Unterkühlung (Thermodynamik)

Zwischenzustand vor einem Phasenübergang
(Weitergeleitet von Unterkühlte Schmelze)

Unterkühlung bezeichnet in der Thermodynamik einen metastabilen Zustand, wenn ein Phasenübergang (trotz Unterschreiten der Umwandlungstemperatur) nicht stattfindet, bspw. da er aufgrund fehlender wachstumsfähiger Keime gehemmt ist.

Spontankristallisation unterkühlter Flüssigkeit bei Störung

Siehe auch: Amorphes Material, Glasübergang

Es gibt verschiedene Arten der Unterkühlung:[1]

Manchmal wird auch eine Übersättigung, die durch Abkühlen entsteht, mit zur Unterkühlung gezählt. Wird der Stoff dagegen über die Temperatur des Phasenübergangs hinaus erwärmt, ohne zu sieden, wird das analog zur Unterkühlung als überhitzte Flüssigkeit bezeichnet. Jedoch ist diese Definition aus physikalischer Sicht etwas irreführend, da sich ein Siedeverzug auch bei schon vorhandener Gasphase einstellen kann, und ein Phasenübergang kann auch beim Überschreiten der Siedetemperatur weiterhin stattfinden.

Gefrierverzögerung

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Bei der Gefrierverzögerung wird Flüssigkeit bis unter den Gefrierpunkt abgekühlt, ohne dass diese erstarrt. Allgemein ist dieser Effekt auch als unterkühlte Schmelze bekannt. Eine unterkühlte Flüssigkeit oder Schmelze hat somit bei gegebenem Druck eine niedrigere Temperatur, als ihrem Aggregatzustand entspricht. Das Impfen mit kleinsten Keimen, evtl. auch Impulsübertragung in Form von Erschütterung, kann jedoch unter Freisetzung der Schmelzenthalpie zu spontaner Kristallisation führen. Daher spricht man bei der Unterkühlung von einem metastabilen Zustand des Stoffes. Dieser Bereich wird auch Ostwald-Miers-Bereich genannt.

Ein (meist sehr reiner) Stoff, der den Zustand der unterkühlten Schmelze zulässt, und nicht allzu sensibel auf Erschütterungen etc. reagiert, ermöglicht Energiespeicherung in Form von Wärme (Latentwärmespeicher). Dieser Effekt wird unter anderem bei Handwärmern genutzt.

Unterkühlung tritt bei Phasenübergängen erster Ordnung (diskontinuierlichen Phasenübergängen) auf, in denen zwei Phasen koexistieren. Für den Übergang ist zunächst die Bildung einer Grenzfläche zwischen den Phasen nötig, wofür eine Energieschwelle überwunden werden muss, die den Übergang kinetisch hemmt.[2] Trotz intensiver Forschung in den letzten Jahrzehnten ist jedoch die Ursache dieser Phänomene beim sogenannten Glasübergang noch immer nicht vollständig verstanden.[3]

Zur Änderung des Aggregatzustands ist ein Kristallisationskeim notwendig. Beispielsweise wachsen Eiskristalle nur auf vorhandenen Eiskristallen und bestimmten anderen Fremdsubstanzen. Sind diese Kristallisationskeime nicht vorhanden, so kann eine Kristallisation und damit die Aggregatzustandsänderung nicht mit dem Erreichen der Umwandlungstemperatur eintreten. Um dennoch eine Keimbildung (also Eiskristalle) zu erhalten, muss die Flüssigkeit zunächst unterkühlt werden.

Historisches

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Als Entdecker der Unterkühlung[4][5] gilt Israel Conradi (1634–1715), ein Doktor der Medizin und bekannter Naturforscher[6] in Danzig. Er berichtete 1677 über eine große Anzahl von Kälteexperimenten,[7][8][9] bei denen er auch die Unterkühlung entdeckte.[4]

Daniel Gabriel Fahrenheit beschrieb 1724, dass er ausgekochtes Wasser in ruhig stehenden Gefäßen etwa vier Grad unter den Gefrierpunkt abkühlen konnte, ohne dass es erstarrte.[10][11] Bei Erschütterungen trat aber plötzliches teilweises Erstarren ein, wobei sich das Wasser mit Eisnadeln durchsetzte.[10][11]

Charles Blagden beschrieb 1788 seine Untersuchungen über die Gefrierverzögerung von Wasser und stellte dabei fest, dass reineres Wasser zu stärkerer Unterkühlung neigt.[12]

Joseph Louis Gay-Lussac kühlte Wasser, das mit einer Ölschicht bedeckt war, ohne Gefrieren auf −12 °C.[13]

Siehe auch

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  • Siedeverzug - ein ähnliches Phänomen am oberen Ende des flüssigen Aggregatzustands
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Einzelnachweise

