Osmanen Germania

deutsch-türkisch-nationalistische, rockerähnliche Gruppierung und Boxclub
(Weitergeleitet von Osmanen Germania BC)

Die Osmanen Germania (auch Osmanen Germania BC, kurz OGBC) waren eine türkisch-nationalistische, rockerähnliche Gruppierung mit Schwerpunkt in Deutschland. Der Verein und seine Teilorganisationen wurden im Juli 2018 in Deutschland verboten.

Der Zusammenschluss soll finanziell von der türkischen Regierungspartei AKP unterstützt werden. Ermittler deutscher Sicherheitsbehörden werfen den Osmanen Germania Übergriffe und gewalttätige Einschüchterungen gegen links eingestellte Türken, kurdische Kritiker von Präsident Erdoğan und die Gülen-Bewegung vor. Ihre Aktivitäten werden der organisierten Kriminalität zugerechnet. Laut der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke (Die Linke) traten Mitglieder der Osmanen als Ordner auf Demonstrationen der rechtsextremen Grauen Wölfe auf.[1] Hinzu kamen zahlreiche gewalttätige Auseinandersetzungen mit der ebenfalls rockerähnlich strukturierten, kurdisch geprägten Bahoz.

Geschichte

Bearbeiten

Nach eigenen Angaben wurde der Club im April 2015 von Türkischstämmigen gegründet und galt als eine der am schnellsten wachsenden Gruppierungen im deutschen Rockermilieu.[2] Nach Erkenntnissen des Landeskriminalamtes Niedersachsen wurde er Ende 2014 in Frankfurt am Main gegründet und teilte sich im Mai 2015 in den Osmanen BC Frankfurt und den Osmanen Germania BC Rodgau. Als Gründungspräsidenten fungieren der Boxer Mehmet Bağcı und der Ex-Hells-Angel Selçuk „Can“ Şahin.[3] Anschließend expandierte er bundes- und europaweit unter dem Namen Osmanen Germania BC. Trotz der Eigenbezeichnung als Boxclub (BC) konnte keine über die Aktivitäten vergleichbarer Gruppierungen hinausgehende Affinität zum Boxsport beobachtet werden.[4]

Bei einer Razzia gegen die Osmanen Germania im April 2016 nahm die Polizei in Nordrhein-Westfalen sieben Personen vorläufig fest. Weitere Durchsuchungen fanden in Essen, Dinslaken, Düsseldorf, Solingen und Kerpen statt.[5]

Am 16. August 2016 nahm die saarländische Polizei den wegen Drogenhandels gesuchten Vizepräsidenten der Rockergruppe Osmanen Germania fest.[6]

Am 23. Oktober 2016 trafen sich Hunderte Anhänger der Osmanen im hessischen Dietzenbach zu einem World Meeting. An diesem Treffen soll auch der ehemalige Guantánamo-Häftling Murat Kurnaz teilgenommen haben; er sollte angeworben werden.[7][8]

Im November 2016 kam es gleichzeitig in sechs Bundesländern zu einer Großrazzia gegen den Club, an der mehr als etwa tausend Beamte beteiligt waren. Mehrere Personen wurden festgenommen, zudem wurden unter anderem Speichermedien, Schusswaffen und Munition sichergestellt. Bei den Verhafteten soll es sich unter anderem um Tatverdächtige eines Handgranaten-Anschlages auf eine Shisha-Bar in Saarbrücken handeln. Dieser Anschlag fand im August 2016 statt und steht im Zusammenhang mit dem Konflikt zwischen den Osmanen und den kurdischen Bahoz. Im Zusammenhang mit demselben Konflikt kam es ebenfalls im November 2016 in Ludwigsburg und Stuttgart zu mehreren Brandanschlägen auf Autos und Drohungen seitens der kurdischen Rivalen.[9][10][11] In der Folge kam es im März 2017 in Hessen und anderen Bundesländern zu einer weiteren Razzia, bei der Geschäftsräume von zwei Firmen und Wohnräume durchsucht wurden. Grund waren Ermittlungen wegen Geldwäsche, Urkundenfälschung, Erpressung und Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz.[12]

