Weltethos

Konzept eines überkulturellen und überreligiösen ethischen Grundbestands
(Weitergeleitet von Stiftung Weltethos)

Das Weltethos ist die Formulierung eines Grundbestandes an ethischen Normen und Werten, der sich aus religiösen, kulturellen und zum Teil auch aus philosophischen Traditionen der Menschheitsgeschichte herleiten lässt. Der Theologe Hans Küng prägte den Begriff 1990 mit seinem Buch Projekt Weltethos.

Auf dem Buchumschlag von Küngs „Projekt Weltethos“ wurde als Symbol für sein Projekt die Blue Marble gewählt

Das Projekt Weltethos ist ein Versuch, die Gemeinsamkeiten der Weltreligionen zu beschreiben und ein gemeinsames Ethos, ein knappes Regelwerk aus den Grundforderungen aufzustellen, welche von allen akzeptiert werden können.

Ebenso wie die internationale Erd-Charta-Initiative versucht das Projekt seit 1993, die ethischen Grundlagen für eine humanere und demokratischere Weltordnung zu formulieren, um unter anderem drohende ökologische Katastrophen abzuwenden.

Grundüberzeugungen

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Die Grundüberzeugungen des Projektes Weltethos sind

  • kein Zusammenleben auf unserem Globus ohne ein globales Ethos
  • kein Frieden unter den Nationen ohne Frieden unter den Religionen
  • kein Frieden unter den Religionen ohne Dialog zwischen den Religionen
  • kein Dialog zwischen den Religionen und Kulturen ohne Grundlagenforschung
  • kein globales Ethos ohne Bewusstseinswandel von Religiösen und Nicht-Religiösen

„Diese eine Welt braucht ein Ethos; diese eine Weltgesellschaft braucht keine Einheitsreligion und Einheitsideologie, wohl aber einige verbindende und verbindliche Normen, Werte, Ideale und Ziele.“

Hans Küng: Das Projekt Weltethos (1990)

Goldene Regel

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Ein wichtiges Beispiel für die Gemeinsamkeiten in den Religionen, aber auch nicht religiösen Ansichten ist das Prinzip der Goldenen Regel. Alle Religionen und Kulturen kennen dieses Prinzip der Gegenseitigkeit. In Form eines deutschen Sprichworts aus dem Judentum[1] lautet es: Was du nicht willst, das man dir tu’, das füg’ auch keinem anderen zu. Das Projekt Weltethos führt folgende Beispiele zu den einzelnen Weltreligionen an:

Erklärung zum Weltethos

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Vom 28. August bis zum 4. September 1993 trafen sich in Chicago Vertreter vieler verschiedener Religionen zum Weltparlament der Religionen, um eine Konsenserklärung zu verabschieden, welche die Menschenrechtserklärung von 1948 ethisch begründen sollte. Es beteiligten sich 6.500 Menschen aus 125 Religionen und religiösen Traditionen. Sie einigten sich in der Erklärung zum Weltethos[3] auf die beiden allgemein-ethischen Prinzipien „Menschlichkeit“ und „Gegenseitigkeit“ (Goldene Regel), sowie auf die vier Weisungen (Du sollst nicht töten, stehlen, lügen und Unzucht treiben), die in den Leitsätzen formuliert wurden:

Der Entwurf der „Erklärung zum Weltethos“ war unter Federführung von Hans Küng im Institut für ökumenische Forschung der Universität Tübingen entstanden. Mit dieser Erklärung verständigten sich erstmals Vertreter aller Religionen über Prinzipien eines Weltethos. Vier Jahre später folgte der Entwurf für eine „Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten“ des InterAction Council, ein Gremium früherer Staats- und Regierungschefs unter dem Vorsitz des früheren deutschen Bundeskanzlers Helmut Schmidt.

Im Juli 2018 wurde zum 25-jährigen Gedenken an die Weltethos-Erklärung von 1993 beim 7. Parlament der Weltreligionen in Toronto eine fünfte Weisung zur Ökologischen Verantwortung hinzugefügt. Vorausgegangen waren ein breiter monatelanger Beratungsprozess und die Zustimmung des Kuratoriums des Parlaments der Weltreligionen.[6]

Im Judentum etwa werden die ethischen Prinzipien und Weisungen der Weltethos-Erklärung aus den 10 Geboten und aus dem Talmud hergeleitet; im Christentum aus dem Neuen Testament und ebenfalls aus den 10 Geboten, wobei Jesu Auslegung dieser Gebote[7] in der Bergpredigt[8] für Christen maßgebend ist.