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  1. Gabriel O. Gomes, H. Eugene Stanley, Mariano de Souza: Enhanced Grüneisen Parameter in Supercooled Water. In: Scientific Reports. Band 9, Nr. 1, 19. August 2019, ISSN 2045-2322, S. 1–8, doi:10.1038/s41598-019-48353-4 (nature.com [abgerufen am 4. Januar 2020]).
  2. A. Bratz, I. Egry, T. Volkmann: Keimbildung. In: P. R. Sahm, I. Egry, T. Volkmann (Hrsg.): Schmelze, Erstarrung, Grenzflächen. Springer, Berlin, Heidelberg 1999, S. 109, doi:10.1007/978-3-642-58523-4_5.
  3. Institut für Physik Kondensierter Materie: Glasübergang - AG Vogel. Abgerufen am 11. Februar 2025.
  4. a b Ludwig Darmstaedter, René Du Bois-Reymond, Carl Schaefer (Hrsg.): Ludwig Darmstaedters Handbuch zur Geschichte der Naturwissenschaften und der Technik. In chronologischer Darstellung. Julius Springer, Berlin 1908, Kap. 1788, S. 143 (online im Internet Archive [abgerufen am 7. Mai 2017]): „der zuerst von J. Conradi (s. 1677 C.) beobachteten Unterkühlung“
  5. Ludwig Darmstaedter, René Du Bois-Reymond, Carl Schaefer (Hrsg.): Ludwig Darmstaedters Handbuch zur Geschichte der Naturwissenschaften und der Technik. In chronologischer Darstellung. Julius Springer, Berlin 1908, Kap. 1788, S. 249 (online im Internet Archive [abgerufen am 7. Mai 2017]): „1677 Israel Conradi [...] beschreibt zuerst die Unterkühlung des Wassers“
  6. Hans-Jürgen Kämpfert: Conradi, Karl Friedrich Freiherr von. Schulstifter. In: Ostdeutsche Biographie. Kulturportal West Ost, abgerufen am 4. Mai 2017.
  7. Christian Freiherr von Wolff (Hrsg.): Allerhand Nützliche Versuche. Dadurch Zu genauer Erkäntniß Der Natur und Kunst Der Weg gebähnet wird. Band 2. Renger, Halle 1747, VIII Von der Wärme und Kälte, S. 345 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [abgerufen am 4. Mai 2017]): „Ein gelehrter Medicus in Danzig Israel Conradi, der A. 1677 eine grosse Anzahl Experimente von der Kälte drucken lassen“
  8. Abraham Gotthelf Kästner (Hrsg.): Physikalische Bibliothek. worinnen die vornehmsten Schriften die zur Naturlehre gehören, angezeiget werden, mit vielen Zusätzen und Verbesserungen. Johann Wendlern, Leipzig 1754, 7. Von der Luft. §12, S. 193 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [abgerufen am 4. Mai 2017]): „Von der Natur und Wirkung der Kälte hat Israel Conradi 1677, in besondern Dissertationen mancherley zusammen getragen.“
  9. Israel Conradi: Dissertation medico-physica de frigoris natura et effectibus. Kloster Oliva (monasterii Olivensis) 1677 (Latein, eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [abgerufen am 4. Mai 2017] MDCLXXVII=1677).
  10. a b Ernst Mach: Die Principien der Wärmelehre. Historisch-kritisch entwickelt. Johann Ambrosius Barth, Leipzig 1896, Historische Uebersicht der Entwicklung der Calorimetrie, S. 163 (online im Internet Archive [abgerufen am 4. Mai 2017]).
  11. a b Daniel Gabriel Fahrenheit: Experimenta & Observationes De Congelatione Aquae in Vacuo. Factae a D. G. Fahrenheit, R. S. S. In: Philosophical Transactions. Band 33, Nr. 381-391, 1724, ISSN 0261-0523, S. 78–84, doi:10.1098/rstl.1724.0016 (Latein, royalsocietypublishing.org [abgerufen am 7. Mai 2017]).
  12. Charles Blagden: Experiments on the cooling of Water below its freezing Point. Read January 31, 1788. In: Royal Society (Hrsg.): Philosophical Transactions of the Royal Society of London. Band 78. London 1788, S. 125–146, doi:10.1098/rstl.1788.0011, JSTOR:106652 (englisch, Blagden verwendet die Fahrenheit-Skala, d. h. der Gefrierpunkt von Wasser liegt bei 32°): “the distilled water readily sunk many degrees below 32°, still continuing fluid […] the greatest cooling usually took place when the water was most clear”
  13. Rudolf Plank: Thermodynamische Grundlagen (= Handbuch der Kältetechnik. Band 2). Springer-Verlag, Berlin Heidelberg 1953, ISBN 978-3-642-88487-0, Die thermischen Größen im Naßdampfgebiet, S. 105, doi:10.1007/978-3-642-88486-3 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [abgerufen am 7. Mai 2017]).