus der Moeves’schen Künstlerfarbenfabrik in Berlin, um sie als historisches Dokument in seinem Materialienarchiv (heute Hochschule für Bildende Künste Dresden) aufzubewahren – die Restbestände wurden seinerzeit einfach „unrühmlich“[7] verheizt. Er erwähnt ausdrücklich, dass es sich um echte Leichenteile handelte („Man erkannt daran deutlich dicke Arterien und Röhrenknochen“ und „nur halb verfallene Bandagen“[7]), distanziert sich aber von der „pietätlosen Gewinnsucht“,[7] diese zu verarbeiten und zu verwenden. Proben historischer medizinischer Mumia befinden sich auch im Frankfurter Naturmuseum Senckenberg.[6][8]

Daneben waren Fälschungen aller Art für Mumia vera weit verbreitet. Viele dieser „Mumien“ waren wohl einheimischer Herkunft. So schrieb etwa J. van Beverwijck bereits 1656: „Aber bei uns wird der rechte Balsam (Zedernharz) sehr selten aus Ägypten gebracht, denn das meiste an Fleisch und Knochen stammt von armen Leuten, deren Leichnam der geringeren Kosten wegen nur balsamiert ist mit Asphalt oder Judenleim[9] …“ Bei seinem Landsmann Petrus Baerdt heißt es 1645: „… nennen die dasselbe noch Mumia, ob es etwas besonderes wäre, obgleich es ein Arm oder Bein von einem verfaulten oder gehängten Lazarus oder einem anderen pockigen Bordellbock gewesen sein mag.“ Im Großen Türkenkrieg wurden z. B. während der Belagerung von Ofen sogenannte „Ungläubige“, die den kaiserlichen Truppen oder ihren Alliierten in die Hände fielen, massakriert, gehäutet und ihre gedörrten Körper säckeweise in die Heimat geschickt, um als Mumia weiterverarbeitet zu werden.[10] Auch zahlreiche Moorleichen fanden ihren Weg in die Apotheken, wie die 1791 entdeckte Moorleiche von Kibbelgaarn oder das Skelett der 1895 entdeckten Moorleiche von Obenaltendorf aus Niedersachsen.

Die Mumienforschung wird seitens arabischer und afrikanischer Archäologen heute sehr kritisch beurteilt. Es herrscht Unklarheit, wie und in welchem Umfang die religiösen Vorstellungen der alten Ägypter, die zum Mumienkult geführt haben, beurteilt und berücksichtigt werden sollen.[11] Die Verwendung der Leichenteile aber kann als Grabschändung bezeichnet werden, der Verzehr ist eine Form des Kannibalismus.

Heilkunde und Zauberei

Bearbeiten
 
Hölzerne Apothekendose mit Aufschrift „MUMIÆ“[12]

Die angebliche Heilwirkung wurde auf bei der Mumifizierung verwendeten Teer zurückgeführt. Diesen Teer bezeichnete man als mumiya und man sagte ihm magische und heilende Kräfte nach. Man versuchte das seltene Mumiya aus Mumien zu gewinnen. Es sollte gegen so gut wie jede Krankheit helfen und wurde auch als ein Aphrodisiakum gepriesen. Man schluckte es, rieb es auf die Haut oder tat es direkt auf die Wunde. In welchem Ausmaß bei der Mumifizierung überhaupt Teer zur Verwendung kam, steht allerdings heute in Frage. Nachgewiesen wurde Bitumen in jüngster Zeit eindeutig. Aber auch andere organische Substanzen wie Gummiharze und Harze könnten teerähnliche Formen angenommen haben.[4]

Der Frankfurter Arzt Joachim Strüppe gibt 1574 in einem Traktat über den Gebrauch von Mumia 21 Anwendungsbereiche und Krankheiten, darunter Husten, Halsweh, Schwindel, Gichtbrüchigkeit, Herzweh, Zittern, Nierensucht und Kopfschmerzen.[6] Über die Verwendung von angeblichen oder echten ägyptischen Mumien als Heilmittel war in der Oeconomischen Encyclopädie von Johann Georg Krünitz im 18. Jahrhundert zu lesen: „Man rühmt sie sehr, das geronnene Geblüt und die Geschwulst zu zertheilen, und sie soll nicht bloß vermöge ihrer bituminösen und balsamischen Theile, sondern auch vermöge des flüchtigen Salzes wirken. […] Die Tinctur, welche daraus gemacht wird, besitzt die balsamischen Eigenschaften der Mumie; man gibt sie von 12 bis 24 Tropfen. Beim Einkauf müssen die Droguisten und Apotheker darauf sehen, dass sie große Stücke, die Fleisch haben, und keine bloße Knochen sind, bekommen, und die, wenn man etwas davon auf Kohlen wirft, zwar stark, aber nicht nach Pech riechen. Je schöner und balsamischer der Geruch ist, desto höher schätzt man die Waare.“[13] In Russland wurde die Anwendung von Mumia durch den Schriftsteller Leo Tolstoi als „wachstumsförderndes Remedium“ propagiert.

