Fard (Islam)

Verpflichtung, die ein Muslim im Ritualleben bedingungslos zu erfüllen hat
(Weitergeleitet von Wadschib)

Als Fard (arabisch فرض, DMG farḍ ‚Festlegung, Verordnung, Pflicht‘, religiöse Pflicht im Islam, sowie فريضة, DMG farīḍa mit dem Plural فرائض, DMG farāʾiḍ)[1] gelten im Islam solche Verpflichtungen, die der Muslim im Ritualleben bedingungslos zu erfüllen hat. Es ist eine der fünf Verpflichtungskategorien. Das zugehörige Verb ist faraḍa bzw. iftaraḍa und kommt entsprechend in der Bedeutung von: „jemandem etwas als (religiöse) Pflicht auferlegen“, „verordnen“, „für verbindlich erklären“ sowohl im Koran als auch im Hadith vor.

Fard im Koran und Hadith

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„Und der Prophet braucht sich wegen dessen, was Gott für ihn verordnet hat, nicht bedrückt zu fühlen.“

Sure 33, Vers 38

„(Dies ist) eine Sure, die wir herabgesandt und für verbindlich erklärt...haben.“

Sure 24, Vers 1

In den kanonischen Hadithsammlungen[2] wird das Verb ebenfalls in diesem Sinne verwendet:

„Als Gott das Gebet (den Menschen) auferlegt hat...“

al-Buchārī: Sahih, K. as-salat, 1

„Der Monat Ramadan hat begonnen und Gott hat euch das Fasten zur Verpflichtung gemacht.“

an-Nasāʾī: K. as-siyam, 5

Außer Gott tritt auch der Prophet Mohammed im Hadith als Bestimmer pflichtmäßiger Handlungen auf:

„Der Gesandte Gottes hat Zakat am Ende des Ramadan zur Verpflichtung gemacht.“

al-Buchari: Sahih, K. az-Zakat, 70-71

Und im gleichen Zusammenhang:

„Diese Zakat hat der Gesandte Gottes jedem Mann und jeder Frau zur Verpflichtung gemacht.“

An-Nasa'i: K. az-Zakat, 36

Fard in der Jurisprudenz

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Farḍ ist die erste der „fünf Kategorien“: Al-ahkam al-chamsa (الأحكام الخمسة, DMG al-aḥkām al-ḫamsa) in der islamischen Rechtswissenschaft, die alle Lebensverhältnisse und Handlungen des Menschen unter religiösen Gesichtspunkten werten.[3] Die Beachtung und Ausführung pflichtmäßiger Handlungen werden belohnt, ihre Unterlassung wird nach den Regeln der Scharia bestraft.[4]

Ein Synonym für Farḍ ist Wādschib (واجب, DMG wāǧib) in der juristischen Bedeutung von „geboten, das Gebotene“;[5] Beide Begriffe werden in den islamischen Rechtsschulen in gleicher Bedeutung verwendet – mit Ausnahme der Pilgerfahrt,[6] deren Pflichtcharakter im Koran durch Sure 3, Vers 97 „… Und die Menschen sind Gott gegenüber verpflichtet, die Wallfahrt nach dem Haus zu machen – soweit sie dazu eine Möglichkeit finden …“ eingeschränkt wird.

Nur die hanafitische Rechtsschule macht einen Bedeutungsunterschied zwischen den beiden Begriffen; pflichtmäßige Handlungen finden ihre juristische Bestätigung durch ein zwingendes Argument (دليل قطعي, DMG dalīl qaṭʿī)[7] im Koran, in der Sunna – überliefert durch allgemein bekannte und akzeptierte Hadithe („ḥadīṯ mutawātir“) – [8] oder im Idschma, dem Konsens der Rechtsgelehrten.[9] Eine solche pflichtmäßige Handlung ist die Verrichtung der täglichen fünf Gebete. Als geboten bzw. als Pflicht (wādschib) gelten bei Abū Hanīfa z. B. die über die fünf Gebete hinausgehenden Gebetsarten, wie das Nachtgebet (salat al-witr)[10] und andere Handlungen, die die Rechtsgelehrten anderer Rechtsschulen nur aus Wahrscheinlichkeitsgründen (دليل ظني, DMG dalīl ẓannī)[11] für Pflicht halten.[12]

