Prozess gegen Andrei Sinjawski und Juli Daniel

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Der Sinjawski-Daniel-Prozess (russisch Процесс Синявского и Даниэля / Prozess Sinjawskogo i Danielja, wiss. Transliteration Process Sinjavskogo i Daniėlja; engl. Sinyavsky–Daniel trial) war ein sowjetischer Schauprozess im Februar 1966 in Moskau, der gegen die russischen Schriftsteller Andrei Sinjawski (1925-1997) und Juli Daniel (1925-1988) stattfand. Die beiden wurden unter dem Vorwurf der antisowjetischen Agitation sowie wegen Propaganda und Veröffentlichung ihrer satirischen Schriften im Ausland verurteilt. Sie wurden zu sieben bzw. fünf Jahren Haft in Arbeitslagern des strengen Regimes verurteilt.

Kurzeinführung

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Der Schriftsteller Andrei Sinjawski hatte unter dem Namen Abram Terz seit 1959, der Schriftsteller Juli Daniel unter dem Pseudonym Nikolai Arschak seit 1961 seine Werke im Westen veröffentlicht, was das Interesse des KGB auf sie lenkte.

Nachdem die Identität der unter Pseudonymen versteckten Autoren festgestellt und ihre Wohnungen heimlich durchsucht worden waren, wurde beschlossen, sie zu verhaften. Andrei Sinjawski und Juli Daniel wurden im September 1965 verhaftet. Leonid Breschnew war nicht von der Notwendigkeit eines Prozesses gegen die Schriftsteller überzeugt, wurde aber von Konstantin Fedin, dem damaligen Präsidenten des Schriftstellerverbandes der UdSSR, der von Andrei Sinjawski in einem seiner Essays kritisiert wurde, dazu gedrängt.

Den Schriftstellern wurde vorgeworfen, unter einem Pseudonym zu schreiben und ihre Werke im Ausland zu veröffentlichen, zu versuchen, den Marxismus zu revidieren, sich gegen die führende Rolle der Partei in der russischen Kultur auszusprechen und den Kommunismus als neue Religion zu bezeichnen. Den Anklägern zufolge haben die Autoren gegen Artikel 70 des Strafgesetzbuchs der RSFSR verstoßen. Die öffentlichen Ankläger in dem Prozess waren zwei Vertreter des Schriftstellerverbandes der UdSSR: A. Wassiljew und S. Kedrina[1].

Noch vor Beginn des Prozesses, am 22. Januar 1966, veröffentlichte Kedrina einen Text in der Literaturnaja gaseta, in dem sie Sinjawski und Daniel mit dem Protagonisten von Fjodor Dostojewskis Die Brüder Karamasow verglich – Smierdjakow, einer äußerst abstoßenden Figur.

Der Prozess war der erste in der UdSSR, bei dem Autoren offen für ihre Werke strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wurden. Die Behörden betrachteten den Fall Sinjawski und Daniel als Warnung an die Künstlergemeinschaft, die aufgrund des Chruschtschow-Tauwetters zu viel Freiheit hatte.

Hélène Zamoyska[2], die den Schriftstellern geholfen hatte, schrieb: Der Vorwurf, im Ausland antisowjetische Propaganda zu verbreiten, ist nur ein Vorwand, der einer Überprüfung nicht standhalten kann: Hätte er eine Grundlage, hätten die westlichen Kommunisten, die die verurteilten Werke gelesen haben könnten, es nicht versäumt, sie lange Zeit zu stigmatisieren und gegen das Urteil zu protestieren[3].

Der Prozess war öffentlich, ausländische Korrespondenten waren im Gerichtssaal anwesend – man hoffte, dass die Angeklagten sich schuldig bekennen würden, aber sie blieben hartnäckig. Dies lehrte die Behörden in der UdSSR, keine offiziellen Anschuldigungen gegen Schriftsteller wegen ihrer Arbeit zu erheben – fortan wurden andere Anschuldigungen verwendet, z. B. wurde Joseph Brodsky wegen Parasitismus verurteilt.

Andrei Sinjawski wurde zu 7 Jahren in einem Hochsicherheits-Gulag verurteilt, Juli Daniel zu 5 Jahren. Die Protokolle des Prozesses gegen die beiden Schriftsteller wurden vom Literaturinstitut in Paris als Buch veröffentlicht. Russische Dissidenten, darunter Alexander Ginsburg (1936-2002), stellten das so genannte Weißbuch des Prozesses zusammen,[4] das an alle Abgeordneten des Obersten Sowjets der UdSSR und an den KGB geschickt sowie im Samisdat und im Westen veröffentlicht wurde. Für die Vorbereitung dieser Publikation wurde Ginsburg 1967 zu fünf Jahren Gulag verurteilt. Am 12. September 1970 wurde Juli Daniel nach Verbüßung seiner gesamten Haftstrafe entlassen. Gegen ihn wurde jedoch ein Niederlassungsverbot in Moskau verhängt. Andrei Sinjawski wurde Anfang 1971 entlassen. 1973 durfte er die UdSSR verlassen – er emigrierte nach Paris. Der Prozess gegen Sinjawski und Daniel war ein Wendepunkt in der Geschichte der UdSSR. Die Öffentlichkeit brachte ihren Widerstand gegen die Maßnahmen der Behörden immer deutlicher zum Ausdruck, und Samisdat-Publikationen fanden immer größere Verbreitung. Dank der Kontakte zu den westlichen Journalisten, die während des Prozesses in Moskau anwesend waren, wurde es für russische Künstler einfacher, ihre Werke ins Ausland zu bringen. Sie wurden im Westen auf Russisch veröffentlicht und als so genanntes Tamisdat in die UdSSR geschmuggelt.