Ebenfalls im Jahr 2016 beauftragte die Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) die Osmanen Germania, Jan Böhmermann auszuspionieren und eine Bestrafungsaktion durchzuführen für ein Schmähgedicht gegen Recep Tayip Erdogan. Ermittler hörten dementsprechende Telefonate ab und warnten Böhmermann daraufhin.[13]

Am 27. Juni 2017 wurden bei einer Razzia fünf Mitglieder der Rockergruppe Osmanen Germania BC festgenommen. In Baden-Württemberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen wurden Wohnungen, Geschäftsräume und Fahrzeuge durchsucht.[14]

Im Juli 2017 berichtete Stern TV über einen als „Cebo“ bezeichneten Wuppertaler Aussteiger der Osmanen Germania. Dieser berichtete von zahlreichen kriminellen Aktivitäten wie auch von Mordaufträgen gegen ihn selbst.[15]

Am 13. März 2018 gingen Behörden mit koordinierten Hausdurchsuchungen in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Hessen gegen die Gruppe vor. Es bestehe der „dringende Verdacht, dass Zweck und Tätigkeit des Vereins ‚Osmanen Germania BC‘ den Strafgesetzen zuwiderlaufen“, teilte das Bundesinnenministerium mit. In Nordrhein-Westfalen wurden 41 Objekte, teilweise mit Spezialkräften, und in Hessen zehn Objekte durchsucht. Laut einem Pressebericht der Stuttgarter Nachrichten wurden in Baden-Württemberg auch Räume in den Justizvollzugsanstalten Offenburg und Stuttgart-Stammheim durchsucht, weil dort die Anführer der Osmanen Germania in Untersuchungshaft säßen.[16]

Am 26. März 2018 begann vor dem Landgericht Stuttgart ein Prozess gegen acht Mitglieder der Gruppierung, darunter die in Untersuchungshaft sitzenden Gründer Mehmet Bağcı und Selçuk Şahin. Ihnen wird u. a. versuchter Mord, versuchter Totschlag und Menschenhandel in insgesamt 17 Fällen vorgeworfen.[17] Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg hatte zuvor die Sonderkommission Meteor gegründet und innerhalb eines Jahres in 120 Verfahren gegen Gruppenmitglieder ermittelt.

Am 10. Juli 2018 hat Bundesinnenminister Horst Seehofer den Verein Osmanen Germania BC einschließlich der Teilorganisationen verboten und jede Tätigkeit untersagt. Das Verbot nach dem Vereinsgesetz ist dem Ministerium zufolge erfolgt, da Zweck und Tätigkeit des Vereins den Strafgesetzen zuwiderliefen und eine schwerwiegende Gefährdung für individuelle Rechtsgüter und die Allgemeinheit vom Verein ausging.[18][19][20]

Struktur und Netzwerk

Bearbeiten

Anfang 2016 hatte der Club 20 „Chapters“. Davon bestanden neun in Nordrhein-Westfalen in Aachen, Bielefeld, Bochum, Dortmund, Düsseldorf, Duisburg, Essen, Köln und Münster.[21] Nach eigenen Veröffentlichungen haben die Osmanen Germania in Deutschland 2.500, weltweit 3.500 Mitglieder.[4] Der Club baute nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Türkei, in Österreich, in der Schweiz und in Schweden Strukturen auf.[22]

Laut Meldungen von Ende 2015 besteht ein Pakt mit den türkischen Hells Angels MC Turkey Nomads um Necati Arabaci.[23] Niedersächsische Ermittlungsbehörden vermuteten, der Club wolle Marktanteile an den illegalen Geschäften der Hells Angels übernehmen.[24]

