Plünderung
Mit Plünderung (von mittelniederdeutsch plunder für ‚Hausrat, Wäsche‘) bezeichnet Diebstahl, Unterschlagung oder Raub während Tumulten oder Kriegshandlungen (vgl.: Marodeur).
Phänomenologie
BearbeitenOpfer einer Plünderung werden einzelne Personen, Behältnisse und Transportgeräte, ganze Gebäude oder gar Ortschaften und Landstriche; häufig werden evakuierte Gebiete aber auch z. B. nur kurzzeitig verlassene Wohnungen das Ziel von Untaten. Schiffe auf offener See werden von Piraten geplündert. Ebenfalls wird von plündernden Soldaten während und nach kriegerischen Auseinandersetzungen berichtet (Kriegsbeute), die damit nach Kriegsvölkerrecht eine Straftat begehen – im Gegensatz zu einem Oberbefehlshaber, der eine Requisition oder Kontribution anordnen kann. Im Gefolge von Kriegen spezialisieren sich auch Banden auf Plünderungen.
Die Plünderer bedienen sich auch der Notsituationen, die z. B. durch vorangegangenen Raub oder Schädigung ausgelöst wurden. Unfälle, Kampfhandlungen und andere Sachverhalte, die Abwesenheit von Schutzpersonen und der Öffentlichkeit bedingen, ziehen häufig Plünderungen nach sich. Auch bei Pogromen wird geplündert. Im Fall von Katastrophen wird von den Medien und anderen Institutionen nicht selten auch da „Plünderung“ unterstellt, wo zwar einige rauben, aber andere – Durstende, Hungernde, Frierende usw. – sich nur das Nötigste verschaffen (Mundraub).
Der Begriff „Plünderung“ wird bildlich auch im Zusammenhang mit Verhalten gebraucht, das für kurzfristigen (monetären) Vorteil langfristig größere Schäden in Kauf nimmt (siehe auch Raubbau). Umweltschützer nennen den Abbau fossiler Rohstoffe ebenso Plünderung wie das Abholzen von Regenwald, die Brandrodung und das Überfischen eines Gewässers. Wer unbedacht Güter verbraucht, plündert sein Konto und/oder seine Reserven.
Rechtliches
BearbeitenAllgemeines Strafrecht
BearbeitenIn Deutschland gilt das Plündern, das aus einer Menschenmenge, die sich zu Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen zusammengerottet hat, heraus begangen wird, in der Regel als besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs (§ 125a Nr. 4 StGB). Dadurch ergibt sich gegenüber den allgemeinen Bestimmungen des Diebstahls bzw. der Unterschlagung eine Strafschärfung (Qualifikation).
Die Abwehr von Plünderern ist im Rahmen einer Notwehrhandlung erlaubt.
Kriegsrecht
BearbeitenGeltendes Recht
BearbeitenPlünderung ist nach Art. 28 sowie den Art. 47 und Art. 48 der Haager Landkriegsordnung verboten.[1]
Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts gelten in Deutschland gemäß Art. 25 Grundgesetz, in Österreich gemäß Art. 9 des Bundes-Verfassungsgesetzes, in der Schweiz gemäß Artikel 5 Satz 4 Bundesverfassung.
Die Bestrafung von Plünderungen richtet sich in Deutschland nach § 9 Absatz 1 Völkerstrafgesetzbuch, in Österreich nach § 321c Nr. 1 StGB und in der Schweiz nach Artikel 264 g lit. c StGB.
Geschichte
BearbeitenWährend des Zweiten Weltkriegs verurteilten zahlreiche deutsche Gerichte oder Sondergerichte Menschen wegen Plünderei zu teils drakonischen Strafen bis hin zur Todesstrafe.
Beispiele:
- Das Sondergericht II beim Landgericht Berlin verurteilte am 2. März 1943 einen „Plünderer“, der nach einer Bombennacht eine herrenlose Tasche an sich genommen hatte, zum Tode. Er wurde vierundzwanzig Stunden nach seiner Tat hingerichtet.[2]
- Das Sondergericht Braunschweig verurteilte die 19-jährige Erna Wazinski wegen angeblicher „Plünderung“ nach dem Bombenangriff vom 15. Oktober 1944 auf Braunschweig als „Volksschädling“ zum Tode. Der Fall kam nach dem Krieg mehrmals vor Gerichte; das Urteil der NS-Richter wurde aber erst am 21. März 1991 vom Landgericht Braunschweig aufgehoben und Erna Wazinskis Unschuld wurde festgestellt.
