Rugier

ostgermanischer Stamm
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Die Rugier (auch Rygir oder Routiklioi)[1] waren ein zwischen Weichsel und Oder ansässiger ostgermanischer Stamm („Weichselgermanen“). Während der „Völkerwanderung“ schlossen sich Teile der Rugier den Hunnen an. Rugische Krieger errichteten anschließend ein Reich im heutigen Niederösterreich und zogen schließlich 489 mit den Ostgoten nach Italien.

Karte der germanischen Stämme um 50 n. Chr. (ohne Skandinavien)

Herkunft

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Tacitus erwähnte in seinen Germania (44,1)[2] die „Rugii“ und „Lemovii“, die zum Ozean hin nahe den Goten an der Südküste der Ostsee wohnten. Laut Tacitus zeichneten sich die drei Stämme durch runde Schilde, kurze Schwerter und Gehorsam gegenüber ihren Königen aus. Bei Ptolemaios wird der Ort „Rougion“ erwähnt. Der Name Rugier, „Rugini“ oder „Rugen“ bedeutet Roggenbauer oder Roggenesser.[3]

Ein Stamm gleichen Namens (rygir) ist auch im südwestlichen Norwegen (Rogaland/Rugaland) nachweisbar. Da es unwahrscheinlich ist, dass es zwei germanische Stämme gleichen Namens gab, geht die Forschung oft davon aus, dass es sich um einen Teil der Rugier handelt. Da aber Roggenfunde in dieser Zeit in Südnorwegen nicht bezeugt sind, ist das Ursprungsgebiet des Stammes bis heute unbekannt. Ebenso ist es möglich, dass nur der Name (im Sinne eines „Traditionskerns“) „wanderte“. Ebenso fehlen archäologische Beweise für einen Ursprung der Rugier aus Skandinavien.[3] Nicht geklärt ist, ob sie die Insel Rügen vor dem Festland besiedelten, deren Name sich von den Rugiern ableiten soll, was heute höchst umstritten ist[4].

Im 15. Jahrhundert leitete Enea Silvio in seinem Werk De situ et origine Pruthenorum spekulativ die Ulmigeri (in Ulmigeria = Kulmerland) von den bei Jordanes beschriebenen Ulmerugi ab.[5] Matthäus Merian vertrat wiederum 1632 die Meinung, die Rugier seien aus östlicher Richtung eingewandert und hätten erst danach auf Rügen Siedlungen gegründet.

Völkerwanderung

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Die Rugier am Rand des Hunnischen Reichs um 450

Im Zuge der „Völkerwanderung“ bewegten sich offenbar viele Rugier nach Süden. Sie nahmen wie die Goten den Arianischen Glauben an. Im Gebiet der nördlichen mittleren Donau setzten sie sich fest, tauschten Bernstein, Pelze und Sklaven gegen Lebensmittel und andere Waren aus dem Römischen Reich, ehe sie vom Hunnenkönig Attila besiegt wurden und dessen Untertanen wurden. Die Rugier begleiteten, wie viele andere germanische Krieger, Attila auf seinen Feldzügen, zuletzt 451 nach Gallien.

Reichsbildung

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Die rugisch-römische Allianz in Noricum Ripense kam wesentlich durch Severin von Noricum zustande (Abbildung im Wappen des Wiener Stadtteils Sievering)

Nach dem Tod Attilas 453 siedelten sich viele Rugier als römische Foederaten im heutigen Niederösterreich an, wo sie nördlich der Donau im Wald- und Weinviertel ein Reich („Rugiland“) mit dem Zentrum gegenüber von Mautern bei Krems begründeten.[6] Rugier waren 455 an der Schlacht am Nedao beteiligt, als eine Koalition unter den Gepiden die Hunnen und Ostgoten besiegte. Im Jahr 469 unterlagen sie an der Bolia gemeinsam mit anderen Stämmen den Ostgoten.[3]