Nähe zur türkischen Regierung

Bearbeiten

Der Publizist Jürgen Roth schrieb 2016, dass die Osmanen Germania neben dem Kontakt zu den rechtsextremen Grauen Wölfen auch enge Kontakte zur türkischen Regierungspartei AKP haben.[25]

Die nordrhein-westfälische Landesregierung geht von einer Zusammenarbeit der Rockergruppe mit türkischen Sicherheitsbehörden aus. Innenminister Herbert Reul (CDU) führte in einem Bericht für die Sitzung des Landtags-Innenausschusses am 19. Oktober 2017 aus, von den türkischen Behörden würden „die Aktivitäten der Osmanen Germania BC in Deutschland als ‚Terrorbekämpfung‘ bewertet – also gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), linksextremistische Türken und die Gülen-Bewegung gerichtet – und […] unterstützt“. Zudem bestünden „Kontakte zwischen den Führern der Osmanen Germania und Vertretern der AKP sowie Beratern von Staatspräsident Erdogan“.[26][27]

Recherchen der Stuttgarter Zeitung und des ZDF-Magazins Frontal21 zufolge soll es Geldtransfers aus AKP-Kreisen an die Gruppierung gegeben haben. Diese sollen unter anderem für die Beschaffung vollautomatischer Schusswaffen benutzt worden sein. Abhör- und Observationsprotokollen zufolge hat der AKP-Abgeordnete Metin Külünk mehrmals an Führungsmitglieder der Osmanen Geld übergeben.[28]

Die Ermittler sollen zudem auch Erkenntnisse über Absprachen (in Form eines Telefonates) zwischen Külünk, Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu und Erdoğan haben, wonach Erdoğan im Zuge der Bundestagsresolution zum Völkermord an den Armeniern der Gruppierung Proteste anordnete.[29][30]

In einem Enthüllungsvideo thematisierte Sedat Peker die Finanzierung der Gruppe und deren enge Verbindungen zur türkischen Regierung.[31][32]