- siehe auch eine Listung von Fällen hier.
Unter der Besetzung Deutschlands nach 1945 drohte die Verordnung Nr. 1 der Militärregierung in Artikel 1 Nr. 16 für Plünderung die Todesstrafe an[3]; diese Verordnung Artikel 6 des Gesetzes Nr. 14 der Alliierten Hohe Kommission am 25. November 1949[4] aufgehoben. Im Zweiten Weltkrieg begangene Plünderungen wurden von den Alliierten nach Artikel 2 b Kontrollratsgesetz Nr. 10 bestraft.
Beispiele
Bearbeiten- Beim Boxeraufstand im Jahr 1900 in China schickten zahlreiche damalige Mächte (darunter auch das Deutsche Kaiserreich) Truppen nach Peking; diese bildeten ein multinationales Expeditionskorps. Das Expeditionskorps erreichte am 13. August 1900 Peking, das bereits am folgenden Tag fiel. Peking wurde von den Alliierten drei Tage lang geplündert, was Kritiker – angesichts des hohen zivilisatorischen Anspruchs der Europäer – befremdete. Auch Kulturgüter wurden geraubt.[5]
- Unter Bürgerkriegsbedingungen führten illegale Ausgrabungen und gezielte Raubüberfälle sowie Kriegszerstörungen immer wieder zum Verlust und zur Zerstörung historischer Stätten in Syrien, im Irak, im Jemen und in Libyen.[6]
- Verbrechen der Roten Armee im Zweiten Weltkrieg
- Verbrechen der Wehrmacht
- Kriegsverbrechen der japanischen Streitkräfte im Zweiten Weltkrieg
- Kriegsverbrechen der Alliierten im Zweiten Weltkrieg
- Kriegsverbrechen im Russisch-Ukrainischen Krieg#Plünderungen
Siehe auch
BearbeitenLiteratur
Bearbeiten- Kornelia Kończal: Politics of Plunder. Post-German Property and the Reconstruction of East Central Europe after the Second World War. EUI Florenz 2017.
- Kornelia Kończal: Das Schreiben und das Schweigen über die Plünderung des deutschen Eigentums. Die identitätsstiftende Figur des szabrownik im Nachkriegspolen. In: Włodzimierz Bialik, Czesław Karolak und Maria Wojtczak (Hg.): Ungeduld der Erkenntnis. Eine klischeewidrige Festschrift für Hubert Orłowski, Peter Lang, Frankfurt a. M. 2014, S. 155–170.
- Kornelia Kończal: The Quest for German Property in East Central Europe after 1945: The Semantics of Plunder and the Sense of Reconstruction. In: Yvonne Kleinmann u. a. (Hg.): Imaginations and Configurations of Polish Society. From the Middle Ages through the Twentieth Century. Wallstein, Göttingen 2017, S. 291–312.
- Kornelia Kończal: German Property and the Reconstruction of East Central Europe after 1945: Politics, Practices and Pitfalls of Confiscation. In: European Review of History. Revue européenne d’histoire 28 (2), 2021, S. 278–300.
Weblinks
BearbeitenEinzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Website der Bundesbehörden der Schweizer Eidgenossenschaft: Vertragstext der Haager Landkriegsordnung, Volltext.
- ↑ Klein, S. 177.
- ↑ Strafgesetzbuch mit 77 Nebengesetzen. 17. Auflage. Biederstein, München 8. Mai 1949, S. 400.
- ↑ Strafgesetzbuch mit 77 Nebengesetzen. 20. Auflage. C. H. Beck, München 1951, S. 406/407.
- ↑ Till Spurny: Die Plünderung von Kulturgütern in Peking 1900/1901. wvb Wissenschaftlicher Verlag, Berlin 2008, ISBN 978-3-86573-360-3.
- ↑ Birthe Hemeier, Isber Sabrine (Hrsg.): Kulturraub – Fallbeispiele aus Syrien, Irak, Jemen, Ägypten und Libyen. Staatliche Museen zu Berlin. Reimer / Gebr. Mann Verlag, Berlin 2021, ISBN 978-3-496-01669-4 (Verlagsbeschreibung).