Wiedergutmachung
Wiedergutmachung ist ein spezifisch deutscher Begriff, der durch die deutsche Wiedergutmachungspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg im Zusammenhang mit den durch nationalsozialistisches Unrecht verursachte Schäden entwickelt wurde.[1] Er umfasst die Rückerstattung von Vermögensgegenständen und die Entschädigung insbesondere für Personenschäden, aber auch für nicht von der Rückerstattung erfasste Vermögensschäden.[2] Wiedergutmachungsleistungen in diesem Sinne erhalten Personen, die aus politischen, rassischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt worden sind. Eine immaterielle Form der Wiedergutmachung ist die Rehabilitierung durch die Aufhebung von NS-Unrechtsurteilen oder die sog. Wiedergutmachungseinbürgerung gemäß Art. 116 Abs. 2 GG oder § 15 StAG.[3]
Der Begriff der Reparationen ist dagegen ein Lehnwort aus der englischen und französischen Sprache (engl. reparations, frz. réparations). Reparationen leistet ein Staat an einen anderen wegen einer Verletzung des Völkerrechts.[4][5][6] Als Reparationen werden auch die Instrumente der transitionalen Gerechtigkeit zum Ausgleich für in der Vergangenheit begangene Menschenrechtsverletzungen bezeichnet.[7][8][9]
Eine Entschädigung ist eine Leistung, insbesondere in Form von Geld, die erlittene Nachteile oder Einschränkungen ausgleichen soll.
Schadensersatz ist ein Begriff aus dem Deliktsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs und setzt eine vorsätzliche oder fahrlässige Rechtsgutverletzung voraus. Der Schädiger ist dem Geschädigten zum Ersatz des entstehenden Schadens verpflichtet (§ 823 Abs. 1 BGB) und hat grundsätzlich den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre (Naturalrestitution, § 249 Abs. 1 BGB). Die Satisfaktion ist eine veraltete Form zur Wiederherstellung der verletzten Ehre.
Im Strafrecht dient der Täter-Opfer-Ausgleich der Schadenswiedergutmachung (§ 46a StGB), durch die der Täter Strafmilderung erreichen kann.[10]
Deutschland
BearbeitenWiedergutmachung
BearbeitenDie Anerkennung historischen Unrechts erfolgte durch die Gesetzgebung im Rahmen der deutschen Wiedergutmachungspolitik zugunsten von Personen, die in der Zeit des Nationalsozialismus aus politischen, rassischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen verfolgt wurden.
Reparationen
BearbeitenEntschädigung
BearbeitenIm sozialen Entschädigungsrecht werden Sozialleistungen erbracht wegen zumeist gesundheitlicher Schäden, für deren Folgen die staatliche Gemeinschaft in Abgeltung eines besonderen Opfers oder aus anderen Gründen nach versorgungsrechtlichen Grundsätzen einsteht (§ 5 SGB I). Es soll zentral im Vierzehnten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB XIV) zusammengefasst werden.
Beispiele sind:
- Für Kriegsopfer bestehen Ansprüche nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).[11]
- Bei Schäden durch Straftaten: Ansprüche nach § 1 des Opferentschädigungsgesetzes in Verbindung mit dem BVG.
- Bei Verdienstausfall aufgrund infektionsschutzrechtlicher Tätigkeitsverbote oder einem Impfschaden: Ansprüche nach § 56, § 60 des Infektionsschutzgesetzes in Verbindung mit dem BVG.
- Nach aufgehobener strafgerichtlicher Verurteilung und Schäden durch den Vollzug anderer Strafverfolgungsmaßnahmen: Ansprüche nach § 1, § 2 des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen.
- Opfer von rechtsstaatswidrigen Strafverfolgungsmaßnahmen in der sowjetischen Besatzungszone und der DDR: Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz
- Bei Aufhebung rechtsstaatswidriger Verwaltungsentscheidungen im Beitrittsgebiet aus der Zeit vom 8. Mai 1945 bis zum 2. Oktober 1990: Folgeansprüche auf Versorgung nach § 2 des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes.
