Poincaré-Lemma

Satz aus der Mathematik
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Das Poincaré-Lemma ist ein Satz aus der Mathematik und wurde nach dem französischen Mathematiker Henri Poincaré benannt.

Exakte und geschlossene Differentialformen

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  • Eine Differentialform   vom Grad   heißt geschlossen, falls   gilt. Dabei bezeichnet   die äußere Ableitung.
  • Eine Differentialform   vom Grad   heißt exakt, falls es eine  -Differentialform   gibt, so dass   gilt. Die Form   nennt man eine Potentialform von  

Die Potentialform ist nicht eindeutig bestimmt, sondern nur "bis auf Umeichung" (siehe unten).

Wegen   ist jede exakte Differentialform auch geschlossen. Das Poincaré-Lemma gibt Voraussetzungen an, unter denen auch die umgekehrte Aussage gilt. Beim Beweis ergibt sich darüber hinaus eine Verallgemeinerung des Lemmas: Von jeder Differentialform lässt sich „per Konstruktion“ ein exakter Anteil abspalten.

Das Poincaré-Lemma besagt, dass jede auf einer sternförmigen offenen Menge   definierte geschlossene Differentialform exakt ist.

Die Aussage lässt sich abstrakter auch so formulieren: Für eine sternförmige offene Menge   verschwindet die  -te De-Rham-Kohomologie für alle  :

 

Im dreidimensionalen Spezialfall besagt das Poincaré-Lemma, in die Sprache der Vektoranalysis überführt, dass ein auf einem einfach-zusammenhängenden Gebiet definiertes wirbelfreies Vektorfeld als Gradient eines Potentialfeldes   ( ), ein quellfreies Vektorfeld auf einem konvexen Gebiet durch Rotation eines Vektorpotentials   ( ), und eine skalare Felddichte („Quellendichte“) als Divergenz eines Vektorfeldes ( ) dargestellt werden können.

Beweis (konstruktiv)

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Sei   der Punkt, um welchen herum   sternförmig ist. Das Poincaré-Lemma gibt explizit eine  -Form an, und zwar mit folgender Formel: Einer beliebigen  -Form   lässt sich, Geschlossenheit nicht notwendig vorausgesetzt, eine  -Form   zuordnen, aus der sich bei Geschlossenheit die gesuchte Potentialform ergibt: Diese zugeordnete Form lässt sich durch folgende Abbildung definieren:

 .

(Das Dachsymbol in der  -ten Spalte der rechten Seite bedeutet, dass das entsprechende Differential ausgelassen wird.)

Nun zeigt man direkt, dass folgende Identität gilt:   was formal der Produktregel der Differentiation entspricht und die durch   repräsentierten Eigenschaften in zwei Anteile zerlegt, von denen der zweite die gesuchte Eigenschaft besitzt.

Wegen der Voraussetzung   und wegen   ergibt sich zunächst   Dies gilt ohne Einschränkung der Allgemeinheit auch ohne das vorderste   der rechten Seite, und zwar deshalb, weil durch die Forderung   die Form   nur am Nullpunkt betrachtet wird, sodass wie beim Totalen Differential einer Funktion aus   bis auf sog. Eichtransformationen (siehe unten) auch   gefolgert werden kann.

Somit bleibt nur der letzte Term der obigen Identität, und es folgt die gesuchte Aussage:   mit  

Die angegebene Identität verallgemeinert zugleich das Poincarésche Lemma durch Zerlegung einer beliebigen Differentialform   in einen nicht-exakten („anholonomen“) und einen exakten („holonomen“) Anteil (die eingeklammerten Bezeichnungen entsprechen den sog. Zwangskräften in der analytischen Mechanik). Es entspricht zugleich der Zerlegung eines beliebigen Vektorfeldes in einen Wirbel- und einen Quellen-Anteil.

In der Sprache der homologischen Algebra ist   eine kontrahierende Homotopie, die z. B. auf den zentralen Punkt des hier betrachteten sternförmigen Gebietes kontrahiert.

Umeichung

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Das so definierte   ist nicht die einzige  -Form, deren äußeres Differential   ist. Alle anderen unterscheiden sich aber höchstens um das Differential einer  -Form voneinander: Sind   und   zwei solche  -Formen, so existiert eine  -Form   derart, dass   gilt.