In der traditionellen chinesischen Medizin wird eine aus in Honig mumifizierten Leichen hergestellte Arznei als Behandlung für Knochenbrüche beschrieben. Allerdings ist unklar, ob eine solche Arznei jemals hergestellt wurde.[14] In der historischen europäischen Medizin waren auch weitere menschliche Arzneistoffe wie Menschenfett (axungia hominis) oder Cranium humanum (menschlicher Schädel) über viele Jahrhunderte in Gebrauch.

Paracelsische Tradition

Bearbeiten

Im 17. Jahrhundert wird unter Mumie in der magisch-medizinischen Tradition des Paracelsus auch ein „überaus feiner, subtiler geistiger Teil, der einem jeden Menschen angeboren“ verstanden, welcher in seinen Körperteilen (Blut, Gewebe und Ausscheidungen) präsent ist und sogar eine Zeitlang über den Tod hinaus verbleibt. Mittels dieser „Mumie“ sollten sich durch „Transplantation“ (Übertragung auf andere Lebewesen) im Sinne eines „animalischen Magnetismus“ Wunderdinge verrichten lassen, sogenannte „magnetische Kuren“, etwa in einer Waffensalbe.[15]

Mumie, auch Mumienbraun, ist ein „bestechend schönes“,[7] tiefbraunes Pigment. Als Künstlerfarbe wird es durchgehend seit der Mitte des 16. Jahrhunderts verwendet.[4] Es wurde insbesondere in der Ölmalerei geschätzt, wo es häufig in der seinerzeit verbreiteten „altmeisterlichen“ Technik der Braununtermalung eingesetzt wurde, in der es von lasierend bis deckend verwendbar war. Daneben war es auch für Schattierung beliebt. Neuere Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass der färbende Bestandteil von ägyptischen Mumien Bitumen war.[16]

Gegen Ende des 19. Jh. kommt auch Extraktion mit Ammoniak, organischen Lösungsmitteln oder ätherischen Ölen in Gebrauch, um eine Substanz zu gewinnen, die in der Literatur unter der Bezeichnung Mumiin geführt wird.[4]