Die gesetzliche Enteignungsentschädigung aufgrund Art. 14 Abs. 3 GG ist ein angemessener, der erlittenen Eigentumseinbuße entsprechender Wertausgleich, der – bildhaft gesprochen – den Betroffenen in die Lage versetzt, sich einen gleichwertigen Gegenstand zu beschaffen.[12][13] Auch bei hoheitlichen Eingriffen in immaterielle Rechtsgüter des Einzelnen wie die körperliche Unversehrtheit oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht, die dem Wohl der Allgemeinheit dienen, kann nach der Sonderopfertheorie des Bundesgerichtshofs ein Entschädigungsanspruch bestehen.[14][15][16][17]
Schadensersatz
BearbeitenIm Zivilrecht (Rechtsbeziehungen zwischen Bürgern) besteht eine Pflicht zum Schadensersatz:
- gesetzlich (z. B. nach dem Recht der unerlaubten Handlung, § 823 ff. BGB) oder vertraglich;
- für materielle Schäden (Aufwendungen für Neubeschaffung, Reparatur, Behandlungskosten etc.) oder immaterielle Schäden (Schmerzensgeld).
- Unter Umständen kann sich der Anspruch direkt gegen den Versicherer des Schädigers richten (z. B. § 3 Pflichtversicherungsgesetz bei Kraftfahrtschäden).
- Bei der Amtshaftung nach § 839 BGB geht die Verantwortlichkeit gemäß Art. 34 GG vom schädigenden Amtsträger auf den Dienstherrn über; Ausnahme bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit.
Bei Verpflichtung zum Schadensersatz oder zur Entschädigung kann der Leistungspflichtige u. U. Rückgriff (Regress) bei einem Dritten nehmen. Beispiele:
- Ansprüche gegen die eigene Haftpflichtversicherung;
- Ansprüche der Versicherung bzw. des Sozialversicherungsträgers gegen den Schädiger des Versicherten, z. B. nach § 86 Abs. 1 Satz 1 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) oder § 116 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).
Österreich
BearbeitenInternationales Recht
BearbeitenDie UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (VN-Leitprinzipien) sehen unter anderem den Zugang zu Abhilfe für Betroffene von Menschenrechtsverstößen vor. Danach müssen Staaten sicherstellen, dass die Opfer von Menschenrechtsverletzungen Zugang zu staatlichen und, wo nötig, nicht-staatlichen Beschwerdemechanismen und Wiedergutmachung[18] haben. Wiedergutmachung kann laut den VN-Leitprinzipien beispielsweise eine Folgenbeseitigung, ein finanzieller oder nicht-finanzieller Schadensersatz und Strafe sowie Schadensverhütung etwa durch einstweilige Verfügungen und Nichtwiederholungsgarantien sein.[19]
Art. 14 der UN-Antifolterkonvention sieht vor, dass jeder Vertragsstaat in seiner Rechtsordnung sicherstellt, dass Opfer einer Folterhandlung Wiedergutmachung[18] erhalten und ein einklagbares Recht auf gerechte und angemessene Entschädigung einschließlich der Mittel für eine möglichst vollständige Rehabilitation.
Wiedergutmachung als Thema in der Literatur
BearbeitenGenugtuung für eine beschädigte Reputation ist ein häufiges Thema in der Literatur. Im 19. Jahrhundert hat hierzu beispielsweise E. Marlitt mit ihrer Novelle Schulmeisters Marie (1865/1890) beigetragen oder Arthur Schnitzler mit Lieutenant Gustl.
Literatur
Bearbeiten- Ludolf Herbst, Constantin Goschler (Hrsg.): Wiedergutmachung in der Bundesrepublik Deutschland. München, 1989.
- Wilhelm Tappert: Die Wiedergutmachung von Staatsunrecht im 20. Jahrhundert. Die Friedens-Warte 1995, S. 211–249.
- Thomas Trenczek: Restitution – Wiedergutmachung, Schadensersatz oder Strafe? Restitutive Leistungsverpflichtungen im Strafrecht der U.S.A. und der Bundesrepublik Deutschland. Nomos-Verlag, 1996. ISBN 978-3-7890-4268-3.
