Dornschrecken

Familie der Ordnung Heuschrecken (Orthoptera)
(Weitergeleitet von Tetrigidae)

Die Dornschrecken, mit wissenschaftlichem Namen Tetrigidae[1], sind eine Familie in der Ordnung der Heuschrecken (Orthoptera). Sie werden, als einzige Familie, in eine Überfamilie Tetrigoidea gestellt.

Dornschrecken

Tetrix subulata

Systematik
Unterstamm: Sechsfüßer (Hexapoda)
Klasse: Insekten (Insecta)
Ordnung: Heuschrecken (Orthoptera)
Unterordnung: Kurzfühlerschrecken (Caelifera)
Überfamilie: Tetrigoidea
Familie: Dornschrecken
Wissenschaftlicher Name der Überfamilie
Tetrigoidea
Rambur, 1838
Wissenschaftlicher Name der Familie
Tetrigidae
Rambur, 1838

Merkmale

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Eine typische Tetrigiden-Art, die oft auf Sandbänken in Gewässern im südlichen Afrika vorkommt. Deutlich ist das Pronotum sichtbar, das die Hinterflügel bedeckt. Der rudimentäre Deckflügel ist oberhalb der Hüfte (Coxa) des Hinterbeins zu erkennen.
 
Rückenansicht. Dasselbe Tier von oben betrachtet. In beiden Bildern ist die massive Struktur der Hinterschenkel (Femora) deutlich.

Tetrigidae[2][3] sind im Allgemeinen relativ kleine Heuschrecken, die Körperlänge der europäischen Arten liegt um 10 mm. Sie sind meist unauffällig grau oder braun gefärbt[4], oft dunkel gefleckt, wobei die Färbung und Zeichnung auch innerhalb der Arten oft sehr variabel ist. Das Integument ist meist körnig oder warzig strukturiert. Die Färbung der Tiere ist tarnfarben (kryptisch), wobei die individuelle Färbung und Zeichnung perfekt mit derjenigen des Lebensraums übereinstimmen kann und parallel mit dieser variiert.[5] Dieser Polyphänismus wird teilweise direkt durch Einflüsse des Lebensraums ausgelöst und muss nicht genetisch determiniert sein.[6] Einige Arten ahmen mit ihrem Körperumriss Blätter, Steine oder Ästchen nach (Mimese).[7] Vor allem bei tropischen Arten trägt das Pronotum manchmal bizarr geformte Auswüchse, deren Funktion unbekannt ist.

Typisch und namengebend ist die Struktur des Halsschilds (Pronotum). Dieser ist nach hinten verlängert und bedeckt meist den ganzen Rumpf, oft den ganzen Körper bis zur Spitze des Hinterleibs (Abdomen), oder ragt noch darüber hinaus. Er läuft nach hinten in einen spitzen Dorn aus. Die Länge des Dorns ist verschieden und kann innerhalb derselben Art variabel sein. Die langdornigen Formen besitzen lange und vollständige Hinterflügel, die Tiere sind meist flugfähig. Bei kurzdornigen Arten und Formen sind die Hinterflügel verkürzt, sie sind kaum oder gar nicht flugfähig. Die Vorderflügel sind, wie typisch für Heuschrecken, als derbe Deckflügel (Tegmina) ausgebildet, sie sind immer schuppenförmig verkürzt, rudimentär und funktionsunfähig und zum Teil unter dem Pronotum verborgen. Selten sind ein, oder beide, Flügelpaare auch völlig rückgebildet.