Stiftung

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Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann bei der 12. Weltethos-Rede zum Thema „Zusammenhalt in Zeiten des Umbruchs“ in Tübingen im Februar 2017

Die Weiterentwicklung und Umsetzung des Projekts Weltethos wird von der Stiftung Weltethos mit Hauptsitz in Tübingen betrieben.[9] Gegründet wurde die Stiftung von Hans Küng von dem Baden-Badener Unternehmer Karl Konrad von der Groeben, der 1995 durch das Buch Projekt Weltethos auf das Thema aufmerksam wurde. Er stellte 5 Mio. DM zur Verfügung. Aus den Zinserträgen sollte die weitere Arbeit langfristig finanziert werden. Erster Präsident der Stiftung war Hans Küng. Im März 2013 (zu Küngs 85. Geburtstag) übernahm der Präsident des Staatsgerichtshofs des Landes Baden-Württemberg, Eberhard Stilz, diese Position; der zunächst vorgesehene Altbundespräsident Horst Köhler hatte aus persönlichen Gründen abgesagt.[10][11] 2022 wurde die Präsidentschaft von Prof. Dr. Bernd Engler übernommen, dem langjährigen Rektor der Universität Tübingen.[12][13]

Aufgaben:

  • Durchführung und Förderung interkultureller und interreligiöser Forschung
  • Anregung und Durchführung interkultureller und interreligiöser Bildungsarbeit
  • Ermöglichung und Unterstützung der zur Forschungs- und Bildungsarbeit notwendigen interkulturellen und interreligiösen Begegnung

Ziele der Stiftung sind die Vermittlung ethischer und interkultureller Kompetenz sowie Dialog, Zusammenarbeit und Frieden zwischen Religionen und Kulturen. Um diese Ziele zu erreichen, verwirklicht die Stiftung Weltethos national wie international Projekte in den Bereichen Bildung und Schule, Religion, Politik, Wirtschaft und Kultur. 2012 errichtete die Stiftung ein Weltethos-Institut an der Universität Tübingen, finanziert von der Karl Schlecht Stiftung und mit den Arbeitsschwerpunkten Wirtschaftsethik, Unternehmensethik und Globalisierungsethik. Nationale und internationale Aufmerksamkeit erhielt die Stiftung durch die 2000 gemeinsam mit der Universität Tübingen initiierten Weltethos-Reden von internationalen Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Kultur und öffentlichem Leben.

Seit 1996 gibt es auch in der Schweiz eine Stiftung Weltethos, finanziert durch Martita Jöhr-Rohr (1912–2008), die Witwe des Schweizer Nationalökonomen Walter Adolf Jöhr. Auch in Österreich, Tschechien, Kolumbien, Mexiko und Brasilien entstanden Weltethos-Stiftungen oder ähnliche Strukturen.[14][15]

Kritik und Rezeption

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Am Projekt Weltethos wird bemängelt, dass die Grundlagen für dieses gemeinsame Ethos zu sehr westlichen Denkweisen entsprängen und somit die Inhalte anderer Religionen nicht genug berücksichtigten. Ein anderer Kritikpunkt ist, dass die Religionen gegenüber dem Weltethos an Bedeutung verlieren und somit jahrhundertealtes Wissen und Traditionen in Vergessenheit geraten könnten.[16] Schließlich wendet sich das Projekt Weltethos an die (großen) Religionen der Welt und berücksichtigt Menschen, die Religion fernstehen oder nicht religiös sind, lediglich am Rande. Dagegen wenden sich verschiedene Projekte, etwa das Projekt Ethify Yourself.[17]

Als einer der schärfsten Kritiker des Projekts Weltethos tat sich der Philosoph Robert Spaemann hervor.[18] Für den Philosophen Volker Zotz „schwingt in Küngs Denken die Utopie einer Einheit mit, wodurch die Gefahr besteht, die Augen vor den realen Differenzen zu verschließen oder diese zumindest weniger wichtig zu nehmen als das einende.“ Zotz sieht im Projekt Weltethos die „Tendenz, bei anderen das dem Eigenen Ähnliche wichtiger zu nehmen als Differenzen. Das Bewusstsein einer Universalität des Menschlichen, das nicht Völker und Kulturen entzweien will, führt hier zu Widerständen dagegen, andere als in grundlegenden Elementen verschieden von sich selbst wahrzunehmen.“[19]

