Multipler Substanzgebrauch

Form des Drogenkonsums
(Weitergeleitet von Polytoxikomanie)

Multipler Substanzgebrauch, umgangssprachlich auch Mischkonsum genannt, ist eine Form des Drogenkonsums, bei der zwei oder mehr psychotrope Substanzen involviert sind.

Verbreitung und Beispiele

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Drogenkombinations-Chart von Tripsit

Zahlen über die Häufigkeit von Mischkonsum, insbesondere in Kombination mit illegalen Drogen, liegen nur vereinzelt vor. Es ist aber davon auszugehen, dass in sehr vielen Fällen, in denen Drogen konsumiert werden, mehr als eine Substanz einbezogen wird. Schon der gleichzeitige Gebrauch von Alkohol und Tabak ist Mischkonsum.[1] So ergab eine 2004 in Deutschland veröffentlichte Studie, dass 87,8 % der befragten Personen, die Erfahrung mit Alkohol oder Cannabis hatten, auch die Kombination aus beidem ausprobiert hatten (s. Tabelle zu Mischkonsum).[2]

Gründe für multiplen Substanzgebrauch können vielschichtig sein. Zum einen kann der Gebrauch einer bestimmten Droge spontan „Lust“ auf weitere Substanzen machen, zum anderen findet aber auch gezielter Mischkonsum statt, in der Hoffnung, eine besondere Wirkung zu erzielen. Für manche Kombinationen haben sich unter Konsumenten daher eigene Begriffe entwickelt, so beispielsweise für den gleichzeitigen Konsum von MDMA und LSD, der als Candyflip bezeichnet wird, oder die Kombination aus Kokain und Heroin, die den Namen Speedball trägt.

Drogenberatungsstellen raten in der Regel von Mischkonsum jeglicher Art ab, da sich für den Konsumenten in den allermeisten Fällen die jeweiligen Einzelrisiken der Drogen addieren, mitunter aber auch potenzieren.

Substanzkombination Mögliche Mischkonsum-spezifische Wirkungen Mischkonsumerfahrung unter jeweiligen Konsumenten der Einzeldrogen (Studie 2004)[2] Bewertung durch Konsumenten als „gut“ (Studie 2004)[2] Quellen
Alkohol und Tabak keine Angabe keine Angabe [1]
Alkohol und Cannabis
  • Übelkeit und Erbrechen
  • Reaktionsvermögen und Orientierungsfähigkeit lassen nach
  • Halluzinationen
  • höheres Unfallrisiko
  • Neigung zu Überdosierung
  • intensivere Alkoholintoxikation
87,8 % 36,6 % [2][1][3]
Alkohol und MDMA (Ecstasy)
  • Neigung zu Überdosierung
  • stärkere Belastung der Leber führt eher zu Alkoholvergiftung und Leberschäden
  • Wärmestaus und Überhitzungserscheinungen
  • höheres Unfallrisiko
  • höheres Risiko langfristiger Gedächtnisstörungen
  • härteres „Comedown“
80,1 % 37,9 % [2][1][3]
Alkohol und LSD
  • Wirkung des Alkohols wird nicht wahrgenommen, Risiko einer Alkoholüberdosierung
78,6 % 24,3 % [2][4]
Alkohol und Amphetamin (Speed)
  • Wirkung des Alkohols wird nicht wahrgenommen, Risiko einer Alkoholüberdosierung
  • trotz Gefühl der Nüchternheit vermindertes Reaktionsvermögen
  • große Belastung für Leber und Niere
  • Dehydration
  • Wärmestau, Überhitzung
77,6 % 49,8 % [2][5][3]
Alkohol und Kokain
  • Wirkung des Alkohols wird nicht wahrgenommen, Risiko einer Alkoholüberdosierung
  • trotz Gefühl der Nüchternheit vermindertes Reaktionsvermögen
  • Selbstüberschätzung, aggressives Verhalten
  • bei langfristigem und hochdosiertem Mischkonsum emotionale Verhärtung

Bei Kokainkonsum nach Alkoholgebrauch:

