Sarah Baartman

Khoi-Bühnendarstellerin
(Weitergeleitet von Vénus hottentote)

Sarah „Saartjie“ Baartman (* um 1789 in Südafrika; † 29. Dezember 1815 in Paris) war eine Khoikhoi, die aufgrund ihrer anatomischen Besonderheiten (Fettsteiß) im Jahr 1810 als junge Frau nach Europa verbracht und dort ausgestellt wurde. Sie gelangte in Großbritannien als Hottentot Venus und in Frankreich als Vénus hottentote zu großer Bekanntheit. Nach ihrem Tod 1815 wurde sie seziert und partiell konserviert.

Sarah Baartman (um 1815)

Biographie

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Herkunft

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Dank der Archivarbeiten von Pamela Scully und Clifton Crais ist vor allem die frühe Biographie Sarah Baartmans sehr viel deutlicher geworden. Sie wurde in Camdeboo („grünes Tal“) in eine Familie von Khoikhoi – in der Kolonialliteratur als „Hottentotten“ bezeichnet – geboren. Dort lebte sie bis zu dessen Tod auf der Farm Baartman’s Fonteyn von David Fourie und zog dann mit ihrer Familie in die Nähe des Gamtoos River auf die Farm eines Cornelius Muller, der Sarah 1795 oder 1796 dem freien Schwarzen Pieter Cesars verkaufte. Dieser war Angestellter eines reichen Kaufmanns in Kapstadt, in dessen Haus Sarah arbeitete. Nach seinem Tod zog sie 1799 zu Pieter und 1803 zu dessen Bruder Hendrik Cesars. In dieser Zeit lernte Saartjie, wie sie mit dem Diminutiv von Sarah genannt wurde, Hendrik van Jong, Trommler in der niederländischen Armee, kennen und lebte mit ihm, bis er wieder nach Europa zurückkehrte, nahezu zwei Jahre zusammen. Von ihm bekam sie ihr zweites Kind, das wie ihr erstes nach der Geburt starb. Weil er in wirtschaftlichen Schwierigkeiten war, brachte ihr Arbeitgeber Sarah dazu, gegen Geld im örtlichen Militärhospital vor Seeleuten und Soldaten als „Hottentottenvenus“ aufzutreten. Dort fiel sie dem Arzt Alexander Dunlop auf, der ebenfalls Geldprobleme hatte. Er kam auf die Idee, Sarah in Europa auftreten zu lassen. Am 7. April 1810 verließen er, Hendrik und Sarah Südafrika auf der HMS Diadem in Richtung London.[1]

In London trat Sarah Baartman als Hottentot Venus auf. Im September 1810 bekamen Mitglieder der oberen Gesellschaftsschicht Privatvorführungen geboten. Ab Oktober trat Baartman öffentlich auf, wobei sie tanzte, sang und das Saiteninstrument Ramkie spielte.[2] Ihre besondere Attraktivität beruhte auf der Europäern als exotisch und erotisch erscheinenden Körperform, auf ihren sehr ausgeprägten Gesäßbacken (Steatopygie) sowie auf dem Gerücht, die inneren Schamlippen (Labia minora) seien lang herabhängend („Hottentottenschürze“). Die Vorstellung wurde als sittenwidrig angezeigt, außerdem verstoße sie gegen das seit 1807 bestehende Verbot des Sklavenhandels. Die African Institution unter Zachary Macaulay (dem Vater des Historikers Thomas Babington Macaulay) erbot sich, Sarah Baartman in ihre Heimat zurückzubringen. Das lehnte sie jedoch ab. Es ist unbekannt, ob sie unter Druck gesetzt wurde, ob sie eine Heimkehr ins Kapland fürchtete, weil ihr Volk dort mit an Genozid grenzender Härte verfolgt wurde, ob sie an ihren Bühnenauftritten auch Spaß gefunden hatte oder welche genauen Gründe zusammenkamen. Bei der Gerichtsverhandlung, die auf Niederländisch geführt wurde, gab sie an, keinerlei Zwang ausgesetzt zu sein und dass ihr die Hälfte des Gewinns aus der Show versprochen worden war.

