Vinylencarbonat
Vinylencarbonat oder 1,3-Dioxol-2-on, kurz VC, ist der einfachste ungesättigte cyclische Kohlensäureester. Vinylencarbonat kann auch als cyclisches Carbonat des hypothetischen (Z)-Ethen-1,2-diols aufgefasst werden. Die aktivierte Doppelbindung in diesem fünfgliedrigen sauerstoffhaltigen Heterocyclus macht das Molekül zu einem reaktiven Monomer für die Homopolymerisation und Copolymerisation und zu einem Dienophil in Diels-Alder-Reaktionen. Vinylencarbonat ist in hochreiner Form unterhalb Raumtemperatur ein farbloser stabiler Feststoff.
Strukturformel | ||||||||||||||||
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Allgemeines | ||||||||||||||||
Name | Vinylencarbonat | |||||||||||||||
Andere Namen |
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Summenformel | C3H2O3 | |||||||||||||||
Kurzbeschreibung |
farblose Flüssigkeit[1] | |||||||||||||||
Externe Identifikatoren/Datenbanken | ||||||||||||||||
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Eigenschaften | ||||||||||||||||
Molare Masse | 86,05 g·mol−1 | |||||||||||||||
Aggregatzustand |
flüssig | |||||||||||||||
Dichte |
1,355 g·cm−3 (25 °C)[1] | |||||||||||||||
Schmelzpunkt | ||||||||||||||||
Siedepunkt |
162 °C[1] | |||||||||||||||
Brechungsindex |
1,421 (20 °C)[1] | |||||||||||||||
Sicherheitshinweise | ||||||||||||||||
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Toxikologische Daten | ||||||||||||||||
Thermodynamische Eigenschaften | ||||||||||||||||
ΔHf0 |
−459,9 kJ/mol[2] | |||||||||||||||
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen (0 °C, 1000 hPa). Brechungsindex: Na-D-Linie, 20 °C |
Darstellung
BearbeitenEthylencarbonat ist seit der ersten Beschreibung im Jahr 1953[3] das gängige Ausgangsmaterial für Vinylencarbonat. In einer UV-initiierten Photochlorierungs-Reaktion mit Chlor oder Sulfurylchlorid bei 60–70 °C in Substanz entsteht in der ersten Stufe Monochlorethylencarbonat, das in der zweiten Stufe durch Dehydrochlorierung, z. B. mit Triethylamin, ggf. verdünnt mit Ethylencarbonat,[4] Vinylencarbonat[5] oder MTBE,[6] bei 40–60 °C in Vinylencarbonat überführt wird.
Statt in flüssiger Phase kann die Dehydrochlorierung auch in der Gasphase an einem mit Zinkchlorid imprägnierten Kontakt in einem Wirbelbettreaktor bei 350–500 °C mit durchschnittlichen Ausbeuten von 69 % d.Th. durchgeführt werden.[7] Der einfach erscheinende Reaktionsweg liefert wegen einer Vielzahl von Nebenreaktionen lediglich Ausbeuten von 70 bis 80 % d.Th. an unreinem Endprodukt. So entstehen bei der Chlorierung von Ethylencarbonat in Substanz oder Lösung u. a. 2-Chloracetaldehyd, mehrfach chlorierte Ethylencarbonate und unter Ringöffnung weitere chlorhaltige Verbindungen, deren Abtrennung aus dem Endprodukt durch Destillation mittels Dünnschichtverdampfer,[4] mittels fraktionierter Umkristallisation[8] oder Zonenschmelzen[9] sehr aufwendig ist. Der Gehalt an Nebenprodukten kann auch durch Rühren mit Natriumborhydrid[10] oder Harnstoff[11] bei erhöhter Temperatur vermindert werden. Problematisch ist auch die ausgeprägte Thermolabilität von VC, das sich bei Temperaturen oberhalb 80 °C innerhalb von Minuten zersetzt.[4] Hochreines Vinylencarbonat kann durch Optimierung der Chlorierungsbedingungen zur Unterdrückung der Bildung von Nebenprodukten[6] und einer Kombination mehrerer schonender Reinigungsverfahren in Ausbeuten über 70 % d.Th. erhalten werden.[12] Die Polymerisationsneigung des flüssigen VC wird durch Zugabe von Inhibitoren, wie z. B. Butylhydroxytoluol (BHT), unterdrückt.
