Der Fragebogen für Arbeiter ist ein von Karl Marx 1880 verfasster Fragebogen, der die Lebens- und Arbeitsbedingungen der französischen Arbeiterklasse mithilfe einer Arbeiterbefragung untersuchen und den Befragten zugleich ein Selbstbewusstsein ihrer Lebenslage verschaffen sollte. Es gilt als eines der ersten Werke gesellschaftskritischer empirischer Sozialforschung.
Hintergrund
BearbeitenSchon in der von Marx 1864 mitgegründeten Internationalen Arbeiterassoziation (bestehend bis 1876) wurde die Notwendigkeit einer statistischen Erhebung der Lage der Arbeiterklasse durch diese selbst diskutiert, eine Umsetzung scheiterte jedoch aus finanziellen Gründen. Auf bitten der Herausgeber der Zeitschrift „La Revue Socialiste“ verfasste Marx schließlich in der ersten Aprilhälfte 1880 in englischer Sprache einen Fragebogen mit vier Abschnitten und insgesamt 99 Fragen zur schriftlichen Beantwortung. Dieser wurde in der Ausgabe vom 20. April ohne Autorennennung auf Französisch unter dem Titel „Enquête Ouvrière“ veröffentlicht. Die Herausgeber stellten den Fragebogen eine Einleitung voran und ergänzten zwei Fragen. Zudem wurden 25.000 separate Exemplare des Fragebogens an Arbeitergesellschaften und sozialistische und demokratische Vereinigungen verschickt. Der Fragebogen wurde 1880 ebenfalls in Genf in Französisch und einer polnischen Übersetzung, sowie in italienischer Übersetzung in Mailand veröffentlicht. Über eine Verwertung ist nichts überliefert. Die Rücklaufquote war zu gering, um Ergebnisse zu erzielen. Der Fragebogen war lange Zeit vergessen und wurde erstmals 1933 auf Deutsch durch das „Organ des Exekutivkomitees der kommunistischen Internationale“ veröffentlicht. In den Marx-Engels-Werken ist der Fragebogen nach der englischen Handschrift wiedergegeben.
In den operaistischen Bewegungen Italiens, später auch anderswo, wurde seit Ende der 1960er Jahre mit Arbeiterfragebögen zur Analyse, Bewusstseinsbildung und Agitation gearbeitet.[1] Später setzte sich dafür der Begriff Militante Untersuchung durch.
Ausgaben
Bearbeiten- Fragebogen für Arbeiter, Marx-Engels-Werke Band 19, S. 230–237.
- A Workers' Inquiry (en, 100 Fragen, plus Vorwort), auf marxists.org
- A Workers’ Inquiry, New International, Nr. 12, Dezember 1938, S. 379–381. (en, 101 Fragen, plus Vorwort)
- Enquête ouvrière (fr, 101 Fragen, plus Vorwort)
Literatur
Bearbeiten- Marx-Engels-Gesamtausgabe Bd. 25: Werke, Artikel, Entwürfe, Mai 1875 bis Mai 1883. Karl Marx Questionnaire for Workers, S. 795–98. ISBN 3-05-003362-2
- Hilde Weiss: „Die 'Enquete Ouvriere' von Karl Marx“, Zeitschrift für Sozialforschung, Jg. 5, 1936, S. 76 ff.
- Anna Brake: Schriftliche Befragung. in: Stefan Kühl, Petra Strodtholz, Andreas Taffertshofer: Quantitative Methoden der Organisationsforschung: Ein Handbuch. Vs Verlag 2005. S. 33–34.
- Yaak Karsunke, Günter Wallraff: „Fragebogen für Arbeiter 1880/1970“, in: Kursbuch 21, Kapitalismus in der Bundesrepublik, Berlin: Kursbuch Verlag / Wagenbach 1970.
- Marta Malo de Molina: ArbeiterInnenbefragung und ArbeiterInnen-Mituntersuchung, Selbsterfahrung. Übersetzt von Birgit Mennel, 2004.
- Irmgard Weyrather: Die Frau am Fließband: Das Bild der Fabrikarbeiterin in der Sozialforschung 1870–1985. Campus 2003. S. 21.
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Für ein frühes Beispiel aus dem Jahr 1969 vgl. Davide Serafino, Der Kampf gegen gesundheitsschädliche Arbeitsbedingungen am Beispiel von "Chicago Bridge" in Sestri Ponente (Genua) 1968/1969, in: Arbeit - Bewegung - Geschichte. Zeitschrift für historische Studien, Heft I/2016; ISBN 978-3-86331-281-7.