Sozialkonstruktivismus

Metatheorie in der Soziologie
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Sozialkonstruktivismus bezeichnet eine Metatheorie in der Soziologie, die auf dem 1966 erschienenen Buch Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit (Originaltitel: The social construction of reality) von Peter L. Berger und Thomas Luckmann basiert.

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Begründung: Der Artikel zum Sozialkonstruktivismus lässt leider gänzlich offen, als was dieser verstanden werden kann. Auch lässt er die zentralen Bezugsautoren Berger/Luckmann nahezu gänzlich aus dem Blick. Genausowenig wird die begriffliche Problematik des Sozialkonstruktivismus dargestellt. Insofern ist eine Überarbeitung dringend notwendig und es ist auf die verkürzte Darstellung im Artikel in der Zwischenzeit hinzuweisen. --Vincent Amadeus von Goethe (Diskussion) 13:49, 2. Mai 2020 (CEST)

Der Schwerpunkt des Sozialkonstruktivismus liegt darin, den Wegen nachzuspüren, wie die soziale Wirklichkeit und einzelne soziale Phänomene konstruiert werden. Die damit verbundene soziologische Methode untersucht, wie Menschen gesellschaftliche Phänomene erzeugen, institutionalisieren und diese durch die Weitergabe an neue Generationen in Traditionen überführen. Dabei geht es um die Beschreibung von Institutionen, um soziales Handeln usf., weniger aber um die Suche nach Ursachen und Wirkungen. Soziale Wirklichkeit wird als etwas dynamisch Prozesshaftes angesehen, das ständig durch das Handeln von Menschen und durch deren darauf bezogene Interpretationen und ihr Weltwissen produziert und reproduziert wird.

Viele spätere Forschungsrichtungen wie die Gender Studies und Cultural Studies beziehen sich auf Konzepte des Sozialkonstruktivismus.

Definition

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Sozialkonstrukte oder soziale Konstrukte beschreiben die Nebenerscheinungen und Folgen menschlicher Entscheidungen, ein Zusammenhang mit „göttlichen“ oder „natürlichen“ Gesetzmäßigkeiten wird dabei nicht angenommen. Soziale Konstrukte sind kein radikaler Indeterminismus, allerdings versteht sich der Sozialkonstruktivismus als Gegensatz zum Essenzialismus.[Anmerkung 1]

Der Sozialkonstruktivismus versucht hauptsächlich, die Lebensläufe sowie die Teilnahme von Individuen und Gruppen an der Welt zu beschreiben.[Anmerkung 2] Dazu gehört zum Beispiel wie soziale Erscheinungen entstehen, wie diese zur Realität werden (sich „objektivieren“), institutionalisieren und letzten Endes zu Traditionen und Kulturen geformt werden.

Die Sozialkonstruktion ist daher ein ständig fortschreitender Prozess von Veränderung und Anpassung, der von den Menschen akzeptiert und auch durch eine aktive Teilnahme vorangetrieben wird. Die Interpretationen, Motive und das Wissen der Menschen bildet die Grundlage dieses Prozesses. Da Sozialkonstrukte nicht von Natur aus geschaffen sind, müssen sie ständig durch menschliche Handlungen und Bewusstsein unterstützt und erhalten werden.

Der Prozess der Sozialkonstruktion beinhaltet aber auch Veränderungen, da neue Generationen mit ihrer Teilnahme Sozialkonstrukte modifizieren und neu gestalten können. So kann sich zum Beispiel die Bedeutung von Begriffen wie „Gerechtigkeit“ oder „Recht“ im Lauf der Zeit verändern.

Anwendungen

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Katastrophensoziologie

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In der Katastrophensoziologie liegt angesichts der Vielgestalt von „Katastrophen“ ein sozialkonstruktivistisches Herangehen nahe. Hier hat 2003 Robert Stallings verschiedene radikale und gemäßigte Ansätze analytisch und praktisch untersucht (in: Lars Clausen u. a., Hgg., Entsetzliche soziale Prozesse, Münster 2003).

Techniksoziologie

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Zur Anwendung auf die Techniksoziologie siehe die Social Construction of Technology.

Wissenschaftssoziologie

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In der Wissenschaftssoziologie wird mit „Sozialkonstruktivismus“ die Idee bezeichnet, dass auch naturwissenschaftliche Tatsachen tatsächlich das Ergebnis von Prozessen von Konstruktion sind, und abhängig von der sozialen Situation des Labors, der Forschungseinrichtung und der Verhandlung über Forschungsergebnisse innerhalb des Labors.

Alan Sokal

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Siehe auch: Sokal-Affäre

Die Sokal-Affäre wird nicht nur als Argument gegen postmoderne Tendenzen in der Wissenschaft insgesamt angeführt, sondern auch als Argument gegen den Sozialkonstruktivismus. Es wird dabei argumentiert, dass Alan Sokal mit seinem 1996 in der Zeitschrift Social Text veröffentlichten Aufsatz Transgressing the Boundaries: Towards a Transformative Hermeneutics of Quantum Gravity in Form eines wissenschaftlichen Witzes bzw. einer Parodie demonstriere, dass auch der Sozialkonstruktivismus selbst nur sozial konstruiert wäre. Damit wäre wie auch beim radikalen Konstruktivismus das Risiko eines inneren Widerspruches vorhanden: So würde die Allgemeingültigkeit des Grundsatzes „Wirklichkeit ist die Wirklichkeit, die wir uns konstruieren“ als objektive Wahrheit definiert, da aber genau deswegen keine Erkenntnis über die wahre Natur der Dinge gewonnen werden könnte, wäre auch diese „objektive“ Definition selbst nicht möglich.