Mit den südlich der Donau lebenden Römern unter Führung des Heiligen Severin pflegten sie, obwohl es anfangs unter rex Flaccitheus (467–472/75) häufige Plünderungszüge südlich der Donau auf römischem Gebiet gab, letztlich ein gutes Verhältnis. Severin hatte bereits vor seiner Übersiedlung nach Norikum Kontakt mit Flaccitheus aufgenommen und wurde dessen politischer Ratgeber.[7] Auch Märkte, in denen die romanische Bevölkerung mit den Rugiern handelte, wurden unter Schutz des rugischen Anführers abgehalten.[3] Die Vita Severini des Eugippius schildert die Rugier insgesamt als „kriegerisches Volk mit ausgeprägtem Stammesbewusstsein, das von Viehzucht, primitivem Ackerbau und Raubzügen lebte.“[8]

Feletheus (Feva), der 472 Flaccitheus nachfolgte, heiratete die Gotin Giso, möglicherweise eine amalische Cousine von Theoderich dem Großen, was ein Bündnis mit den Ostgoten begründete. Wegen der Bedrohung von Lauriacum durch Thüringer und Alamannen nahm Feletheus die bedeutende Stadt schließlich selbst ein.[9] Er zwang die romanisierte Bevölkerung der Stadt, sich in ihm tributpflichtigen Orten anzusiedeln. Diese Ereignisse stellten die größte politische Niederlage Severins dar.[10]

476 unterstützten rugische Krieger Odoaker beim Sturz des letzten weströmischen Kaisers Romulus Augustulus. In den Augen römischer Beobachter galt Odoakar daher entweder als herulischer oder rugischer rex.[11] Das „rugische regnum“ fungierte daraufhin als „einigermaßen berechenbare Schutzmacht über Norikum Ripense etwa zwischen Wienerwald und Enns“.[3] Als diese Rugier vom oströmischen Kaiser Zeno zum Kampf gegen Odoaker angestiftet wurden, kam es zum Konflikt zwischen Feletheus und seinem Bruder Ferderuchus. Da letzterer Odoakar unterstützte, wurde er durch seinen Neffen Friderich (Fredericus) getötet.[12][13]

Odoaker kam daraufhin selbst einem möglichen Angriff von dieser Seite zuvor und schlug ein rugisches Heer in der Nähe des Wienerwaldes. Das regnum der Rugier wurde, trotz Unterstützung durch die römischen Provinzialen, 487/488 in zwei Kriegen durch Odoaker zerstört. Feletheus und seine Frau wurden gefangen genommen und 487 in Ravenna hingerichtet.[14][13] Ihr Sohn Friderich entkam mit der rugischen Reiterei und versuchte, das Rugierreich wiederherzustellen. Hunulf, der Bruder Odoakars, verhinderte dies durch Zwangsevakuierung der römischen Bevölkerung im Osten Ufernoricums nach Italien, wodurch er den Rugiern die wirtschaftliche Basis entzog.[13]

Teil der Ostgoten

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Friderich schloss sich mit den überlebenden Rugiern 488 Theoderich an und zog vorerst ins ostgotische regnum nach Novae in Mösien.[15] Von dort folgte ein Großteil der Rugier 489 den Ostgoten nach Italien und stürzten – wieder im Auftrag Zenos – im Jahr 493 Odoaker.[16] Die Rugier konnten auch in Italien noch eine gewisse Selbständigkeit bewahren, stellten mit Erarich 541 sogar kurze Zeit den König des Ostgotenreiches, gingen aber mit dem Ostgotenreich 553 im Kampf gegen die Soldaten Kaiser Justinians unter.[17]

Nachleben

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Nach der Gisolegende, die Eugippius berichtet, soll Königin Giso zwei Goldschmiede gefangengehalten haben, die für sie Schmuck anfertigen mussten. Es gelang den Schmieden, den Sohn der Königin zu fangen und gegen dessen Freilassung zu entkommen.[18] Aus diesem Stoff und unter Hinzunahme griechisch-römischer Sagen (Vulcanus bzw. Hephaistos, Dädalus) soll die Wielandsage entstanden sein, was aber in der Wissenschaft umstritten ist oder gänzlich abgelehnt wird.[19]

Örvar-Odds Saga und norwegische Rugier

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Die Saga von Örvar-Oddr wurde vermutlich im 13. oder Anfang des 14. Jahrhunderts von einem unbekannten Isländer verfasst. Sie gehört zu den sogenannten Fornaldarsögur (Vorzeitsagas) oder Wikingersagas.

