Transvestitismus

bewusstes Tragen von Kleidung des anderen Geschlechts innerhalb der Geschlechterordnung Mann/Frau
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Transvestitismus (von lateinisch trans „hinüber“, und vestire „kleiden“) bezeichnet das bewusste Tragen von Kleidung und Accessoires, die gemeinhin als stereotypisch gelten für die Geschlechterrolle des anderen Geschlechts innerhalb der binären Geschlechterordnung Mann/Frau (im Unterschied zu einer bloßen Verkleidung). Abzugrenzen ist das Bedürfnis von transvestitischem Fetischismus.

Transperson auf dem Christo­pher Street Day (München 2011)

Begriffsgeschichte

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Transvestitismus ist ein von Magnus Hirschfeld 1910 geprägter Begriff. Er beschrieb damit „alle Menschen, die, gleich aus welchen Gründen, freiwillig Kleidung tragen, die üblicherweise von dem Geschlecht, dem sie körperlich zugeordnet sind, nicht getragen werden; und zwar sowohl Männer als auch Frauen.“

Eine erste Unterscheidung zwischen Transvestitismus und von ihm so genannten seelischem Transsexualismus traf Hirschfeld selbst im Jahr 1923 in der letzten Ausgabe seines Jahrbuchs für sexuelle Zwischenstufen, um das Begehren einiger Transvestiten nach körperlicher Anpassung an das andere Geschlecht zu beschreiben. 1953 griff Harry Benjamin diese Unterscheidung in seinem Artikel Transvestism and Transsexualism (Intl. Journal of Sexology) auf und etablierte sie 1966 mit seiner Veröffentlichung The Transsexual Phenomenon in der Sexualmedizin.

Hirschfeld war es auch, der in Zusammenarbeit mit der Berliner Kriminalpolizei für diese Menschen erstmals ein Ausweisdokument ermöglichte, damit sie weitgehend ohne behördliche oder polizeiliche Verfolgung gegengeschlechtliche Kleidung in der Öffentlichkeit tragen konnten: Der umgangssprachlich sogenannte Transvestitenschein, welcher 1909 erstmals ausgegeben wurde.

Verhältnis zu anderen Begriffen

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Die Abgrenzung der folgenden Begriffe zum Transvestitismus ist mangels wissenschaftlicher klarer Definition unscharf, teilweise werden die Bezeichnungen synonym benutzt oder überlappen sich:

  • Crossdressing: das Tragen von Kleidung eines anderen Geschlechts in der Öffentlichkeit oder privat, meist nicht in übertriebener Form wie beim Drag. Früher wurde die Bezeichnung Transvestitismus auch für Crossdressing verwendet.
  • Damenwäscheträger (DWT): ähnlich zu Crossdressing, aber regelmäßig beschränkt auf solche Kleidungsstücke, die unter der „normalen“ Kleidung nicht zu sehen sind. Dies kann eine Form des transvestitischen Fetischismus sein; doch kann es sich auch um ein Zugeständnis an die Konformität zur Gesellschaft handeln, da diese Form gewöhnlich für Dritte unsichtbar bleibt.
  • Drag, Dragqueen, Dragking: Bei Dragqueens werden Frauen in einer extrem überzeichneten Weise dargestellt. Die Bezeichnung Dragkings hingegen wird häufig für alle Menschen benutzt, die in irgendeiner Form Männlichkeit überzeichnet darstellen.
  • Travestie: eine Kunstform des Transvestitismus; Darstellung einer (Bühnen-)Rolle eines Geschlechts durch Personen des anderen Geschlechts.

Daneben gibt es die Transvestition, die kultischen Hintergrund hat.[1]

Medizinische Klassifikation

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Klassifikation nach ICD-10
F64 Störungen der Geschlechtsidentität
F64.1 Transvestitismus unter Beibehaltung beider Geschlechtsrollen
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ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Transvestitismus ist laut ICD-10 eine Störung der Geschlechtsidentität und wird dort unter dem Code F64.1 (Transvestitismus unter Beibehaltung beider Geschlechtsrollen) aufgeführt. Transvestitismus wird jedoch nur dann als eine psychische Störung diagnostiziert, wenn die Betroffenen in klinisch bedeutsamer Weise darunter leiden.[2] Zur Diagnose dieser Störung werden hauptsächlich drei Kriterien herangezogen:

  • Tragen gegengeschlechtlicher Kleidung, um die zeitweilige Erfahrung der Zugehörigkeit zum anderen Geschlecht zu erleben.
  • Der Kleiderwechsel ist nicht von sexueller Erregung begleitet.
  • Der Wunsch nach geschlechtsangleichenden Maßnahmen oder chirurgischer Korrektur besteht nicht.