Eigenschaften
BearbeitenVinylencarbonat fällt bei der industriellen Herstellung meist als gelbe bis braune Flüssigkeit an. Durch geeignete Prozessführung und Reinigungsschritte kann ein bei 20–22 °C schmelzender Feststoff mit Chlorgehalten unter 10ppm erhalten werden. Flüssiges VC färbt sich auch bei Lichtausschluss schnell gelb und muss durch Zugabe von Radikalfängern stabilisiert werden. In fester Form ist die hochreine Substanz bei Lagerung unterhalb 10 °C langzeitstabil.[13] Vinylencarbonat löst sich in einer Vielzahl von Lösungsmitteln, wie Ethanol, Tetrahydrofuran, Ethylencarbonat, Propylencarbonat und anderen dipolar aprotischen Elektrolyt-Lösemitteln für wiederaufladbare Lithium-Ionen-Akkumulatoren, wie Dimethylcarbonat, Diethylcarbonat u. ä.
Verwendung
BearbeitenBereits in der ersten Publikation über Vinylencarbonat[3] wurden Diels-Alder-Reaktionen am Beispiel der Addition an 2,3-Dimethylbutadien zum bicyclischen Carbonat und nachfolgender Hydrolyse zum cis-4,5-Dihydroxy-1,2-cyclohexen beschrieben.
Mit Cyclopentadien als Dien entsteht nach Hydrolyse das vicinale Norbornendiol Bicyclo[2.2.1]hept-5-en-2,3-diol. Die Swern-Oxidation zum 1,2-Keton Bicyclo[2.2.1]hept-5-en-2,3-dion verläuft in der Variante mit Trifluoressigsäureanhydrid statt Oxalylchlorid mit einer Ausbeute von 73 % d.Th.[14]
Unter UV-Bestrahlung reagieren Ketone mit Vinylencarbonat unter Bildung bicyclischer exo-Oxetane.
Mit Phosphor(V)-sulfid reagiert Vinylencarbonat zum entsprechenden Vinylenthionocarbonat (2-Thiono-1,3-dioxol-4-en)[15] das bei UV-Bestrahlung in quantitativer Ausbeute Keten liefert. Die Reaktion stellt eine gute Alternative zur Zersetzung von α-Diazoketonen dar.[16]
Größeren Einsatz findet Vinylencarbonat als Elektrolytzusatz für Lithiumionenbatterien, der die Ausbildung eines im Elektrolyten unlöslichen Films als fester Grenzfläche zwischen negativer Elektrode und dem Elektrolyten (SEI, solid electrolyte interphase) fördert.[17] Dieser Polymerfilm ermöglicht die Ionenleitung, verhindert aber die Reduktion des Elektrolyten an der negativen (Graphit-)Elektrode und trägt wesentlich zur Langzeitstabilität von Lithiumionenbatterien bei.[18][19]
Veröffentlichungen jüngster Zeit lassen vermuten, dass das cyclische Sulton 3-Fluor-1,3-propansulton (FPS) dem Vinylencarbonat überlegene Eigenschaften als SEI-Bildner besitzt.[20]
Da das dem FPS zugrundeliegende 1,3-Propansulton als besonders gefährlicher krebserzeugender Stoff eingestuft ist, muss auch bei FPS von einem erheblichen Gefährdungspotenzial ausgegangen werden.
