Stuttgarter Neues Tagblatt

(Weitergeleitet von Stuttgarter NS-Kurier)

Das Stuttgarter Neue Tagblatt war ursprünglich eine liberale Tageszeitung, die von 1909 bis 1945 in Stuttgart herausgegeben wurde. Sie folgte auf das Stuttgarter Tagblatt, das bereits 1843 erschien[1] und 1909 mit der Württemberger Zeitung unter dem neuen Direktor Carl Esser fusionierte. Esser gab 1913 eine Festschrift zum siebzigjährigen Bestehen heraus.

Die Tagblattgebäude 1913
Setzmaschinen 1913
Tagblatt-Turm 1928

Geschichte

Bearbeiten

1843 gab der Buchdrucker J. G. Friedrich Müller vorab Abonnentenlisten für eine dritte Stuttgarter Tageszeitung herum.[2] Am 1. Dezember 1843 kam ihm die Stuttgarter Schnellpost und am 16. Dezember 1843 das nur 22 Tage überstehende Stuttgarter Tagblatt zuvor. Müller änderte den von ihm geplanten Titel und brachte am 24. Dezember 1843 sein Neues Tageblatt für Stuttgart und Umgegend heraus. Die Revolutionsjahre zwangen Müller, den Kaufmann und Stadtrat Gustav Voeth zu beteiligen, dessen Söhne Gustav und Paul das Unternehmen Müller & Voeth bis 1897 weiterführten. 1903 ging Redaktionsleiter Adolf Müller-Palm in den Ruhestand. Bevor das Neue Tagblatt ab 4. Dezember 1918 offen die Deutsche Demokratische Partei unterstützte, war es ausdrücklich parteipolitisch unabhängig, aber alles andere als ohne Haltung.[2]

Seit 1871 war das Tagblatt in den Gebäuden Torstraße 27 und 29 am südlichen Altstadtrand ansässig. Das viergeschossige Gebäude Torstraße 29 mit Werksteinfassade in Formen der italienischen Renaissance war ein Werk des Stuttgarter Architekten Christian Friedrich Leins von 1871. Das Nachbargebäude Torstraße 27 wurde 1895/97 nach Planung des Stuttgarter Architekturbüros Bihl & Woltz durch ein fünfgeschossiges Hauptverwaltungsgebäude der Zeitung mit Werksteinfassade in Gliederungen der Spätgotik und deutschen Renaissance ersetzt.[3] 1930 wurden beide Gebäude nach Plänen des Architekten des Tagblattturms aufgestockt und mit neu-sachlichen Fassaden versehen[4].

In den 1920er Jahren wurde die Zeitung von dem Industriellen Robert Bosch aufgekauft, „um sie nicht an den rechtsgerichteten Hugo Stinnes fallen zu lassen“, wie Der Spiegel am 4. April 1966 schrieb.[5], oder um „die Stuttgarter Presse von norddeutschen Kapitaleinflüssen freizuhalten“, wie Der Spiegel am 2. März 1970 den Bosch-Biographen Theodor Heuss zitiert.[6]

Mit dem modernen Tagblatt-Turm, einem Bau des Stuttgarter Architekten Ernst Otto Oßwald von 1927/28, errichtete das Blatt in jenen Jahren das höchste Gebäude der Innenstadt, zugleich den weltweit ersten Sichtbetonbau.[7] Die Kontur des Hochhauses war nachts beleuchtet.[8][9] Bei seiner Einweihung sagte der damalige Hauptschriftleiter des Tagblatts, es stehe für den Willen der Stuttgarter, das Leben „das draußen brandet, als lebenswert anzuerkennen“.[10]

Zumindest zu dieser Zeit, Ende der 1920er Jahre, war das Stuttgarter Neue Tagblatt die größte Tageszeitung Württembergs und eine führende Tageszeitung Deutschlands.[11]

Nachdem Adolf Hitler 1933 Reichskanzler geworden war, schaffte er mit dem Schriftleitergesetz zum Jahr 1934 die Pressefreiheit ab. Das Tagblatt veröffentlichte nun Propaganda von Nationalsozialisten.[12] 1943 waren die Namen Stuttgarter Neues Tagblatt und Stuttgarter NS-Kurier schließlich gleichbedeutend.[13]

Die Bombardierungen von Stuttgart im Zweiten Weltkrieg legten die meisten Gebäude der Innenstadt in Trümmer, ließen das Hochhaus des Tagblatts aber intakt.[14] Im September 1945 lebte in ihm mit der Stuttgarter Zeitung die freie Presse wieder auf.[15]

Sportzeitung des Stuttgarter Neuen Tagblatts

Bearbeiten

Ab dem 28. März 1920 brachte das „Stuttgarter Neue Tagblatt“ eine eigene Sportzeitung heraus. Die „Sportzeitung des Stuttgarter Neuen Tagblatts“ erschien immer montags, war vom Sportverband von Groß-Stuttgart anerkannt und sollte „die Öffentlichkeit über alle wichtigen sportlichen und turnerischen Ereignisse schnellstens unterrichten.“[16] Daneben wurden Fragen der Sportförderung erörtert. Als eine Besonderheit druckte man die neue Zeitung ab dem dritten Heft auf grün eingefärbtem Papier, so dass sie bald inoffiziell „Die grüne Sportzeitung“ genannt wurde. Im März 1937 wurde die Zeitung mit der Zeitung „Sportbericht“, einer Sportzeitung, die seit 1925 in Stuttgart erschien, vereint und in „Sportbericht des Stuttgarter Neuen Tagblatts. Süddeutschlands große Sportzeitung“ umbenannt. Diese Zeitung erschien vermutlich bis 1943.