Eine weitere davon zu unterscheidende Diagnose ist „transvestitischer Fetischismus“. Er gilt ebenfalls als psychische Störung oder Verhaltensstörung und wird den Paraphilien (F65.1) zugerechnet.

Die Einstufung als Störung ist aber umstritten,[3] da die meisten Betroffenen, bei denen eine der beiden Diagnosen gestellt wird, in ihrer Lebensführung kaum eingeschränkt sind. Die meisten Transvestiten führen ein normales Leben, sind verheiratet, gehen einer Arbeit nach und verkleiden sich nur privat.[4]

Verbreitung und Erforschung

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Obwohl es Schätzungen gibt (nicht wissenschaftlich abgesichert), nach denen zwischen 1 und 10 % der Bevölkerung entsprechende Neigungen haben sollen,[5] gibt es wenig Forschung und einschlägige Literatur. Im Internet finden sich zahlreiche Webseiten und passende Angebote für die bestehende Nachfrage; eine sichere Quantifizierung ist aber wegen fehlender Daten nicht möglich. Zu finden sind seit der Jahrtausendwende einige Studienarbeiten an Hochschulen, bei denen Personen mit Neigung zum Transvestitismus gesucht werden,[6] aber oft werden die Ergebnisse nicht veröffentlicht.[7]

Siehe auch

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Literatur

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  • J. J. Allen: The Man in the Red Velvet Dress: Inside the World of Cross-Dressing. Carob Publishing, New York 1996, ISBN 1-55972-338-6 (englisch).
  • Karim El Souessi: Dissertation zur Frage der Abgrenzbarkeit von Transvestismus und Transsexualität bei Männern. München 1991 (DNB 920867278; Doktorarbeit TU München 1991).
  • Gerals C. Davison, John M. Neale, Martin Hautzinger (Hrsg.): Klinische Psychologie. Belz, Weinheim 2002, ISBN 3-621-27458-8 (original: Abnormal psychology, übersetzt von Maria Baur).
  • Magnus Hirschfeld, Max Tilke: Die Transvestiten: Über den erotischen Verkleidungstrieb. Alfred Pulvermacher, Berlin 1912 (OCLC 251010689).
  • Rainer Herrn: Schnittmuster des Geschlechts: Transvestitismus und Transsexualität in der frühen Sexualwissenschaft. Psychosozial, Gießen 2005, ISBN 3-89806-463-8.
  • Peter R. Ackroyd: Dressing Up: Transvestism and Drag: History of an Obsession. Thames & Hudson, 1979, ISBN 978-0-671-25091-1 (englisch).
  • David O. Cauldwell: Transvestism: Men in Female Dress. Sexology Corporation 1961 (englisch).
  • Vernon Coleman: Men in dresses: a study of transvestism/crossdressing. In: European Medical Journal. Band 23, Nr. 2, 1996, ISBN 978-1-898947-99-8 (deutsche Fassung: PDF: 282 kB, 40 Seiten auf julaonline.de (Memento vom 7. Dezember 2019 im Internet Archive)).
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Commons: Transvestiten – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Transvestit – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

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  1. Gisela Bleibtreu-Ehrenberg: Der Weibmann: Kultischer Geschlechtswechsel im Schamanismus. Eine Studie zur Transvestition und Transsexualität bei Naturvölkern. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1984, ISBN 3-596-27348-X.
  2. Gerald C. Davison, John M. Neale, Martin Hautzinger: Klinische Psychologie. Beltz Verlag, 2016, ISBN 978-3-621-28441-7. S. 6f. (Leseprobe). (Memento des Originals vom 19. Februar 2018 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.ciando.com
  3. https://www.springermedizin.de/maenner-in-frauenkleidern/10659562
  4. Robert J. Stoller: Perversion. Die erotische Form von Haß (= Bibliothek der Psychoanalyse). Psychosozial-Verlag, Gießen 1998, ISBN 3-932133-51-X, S. 105: „Fast immer sind sie nach außen heterosexuell, haben Frau und Kinder und können sich mühelos männlich verhalten.“
  5. Vernon Coleman: Men in Dresses: a study of transvestism/crossdressing. European Medical Journal Special Monograph, Chilton Designs Publishers, 1996, ISBN 1-898947-99-6 (englisch; online auf vernoncoleman.com; deutsche private Übersetzung: PDF: 282 kB, 40 Seiten auf julaonline.de).
  6. Susanne Regener: Men in skirts: Mode, Cross-Dressing, Trans*. (Memento vom 6. Juni 2015 im Internet Archive) In: Mediengeschichte.Uni-Siegen.de. 2015, abgerufen am 5. Juni 2020 (Seminarankündigung für Bachelorstudenten).
  7. Constanze Pohl: Vom Entweder-Oder zum Weder-Noch. Bachelor-Arbeit 2008 (Downloadseite).