Bearbeiten

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. Osmanen Germania auf Expansionskurs: Die Rocker-Boxer gibt es jetzt auch in Österreich und der Schweiz. In: N24.de. Abgerufen am 2. Juni 2016.
  2. Kristian Frigelj: „Wir kommen und übernehmen das ganze Land“. In: Die Welt, 16. Februar 2016.
  3. Dietmar Seher: Polizei geht gegen neuen Rockerclub „Osmanen Germania“ vor. In: Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 31. Januar 2016.
  4. a b Der Präsident des Niedersächsischen Landtages: „Osmanen Germania“ – Boxclub, Rockergruppe oder kriminelle Vereinigung? In: Unterrichtung (zu Drs. 17/5130): Antworten auf Mündliche Anfragen […]. Niedersächsischer Landtag, 17. Wahlperiode, Drucksache 17/5210, 19. Februar 2016, S. 1–3 (PDF). Abgerufen am 12. Juli 2018.
  5. Festnahmen bei Razzia gegen „Osmanen“-Rocker in NRW. In: welt.de. 18. April 2016, abgerufen am 18. August 2016.
  6. Polizei nimmt Vizepräsident einer Rockergruppe fest. In: TZ. 18. August 2016, abgerufen am 18. August 2016.
  7. Türkische Rocker wollten Ex-Guantánamo-Häftling anwerben. In: welt.de. 6. März 2017, abgerufen am 8. Juni 2017.
  8. Osmanen Germania: Rockergruppe wollte Murat Kurnaz anwerben. In: weser-kurier.de. 8. März 2017, abgerufen am 8. Juni 2017.
  9. Konflikt von Türken und Kurden in Ludwigsburg – Neue Eskalation im Bandenkrieg erreicht. In: stuttgarter-zeitung.de. 21. November 2016, abgerufen am 18. Dezember 2016.
  10. „Osmanen Germania“ Polizei rückt zur Großrazzia gegen Rocker aus. In: n24.de. 9. November 2016, abgerufen am 7. Dezember 2016.
  11. Rockerkrieg gegen kurdische „Bahoz“ Drei „Osmanen“-Rocker wegen Anschlags in U-Haft. In: heute.at. 11. November 2016, abgerufen am 13. April 2020.
  12. Razzia gegen Osmanen-Rocker. In: Hessenschau. 7. März 2017, abgerufen am 8. März 2017.
  13. Marc Brost, Michael Thumann, Vera Weidenbach: Osmanen Germania: Vorgeschickt von Erdoğan? In: Die Zeit. 15. April 2018, abgerufen am 4. April 2021.
  14. „Osmanen Germania“: Razzien gegen Rocker – mehrere Festnahmen. In: Spiegel Online. Abgerufen am 27. Juni 2017.
  15. Ein Aussteiger der Osmanen Germania spricht über die Aktivitäten des berüchtigten Boxclubs. In: Stern TV. 12. Juli 2017, abgerufen am 10. Juli 2018.
  16. tagesschau.de: Razzia bei Rockergruppe „Osmanen Germania“. Abgerufen am 13. März 2018.
  17. Süddeutsche Zeitung: [1]
  18. „Wer den Rechtsstaat ablehnt, kann keine Nachsicht erwarten“: Verbot der rockerähnlichen Gruppierung „Osmanen Germania BC“. (Memento des Originals vom 11. Juli 2018 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.bmi.bund.de Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat. Pressemitteilung, 10. Juli 2018, abgerufen am 11. Juli 2018.
  19. Rockerähnliche Gruppe: Horst Seehofer verbietet „Osmanen Germania“. In: FAZ.NET. ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 10. Juli 2018]).
  20. Rockergruppe: Innenministerium verbietet „Osmanen Germania“. In: Spiegel Online. 10. Juli 2018 (spiegel.de [abgerufen am 10. Juli 2018]).
  21. Frank Lehmkuhl: Rockergruppe verbreitet sich rasant. „Bis zum letzten Tropfen Blut“: So gefährlich ist der „Osmanen Germania Boxclub“. In: Focus, 17. Februar 2016.
  22. Landeskriminalamt hat Osnabrücker Rocker im Visier. In: Neue Osnabrücker Zeitung, 18. Februar 2016.
  23. Osmanen Germania mit Geheimtreffen in Berlin. In: Bild, 9. November 2015.
  24. Übersicht: Das sind die Rockerclubs in Niedersachsen. In: Neue Osnabrücker Zeitung. 5. Februar 2016, abgerufen am 2. Mai 2016.
  25. Türkische Rocker stellen Polizei vor Herausforderungen. In: op-online.de. 21. Juli 2016, abgerufen am 2. Februar 2017.
  26. Erkenntnisse des NRW-Innenministeriums: Rockergruppe „Osmanen Germania“ soll mit der Türkei zusammenarbeiten. Tagesspiegel, 18. Oktober 2017.
  27. Türkische Behörden setzen Rocker gegen ihre Gegner in Deutschland ein. Frankfurter Allgemeine Zeitung. 18. Oktober 2017.
  28. RP ONLINE: Rockergruppe 'Osmanen Germania Boxclub': Türkischer Abgeordneter soll Rocker angeheuert haben. Abgerufen am 31. Januar 2018.
  29. Stuttgarter Nachrichten, Stuttgart, Germany: Türkisches Netzwerk in Deutschland: Erdogans Vertrauter zündelt im Südwesten. In: stuttgarter-nachrichten.de. (stuttgarter-nachrichten.de [abgerufen am 14. Dezember 2017]).
  30. Vertrauter Erdoğans zündelt in Deutschland. (zdf.de [abgerufen am 14. Dezember 2017]).
  31. dtj-online: Warum ein Solinger Sedat Peker fürchten muss. In: DTJ Online. 8. Juli 2021, abgerufen am 11. Juli 2021 (deutsch).
  32. Bande „Osmanen Germania“ wurde mit Mafia-Geld aus der Türkei finanziert. Abgerufen am 11. Juli 2021.