In der Tat deutet Alan Sokal auf diesen Zirkelschluss des Konstruktivismus hin und versucht anhand mehrerer Beispiele nachzuweisen, dass das soziale Umfeld zwar eine (meist nur temporäre) Wirkung auf die naturwissenschaftliche Theorie haben kann, dass aber die weitaus wichtigeren und einflussreicheren Kriterien für oder gegen wissenschaftliche Theorien grundsätzlich aus wiederholbaren Experimenten und Beobachtungen stammen. Dem entgegnete Karin Knorr-Cetina 1984, dass die Konzeption, Umsetzung und Bewertung von Experimenten allerdings von Wissenschaftlern durchgeführt wird, die ebenfalls soziale Wesen sind und damit die Möglichkeit gegeben wäre, dass auch die Naturwissenschaften in einer „Zirkularität des Kategorialen“ gefangen sein könnten.

Schließlich führt Sokal an, dass Außenstehende aufgrund fehlenden Fachwissens meist gar nicht beurteilen könnten, aus welchen Gründen ein Erklärungsmodell gegenüber einem anderen bevorzugt wurde. So hätten Ergebnisse, die von Anhängern des Sozialkonstruktivismus als „sozial motiviert“ bezeichnet werden, tatsächlich meist einen plausiblen naturwissenschaftlichen Grund, der einem Laien allerdings nicht unmittelbar einsichtig sei. Jedoch sei genau diese Plausibilität ein untersuchtes sozialwissenschaftliches Objekt, da sie sich mit der Schließung (und damit sozialen Prozessierung) wissenschaftlicher Kontroversen beschäftigt.

Anthony Giddens

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Anthony Giddens wirft den Erfindern des Sozialkonstruktivismus Berger und Luckmann die Vernachlässigung der Wirkung sozialer Strukturen und des Aspekts der verlaufenden Zeit vor. Diese beiden Aspekte seien grundlegend für die Verwendung sozialer Strukturen. Giddens’ alternativer Vorschlag ist dessen 1984 veröffentlichte Theorie der Strukturierung.

Ian Hacking

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Ian Hacking kritisiert im Rahmen einer Diskursanalyse der inzwischen sehr breiten und vielfältigen Tradition des Sozialkonstruktivismus unter anderem die inflationäre und häufig unreflektierte Verwendung der Metapher der „sozialen Konstruktion“.[1]

Hacking verweist auf eine Fülle von Studien, die nach dem Muster „Die soziale Konstruktion von X“ verschiedenste Phänomene untersuchen. Zwar könne der Nachweis, dass etwas sozial konstruiert sei, z. B. befreiend wirken angesichts der vermeintlichen „Natur der Dinge“; auch habe die Metapher der sozialen Konstruktion lange Zeit eine schockierende Wirkung entfaltet,[2] indem einer herrschenden Ideologie eine Alternative vorgehalten wurde.

Inzwischen habe sich die Metapher allerdings abgenutzt. So sei inzwischen fraglich, wie die untersuchten Phänomene überhaupt anders als „sozial“ konstruiert sein könnten, und welche Rolle die Bedeutung von „konstruieren“ im Sinne von „Bauen“ oder „Zusammensetzen aus Teilen“ eigentlich spielt. Hacking fordert eine differenziertere Verwendung der Idee einer sozialen Konstruiertheit, was den Sozialkonstruktivismus deutlich eingrenzen würde.[3]

Ulrich Kutschera

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Der Evolutionsbiologe Ulrich Kutschera kritisiert in seiner Monographie „Das Gender-Paradoxon“ den Sozialkonstruktivismus aus naturwissenschaftlicher Perspektive. Mit Bezug zu den Gender Studies argumentiert Kutschera: „Menschen und andere Lebewesen konstruieren sich nicht selbst, sondern evolvieren im Laufe Jahrmillionen langer unvorhersehbarer, umweltabhängiger, über Symbiogenese-(Zellfusions-)Ereignisse, die Erdplatten-Dynamik und die gerichtete natürliche Selektion angetriebene Abstammungsprozesse“.[4] Kutschera vermutet des Weiteren, dass Sozialkonstruktivisten ihre Interpretation der Wirklichkeit mit dem neurobiologischen Konzept des Radikalen Konstruktivismus verwechseln. In dieser biowissenschaftlichen Disziplin steht die Frage im Vordergrund, „ob die vom Erkennungsapparat unabhängige Wirklichkeit über unsere Wahrnehmung (und somit erforschbare neuronale Hirnprozesse) hervorgerufen wird.“[4]

Siehe auch

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Literatur

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Anmerkungen

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  1. Der Essenzialismus beschreibt spezielle Erscheinungen als „angeborene“ grundlegende Wesensmerkmale, welche die unabhängig vom menschlichen Bewusstsein existierende Realität formen und bestimmen.
  2. Als „Welt“ wird dabei ein Sozialkonstrukt definiert, das diese Individuen und Gruppen aus ihren Wahrnehmungen bilden.

Einzelnachweise

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  1. Hacking, Ian: The Social Construction of What?, Cambridge (Massachusetts): Harvard University Press 1999.
  2. Hacking, Ian, ebd., S. 61.
  3. Hacking, Ian: Soziale Konstruktion beim Wort genommen, in: Vogel & Wingert (Hg.), Wissen zwischen Entdeckung und Konstruktion, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2003
  4. a b Kutschera, Ulrich: Das Gender-Paradoxon. Mann und Frau als evolvierte Menschentypen. Lit-Verlag: Berlin 2016, S. 395–396.