Pflichtversicherung

gesetzlich vorgeschriebene Versicherung
(Weitergeleitet von Versicherungspflicht)

Eine Pflichtversicherung ist eine Versicherung, deren Abschluss gesetzlich vorgeschrieben ist. Dies ist in vielen Ländern zum Beispiel bei Kfz-Haftpflichtversicherung, Berufshaftpflichtversicherung und vor allem bei der Sozialversicherung der Fall.

Allgemeines

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Man unterscheidet – in der Regel staatliche – Versicherungssysteme mit gesetzlicher Pflichtmitgliedschaft, vor allem bei der Sozialversicherungspflicht, sowie die Pflicht zum Abschluss privater Versicherungen. In Deutschland wird dies vor allem bei den Versicherungen gewählt, die dem Schutz Dritter dienen, wie dies bei Kfz-Haftpflichtversicherung, der Berufshaftpflichtversicherung und der Jagdhaftpflichtversicherung der Fall ist. Dieser Schutz wird aber bei der gesetzlichen Versicherung gegen Arbeitsunfälle im Wege der gesetzlich verpflichtenden Zuständigkeit einer gewerblichen Berufsgenossenschaft hergestellt. In allen Fällen liegt für Versicherungsnehmer und Versicherer ein gesetzlicher Kontrahierungszwang vor.

Pflichtversicherung und Vertragsfreiheit

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Eine gesetzliche Pflichtversicherung steht im Widerspruch zum Prinzip der Vertragsfreiheit, die in Deutschland aufgrund Art. 2 Abs. 1 GG ein Grundrecht darstellt. Die Einschränkung der Vertragsfreiheit durch eine Pflichtversicherung bedarf daher einer besonderen Begründung. Gründe sind beispielsweise der Schutz Dritter (bei Haftpflichtversicherungen), der Gesundheitsschutz oder der Verbraucherschutz. Von liberaler Seite werden Pflichtversicherungen teilweise als Paternalismus kritisiert.

Vielfach ist mit einer Pflichtversicherung ein Kontrahierungszwang für die Versicherungsunternehmen verbunden. Historisch wurden Pflichtversicherungen vielfach mit Versicherungsmonopolen verbunden.

Geschichte

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Historisch sind die Feuerversicherungen die ersten Pflichtversicherungen. Im 17./18. Jahrhundert entstanden in vielen Gebieten gesetzliche Regelungen, die Brandversicherungen obligatorisch machten. Die Bismarcksche Sozialgesetzgebung führte ab 1883 erste Pflichtversicherungen im Bereich der Sozialversicherung ein (Unfallversicherung, Krankenversicherung, Rentenversicherung).[1] Die erste Haftpflichtversicherung wurde 1923 mit dem Luftverkehrsgesetz normiert.

Sozialversicherung

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Haftpflichtversicherung

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Eine Haftpflichtversicherung ist in einer Reihe von Fällen gesetzlich vorgeschrieben:

Insolvenzsicherung

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Im deutschen Reiserecht besteht seit 1994 die Besonderheit, dass Anbieter von Pauschalreisen mit dem Reisesicherungsschein eine Pflichtversicherung gegen Folgen einer Insolvenz nachweisen müssen. Danach darf der Reiseveranstalter Zahlungen des Reisenden auf den Reisepreis vor Beendigung der Pauschalreise gemäß § 651t BGB nur fordern oder annehmen, insbesondere wenn ein wirksamer Kundengeldabsicherungsvertrag besteht oder, in den Fällen des § 651s BGB, der Reiseveranstalter nach § 651s BGB Sicherheit leistet.

Feuerversicherung

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In der Vergangenheit war auch die Feuerversicherung eine Pflichtversicherung. Diese Pflicht wurde in Deutschland aufgehoben.

Wirtschaftliche Aspekte

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Grundsätzlich sind Pflichtversicherungen aus ökonomischer Sicht kritisch zu betrachten, da sie unter den Bedingungen eines idealen Marktes effizienzvermindernd wirken. Der Versicherungsnehmer wird gezwungen, eine Versicherung abzuschließen, obwohl sein Nutzen aus einer anderen Verwendung des dafür aufzubringenden Geldes höher wäre (Opportunitätskosten). Da jedoch die Bedingungen eines idealen Marktes in der Realität nicht vorhanden sind, gibt es eine Reihe von ökonomischen Argumenten für Pflichtversicherungen.

Aus ökonomischer Sicht kann eine Pflichtversicherung begründet werden, wenn die betreffende Versicherung ein Meritorisches Gut darstellt. Nach dieser Argumentation würden die Versicherten den Bedarf der Altersversorgung systematisch unterschätzen und würden daher ohne eine Renten-Pflichtversicherung eine zu niedrige Rente erhalten. Weiterhin können Pflichtversicherungen Moral Hazard und Adverse Selektion sowohl verhindern als auch erzeugen. Dies gilt zum einen in der Sozialversicherung bei kleinen Einkommen aber auch bei Haftpflichtversicherungen. Im Schadensfall würden hier die Kosten nicht von den Versicherten getragen (weil sie es nicht können), sondern vom Sozialamt oder den Geschädigten.

Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Pflichtversicherung nicht die Risikoeinstellung eines Risikoträgers berücksichtigt. Es ist gleichgültig, ob er risikoscheu, risikofreudig oder risikoneutral ist, er muss sich versichern.

Abgrenzung

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Die Pflichtversicherung ist der durch Gesetz ausgeübte Zwang zum Abschluss eines privatrechtlichen Versicherungsvertrages (etwa Kfz-Haftpflichtversicherung), während eine Zwangsversicherung den gesetzlichen Zwang zum Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Versicherungsverhältnisses (etwa Arbeitslosenversicherung) darstellt.[2]

Literatur

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  • Hamburger Gesellschaft zur Förderung des Versicherungswesens (Hrsg.): Pflichtversicherung – Segnung oder Sündenfall: Dokumentation über ein Symposium am 28.–30. Oktober 2004 im Schloss Marbach, Öhningen (= Veröffentlichungen der Hamburger Gesellschaft zur Förderung des Versicherungswesens mbH, Hamburg. Band 30). VVW Verlag, Karlsruhe 2005, ISBN 3-89952-230-3 (online).

Einzelnachweise

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  1. Vgl. hierzu die 40-bändige Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914 von Wolfgang Ayaß, Florian Tennstedt u. a.; vgl. Wolfgang Ayaß, Wilfried Rudloff, Florian Tennstedt: Sozialstaat im Werden. Band 1: Gründungsprozesse und Weichenstellungen im Deutschen Kaiserreich, Stuttgart 2021, Band 2: Schlaglichter auf Grundfragen, Stuttgart 2021.
  2. Katharina Hedderich, Pflichtversicherung, 2011, S. 2 f.