Literatur

Bearbeiten
  • Die ägyptische Mumie: ein Phänomen der Kulturgeschichte: die ägyptischen Mumien und die Mumifizierung als spezifisches Phänomen der altägyptischen Kultur sowie deren Rezeption als ein Phänomen der europäischen Kultur: eine Fallstudie zum Bild vom Alten Ägypten; Beiträge eines Workshops am Seminar für Sudanarchäologie und Ägyptologie der Humboldt-Universität zu Berlin <25. und 26. April 1998>. In: Martin Fitzenreiter, Christian E. Loeben (Hrsg.): Internet-Beiträge zur Ägyptologie und Sudanarchäologie (IBAES). Band 1. Humboldt-Universität zu Berlin - Seminar für Sudanarchäologie und Ägyptologie, Berlin 1998 (hu-berlin.de [PDF; 1,5 MB; abgerufen am 21. September 2016]).
  • Benno R. Meyer-Hicken: Über die Herkunft der Mumia genannten Substanzen und ihre Anwendung als Heilmittel. Dissertation, Fachbereich Medizin, Universität Kiel 1978.
  • Eintrag Mumie. In: Kurt Wehlte: Werkstoffe und Techniken der Malerei. 4. Auflage. Maier, Ravensburg 1990, ISBN 3-473-48359-1, Kapitel 1.48: Lexikalisches Verzeichnis von Pigmenten. Abschnitt 4: Braune Pigmente, S. 133.
  • Alfred Wiedemann: Mumie als Heilmittel. In: Zeitschrift des Vereins für rheinische und westfälische Volkskunde. Jahrgang 3, 1906, S. 1–38 (online hier).
  • Catarina I. Bothe, Asphalt. In: Barbara H. Berrie (Hrsg.): Artists' Pigments. A Handbook of Their History and Characteristics. Band 4, Archetype, Washington/ London 2007, S. 111–149.
  • Catarina I. Bothe, Mumienbraun. Sie war noch nicht 2100 Jahre alt und gab ein sehr schönes Braun. in Stefan Muntwyler, Juraj Lipscher, Hanspeter Schneider (Hrsg.): Das Farbenbuch, 367 Pigmente und Farbstoffe, 17 Pigmentanalysen von Gemälden, 19 Farbgeschichten. 2. Auflage, alataverlag, Elsau 2023, ISBN 978-3-033-08879-5, S. 414–421.
Bearbeiten
Commons: Mumia – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. Aus dem Bestand des Deutschen Apothekenmuseums Heidelberg
  2. Gundolf Keil: Die „Cirurgia“ Peters von Ulm. Untersuchungen zu einem Denkmal altdeutscher Fachprosa mit kritischer Ausgabe des Textes (= Forschungen zur Geschichte der Stadt Ulm. Band 2). Stadtarchiv, Ulm 1961 (zugleich: Philosophische Dissertation, Universität Heidelberg, 1960), S. 426.
  3. Otto Zekert (Hrsg.): Dispensatorium pro pharmacopoeis Viennensibus in Austria 1570. Hrsg. vom österreichischen Apothekerverein und der Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie. Deutscher Apotheker-Verlag Hans Hösel, Berlin 1938, S. 148.
  4. a b c d e Catarina I. Bothe: „Der größte Kehricht aller Farben?“ Über Asphalt und seine Verwendung in der Malerei. von Zabern, Mainz 2000 (1999), ISBN 3-8053-2585-1; Zitiert nach Kremer Pigmente: Mumie (Memento vom 12. Januar 2005 im Internet Archive). Auf: kremer-pigmente.com; zuletzt abgerufen am 17. Juli 2014.
  5. Elfriede Grabner: „Menschenfett“ und „Mumie“ als heilkräftige Drogen. In: Österreichische Ärztekammer (Hrsg.): Österreichische Ärztezeitung. 11. Oktober 1982, ISSN 0029-8786, S. 1006.
  6. a b c Beatrix Geßler-Löhr: Mumia vera aegyptiaca im Abendland. In: Weg zur Unsterblichkeit. Mumien und Mumifizierung im Alten Ägypten (= Naturmuseum Senckenberg, Ausstellung. Band 4, Nr. 8 [Loseblattmappe]). Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1995.
  7. a b c d Zitat wörtlich in K. Wehlte: Werkstoffe und Techniken der Malerei. Ravensburg 1990.
  8. M. Fitzenreiter, C. E. Loeben (Hrsg.): Die ägyptische Mumie: ein Phänomen der Kulturgeschichte. Berlin 1998, Kapitel III: Rezeption und Umfeld, S. 109f., leicht verändert wiedergegebener Beitrag (PDF-Datei (Memento vom 9. Juni 2007 im Internet Archive), abgerufen am 17. Juni 2014).
  9. Zum Terminus vgl. Asphalt#Antike.
  10. Ludwig Hüttl: Max Emanuel. Der Blaue Kurfürst, 1679–1726. Eine politische Biographie. 3. Auflage. Süddeutscher Verlag, München 1976, ISBN 3-7991-5863-4, S. 153.
  11. Fitzenreiter: Tod und Tabu - Der Tote und die Leiche im kulturellen Kontext Altägyptens und Europas. In: Fitzenreiter, Loeben (Hrsg.): Die ägyptische Mumie. 1998, Kapitel I: Einleitung, S. 9–18.
  12. Aus dem Bestand des Museum für Hamburgische Geschichte, Hamburg
  13. Eintrag Mumie, die. In: J. G. Krünitz (Hrsg.): Oekonomische Encyklopädie. Band 96: Mumie bis Mummer. Pauli, Berlin, S. 662 (kruenitz1.uni-trier.de [abgerufen am 21. September 2016] Editionszeit der Enzyklopädie 1773–1858).
  14. Mary Roach: Stiff: The Curious Lives of Human Cadavers. Paw Prints, 2008, ISBN 978-1-4352-8742-6 (google.com [abgerufen am 9. Oktober 2010]).
  15. Mumie, überaus feiner, subtiler geistiger Theil, der einem ieden Menschen angebohren. In: Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste. Band 22, Leipzig 1739, Sp. 745.
  16. Catarina I. Bothe: Asphalt. In: Barbara H. Berrie (Hrsg.): Artists’ Pigments. A Handbook of Their History and Characteristics. Band 4. Washington/ London 2007, S. 111–149.