Englische Provinz

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Nach dieser aufsehenerregenden gerichtlichen Überprüfung, die mit der Warnung an den Impresario schloss, Sarah Baartman nicht weiterhin unziemlich zur Schau zu stellen, war an weitere Auftritte in London nicht zu denken, Hendrik Cesars zog mit seinem „Freak“ durch die englische Provinz. Am 1. Dezember 1811 wurde Sarah Baartman von Reverend Joshua Brooks mit schriftlicher Genehmigung des Bischofs von Chester in der Christus-Stifts- und Pfarrkirche in Manchester getauft.

 
Eine Karikatur aus dem frühen 19. Jahrhundert, die anatomischen Eigenheiten übertreibend
 
Sarah Baartman, in: Histoire Naturelle des Mammifères, Band 2, Paris 1819

Im Jahr 1814 kam sie unter einem neuen Impresario, dem Dompteur Réaux, nach Paris und erregte wiederum großes Aufsehen, diesmal vor allem bei der Wissenschaft. Im Jardin des Plantes wurde sie den versammelten Ärzten, Anatomen und Naturgeschichtlern nur an der Scham bedeckt vorgestellt und von professionellen Graphikern porträtiert. Ende 1815 starb sie, angeblich an einer Lungenentzündung.

Der Anatom Georges Cuvier führte eine Sektion durch. Skelett, Gehirn und Geschlechtsteil wurden konserviert, nachdem vom Körper ein Gipsabdruck angefertigt worden war. Der bemalte Gipsabdruck und das Skelett wurden im Muséum national d’histoire naturelle ausgestellt, aus dem später das heute im Palais de Chaillot untergebrachte Musée de l’Homme wurde.

Nachgeschichte

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Sarah Baartmans Grab in Hankey, Ostkap, Südafrika

Erst Aufsätze von Stephen Jay Gould und Élisabeth de Fontenay rückten 1982 den Sexismus und Ethnozentrismus dieser Ausstellungspraxis ins europäische Bewusstsein. Dennoch verweigerte das akademische Establishment Frankreichs, einen Präzedenzfall befürchtend, lange die von Präsident Nelson Mandela geforderte Herausgabe der sterblichen Reste von Sarah Baartman an Südafrika. Erst im Mai 2002 erfolgte die Überführung, später die feierliche Beisetzung bei Hankey am River Gamtoos im Bereich Baviaanskloof am 9. August 2002. Der damals amtierende südafrikanische Staatspräsident Thabo Mbeki hielt die Traueransprache. Der Gipsabdruck der „Vénus hottentote“ ist weiterhin im Musée de l’Homme ausgestellt. Der Distrikt Cacadu in der südafrikanischen Provinz Ostkap, in dem sich ihr Grab befindet, wurde in „Sarah Baartman“ umbenannt.

Nicht unerheblichen Einfluss auf die Herausgabe von Sarah Baartmans sterblichen Überresten hatte das Gedicht Tribute to Sarah Baartman, geschrieben von Diana Ferrus. Eine Rolle gespielt haben mag auch der Präzedenzfall der Angehörigen des „Eskimos von New York“, Minik Wallace. Die Gebeine seiner Angehörigen mussten vom American Museum of Natural History 1993 herausgegeben und nach Grönland überführt werden, wo sie ebenfalls feierlich beigesetzt wurden.

Rezeption

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Fiktion und Film

  • Suzan-Lori Parks: VENUS, a drama in 3 acts, 1990–95
  • Zola Maseko: The Life and Times of Sarah Baartman, Dokumentarfilm, 1998
  • Barbara Chase-Riboud: Hottentot Venus, a novel, New York 2003
  • Abdellatif Kechiche: Vénus noire, Spielfilm, 2010
  • Joanna Bator: Chmurdalia („Wolkenfern“), Roman, 2010

Theater

  • Robyn Orlin: Have you hugged, kissed and respected your brown Venus today?[3]