Die Hanafiten bezeichnen den Unterlasser pflichtmäßiger Handlungen als Kāfir, nicht aber denjenigen, der lediglich die gebotenen Handlungen ignoriert oder absichtlich unterlässt.[13]

Arten des Fard

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Die Rechtslehre definiert zwei Arten von farḍ als religiöse Verpflichtung:

  • die persönlichen Pflichten (فرض العين, DMG farḍ al-ʿayn), denen jeder Muslim nachkommen muss, wie die täglichen fünf Gebete, das Fasten im Monat Ramadan und die Teilnahme am öffentlichen Freitagsgebet.[14] Letztere Verpflichtung ist – wie die fünf Gebete und das Fasten – schon im Koran verankert:

„Ihr Gläubigen! Wenn am Freitag (w. am Tag der Versammlung) zum Gebet gerufen wird, dann wendet euch mit Eifer dem Gedenken Gottes zu und laßt das Kaufgeschäft (so lange ruhen)!“

Sure 62, 9
  • die gemeinschaftlichen Pflichten (فرض الكفاية, DMG farḍ al-kifāya ‚Pflicht des Genügeleistens‘), bei denen es ausreicht, wenn eine ausreichende Anzahl der Muslime daran teilnimmt, wie z. B. Totengebet, Dschihad, das Studium von Hadith, Tafsīr und anderen Wissenschaftsdisziplinen.[15] Die Verrichtung der täglichen fünf Gebete - als farḍ al-ʿayn - muss nicht in der Gemeinschaft erfolgen; dies ist nur farḍ al-kifāya.[16]

Die koranische Rechtsnorm das Rechte zu gebieten und das Verwerfliche zu verbieten findet in der Rechtslehre in beiden Arten des Farḍ Beachtung: sie kann sowohl eine von der Gemeinschaft – z. B. Dschihad – als auch von einer Einzelperson zu erfüllende Verpflichtung darstellen. Zum letzteren zählt z. B. die Rechtslehre über die Ermahnung der Ehefrau oder der Kinder durch den Ehemann „das Verwerfliche“ im privaten Bereich, zu dem die Allgemeinheit keinen Zugang hat, zu unterlassen.[17] Gemäß der schi'itischen Lehre kann jedoch die religiöse Pflicht des Dschihad als farḍ al-ʿayn, eine persönliche Verpflichtung, verstanden werden, wenn die Gemeinschaft großen Bedrohungen gegenübersteht.[18]

Derjenige, der die persönlichen Pflichten unterlässt, wird zu ihrer Erfüllung islamrechtlich gezwungen (uǧbira ʿalaihi).[19] Die anderen vier Kategorien über die islamrechtliche Zuordnung menschlichen Handelns finden sich unter Fiqh mit weiteren Literaturangaben.

Literatur

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  • Otto Spies und Erwin Pritsch: Klassisches Islamisches Recht. In: Bertold Spuler (hrsg.): Handbuch der Orientalistik. Erste Abt. Der Nahe und der Mittlere Osten. Ergänzungsband III. Orientalisches Recht. Brill, Leiden 1964. S. 220ff.
  • A. J. Wensinck, J. P. Mensing (Hrsg.): Concordance et Indices de la Tradition Musulmane. Brill, Leiden 1965. Bd. 5. (farḍ; faraḍa; iftaraḍa)
  • A. J. Wensinck und J. H. Kramers: Handwörterbuch des Islam. Brill, Leiden 1941. S. 127
  • The Encyclopaedia of Islam. New Edition Bd. II, S. 809
  • Al-mausūʿa al-fiqhiyya. (Enzyklopädie des islamischen Rechts). 1. Auflage. Kuwait 1995. Bd. 32, S. 95–97