Der Held Örvar-Oddr wird ebenfalls in der Hervarar Saga und im Zusammenhang mit der Schlacht auf Samsø, in der Gesta Danorum (Von den Taten der Dänen) erwähnt. Einige der Abenteuer, die Örvar-Oddr erlebt, schildern Ereignisse, die sich auf reale Personen beziehen, so ähnelt die Reisebeschreibung die in Hålogaland ihren Ausgang nimmt und nach Bjarmaland führt, der Reise von Ottar. Es finden sich ebenfalls Anklänge zu den Abenteuern des Odysseus. Die Darstellung des Todes durch den „Schädel eines Pferdes“ wurde im Jahr 1826 von Alexander Puschkin in Das Lied vom wahrsagenden Oleg verewigt.

Örvar-Oddr verbrachte seine Kindheit und Jugend in Berurjóðr in der Nähe von Eikund (Eigersund). In der Saga antwortet Örvar-Oddr auf die Frage der Priesterin, wer ihn in solcher Torheit erzogen habe, dass er es ablehnt, dem höchsten Gott und dem Anführer der Asen, Odin, zu huldigen:

 
Die Allgemeine Enzyklopädie der Wissenschaften und Künste, herausgegeben von J. S. Ersch und J. G. Gruber, 1838.

„Mich zog Ingjaldr auf in der Kindheit, der, welcher Eikund beherrschte und Jadar bewohnte.“

Eikundasund, Eykundasund[20]

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts glaubten Historiker, Literaturwissenschaftler und Geografen, dass Ods Schicksal mit dem norwegischen Rogaland verbunden sei. In der Allgemeinen Enzyklopädie der Wissenschaften und Künste wird darauf hingewiesen, dass es sich in der Örvar-Odds saga um die Insel Eigerøy handelt.[21]

Die Siedlung Berurjóðr (Berglud), die Insel Eikund (Eigerøy) und die historische Region Jadar (Jæren) befinden sich in der norwegischen Provinz Rogaland, die in Mittelalter von Rugiern bewohnt wurde. Egersund ist die Bucht zwischen der Insel Eigerøy und dem Festland, die in Mittelalter „Eikundarsund“ genannt wurde. Die Insel Eigerøy wurde im Mittelalter „Eikund“ genannt. Der Name dieser Insel weist auf reiche Vorkommen von hochwertigem Eichenholz hin, das für den Schiffbau verwendet wurde, da das Wort „eik“ das norwegische Wort für „Eiche“ ist. Eikund und Eikundarsund waren einige der ältesten geografischen Namen in Norwegen und finden sich bereits in der Óláfs saga helga, die im 13. Jahrhundert vom isländischen Autor Snorri Sturluson verfasst wurde.

In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass die Kiewer Prinzessin Olga in westeuropäischen Quellen als Königin der Rugien (regina Rugorum) bezeichnet wurde, und die ersten Bischöfe, die nach Russland geschickt wurden, wurden Rugiers Bischöfe genannt.

Im Lied von Helgi Hjörvarðsson findet sich Bestätigung dafür, dass auch der Held norwegischer Sagas Helgi, mit dem einige Gelehrte auch die Legende von wahrsagendem Oleg in Verbindung bringen, wie auch Örvar-Oddr, im norwegischen Rogaland geboren wurde. In dieser Saga sagt Hedinn, der Bruder des getöteten Helgi, zu seiner Geliebten Svava:

Küsse mich, Svava! Es ist mir nicht bestimmt, weder nach Rogheim zurückzukehren, noch nach Röthelfeisen ebenfalls, bis ich nicht gerächt habe den Sohn von Hjörvard, der ein König war, besser als die Sonne!

Rogheim (Rogheimr) wurde im Alt-Norwegischen als das Gebiet bezeichnet, in dem die Rugier in Rogaland lebten.[22] Alle nachfolgenden Erzählungen über Helgi, der dreimal nach seinem Tod auferstand, sind Ableitungen des Liedes von Helgi Hjörvarðsson. In dem Zweiten Lied von Helgi, dem Mörder von Hunding, wird direkt darauf hingewiesen, dass der Hauptcharakter dieser Saga nach dem im Rogaland geborenen Helgi, dem Sohn von Hjörvard, benannt wurde. Somit entwickelt sich der Handlungsverlauf der Saga von Örvar-Odds Saga und der Lieder von Helgi in derselben Region – dem norwegischen Rogaland.