Der Kopf der Dornschrecken trägt meist halbkugelig vorspringende, aber nicht sehr große Komplexaugen. Es sind außerdem drei Punktaugen (Ocellen) vorhanden, die auf der Vorderseite des Kopfs sitzen. Der waagrechte, von oben sichtbare Teil des Kopfs wird Fastigium genannt, er ist bei den meisten Arten durch einen Querkiel an der Kopfspitze von der übrigen Stirn abgesetzt. Oft ist der Kopf zwischen den Augen nach vorn in eine Spitze verlängert. Das Pronotum und das Fastigium besitzen außerdem fast immer einen längs verlaufenden Mittelkiel, der sich nach vorn auf die Stirn verlängert; oft gabelt er sich nach unten hin und der untere, mittlere Ocellus sitzt in dieser Gabelung. Die Antennen sind schmal und fadenförmig, mit rundlichem zweiten Glied (Pedicellus), aber in der Regel recht kurz. Sie bestehen bei den europäischen Arten aus 12 bis 16 Gliedern. Am Rumpf ist die Bauchplatte des ersten Segments (Prosternum) nach vorn erweitert und umgibt kragenartig die Mundwerkzeuge. Die Laufbeine sind kräftig entwickelt, die Hinterschenkel stark vergrößert, sie verleihen den Tieren, wie typisch für Heuschrecken, Sprungvermögen. Die Schienen (Tibien) tragen meist vier Kiele und, wie die Schenkel, eine unterschiedliche Anzahl Dornen. Die Fußglieder (Tarsen) sind teilweise reduziert oder verwachsen, es sind an Vorder- und Mittelbeinen zwei, an den Hinterbeinen drei freie Tarsenglieder erkennbar.

Vorkommen und Verbreitung

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Die Arten der Familie sind fast weltweit verbreitet, mit Verbreitungsschwerpunkt in den Tropen Ostasiens, Afrikas und Südamerikas. In Europa kommen nur 12 Arten vor[3], in Deutschland 6 Arten der Gattung Tetrix. Alle europäischen Arten gehören in die Gattungen Tetrix und Paratettix in der Unterfamilie Tetriginae (einige früher zusätzlich unterschiedene Gattungen wie Tetratetrix, Uvarovitettix, Mesotettix, Mishtshenkotetrix sind synonymisiert worden und werden heute nicht mehr anerkannt[8]).

Tetrigidae leben gewöhnlich am Boden und in der Streuschicht, an den Ufern von Flüssen und anderen Gewässern, in Sümpfen und anderen bodenfeuchten Lebensräumen.[9] Einige Arten, auch in Mitteleuropa, leben auch in trockenen Lebensräumen, dann aber typischerweise in vegetationsarmen, offenen Habitaten mit Moos- und Flechtenbewuchs. Sie ernähren sich unter anderem von Algen und Kieselalgen[10], Detritus sowie von Moosen. Die nordamerikanische Arten Paratettix aztecus und Paratettix mexicanus beispielsweise ernähren sich zu 80 bis 100 % von Algen als aquatischen Primärproduzenten.[11] Bei einer Untersuchung von sieben tropischen Arten aus drei Unterfamilien auf Borneo erwies sich bei allen Arten Detritus, also abgestorbene Pflanzensubstanz, als wichtigste Nahrungsquelle.[12] Es ist bisher keine Art nachgewiesen, deren Nahrung zu wesentlichen Teilen aus grünen Blättern höherer Pflanzen bestehen würde oder die sich räuberisch ernährt. Allerdings ist die Biologie und Ökologie fast aller tropischen Arten bisher nahezu unbekannt.

Uferarten können teilweise auf der Wasseroberfläche schwimmen und springen bei Gefahr gern ins Wasser.[7] Einige Arten der Tribus Scelimenini sind voll-aquatisch und können auch unter Wasser schwimmen.[10] Diese etwa 70 aquatischen Arten leben alle im tropischen Ostasien.[13]

Die höchste Biodiversität der Familie Tetrigidae findet sich in tropischen Wäldern. Dort gibt es Arten, die auf Bäumen leben, zwischen Moosen und Flechten in Brettwurzeln oder in den Baumkronen,[10] während andere auf dem Waldboden leben.[4]

Wie die anderen Orthoptera durchlaufen die Tetrigidae eine hemimetabole Entwicklung, wobei sich aus den Eiern Nymphen entwickeln, die den Erwachsenen Tieren bereits ähneln. Tetrigidae in gemäßigten Klimaten überwintern gewöhnlich als erwachsene Tiere (Imagines), seltener als Nymphen.

Einige Unterfamilien der Tetrigidae (Batrachideinae und andere) werden teilweise als eigenständige Familien betrachtet.

 
Unbestimmte Art der Gattung Hymenotes mit blattförmig verbreitertem Pronotum.
 