Polymere
BearbeitenBereits die erste Arbeit über Vinylencarbonat[3] beschreibt die Substanzpolymerisation zu farblosen Polymeren, die nach Hydrolyse wasserlöslich waren. Spätere Publikationen[21][22] legen die Vermutung nahe, dass die ersten Autoren lediglich Oligomere mit niedriger molarer Masse hergestellt hatten. Entscheidend für die Herstellung von Polymeren mit höherer Molmasse und brauchbaren Eigenschaften ist die Reinheit des monomeren Vinylencarbonats.[23] Vinylencarbonat kann in Substanz, in Lösung, in Suspension und in Dispersion mithilfe von Radikalstartern, wie z. B. Azobis(isobutyronitril) (AIBN) oder Benzoylperoxid, homopolymerisiert oder mit anderen Vinylmonomeren, wie Vinylpyrrolidon oder Vinylpropionat, copolymerisiert werden.[24]
Polyvinylencarbonat ist gut löslich in Aceton und Dimethylformamid. Die erhaltenen Lösungen neigen allerdings bereits bei Raumtemperatur zur Zersetzung.[25] In der Patentliteratur sind zugfeste Fasern, klare, farblose und mechanisch belastbare Folien,[21][10] Membranen zur Umkehrosmose,[26] sowie Träger für die Affinitätschromatographie[27] aus Polyvinylencarbonat beschrieben.
Problematisch ist neben der Instabilität in Lösungen die Hydrolyseneigung des Polyvinylencarbonats bereits in schwach alkalischem Milieu. Dabei entsteht durch Aufspaltung des cyclischen Carbonatrings Polyhydroxymethylen (PHM) mit der Wiederholungseinheit –(CHOH)–, dessen Verhalten viel mehr der Cellulose ähnelt als dem verwandten Polyvinylalkohol mit der Wiederholungseinheit –(CH2–CHOH)–.
So sind Folien aus Polyhydroxymethylen, die durch alkalische Hydrolyse von Polyvinylencarbonat-Folien mittels Natriummethanolat in Methanol erhalten werden, kristallin und zeigen hohe Zugfestigkeiten.[10] Analog zu Cellulose kann Polyhydroxymethylen in heißer Natronlauge gelöst und durch Vernetzung in ein stark quellfähiges Polymer übergeführt werden, das bis zum 10,000-fachen seines Gewichts an Wasser aufnehmen kann.[28] Polyhydroxymethylen ist in wasserfreiem Hydrazin löslich[29] und kann durch Verspinnen in Wasser in celluloseartige Fasern überführt werden. Ähnlich wie Cellulose reagiert Polyhydroxymethylen mit Schwefelkohlenstoff im Alkalischen zu einem Xanthogenat, aus dem durch Fällung in verdünnter Schwefelsäure wieder wasserunlösliches Polyhydroxymethylen erhalten wird.[30]
Das Fehlen neuerer Literatur, insbesondere Patentliteratur, über Poly-VC und PHM legt nahe, dass die Eigenschaften der erhaltenen Homo- und Coolymeren und die daraus hergestellten Formteile die darin gesetzten Erwartungen nicht erfüllen konnten.
Sicherheitshinweise
BearbeitenVinylencarbonat erfordert wegen seines problematischen toxikologischen und ökotoxikologischen Profils[1] und seiner potenziell karzinogenen Eigenschaften[31] besondere Vorsicht bei der Handhabung.
Siehe auch
BearbeitenEinzelnachweise
Bearbeiten- ↑ a b c d e f g h i j Datenblatt Vinylene carbonate bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 22. Dezember 2013 (PDF).
- ↑ David R. Lide (Hrsg.): CRC Handbook of Chemistry and Physics. 90. Auflage. (Internet-Version: 2010), CRC Press / Taylor and Francis, Boca Raton FL, Standard Thermodynamic Properties of Chemical Substances, S. 5-23.
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- ↑ Patent EP1881972: Process for producing vinylene carbonate. Veröffentlicht am 28. August 2013, Anmelder: Saltigo GmbH, Erfinder: Reinhard Langer, Anke Beckmann, Paul Wagner, Heinrich Grzinia, Marielouise Schneider, Ulrich Notheis, Lars Rodefeld, Nikolaus Müller.
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- ↑ Patent EP1881973: PROCESS FOR PRODUCING VINYLENE CARBONATE. Veröffentlicht am 30. Januar 2008, Erfinder: R. Langer et al..
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- ↑ Patent EP1881971: High-purity vinylene carbonate and a method of purifying vinylene carbonate. Veröffentlicht am 30. Januar 2008, Anmelder: Saltigo GmbH, Erfinder: Reinhard Langer, Paul Wagner, Heinrich Grzinia.
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- ↑ Eintrag zu Vinylene Carbonate bei TCI Europe, abgerufen am 5. Januar 2014.