- Christian Widmaier: Häftlingshilfegesetz, DDR-Rehabilitierungsgesetz, SED-Unrechtsbereinigungsgesetze: Rehabilitierung und Wiedergutmachung von SBZ-DDR-Unrecht? Frankfurt am Main u. a., 1999.
Weblinks
Bearbeiten- 27. September 1951: Regierungserklärung des Bundeskanzlers in der 165. Sitzung des Deutschen Bundestages zur Haltung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber den Juden. Stenographische Berichte 1. Deutscher Bundestag. Bd. 9, 165. Sitzung, S. 6697 f. PDF. Website der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Uwe Kischel: Wiedergutmachungsrecht und Reparationen: Zur Dogmatik der Kriegsfolgen. JZ 1997, S. 126–131.
- ↑ Bundesministerium der Finanzen: Wiedergutmachung. Regelungen zur Entschädigung von NS-Unrecht. Stand Mai 2022, S. 5 f.
- ↑ Im Rahmen der Wiedergutmachung wieder Deutsch werden. Bundesverwaltungsamt, abgerufen am 11. April 2023.
- ↑ Bert Wolfgang Eichhorn: Reparation als völkerrechtliche Deliktshaftung. Rechtliche und praktische Probleme unter besonderer Berücksichtigung Deutschlands (1918–1990). Nomos, Baden-Baden, 1992, S. 189.
- ↑ Elisabeth Günnewig: Schadensersatz wegen der Verletzung des Gewaltverbotes als Element eines ius post bellum. Nomos, 2019, S. 27 f.
- ↑ Jörg Fisch: Reparationen nach dem Zweiten Weltkrieg. München 1992.
- ↑ Mia Swart: Reparationen als Instrument der Transitionalen Gerechtigkeit: Was erklärt die Regeleinhaltung? Die Friedens-Warte 2011, S. 191–217.
- ↑ Vgl. beispielsweise Genozid an den Herero und Nama: Namibia will Neuverhandlung des Abkommens von 2021. Deutschlandfunk Kultur, 5. November 2022.
- ↑ Johannes Freudenreich: Entschädigung zu welchem Preis? Reparationsprogramme und Transitional Justice. Universitätsverlag Potsdam, 2010, ISBN 978-3-86956-096-0. Zugl.: Potsdam, Univ., Diplomarbeit, 2009 (PDF).
- ↑ vgl. Georg Freund, Enara Garro Carrera: Strafrechtliche Wiedergutmachung und ihr Verhältnis zum zivilrechtlichen Schadensersatz. Zu den gemeinsamen materiellen Grundlagen eines Europäischen Strafrechtssystems. ZStW 2006, S. 76–100.
- ↑ Lennart Alexy, Andreas Fisahn, Susanne Hähnchen et al.: Soziales Entschädigungsrecht. Das Rechtslexikon, Lizenzausgabe der Bundeszentrale für politische Bildung, abgerufen am 11. April 2023.
- ↑ BGHZ 39, 198 = NJW 1963, 1492.
- ↑ Manfred Aust, Dieter Pasternak, Rainer Jacobs: Die Enteignungsentschädigung. De Gruyter, 6. neu bearb. Aufl. 2007, S. 101 Rz 202 f.
- ↑ Andreas Ringshandl: Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch. Zugleich ein Beitrag zur analogen Anwendung von § 906 Abs. 2 S. 2 BGB im (Spannungs-)Verhältnis von Zivilrecht und öffentlichem Recht. Hamburg, 2009. ISBN 978-3-8300-4513-7.
- ↑ Friedrich Schack: Der für [den] Aufopferungsanspruch neben der Enteignungsentschädigung verbleibende Raum. JZ 1956, S. 425–430.
- ↑ BGH, Urteil vom 19. Februar 1953 - III ZR 208/51
- ↑ Fritz Ossenbühl, Matthias Cornils: Staatshaftungsrecht. München, 6. Auflage 2013, 3. Teil. Der Aufopferungsanspruch.
- ↑ a b im englischen Text redress
- ↑ Zugang zu Abhilfe und Wiedergutmachung. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, abgerufen am 11. April 2023.