Sozialkredit-System

chinesisches Sozialkredit-System
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Das Sozialkredit-System (SKS, chinesisch 社会信用体系, Pinyin shèhuì xìnyòng tǐxì, englisch Social Credits) ist ein Rating- bzw. „Social Scoring“-System[1] der herrschenden Kommunistischen Partei Chinas in der Volksrepublik China.

Die chinesische Gesellschaft soll durch Überwachung und im Internet öffentlich einsehbaren Punktestand zu mehr „Aufrichtigkeit“ im sozialen Verhalten und politischer Loyalität erzogen werden.[2][3] Innerhalb der chinesischen Bevölkerung wird das Scoring-System als Schutz gegenüber Korruption und betrügerischem Geschäftsgebaren überwiegend positiv wahrgenommen.[4][5]

Das soziale, wirtschaftliche und politische Verhalten von Privatpersonen, Unternehmen und anderen Organisationen (wie z. B. Nichtregierungsorganisationen) soll der Ermittlung einer „sozialen Reputation“ dienen.[6] Ein niedriger Punktestand kann zu Einschränkungen im Alltag führen, etwa beim Zugang zu sozialen Diensten oder der Arbeitsplatz- und Ausbildungssuche. Kritiker sehen die Möglichkeit der totalen Kontrolle der Bevölkerung durch die Vergabe von „Punkten“ für wünschenswertes Verhalten und Abzug von Punkten für negatives Verhalten auf Basis einer weitgehenden Überwachung.

Die Industrie- und Handelskammer sieht im Sozialkreditsystem ein Instrument, die Kreditwürdigkeit von Geschäftspartnern beurteilen zu können, und empfiehlt den in China aktiven Unternehmen, regelmäßig die eigenen im Internet abrufbaren Einträge zu prüfen, um drohende persönliche Restriktionen abschätzen zu können.[7]

Regierungsvorlage 2014

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Die Regierungsvorlage für das chinesische Sozialkredit-System "Planning Outline for the Construction of a Social Credit System (2014–2020)" wurde am 14. Juni 2014 vom Staatsrat beschlossen. Angestrebt wird damit die Steigerung der „Aufrichtigkeit in Regierungsangelegenheiten“ (englisch honesty in government affairs, chinesisch 政务诚信), der „kommerziellen Integrität“ (englisch commercial integrity, chinesisch 商务诚信), der „sozialen Integrität“ (englisch societal integrity, chinesisch 社会诚信) und der „gerichtlichen Glaubwürdigkeit“ (englisch judicial credibility, chinesisch 司法公信).[8]

Datenquellen

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Ausgewertet werden unter anderem staatliche und private Datenbanken auf nationaler und subnationaler Ebene. Es fließen zur Berechnung Daten zur finanziellen Bonität, zum Strafregister und zu weiteren als relevant erfassten Verhaltensweisen ein. Des Weiteren ist anzunehmen, dass Daten der ausgesuchten Partnerunternehmen wie Alibaba Group (chinesisches Äquivalent zu Amazon), Tencent (chinesisches Äquivalent zu Facebook), Baidu (chinesisches Äquivalent zu Google) in die Bewertung einfließen werden.[9][10] Der Alibaba-Manager Min Wanli bestätigte dem Handelsblatt, dass seine Firma ein eigenes Bonitätssystem aufbaut, das als Vorlage für das staatliche System dienen könnte: „Wir sind überzeugt, dass unser Punktesystem eine gute Hilfe für die Regierung sein kann. Der Staat überlegt sogar, unser Punktesystem zu übernehmen. Falls er das möchte, unterstützen wir gerne“.[11]

Implementierung

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Das System befand sich bis 2020 in der Testphase. Im Pilotprojekt in der Stadt Rongcheng starten Personen mit 1000 Punkten. Je nach Verhalten werden Punkte hinzuaddiert oder abgezogen.[12] Zur Bewertung werden neben der Kreditwürdigkeit, der Zahlungsfähigkeit und dem Strafregister auch „persönliches Verhalten“ (englisch personal behavior and preference) und „persönliche Beziehungen“ (englisch interpersonal relationships) herangezogen.[13]

Seit 2017 sind bereits in mehreren chinesischen Städten derartige Systeme zu Testzwecken aktiv, beispielsweise in der ostchinesischen 1-Million-Einwohner-Stadt Rongcheng.[12] Derzeit laufen in China nach Darstellung der Forscherin Antonia Hmaidi von der Universität Duisburg-Essen mehr als 70 Pilotprojekte, in denen verschiedene Aspekte des Systems getestet werden. Nach Darstellung von Hmaidi ist nicht klar, welche Faktoren letztlich in die Bewertung der Bürger einfließen werden. Zudem stünden die Behörden vor großen technischen Herausforderungen, sagte Hmaidi bei einem Vortrag beim Chaos Communication Congress im Dezember 2018 in Leipzig.[14]