Depressotetrix depressa
 
Holocerus taurus, mit rot gefärbten parasitischen Milben

Phylogenie

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Die Dornschrecken sind ein relativ basaler Abzweig der Kurzfühlerschrecken. Gemeinsam mit der Familie Tridactylidae gelten sie als die Gruppe mit den meisten ursprünglichen (plesiomorphen) Merkmalen unter den Kurzfühlerschrecken. Nach einer phylogenomischen Analyse von 2015[14] sind sie, nach den Tridactyloidea, die am frühesten abspaltende Familie, mit allen anderen Kurzfühlerschrecken, zusammen als Acridomorpha bezeichnet, als Schwestergruppe. Die Aufspaltung in Tetrigoidea und Acridomorpha wird bereits in der Trias vermutet. Entgegen früheren Vermutungen sind die Tridactyloidea (mit den Familien der Tridactylidae, Ripipterygidae und Cylindrachetidae) und die Tetrigoidea (mit den Dornschrecken als einziger Familie) also vermutlich keine Schwestergruppen, die gemeinsamen Merkmale sind Symplesiomorphien.

Systematik

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Knapp 2000 Arten sind beschrieben:[8]

Arten in Mitteleuropa (Auswahl)

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Einzelnachweise

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  1. Rambur: Faune entomologique de l'Andalousie. 1838: 2:64.
  2. Hendrik Devriese (1996): Bijdrage tot de systematiek, morfologie en biologie van de West-Palearktische Tetrigidae. Saltabel 15: 2-38.
  3. a b Kurt Harz: Die Orthopteren Europas. Band II. W.Junk Publishers, den Haag 1975. ISBN 978-94-010-1949-1, auf Seite 5–9.
  4. a b D. Grimaldi, M. S. Engel: Evolution of the Insects. Cambridge University Press, Cambridge 2005: 211.
  5. Joseph Lane Hancock: The Tettigidae of North America. Chicago, 1902. Volltextquelle.
  6. Axel Hochkirch, Jana Deppermann, Julia Gröning (2008): Phenotypic plasticity in insects: the effects of substrate color on the coloration of two ground-hopper species. Evolution and Development 10 (3): 350–359.
  7. a b K. Preston-Mafham: Grasshoppers and Mantids of the World. Facts of File, New York 1990: 32.
  8. a b Orthoptera Species File.
  9. Ming Kai Tan, Hiqing Yeo, Wei Song Hwang (2017): Ground dwelling pygmy grasshoppers (Orthoptera: Tetrigidae) in Southeast Asian tropical freshwater swamp forest prefer wet microhabitats. Journal of Orthoptera Research 26(1): 73-80. doi:10.3897/jor.26.14551
  10. a b c V. H. Resh, R. T. Cardé: Encyclopedia of Insects. Academic Press, Amsterdam 2003: 839.
  11. J.L. Bastow, J. L. Sabo, J. C. Finlay, M. E. Power: A basal aquatic-terrestrial trophic link in rivers: algal subsidies via shore-dwelling grasshoppers. In: Oecologia 2002, 131: 261–268
  12. Kateřina Kuřatová, Jan Šipoš, Rodzaj A. Wahab, Rafiah S. Kahar, Petr Kočárek (2017): Feeding patterns in tropical groundhoppers (Tetrigidae): a case of phylogenetic dietary conservatism in a basal group of Caelifera. Zoological Journal of the Linnean Society 179: 291-302. doi:10.1111/zoj.12474
  13. Christiane Amédégnato & Hendrik Devriese (2008): Global diversity of true and pygmy grasshoppers (Acridomorpha, Orthoptera) in freshwater. Hydrobiologia 595: 535–543. doi:10.1007/s10750-007-9132-z
  14. Hojun Song, Christiane Amedegnato, Maria Marta Cigliano, Laure Desutter-Grandcolas, Sam W. Heads, Yuan Huang, Daniel Otte, Michael F. Whiting (2015): 300 million years of diversification: elucidating the patterns of orthopteran evolution based on comprehensive taxon and gene sampling. Cladistics 31: 621–651. doi:10.1111/cla.12116
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Wikispecies: Tetrigidae – Artenverzeichnis
Commons: Tetrigidae – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien