Rekursiver Abstieg (englisch: recursive descent) ist eine Technik aus dem Compilerbau, die auf direkte Weise (d. h. ohne Tabelle) einen Top-Down-Parser implementiert. Sie zeichnet sich durch geringe Komplexität aus; das Verwenden eines Parsergenerators ist nicht nötig.
Bei diesem Verfahren wird jedes Nichtterminalsymbol durch jeweils eine eigene Prozedur behandelt, welche die Produktionsregeln zu diesem Symbol implementiert. Erlauben die Produktionsregeln eine Rekursion, dann rufen sich daher auch diese Prozeduren wechselseitig rekursiv auf.
Der rekursive Abstieg kann bei Bedarf mit Backtracking arbeiten; wenn eine LL(k)-Grammatik für die zu parsende Sprache verwendet wird, ist das jedoch nicht erforderlich. Unüberlegte Verwendung von Backtracking kann zudem zu exponentiellem Laufzeitverhalten führen. Im Folgenden wird daher der häufige Fall LL(1) angenommen.
Code für die Grammatikregeln eines Nichtterminalsymbols
BearbeitenFür jedes Nichtterminalsymbol der Grammatik wird eine Prozedur definiert. Wenn
alle Regeln mit auf der linken Seite sind, sieht die Prozedur in Pseudocode folgendermaßen aus:
proc () if lookahead in then else if lookahead in then ... else if lookahead in then else error
Dabei gilt:
lookahead
ist das aktuelle Eingabezeichen (oder -token).- ist die Menge der Terminalsymbole (oder Tokens), die am Anfang eines Wortes stehen können, das von einem der Wörter in der Menge erzeugt wurde.
- ist die Menge der Terminalsymbole, die in einem vom Startsymbol erzeugten Wort direkt rechts von stehen können.
- ist der Code für das Parsen von .
Die -Mengen müssen hier einbezogen werden, weil das leere Wort enthalten kann; siehe LL(k)-Grammatik.
Code für eine Folge von Grammatiksymbolen
BearbeitenFür (wobei die Terminale und/oder Nichtterminale sein können) besteht aus den Code-Abschnitten für in derselben Reihenfolge.
Der Code für ein einzelnes Symbol sieht wie folgt aus:
- Falls Terminal ist:
if lookahead = then
lookahead := GetSymbol()
else
error
- Falls Nichtterminal ist:
()
Dabei ist GetSymbol
eine Funktion, die das nächste Eingabezeichen (oder -token) liefert.
Beispiel
BearbeitenFür die Arithmetik lässt sich die folgende formale Grammatik in EBNF angeben.
Produktionsregeln in EBNF atom = number | "(" expression ")"; power = atom ["^" negation]; negation = ["-"] power; multiplication = negation {("*" | "/") negation}; addition = multiplication {("+" | "-") multiplication}; expression = addition;
Es folgt ein rekursiver Abstieg in Python, der eine syntaktische Analyse vornimmt und dabei einen abstrakten Syntaxbaum erstellt. Zuvor zerlegt ein lexikalischer Scanner scan
die Eingabe in eine Liste von Tokens. Im Nachhinein wird noch mit evaluate
eine rekursive Auswertung des abstrakten Syntaxbaumes demonstriert.
class SyntaxError(Exception):
pass
def scan(s):
a = []; i = 0; n = len(s)
while i < n:
if s[i] in "+-*/^()":
a.append(s[i])
i += 1
elif s[i].isdigit():
j = i
while i < n and s[i].isdigit(): i += 1
a.append(int(s[j:i]))
elif s[i].isspace():
i += 1
else:
raise SyntaxError(
"unerwartetes Zeichen: '{}'".format(s[i]))
a.append(None)
return a
def expect_token(a, i):
if a[i] is None:
raise SyntaxError("unerwartetes Ende der Eingabe")
else:
return a[i]
def atom(a, i):
t = expect_token(a, i)
if isinstance(t, int):
return i+1, a[i]
elif t == "(":
i, x = expression(a, i+1)
if expect_token(a, i) != ")":
raise SyntaxError(
"')' wurde erwartet, es kam aber '{}'".format(a[i]))
return i+1, x
else:
raise SyntaxError(
"unerwartetes Symbol: '{}'".format(t))
def power(a, i):
i, x = atom(a, i)
if a[i] == "^":
i, y = negation(a, i+1)
return i, ["^", x, y]
else:
return i, x
def negation(a, i):
if a[i] == "-":
i, x = power(a, i+1)
return i, ["~", x]
else:
return power(a, i)
def multiplication(a, i):
i, x = negation(a, i)
op = a[i]
while op == "*" or op == "/":
i, y = negation(a, i+1)
x = [op, x, y]
op = a[i]
return i, x
def addition(a, i):
i, x = multiplication(a, i)
op = a[i]
while op == "+" or op == "-":
i, y = multiplication(a, i+1)
x = [op, x, y]
op = a[i]
return i, x
def expression(a, i):
return addition(a, i)
def ast(a):
i, t = expression(a, 0)
if a[i] is None:
return t
else:
raise SyntaxError(
"Ende der Eingabe wurde erwartet, es kam aber: '{}'"
.format(a[i]))
dispatch = {
"+": lambda x, y: x+y,
"-": lambda x, y: x-y,
"*": lambda x, y: x*y,
"/": lambda x, y: x/y,
"^": lambda x, y: x**y,
"~": lambda x: -x
}
def evaluate(t):
if isinstance(t, int):
return t
else:
return dispatch[t[0]](*map(evaluate, t[1:]))
while True:
try:
s = input("> ")
if s == "": continue
a = scan(s)
t = ast(a)
print("Abstrakter Syntaxbaum:\n {}\n".format(t))
print("Ergebnis:\n {}".format(evaluate(t)))
except SyntaxError as e:
print("Syntaxfehler: " + str(e))
except (KeyboardInterrupt, EOFError):
print()
break
Literatur
Bearbeiten- Aho, Alfred V., Sethi, Ravi, and Ullman, Jeffrey D. (1988). Compilers — Principles, Techniques, and Tools. Addison-Wesley. Abschnitte 2.4 und 4.4, S. 45–46 und 188–189.
- Aho, Alfred V., Sethi, Ravi, and Ullman, Jeffrey D. (2008). Compiler — Prinzipien, Techniken und Werkzeuge Pearson Studium. Abschnitte 2.4.2 und 4.4.1, S. 79–82 und 264–266.