Einzelnachweise

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  1. Diese Pluralform bezeichnet auch die Pflichtanteile im islamischen Erbrecht. Siehe: Joseph Schacht: An Introduction to Islamic Law. Oxford 1971. S. 170–174; The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Brill, Leiden. Bd. 2, S. 783; Gelehrte, die sich auf die Berechnung dieser Pflichtanteile spezialisiert haben, nennen die islamischen Biographen al-fāriḍ und al-faraḍī, wie z. B. Nuʿaim ibn Hammād
  2. Siehe A. J. Wensinck, J. P. Mensing (hrsg.): Concordance et Indices de la Tradition Musulmane. Brill, Leiden 1965. Bd. 5, S. 111–117
  3. Otto Spies und Erwin Pritsch: Klassisches Islamisches Recht. In: Bertold Spuler (Hrsg.): Handbuch der Orientalistik. Erste Abt. Der Nahe und der Mittlere Osten. Ergänzungsband III. Orientalisches Recht. Brill, Leiden 1964. S. 222
  4. Ignaz Goldziher: Die Ẓāhiriten. Ihr Lehrsystem und ihre Geschichte. Ein Beitrag zur Geschichte der muhammedanischen Theologie. Leipzig 1884. S. 66; Miklós Murányi: Fiqh. In: Helmut Gätje: Grundriß der Arabischen Philologie. Bd. II: Literaturwissenschaft. Dr. Ludwig Reichert Verlag, Wiesbaden 1987. S. 299
  5. Otto Spies und Erwin Pritsch: Klassisches Islamisches Recht. In: Bertold Spuler (Hrsg.): Handbuch der Orientalistik. Erste Abt. Der Nahe und der Mittlere Osten. Ergänzungsband III. Orientalisches Recht. Brill, Leiden 1964. S. 222
  6. Al-mausūʿa al-fiqhiyya. Kuwait 1995. Bd. 32, S. 95
  7. Ignaz Goldziher, op. cit. 66. Anm. 1
  8. Al-mausūʿa al-fiqhiyya. Kuwait 1995. Bd. 32, S. 96
  9. The Encyclopaedia of Islam. New Edition Bd. II, S. 809
  10. The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Brill, Leiden. Bd. 11, S. 213
  11. Ignaz Goldziher, op. cit. 66. Anm. 1
  12. A. J. Wensinck und J. H. Kramers: Handwörterbuch des Islam. Brill, Leiden 1941. S. 127; Al-mausūʿa al-fiqhiyya. Kuwait 1995. Bd. 32, S. 96
  13. Al-mausūʿa al-fiqhiyya. Kuwait 1995. Bd. 32, S. 96
  14. Eugen Mittwoch: Zur Entstehungsgeschichte des islamischen Gebets und Kultus. Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Classe. Jahrgang 1913. Berlin 1913. S. 27–28
  15. Al-mausūʿa al-fiqhiyya. (Enzyklopädie des islamischen Rechts). Kuwait 1995. Bd. 32, S. 96–97
  16. Eugen Mittwoch: Zur Entstehungsgeschichte des islamischen Gebets und Kultus. Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Classe. Jahrgang 1913. Berlin 1913. S. 21
  17. Al-mausūʿa al-fiqhiyya. (Enzyklopädie des islamischen Rechts). Kuwait 1995. Bd. 6, S. 248
  18. Etan Kohlberg: The Development of the Imāmī Shīʿī Doctine of jihād. In: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft (ZDMG) 126 (1976), S. 68 mit Quellenangaben aus der schi'itischen Literatur
  19. Al-mausūʿa al-fiqhiyya. Kuwait 1995. Bd. 32, S. 97