Oper

Literatur

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  • Gérard Badou: Die schwarze Venus. Das kurze und tragische Leben einer Afrikanerin, die in London und Paris Furore machte. Aus dem Französischen von Susanne Reichert. Diana Verlag, München/Zürich 2001, ISBN 3-8284-5038-5.
  • Clifton Crais, Pamela Scully: Sara Baartman and the Hottentot Venus. A Ghost Story and a Biography. Princeton, Oxford 2009, ISBN 978-0-691-13580-9.
  • Gilles Boëtsch, Pascal Blanchard: Die Hottentottische Venus: A Freak is born. In: Pascal Blanchard, Nicolas Bancel, Gilles Boëtsch, Éric Deroo, Sandrine Lemaire (Hg.): MenschenZoos. Schaufenster der Unmenschlichkeit. Les éditions du Crieur Public, Hamburg 2012, ISBN 978-3-9815062-0-4, S. 78–90.
  • Élisabeth de Fontenay: Diderot, ou le matérialisme enchanté. Grasset, Paris 1981, ISBN 2-246-23052-7.
  • Sander Gilman: Hottentottin und Prostituierte. Zu einer Ikonographie der sexualisierten Frau. In: Sander Gilman (Hrsg.): Rasse, Sexualität und Seuche. Stereotype aus der Innenwelt der westlichen Kultur (= Rowohlts Enzyklopädie. Bd. 527). Rowohlt-Taschenbuch-Verlag, Reinbek 1992, ISBN 3-499-55527-1.
  • Stephen Jay Gould: The Hottentot Venus, in Natural History 1982, deutsch in Stephen Jay Gould: Das Lächeln des Flamingos. Frankfurt 1995, S. 229–240, ISBN 3-518-28771-0.
  • Rachel Holmes: The Hottentot Venus. The life and death of Saartjie Baartman. Born 1789 - buried 2002. Bloomsbury, London 2007, ISBN 978-0-7475-7776-8.
  • Gesine Krüger: Moving Bones. Unsettled Histories in South Africa and the Return of Sarah Baartmann. In: Alf Lüdtke, Sebastian Jobs (Hrsg.): Histories; unsettling and unsettled. Campus, Frankfurt am Main 2010, ISBN 978-3-593-38818-2, S. 233–250.
  • Sadiah Qureshi: Displaying Sarah Baartman, the ‘Hottentot Venus’. In: History of Science 42, 2004, S. 233–257
  • Sabine Ritter: ‚Présenter les organes génitaux‘. Sarah Baartman und die Konstruktion der Hottentottenvenus. In: Wulf D. Hund (Hrsg.): Entfremdete Körper. Rassismus als Leichenschändung (= Postcolonial studies. Bd. 4). Transcript, Bielefeld 2009, ISBN 978-3-8376-1151-9, S. 117–163.
  • Sabine Ritter: Facetten der Sarah Baartman: Repräsentationen und Rekonstruktionen der ‚Hottentottenvenus‘. Lit, Münster 2010, ISBN 3-643-10950-4.
  • Londa Schiebinger: Am Busen der Natur. Erkenntnis und Geschlecht in den Anfängen der Wissenschaft. Klett-Cotta, Stuttgart 1995, ISBN 3-608-91706-3.
  • Zoe S. Strother: Display of the Body Hottentot. In: Bernth Lindfors (Hrsg.): Africans on Stage. Studies in Ethnological Show Business. Indiana University Press, Bloomington 1999, ISBN 0-253-21245-6.
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Commons: Saartjie Baartman – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Historie

Nachgeschichte:

Andere Links zur Nachgeschichte

Einzelnachweise

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  1. Angaben nach Clifton Crais, Pamela Scully: Sara Baartman and the Hottentot Venus.
  2. Lyndel V. Prott: The Return of Saartjie Baartman ot South Africa. In: Lyndel V. Prott (Hrsg.): Witnesses to History. A Compendium of Documents and Writings on the Return of Cultural Objects. UNESCO Publishing, Paris 2009, S. 288
  3. Margit Hillmann: Voluminöser Kunsthintern, frech federnd. In: dradio.de, Deutschlandfunk, Corso, 1. Dezember 2012 (2. Dezember 2011)
  4. Archivierte Kopie (Memento vom 6. September 2019 im Internet Archive)