Die Idee des Weltethos versteht der Rechtsphilosoph Axel Montenbruck bereits als Teil einer westlich-säkularen Zivilreligion der Verfassungen und Konventionen; zugleich bettet er die Idee des Weltethos in die Idee eines universellen Gerechtigkeits-Naturalismus ein, etwa im Sinne des vernünftigen Schwarmverhaltens.[20]

Siehe auch

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Literatur

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  • Eine umfangreiche Bibliographie zur Weltethosdebatte – zusammengestellt von Michel Hofmann – findet sich in: Christel Hasselmann: Die Weltreligionen entdecken ihr gemeinsames Ethos. Mainz 2002, ISBN 978-3-7867-2374-5, S. 300ff.
  • Hans Küng: Projekt Weltethos. Piper Verlag, München 1990. Inhaltsverzeichnis (pdf)
  • Hans Küng, Karl-Josef Kuschel: Die Erklärung zum Weltethos. Die Deklaration des Parlamentes der Weltreligionen. Pieper Verlag, München 1993.
  • Hans Küng: Der Islam. Geschichte, Gegenwart, Zukunft. Piper Verlag, München 2004.
  • Hans Küng (Hrsg.), Dieter Senghaas (Hrsg.): Friedenspolitik. Ethische Grundlagen internationaler Beziehungen. Piper Verlag, München, 2003
  • Hans Küng: Wozu Weltethos? Religion und Ethik in Zeiten der Globalisierung. Im Gespräch mit Jürgen Hoeren. Herder Verlag, Freiburg i. Brsg., 2002.
  • Hans Küng (Hrsg.): Dokumentation zum Weltethos. Piper Verlag, München 2002.
  • Christel Hasselmann: Die Weltreligionen entdecken ihr gemeinsames Ethos. Der Weg zur Weltethoserklärung. Matthias-Grünewald-Verlag, Mainz 2002 (mit einem Vorwort von Hans Küng).
  • Christel Hasselmann: Hans Küngs Projekt Weltethos interkulturell gelesen. Interkulturelle Bibliothek, Traugott Bautz, Nordhausen 2005.
  • Bernd Jaspert (Hrsg.): Hans Küngs „Projekt Weltethos“. Beiträge aus Philosophie und Theologie. Zum 65. Geburtstag von Hans Küng (= Hofgeismarer Protokolle. 299). Ev. Akademie Hofgeismar, Hofgeismar 1993 (2. Aufl. 1996)
  • Robert Spaemann: Weltethos als „Projekt“. In: Merkur. Zeitschrift für europäisches Denken, Heft 9/10, 50. Jahrgang, Stuttgart 1996, S. 891–904 (eine grundsätzliche Kritik am Projekt Weltethos)
  • Hans Küng, Karl-Josef Kuschel (Hrsg.): Wissenschaft und Weltethos. Piper Verlag, München 1998.
  • Hans Küng: Ja zum Weltethos, Perspektiven für die Suche nach Orientierung. Piper Verlag, München 1996.
  • Erwin Bader (Hrsg.): Weltethos – Weltfrieden – Weltreligionen, hrsg. i. A. d. Initiative Weltethos Österreich, Vw. v. Hans Küng. LIT Verlag, Wien/Münster 2007.
  • Erwin Bader (Hrsg.): Weltethos und Globalisierung. Hrsg. i. A. d. Initiative Weltethos Österreich. LIT Verlag Wien/Münster 2008.
  • Siegfried Pflegerl: Das Ethos der Einen Menschheit – Kritische Vorschläge zur Evolution der Weltethosdebatte. E-Book der Internetloge.de, 2009 Download gesamtes Buch: 95 S., PDF-File 1,5 MB unter: [1] (PDF; 1,5 MB)
  • Martin Bauschke: Die Stiftung Weltethos. In: Michael Klöcker, Udo Tworuschka (Hrsg.): Handbuch der Religionen. Kirchen und andere Glaubensgemeinschaften. Landsberg/München 19907ff. (Loseblattwerk mit jährlich vier Ergänzungslieferungen), (II-4.2.1.8.1), 32. EL 2012, S. 1–7.
  • Helmut Reinalter (Hrsg.): Projekt Weltethos. Herausforderungen und Chancen für eine neue Weltpolitik und Weltordnung. Studienverlag, Innsbruck 2006.
  • Helmut Reinalter (Hrsg.): Ethik in Zeiten der Globalisierung. Mit einem Vorwort von Hans Küng. W. Braumüller, Wien 2007.
  • Helmut Reinalter (Hrsg.): Weltethos-Gespräche. Innsbruck University Press, Innsbruck 2014.
  • Andreas Lienkamp: Die Verantwortung der Religionsgemeinschaften für den Naturschutz. In: Jürgen Micksch, Yasmin Khurshid, Hubert Meisinger, Andreas Mues (Hrsg.): Religionen und Naturschutz – Gemeinsam für biologische Vielfalt (= BfN-Skript. 426). Bundesamt für Naturschutz, Bonn/Bad Godesberg 2015, ISBN 978-3-89624-162-7, S. 31–47.