Der Zusatz   wird auch als Eichtransformation bzw. Umeichung von   bezeichnet.

Anwendung in der Elektrodynamik

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Aus der Elektrodynamik ist der Fall eines von einem stationären Strom erzeugten Magnetfeldes bekannt, mit dem sog. Vektorpotential   Dieser Fall entspricht  , wobei das sternförmige Gebiet der   ist. Der Vektor der Stromdichte ist   und entspricht der Stromform   Für das Magnetfeld   gilt Analoges: es entspricht der Magnetflussform   und lässt sich aus dem Vektorpotential ableiten:  , oder  . Dabei entspricht das Vektorpotential   der Potentialform   Die Geschlossenheit der Magnetflussform entspricht der Quellenfreiheit des Magnetfeldes  

Unter Verwendung der Coulomb-Eichung   bzw. passend zu   gilt dann für i=1,2,3

 

dabei ist   eine Naturkonstante, die sogenannte Magnetische Feldkonstante.

An dieser Gleichung ist u. a. bemerkenswert, dass sie vollständig einer bekannten Formel für das elektrische Feld   entspricht, dem Coulombpotential   einer gegebenen Ladungsverteilung mit der Dichte  . Man vermutet an dieser Stelle bereits, dass

  •   und   bzw.
  •   und   sowie
  •   und  

zusammengefasst werden können und dass sich die relativistische Invarianz der Maxwellschen Elektrodynamik daraus ergibt, siehe dazu Elektrodynamik.

Wenn man die Bedingung der Stationarität aufgibt, muss auf der linken Seite der obigen Gleichung bei   zu den Raumkoordinaten das Zeitargument   hinzugefügt werden, während auf der rechten Seite in   die sog. „retardierte Zeit“   zu ergänzen ist. Es wird dabei wie zuvor über die drei Raumkoordinaten   integriert. Schließlich ist   die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum.

Anwendung in der Kontinuumsmechanik

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In der Kontinuumsmechanik wird das Lemma auf Tensoren angewendet, was z. B. für die Aufstellung der Kompatibilitätsbedingungen gebraucht wird. Ausgangspunkt ist das Lemma in der Formulierung:

  
 
 (I)
 

Der Operator „grad“ bildet den Gradient, die Vektoren   sind die Standardbasis des kartesischen Koordinatensystems mit Koordinaten   und es wurde die einsteinsche Summenkonvention angewendet, der gemäß über in einem Produkt doppelt vorkommende Indizes, hier k, von eins bis drei zu summieren ist, was auch im Folgenden praktiziert werden soll.

Gegeben sei nun ein Tensorfeld  , dessen Zeilenvektoren   mit dem dyadischen Produkt „⊗“ zum Tensor zusammengefügt werden. Jeder Tensor zweiter Stufe kann in dieser Form dargestellt werden. Die Rotation des Tensors verschwinde

 

so dass also jeder Zeilenvektor rotationsfrei ist. Dann gibt es für jeden Zeilenvektor ein Skalarfeld  , dessen Gradient er ist:

 

denn der Gradient des Vektors   bildet sich gemäß:

 

Damit gilt die zweite Form des Lemmas:

  
 
 (II)
 

Wenn zusätzlich die Spur des Tensors verschwindet, dann ist das Vektorfeld divergenz­frei:

 

In diesem Fall berechnet sich mit dem Einheitstensor 1 = êj ⊗ êj:

 

und der Tensor   ist schiefsymmetrisch:

 

Darin ist ϵijk = (êi × êj) · êk das Permutationssymbol. Mit   folgt die dritte Form des Lemmas:

  
 
 (III)
 

oder mit   und dem Nabla-Operator

  
 
 (III)
 

Literatur

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  • Otto Forster: Analysis. Band 3: Integralrechnung im ℝn mit Anwendungen. 4. Auflage. Vieweg + Teubner, Braunschweig u. a. 2007, ISBN 978-3-528-37252-1.
  • John M. Lee: Introduction to Smooth Manifolds (= Graduate Texts in Mathematics 218). Springer-Verlag, New York NY u. a. 2003, ISBN 0-387-95448-1.
  • C. Truesdell: Festkörpermechanik II in S. Flügge (Hrsg.): Handbuch der Physik, Band VIa/2. Springer-Verlag, 1972, ISBN 3-540-05535-5, ISBN 0-387-05535-5.