Literatur

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  1. Vgl. Thorsten Andersson, Walter Pohl (kostenpflichtig abgerufen über GAO, De Gruyter Online): Rugier. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 2. Auflage. Band 25, Walter de Gruyter, Berlin/New York 2003, ISBN 3-11-017733-1, S. 452–458.
  2. Publius Cornelius Tacitus: Die Germania des Tacitus. Herder’sche Verlagshandlung, Freiburg i. Br. 1876, Seite 40 hier 43 a. E. Volltext auf Wikisource
  3. a b c d e Heinrich Beck u. a. (Hrsg.): Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Band 25. de Gruyter, Berlin 2003, ISBN 3-11-017733-1, S. 452ff.
  4. Heinrich Beck u. a. (Hrsg.): Reallexikon der germanischen Altertumskunde. Band 25. de Gruyter, Berlin 2003, ISBN 3-11-017733-1, S. 419.
  5. Eneo Silvio Piccolomino: 148, 149 Ulmigeri (Ulmerugi) Preussen
  6. Eintrag zu Rugier im Austria-Forum (im AEIOU-Österreich-Lexikon)
  7. Anton Scharer, Georg Scheibelreiter (Hrsg.): Historiographie im frühen Mittelalter. Oldenbourg, München 1995, ISBN 3-486-64832-2, S. 248.
  8. Richard Klein: Rugier. In: Lexikon des Mittelalters (LexMA). Band 7. LexMA-Verlag, München 1995, ISBN 3-7608-8907-7, Sp. 1092 f.
  9. Herwig Wolfram (Hrsg.): Die Geburt Mitteleuropas. Verlag Kremayr und Scheriau, Wien 1987, ISBN 3-218-00451-9, S. 41f.
  10. Edward A. Thompson: Romans and Barbarians. The decline of the Western Empire. The University of Wisconsin Press, Madison WI 1982, S. 131f.
  11. Herwig Wolfram (Hrsg.): Die Geburt Mitteleuropas. Verlag Kremayr und Scheriau, Wien 1987, ISBN 3-218-00451-9, S. 40.
  12. Patrick J. Geary: Die Merowinger. Europa vor Karl dem Großen. Beck, München 2003, ISBN 3-406-49426-9, S. 14.
  13. a b c Friedrich Lotter: Völkerverschiebungen im Ostalpen-Mitteldonau-Raum zwischen Antike und Mittelalter (375–600). Ergänzungsbände zum Reallexikon der germanischen Altertumskunde. 39. de Gruyter, Berlin 2003, ISBN 3-11-017855-9, S. 25f. und 114.
  14. Arnulf Krause: Die Geschichte der Germanen. Campus-Verlag, Frankfurt am Main 2005, ISBN 978-3-593-37800-8, S. 173.
  15. Wilhelm Enßlin: Theoderich der Grosse. 2. Aufl. München 1959, S. 62.
  16. Walter Pohl: Die Germanen. Oldenbourg, München 2004 (= Enzyklopädie deutscher Geschichte 57), ISBN 3-486-56755-1, S. 42.
  17. Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 17. Leipzig 1909, S. 242.
  18. Eugippius, Vita Sancti Severini 8.
  19. Alfred Becker: Franks Casket. Zu den Bildern und Inschriften des Runenkästchens von Auzon. Verlag Carl, Regensburg 1973, ISBN 3-418-00205-6, S. 167 und Fußnoten.
  20. In: Johann Samuel Ersch, Johann Gottfried Gruber (Hrsg.): Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste. 1. Sektion: A–G. 32. Teil: Ei–Eisen. F. A. Brockhaus, Leipzig 1839, S. 209 (resolver.sub.uni-goettingen.de gdz.sub.uni-goettingen.de).
  21. Eikund. In: Johann Samuel Ersch, Johann Gottfried Gruber (Hrsg.): Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste. 1. Sektion: A–G. 32. Teil: Ei–Eisen. F. A. Brockhaus, Leipzig 1839, S. 209.
  22. Bergmann, Friedrich Wilhel: Die Edda-Gedichte der nordischen Heldensage, kritisch hergestellt. Rogheim ist wahrscheinlich zu lesen Rogaheim für Rogaland, wo Hiorvard und Hedin wohnten. Abgerufen am 19. Januar 2024.