Literatur

Bearbeiten
  • Adolf Müller-Palm: Zum 50jährigen Jubiläum des Neuen Tagblatts in Stuttgart (24. Dez. 1843–1893). Stuttgarter Neues Tagblatt [1893].
  • Carl Esser: Stuttgarter neues Tagblatt. Betrachtungen über das Wesen einer modernen Tageszeitung; Einblick in einen Zeitungs- und Buchdruck-Großbetrieb. Neues Tagblatt, Stuttgart 1913.
  • Stuttgarter neues Tagblatt. Betrachtungen über das Wesen einer modernen Tageszeitung; Einblick in einen Zeitungs- und Buchdruck-Großbetrieb; zum 80jährigen Bestehen Ende 1923 neu bearbeitet. Stuttgart: Stuttgarter Neues Tagblatt 1923 (Digitalisat).
  • August Sieburg: Vor 125 Jahren ist das „Neue Tagblatt für Stuttgart und Umgebung“ zum erstenmal erschienen. In: Stuttgarter Zeitung. Jg. 24 (1968), Nr. 297, S. 26.
  • Paul Tröger: Stuttgarter Neues Tagblatt. Eine Zeitungsgeschichte. Institut für Zeitungswissenschaft, München 1937 (Zugl.: München, Univ., Diss., 1936).
  • Vom Zeitungsverlag zum Medienhaus, bei Südwestdeutsche Medien Holding
Bearbeiten
  • Digitalisierte Ausgaben des „Neuen Tagblatts“ (1874–1913) in den Digitalen Sammlungen der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart: hier.
  • Digitalisierte Ausgaben des „Stuttgarter Neuen Tagblatts“ (1913–1943) in den Digitalen Sammlungen der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart: hier.
  • Digitalisierte Ausgaben der „Sportzeitung des Stuttgarter Neuen Tagblatts“ (1920, 1924–1932) in den Digitalen Sammlungen der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart: hier.

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten - Dokumentation Bild und Text. Landeshauptstadt Stuttgart, abgerufen am 7. März 2010.
  2. a b Stuttgarter Neues Tagblatt. Betrachtungen über das Wesen einer modernen Tageszeitung. Einblick in einen Zeitungs- und Buchdruck-Großbetrieb. Zum 80jährigen Bestehen Ende 1923 neu bearbeitet. Stuttgarter Neues Tagblatt und Tagblatt-Buchdruckerei, S. 16–40 (wlb-stuttgart.de [PDF]): „Das süddeutsche Volk, speziell in Schwaben, achtet den Mann nicht, der keine bestimmte Meinung hat, und wünscht auch keine Presse, die wie ein schwankendes Bild in der Geschichte erscheint.“
  3. Gustav Wais: Alt-Stuttgarts Bauten im Bild. Stuttgart 1951, S. 511.
  4. Judith Breuer u. Angelika Reiff: Der Tagblattturm. Seit 1928 neu-sachliches Wahrzeichen Stuttgarts. In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg. Nachrichtenblatt der Landesdenkmalpflege, 50. Jg., 2021, S. 2f, 6.
  5. Was not tut. Der Spiegel, 4. April 1966, abgerufen am 7. März 2010.
  6. VERLAGE / BOSCH-BETEILIGUNGEN Prächtiges Paket In: Der Spiegel, SpiegelNet GmbH, 3. Februar 1970. Abgerufen am 22. April 2016 
  7. Tagblatt-Turm. Landeshauptstadt Stuttgart, abgerufen am 7. März 2010.
  8. Der Tagblatt-Turm. Stuttgarter Zeitung, archiviert vom Original am 4. März 2016; abgerufen am 7. März 2010.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.von-zeit-zu-zeit.de
  9. Judith Breuer u. Angelika Reiff: Der Tagblattturm. Seit 1928 neu-sachliches Wahrzeichen Stuttgarts. In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg. Nachrichtenblatt der Landesdenkmalpflege, 50. Jg., 2021, S. 2ff
  10. Unterm Turm - Der Tagblatt-Turm. Landeshauptstadt Stuttgart, abgerufen am 7. März 2010.
  11. Ein neues deutsches Zeitungshaus. In: Zeitungs-Verlag. 29. Jahrgang, Nr. 45. Verein Deutscher Zeitungs-Verleger, 10. November 1928, S. 9, Sp. 2453–2454 (onb.ac.at).
  12. Brinkmann, Albert Erich. Institut für Kunstgeschichte der Universität Karlsruhe, archiviert vom Original am 27. Juni 2007; abgerufen am 7. März 2010.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.ikg.uni-karlsruhe.de
  13. G.d.1.2. Inhalt. Stadtarchiv Ulm, abgerufen am 7. März 2010.
  14. 325 Jahre Verlagsgeschichte. J. B. Metzler’sche Verlagsbuchhandlung, abgerufen am 7. März 2010.
  15. Der reimende Patriarch vom Tagblattturm. Stuttgarter Zeitung, 17. Januar 2007, archiviert vom Original am 26. Dezember 2008; abgerufen am 7. März 2010.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.stuttgarter-zeitung.de
  16. Stuttgarter Neues Tagblatt, Nr. 156, Abendausgabe, 25. März 1920, S. 5 (Digitalisat).