  • Bildung von Cocaethylen: dadurch deutliche Verstärkung der originären Kokainwirkung
75,6 % 55,2 % [2][6][3]
Alkohol und Heroin
  • Potenzierung der Nebenwirkungen: komatöser Zustand und Lähmung von Atmung und Herztätigkeit möglich
69,5 % 9,2 % [2][7][3]
Cannabis und MDMA (Ecstasy)
  • gegenseitige Wirkverstärkung
  • temporäre Einschränkung der Gedächtnisleistung
  • hohe Kreislaufbelastung
47,1 % 79 % [2][8]
Cannabis und Amphetamin (Speed)
  • Angst- oder Panikzustände
  • hohe Kreislaufbelastung
  • bei dauerhaftem Konsum Risiko einer Psychose und/oder Angsterkrankung
25,9 % 62 % [2][8]
Cannabis und Methamphetamin (Crystal)
  • Angst- oder Panikzustände
  • hohe Kreislaufbelastung
  • bei dauerhaftem Konsum Risiko einer Psychose und/oder Angsterkrankung
keine Angabe keine Angabe [8]
Cannabis und Kokain
  • Angst- oder Panikzustände
  • hohe Kreislaufbelastung
  • unter Stressbedingungen additive Erhöhung der Herzfrequenz und des Blutdrucks
  • bei dauerhaftem Konsum Risiko einer Psychose und/oder Angsterkrankung

Bei Kokainkonsum nach Cannabiskonsum:

  • leicht verstärkte und verlängerte Euphorie, erhöhter Blutspiegel
28,8 % 72 % [2][8][9]
Kokain und Tabak
  • hohe Kreislaufbelastung
  • leicht verstärkter Rauschzustand
  • fördert die Abhängigkeit von Kokain[10]
keine Angabe keine Angabe
MDMA (Ecstasy) und LSD („Candyflip“)
  • Wirkung von MDMA (Ecstasy) wird verstärkt
  • Erhöhung der Körpertemperatur
  • Hitzschlag/Kollaps
  • Angst- und Panikzustände
  • starke Halluzinationen
27,9 % 46 % [2][4][3]
MDMA (Ecstasy) und Amphetamin (Speed)
  • Wirkung von MDMA (Ecstasy) wird teilweise gemindert, Neigung zu Überdosierung
  • stimulierende Wirkung beider Substanzen bleibt erhalten, daher starke Belastung des Herz-Kreislauf-Systems
  • Hitzschlag/Kollaps
  • erhöhter Flüssigkeitsverlust
  • erhöhte Wahrscheinlichkeit für Gehirnschäden
28,4 % 69 % [2][11][3]
Amphetamin (Speed) und LSD
  • LSD-Trip wird „unberechenbar“: Das kann bedeuten, dass der Konsument gar keine LSD-Wirkung spürt, oder dass er von der Wirkung überwältigt wird, mit allen sich daraus ergebenden Risiken.
17,1 % 20 % [12]

Alternative Begriffsdefinitionen und Klassifizierung

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Klassifikation nach ICD-10
F19.- Psychische und Verhaltensstörungen durch multiplen Substanzgebrauch und Konsum anderer psychotroper Substanzen
F19.0 Akute Intoxikation (akuter Rausch)
F19.1 Schädlicher Gebrauch
F19.2 Abhängigkeitssyndrom
F19.3 Entzugssyndrom
F19.4 Entzugssyndrom mit Delir
F19.5 Psychotische Störung
F19.6 Amnestisches Syndrom
F19.7 Restzustand und verzögert auftretende psychotische Störung
F19.8 Sonstige psychische und Verhaltensstörungen
F19.9 Nicht näher bezeichnete psychische und Verhaltensstörung
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ICD-10 online (WHO-Version 2019)
  • Laut ICD-10 ist Multipler Substanzgebrauch eine Form des Drogenkonsums, bei der zwei oder mehr psychotrope Substanzen zu sich genommen werden und keine Substanz für sich allein den Konsum dominiert bzw. nur eine oder keine der Substanzen bekannt ist. Gleichzeitig wird damit noch keine Aussage über das Vorhandensein oder das Ausmaß gesundheitlicher Störungen bzw. ein spezifisches klinisches Erscheinungsbild getroffen.
  • „Multipler Substanzgebrauch liegt dann vor, wenn die Substanzaufnahme chaotisch und wahllos erfolgt, ohne dass ein bestimmter Stoff oder eine bestimmte Substanzgruppe vorherrscht.“[13]