Proteste

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Der Prozess löste große Proteste im Inland und im Westen aus. Bereits nach der Verhaftung der Schriftsteller schickten 62 Intellektuelle einen Brief an das Präsidium der KPdSU, in dem sie gegen ihre Verhaftung protestierten (Brief der 62; russisch Письмо 62-х). In dem Schreiben wurde die Freilassung der Verfasser gegen Kaution gefordert. Zu den Unterzeichnern dieses Aufrufs gehörten Wladimir Woinowitsch, Kornei Tschukowski, Ilja Ehrenburg, Viktor Schklowski, Bulat Okudschawa und Arseni Tarkowski. Petitionen für die Freilassung von Sinjawski und Daniel wurden unter anderem vom PEN-Club und einzelnen Autoren wie W. H. Auden, Hannah Arendt, William Styron, Heinrich Böll, Günter Grass und Philip Roth eingereicht. Louis Aragon und Jean-Paul Sartre äußerten in L’Humanité ihre Sorge um das Schicksal der Schriftsteller. Auch Kommunisten aus Skandinavien, Großbritannien, Italien, Frankreich und den Vereinigten Staaten verurteilten den Prozess.

Auf dem XXIII. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion im Jahr 1966 hielt Michail Scholochow eine Rede, in der er bedauerte, dass die Schriftsteller der Todesstrafe entgangen waren. Als Reaktion auf diese Rede sandte Lidia Tschukowskaja einen offenen Brief an Scholochow und forderte die Freilassung der verurteilten Schriftsteller. Sie schrieb, dass die Geschichte seine schändliche Rede nicht vergessen werde und sich an ihm rächen werde:

„Die Literatur selbst wird Sie zur Höchststrafe verurteilen, die es für einen Künstler gibt: zur künstlerischen Impotenz. Und keine Ehrerweisungen, kein Geld, keine vaterländischen oder internationalen Preise werden dieses Urteil rückgängig machen.[5]

Siehe auch

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  • Prozess gegen Joseph Brodsky
  • Glasnost-Meeting (russisch Митинг гласности) – die erste spontane öffentliche und politische Demonstration in der UdSSR seit dem Zweiten Weltkrieg fand am 5. Dezember 1965 in Moskau als Reaktion auf den Sinjawski-Daniel-Prozess statt und gilt als Beginn der Menschenrechtsbewegung in der Sowjetunion.

Literatur

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  • Aleksandr Ginzburg: Weissbuch in Sachen Sinjawskij-Daniel. Possev-Verlag, 1967
  • Terrorjustiz gegen Schriftsteller: Die Sowjetpresse zum Prozess Sinjawski-Daniel. Pfaffenzhofen/Ilm: Ilmgau-Verl., 63 S.; Die Orientierung; 1966, Beih. 4
  • Hayward, Max (ed., trans. & intro.): On Trial: The Soviet State versus "Abram Tertz" and "Nikolai Arzzhak". New York, (1967). Revised and enlarged edition. The prosecution, conviction and sentencing of Andrei Sinyavsky (Abram Tertz) and Yuli Daniel (Nicolai Arzhak), Soviet authors whose work had been published pseudonymously in the West.
  • Leopold Labedz: The Use and Abuse of Sovietology. 1989 (Online-Teilansicht)
  • Sąd idzie! Stenogram z procesu Andrieja Siniawskiego i Julija Daniela. (Dokumenty Heft 16). 1966. Biblioteka Kultury 127. Digitalisat
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Einzelnachweise und Fußnoten

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  1. russisch Зоя Сергеевна Кедрина, wiss. Transliteration Zoja Sergeevna Kedrina
  2. vgl. Пелтиер-Замоыска, Элен 1924-2012; worldcat.org
  3. Sąd idzie! Stenogram z procesu Andrieja Siniawskiego i Julija Daniela. (Dokumenty Heft 16). 1966, S. 8 (Einleitung von Hélène Zamoyska)
  4. Eine dokumentarische Sammlung, die der junge Journalist Alexander Ginsburg im Sommer und Herbst 1966 in Moskau geschrieben hat, eine Sammlung von Artikeln über eines der zentralen Ereignisse des sowjetischen und internationalen öffentlichen Lebens. Seine Prozessdokumentation erschien 1966 in Deutschland auf Russisch unter dem Titel «Белая книга» по делу писателей Андрея Синявского и Юлия Даниэля / Belaja kniga po delu A. Sinjavskogo i Ju. Daniėlja und 1967 in deutscher Übersetzung als Weissbuch in Sachen Sinjawskij-Daniel in dem von der antikommunistischen Exilorganisation Volksarbeitsbund der russischen Solidaristen (NTS) betriebenen Possev-Verlag.
  5. zit. nach nzz.ch: Lautes Getöse um den «Stillen Don»