Auswirkungen

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Laut der Deutschen Handelskammer in Peking waren 2019 nur drei von zehn deutschen Unternehmen in China mit dem Sozialkredit-System im Geschäftskontext vertraut. Auch die EU-Handelskammer beklagte im August 2019 eine fehlende Vorbereitung europäischer Firmen auf das neue System.[15]

Im Rahmen des Projekts Vom 'Vorreiter' lernen? Eine multidisziplinäre Analyse des chinesischen Sozialkreditsystems und seiner Auswirkungen auf Deutschland untersucht das Bayerische Forschungsinstitut für Digitale Transformation, welche Chancen und Risiken mit dem System für die deutsche Wirtschaft verbunden sind. Die Analyse von 170 in China ansässigen bayerischen Unternehmen ergab, dass diese Unternehmen überwiegend auf roten (positiven) Listen erfasst sind. Fast neun Prozent der Unternehmen haben einen negativen Systemeintrag in Form einer Verwaltungsstrafe, der zu einem Eintrag auf einer schwarzen (negativen) Liste führen kann. Die positiven Einträge beziehen sich hauptsächlich auf Steuerangelegenheiten, während der überwiegende Teil der negativen Einträge die Missachtung von Vorschriften in den Bereichen Arbeitssicherheit, Gesundheit und Umwelt betrifft.[16][17]

Folgen einer negativen Bewertung

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Karrieren bei staatlichen und staatsnahen Organisationen können behindert werden. Möglich sind Reisebeschränkungen (keine Zug- oder Flugzeugtickets mehr), die Drosselung der Internetgeschwindigkeit, der Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen und höhere zu zahlende Steuern.[18]

Anfang 2019 wurde bekannt, dass die chinesische Regierung im Jahr 2018 auf Basis von Daten aus dem Projekt Goldener Schild den Kauf von 17,5 Millionen Flugtickets und 5,5 Millionen Zugfahrtscheinen durch Personen verweigert hatte, weil man den Reisenden verschiedene kleinere Verstöße zur Last legte und sie so über zu wenige Sozialpunkte verfügten.[19]

Folgen einer positiven Bewertung

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Chinesische Staatsbürger mit einem positiven Rating bekommen schnelleren Zugang zu Konsumkrediten und werden bei Ausreisebestimmungen bevorzugt, wie z. B. bei der Beantragung eines Visums.[20]

Für den Journalisten Kai Strittmatter ist das System ein Mittel der Machtsicherung. „Chinas Diktatur unterzieht sich gerade einem Update mit den Instrumenten des 21. Jahrhunderts“, schreibt er im Buch Die Neuerfindung der Diktatur – Wie China den digitalen Überwachungsstaat aufbaut und uns damit herausfordert. Die kommunistische Partei glaube, mit Big Data und künstlicher Intelligenz Steuerungsmechanismen schaffen zu können, um die Wirtschaft und das Einparteiensystem zu stärken. „Gleichzeitig möchte sie damit den perfektesten Überwachungsstaat schaffen, den die Welt je gesehen hat“, schreibt Strittmatter.

Der Politikwissenschaftler Sebastian Heilmann kritisiert das System als Ausdruck der technologischen Innovation in China. Die von Peking entwickelten Überwachungstechniken könnten global exportiert werden, schreibt er im Buch Red Swan: How Unorthodox Policy-Making Facilitated China's Rise. Der chinesische „Techno-Autoritarismus“ könnte vor allem in Schwellenländern Nachahmer finden.

Der Handelsblatt-Journalist Stephan Scheuer kritisiert das System als Gefahr für die Technologiefirmen in China. Während der Staat über Jahre den Aufstieg von Internetkonzernen wie Baidu, Alibaba und Tencent gefördert habe, würden die Unternehmen nun dazu gedrängt, dem Staat ein ausgefeiltes Überwachungssystem zu bauen. „Baidu, Alibaba und Tencent sollen ihr Fachwissen einbringen, um eine möglichst effiziente staatliche Überwachung möglich zu machen“, schreibt er im Buch Der Masterplan – Chinas Weg zur Hightech-Weltherrschaft.