Mit negativer Konnotation und stigmatisierend wird mitunter von Polytoxikomanie (v. griech.: μανία manía = die Raserei) und auch multiplem Substanzmissbrauch gesprochen. Demgegenüber wird mit Mehrfachabhängigkeit ein bestehendes Abhängigkeitssyndrom bei Einnahme mehrerer psychotroper Substanzen bezeichnet. Das DSM-IV fordert hier (für die Diagnose polysubstance dependence) den wiederholten Gebrauch von Substanzen aus mindestens drei Substanzgruppen (unter Ausschluss von Koffein und Nikotin) über einen Zeitraum von mindestens zwölf Monaten, wobei die Abhängigkeitskriterien für die Gesamtheit der Substanzen, nicht aber für eine spezifische Gruppe, erfüllt sein müssen. Eine Umbenennung in Polysubstance Use-Disorder wird derzeit diskutiert.[14]

Besondere Gefahren bei Schwangerschaft

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Nehmen mehrfachabhängige Mütter auch während der Schwangerschaft multiple Substanzen zu sich, so besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass das Kind mit körperlichen oder/und geistigen Behinderungen auf die Welt kommt. In Deutschland sind drei von 1000 geborenen Kindern Kinder von mehrfachabhängigen Frauen. Durch den Konsum von Heroin, Kokain und Alkohol entstehen beispielsweise folgende Störungen beim Kind: verzögertes Krabbelalter, verzögertes Lauflernalter, verzögerte Sprachentwicklung, ADS/ADHS, Dyskalkulie, Legasthenie. Außerdem wurde bei multiplem Substanzgebrauch während der Schwangerschaft folgendes beobachtet: angeborene Fehlbildungen, erhöhte Infektanfälligkeit, Entwicklungsverzögerung, Lernstörungen, plötzlicher Kindstod und Folgen der geburtshilflichen Komplikationen.[15]

Einzelnachweise

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  1. a b c d Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): Vorsicht Mischkonsum, abgerufen am 13. Oktober 2015
  2. a b c d e f g h i j k l m n Gundula Barsch, Joachim Eul, Tibor Harrach (2004): Drogenmischkonsum anders verstehen - Prävalenzen und Konsumbewertungen, in: und Wiener Zeitschrift für Suchtforschung, Jg. 27 2004 Nr. 4, S. 49–6 und in: Konturen, Ausgabe 6-2006, S. 8–15, online abgerufen am 13. Oktober 2015
  3. a b c d e f g Landescaritasverband Bayern e. V.: Mischkonsum, abgerufen am 13. Oktober 2015
  4. a b SZL Suchtzentrum gGmbH: Substanzinformation LSD, abgerufen am 13. Oktober 2015
  5. SZL Suchtzentrum gGmbH: Substanzinformation Speed, abgerufen am 13. Oktober 2015
  6. SZL Suchtzentrum gGmbH: Substanzinformation Kokain, abgerufen am 13. Oktober 2015
  7. SZL Suchtzentrum gGmbH: Substanzinformation Heroin, abgerufen am 13. Oktober 2015
  8. a b c d SZL Suchtzentrum gGmbH: Substanzinformation Cannabis, abgerufen am 13. Oktober 2015
  9. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): Konsumbeschreibungen zu der Konsumkombinationen: Cannabis - Kokain - Alkohol, abgerufen am 14. Oktober 2015
  10. https://www.drugcom.de/newsuebersicht/topthemen/nikotin-foerdert-kokainabhaengigkeit
  11. SZL Suchtzentrum gGmbH: Substanzinformation MDMA, abgerufen am 13. Oktober 2015
  12. Landescaritasverband Bayern e. V.: Substanzinformation LSD, abgerufen am 14. Oktober 2015
  13. Berger, Mathias (Hrsg.): Psychische Erkrankungen - Klinik und Therapie, S. 382; Elsevier, 3. Aufl. 2009
  14. American Psychiatric Association, DSM-5 Development, 2010: Polysubstance-Use Disorder (Memento vom 19. Oktober 2012 im Internet Archive)
  15. Ruthard Stachowske (Memento des Originals vom 2. Mai 2014 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.caritas-mannheim.de. Abgerufen am 29. Mai 2014