Einzelnachweise

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  1. Zum Sprichwort gewordene deutsche Übersetzung Martin Luthers von Tobias 4,16 (apokryph), dort mit „dass“ statt „das“.
  2. Einheitsübersetzung von 1980
  3. Deklaration des Parlaments der Weltreligionen - Die Weltethos-Erklärung und ihre Unterzeichner. (PDF in Arabisch, Bahasa Malaysia, Bulgarisch, Chinesisch, Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Katalanisch, Kroatisch, Niederländisch, Portugiesisch, Russisch, Slowenisch, Spanisch, Türkisch) Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 30. September 2013; abgerufen am 17. August 2013.
  4. Marshall B. Rosenberg: Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens. "12." Auflage. Junfermann Verlag, 2016, ISBN 978-3-95571-572-4, S. 224 (englisch: Nonviolent Communication. Übersetzt von Ingrid Holler).
  5. Marshall B. Rosenberg Video - Rollenspiel Wolf und Giraffe - dt. Untertitel. Abgerufen am 18. April 2023 (englisch).
  6. Commitment to a Culture of Sustainability and Care for the Earth. (Memento vom 3. März 2021 im Internet Archive), auf parliamentofreligions.org
  7. Liebe Gott und den Nächsten wie Dich selbst ( Lukas 10,27 fasst die 10 Gebote zusammen). Abgerufen am 18. April 2023.
  8. Matthäus 5,1-11. In: Deutsche Bibelgesellschaft. Abgerufen am 19. April 2023.
  9. Stiftung Weltethos Tübingen
  10. @1@2Vorlage:Toter Link/www.swr.deswr.de (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven)
  11. SWR-TV Bericht zu Hans Küng, abgerufen am 8. April 2021.
  12. Bernd Engler wird Präsident der Stiftung Weltethos. In: Weltethos Institut Tübingen. Abgerufen am 9. Mai 2024 (deutsch).
  13. Bernd Engler wird Präsident der Weltethos-Stiftung. Abgerufen am 9. Mai 2024.
  14. Hans Küng: Handbuch Weltethos. Eine Vision und ihre Umsetzung. Seite 138. Piper Verlag, München 2012, ISBN 978-3-492-30059-9.
  15. Stiftung Weltethos Tübingen, abgerufen am 29. Januar 2013.
  16. Heinzpeter Hempelmann: Intolerante Toleranz. Hans Küngs „Projekt Weltethos“ als Prokrustesbett religiöser Geltungsansprüche. (Memento vom 5. Februar 2018 im Internet Archive) (PDF; 163 kB), abgerufen am 26. Januar 2015.
  17. ethify.org; Roland Alton: Ethify Yourself. Mit neun Werten leben und wirtschaften. Online Buch, Kapitel Ausblick, letzter Abruf am 20. März 2011.
  18. Merkur. Zeitschrift für europäisches Denken, Heft 9/10, S. 891–904.
  19. Volker Zotz: Konfuzius für den Westen. Neue Sehnsucht nach alten Werten. O.W. Barth, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-502-61164-6, S. 41–44.
  20. Axel Montenbruck: Zivilreligion. Eine Rechtsphilosophie I. Grundlegung: Westlicher „demokratischer Präambel-Humanismus“ und universelle Trias „Natur, Seele und Vernunft“. 3. erheblich erweiterte Auflage, 2011, S. 120ff (zum Gerechtigkeits-Naturalismus allgemein), S. 132 ff. (zu Küngs Weltethos), Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin (open access)
  21. InterAction Council: A Universal Declaration of Human Responsibilities. 1. September 1997, abgerufen am 18. April 2023 (englisch).