„Wer es hingegen wagt, in den sozialen Medien ständig über die Missstände im Land zu schimpfen, bekommt Punkte abgezogen. Wang spricht vom ‚kommunistischen Musterbürger‘, den die chinesische Führung auf diese Weise schaffen wolle. Zugleich bedeute das ‚die totale Kontrolle‘.“

Felix Lee: Die AAA-Bürger[21]

Siehe auch

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Literatur

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  • Kai Strittmatter: Die Neuerfindung der Diktatur – Wie China den digitalen Überwachungsstaat aufbaut und uns damit herausfordert. Piper, München 2018, ISBN 978-3-492-05895-7.
  • Stephan Scheuer: Der Masterplan – Chinas Weg zur Hightech-Weltherrschaft. Herder, Freiburg 2018, ISBN 978-3-451-39900-8. Kapitel 8 "Der Staat: Big Brother trifft Big Data" über das Social-Credit-System.
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Einzelnachweise

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  1. Jay Stanley: China’s Nightmarish Citizen Scores Are a Warning For Americans. In: American Civil Liberties Union. 5. Oktober 2015 (aclu.org [abgerufen am 2. Dezember 2017]).
  2. Planning Outline for the Construction of a Social Credit System (2014–2020). In: China Copyright and Media. 14. Juni 2014 (wordpress.com [abgerufen am 16. Mai 2018]).
  3. State Council Guiding Opinions concerning Establishing and Perfecting Incentives for Promise-keeping and Joint Punishment Systems for Trust-Breaking, and Accelerating the Construction of Social Sincerity, vom 18. Oktober 2016, abgerufen im September 2017.
  4. Das Sozialkreditsystem in China, von Timo Daum, Rosa Luxemburg Stiftung, 5. Dezember 2022
  5. Was steckt wirklich hinter dem Social Credit System Chinas?, change – Das Magazin der Bertelsmann Stiftung, 19. Dezember 2018, aktualisiert: 15. Februar 2022
  6. heise online: 34C3: China – Die maschinenlesbare Bevölkerung. 28. Dezember 2017, abgerufen am 11. Januar 2018.
  7. Nils Pelzer: Das chinesische Sozialkreditsystem, Industrie und Handelskammer Stuttgart. In: ihk.de
  8. Planning Outline for the Construction of a Social Credit System (2014–2020). In: China Copyright and Media. 14. Juni 2014 (wordpress.com [abgerufen am 16. Mai 2018]).
  9. Rachel Botsman: Big data meets Big Brother as China moves to rate its citizens. (wired.co.uk [abgerufen am 16. Mai 2018]).
  10. Cashless Society, Cached Data: Security Considerations for a Chinese Social Credit System - The Citizen Lab. In: The Citizen Lab. 24. Januar 2017 (citizenlab.ca [abgerufen am 16. Mai 2018]).
  11. Alibabas KI-Chef Min Wanli: „Es gibt Firmen, die Zeit in Brettspiele investieren – wir machen Krankenwagen schneller“. Abgerufen am 10. Januar 2019.
  12. a b Axel Dorloff: Chinas Sozialkredit-System: Auf dem Weg in die IT-Diktatur. In: Deutschlandfunk Kultur (Hrsg.): Weltzeit. 5. September 2017 (deutschlandfunkkultur.de [abgerufen am 2. Dezember 2017]).
  13. Rachel Botsman: Big data meets Big Brother as China moves to rate its citizens. (wired.co.uk [abgerufen am 16. Mai 2018]).
  14. Antonia Hmaidi: "The" Social Credit System - Vortrag beim 35C3. Abgerufen am 10. Januar 2019 (englisch).
  15. China: Kontrollsystem für Firmen. In: www.focus.de. 30. August 2019, abgerufen am 30. August 2019.
  16. Vom 'Vorreiter' lernen? Eine multidisziplinäre Analyse des chinesischen Sozialkreditsystems und seiner Auswirkungen auf Deutschland. Bayerisches Forschungsinstitut für Digitale Transformation, abgerufen am 10. März 2022.
  17. Nachgefragt: Welche Rolle spielt das chinesische Sozialkreditsystem für Deutschland? Bayerisches Forschungsinstitut für Digitale Transformation, 17. Februar 2021, abgerufen am 10. März 2022.
  18. Mercator Institute for China Studies (merics.org), Mirjam Meissner: Chinas gesellschaftliches Bonitätssystem, Webseite und PDF-Datei, in MERICS China Monitor Nr. 39, vom August 2017.
  19. "China blocks 17.5 million plane tickets for people without enough 'social credit'" The Independent vom 23. Februar 2019
  20. Rachel Botsman: Big data meets Big Brother as China moves to rate its citizens. (wired.co.uk [abgerufen am 16. Mai 2018]).
  21. Die AAA-Bürger. In: ZEIT ONLINE. (zeit.de [abgerufen am 3. Mai 2018]).