Ewiger Jude

Hauptfigur einer christlichen Volkssage, die seit dem 13. Jahrhundert Verbreitung fand
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Der Ewige Jude (oder Wandernde Jude) ist die Hauptfigur einer christlichen Volkssage, die seit dem 13. Jahrhundert Verbreitung fand. Die Sage thematisierte ursprünglich einen Menschen unbekannter Herkunft, der Jesus Christus auf dessen Weg zur Kreuzigung verspottete und dafür von diesem verflucht wurde, unsterblich seine Wiederkunft zu erwarten. Bereits in den frühen Formen der Legende wurde die Figur gelegentlich als Jude bezeichnet, aber längst nicht immer. In der einzigen ausführlichen Version des 13. Jahrhunderts heißt der „ewig Lebende“ Cartaphilus und soll ein – wahrscheinlich römischer – Türhüter des Pontius Pilatus gewesen sein.

Der Wandernde Jude von Gustave Doré
Bearbeitung des Motivs „Ewiger Jude“, Basel, 1820–1840, Jüdisches Museum der Schweiz

Eine anonyme deutschsprachige Schrift mit dem Titel Kurtze Beschreibung und Erzehlung von einem Juden mit Namen Ahasverus, gedruckt erschienen in Leiden 1602, machte aus dieser Figur einen rastlos wandernden Juden und gab ihr den Namen Ahasverus (eine Anspielung auf einen altpersischen König). Diese neue Version der Legende verbreitete sich in ganz Europa.

Die Figur des ewig durch die Zeiten wandernden Juden ging in den verschiedenen Ländern unter verschiedenen Namen in die Volkssagen ein: Cartaphilus, Johannes Buttadeus, Mattathias, Paul Marrane[1] und andere[2]. In Frankreich ist der Name Isaac Laquedem geläufig,[3] sowohl aus Legenden als auch aus einer Novelle von Alexandre Dumas.

Die Gestalt wurde seither in zahlreichen literarischen Werken, in Kunst und Musik thematisiert. Sie spielte im Antisemitismus bis hin zur nationalsozialistischen Propaganda in der Zeit des Nationalsozialismus eine Rolle.

Inhalt der Schrift von 1602

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Der Wandernde Jude von Samuel Hirszenberg, 1899

Die im Jahr 1602 gedruckte Erzählung enthält die Grundzüge aller ihr folgenden Varianten:

Der Schuhmacher Ahasverus habe zur Zeit Christi in Jerusalem gelebt, Christus für einen „Ketzer und Verführer“ gehalten und sich für seine Verurteilung und Hinrichtung eingesetzt, „weil er anders nichts gewusst“. Als Christus das Kreuz zur Hinrichtungsstätte trug, habe Ahasverus ihm eine kurze Rast vor seinem Haus verweigert. Christus habe ihn angesehen und zu ihm gesagt:

„Ich wil stehen vnd ruhen / du aber solt gehen.[4]

Daraufhin habe er nicht in seinem Haus bleiben können. Er sei Christus gefolgt und habe zugesehen, wie er hingerichtet wurde; anschließend habe er nicht nach Jerusalem zurückkehren können. Seither wandere er durch alle Länder. Er wisse nicht, was Gott mit ihm vorhabe,

„ob er ihn vielleicht bis am Jüngsten Tag als ein lebendigen Zeugen des Leiden Christi zu mehrer Überzeugung der Gottlosen und Ungläubigen also erhalten wolle.[4]

Ahasverus spreche immer die Landessprache und zeige Demut und Gottesfurcht. Zuletzt habe er sich in Hamburg aufgehalten und sei 1599 nach Danzig gekommen. Der spätere Schleswiger Bischof Paul von Eitzen (1521–1598) habe ihn 1542 in Hamburg während eines Gottesdiensts gesehen. Die Bewegung des Fremden bei der Nennung des Namens Jesus Christus sei ihm aufgefallen; deshalb habe er ihn später befragt und seine Geschichte erfahren. Von Eitzen habe sie mehrmals dem Autor und anderen weitererzählt.[4]

Früheste Formen der Legende

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Im 7. Jahrhundert, am Ende des 12. Jahrhunderts und vor allem im 13. Jahrhundert wurden verschiedene frühe Versionen der Legende aufgezeichnet. Gemeinsames Element ist das unaufhörliche Leben eines Menschen, der bei der Passion Jesu zugegen war. Ob er Jude, Römer oder ‚Äthiopier‘ war, steht nicht im Zentrum des Interesses; von einem Zwang zu ruhelosem Wandern ist nie die Rede.

Johannes Moschos, um 610/620

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Bereits im frühen 7. Jahrhundert erwähnte der byzantinische Mönch Johannes Moschos († um 620) einen ‚Äthiopier‘, der Christus vor dessen Kreuzigung geschlagen habe und seither unaufhörlich weinen müsse.[5] Auf Zypern hatte ein Mönch, der nach einer schweren Sünde selbst nicht mehr aufhören konnte zu weinen, berichtet, er habe diesen ‚ewig Weinenden‘ getroffen:

„‚Und nach zwei Tagen sehe ich einen Mann, einen Äthiopier, der mit Lumpen bekleidet war und mir sagte: „Ich und du sind zur gleichen Strafe verurteilt worden.“ Und ich sage ihm: „Wer bist du?“ Und er antwortete mir: „Ich bin derjenige, welcher den Schöpfer aller Dinge, unseren Herrn Jesus Christus, in der Zeit seines Leidens gegen das Kinn schlug.“ Deshalb also‘, sagte der Mönch, ‚kann ich nicht mehr aufhören zu weinen.‘[6]

Burchard von Straßburg, um 1180/1190

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In Westeuropa schrieb Burchard von Straßburg († nach 1194), der um 1175 von Friedrich Barbarossa mit einer Gesandtschaft an Sultan Saladin betraut worden war, möglicherweise als Erster einen Satz über einen ‚ewig Lebenden‘ nieder, dessen Name Johannes Buddeus laute. Am Ende eines kurzen Textes über die Verehrung der Mutter Gottes in einem syrischen Kloster fügte Burchard an:

„Es wurde mir glaubwürdig gesagt, dass in den Gebieten jenseits des Meeres im Heiligen Land ein Mann namens Johannes Buddeus, der bei der Passion unseres Herrn Jesus Christus zugegen gewesen sei, immer noch lebe und weiter leben müsse bis zum Jüngsten Tag.[7]

Chronik von Santa Maria della Ferraria, 1223

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Eine Chronik aus dem Kloster Santa Maria della Ferraria in Kampanien bezeichnete in einem Eintrag zum Jahr 1223 den Mann, den Reisende in Armenien gesehen hätten, als „einen Juden“:[8]

„Im gleichen Jahr berichteten Leute, die aus dem Gebiet jenseits der Berge durch Ferraria reisten, dem Abt und den Brüdern dieses Ortes, sie hätten in Armenien einen Juden gesehen, der bei der Passion Christi gewesen sei und diesen, als er zur Passion ging, in unrechter Art angetrieben (oder: gestoßen, geschlagen) und zu ihm gesagt habe: „Gehe, Verführer, um zu empfangen, was du verdienst.“ Ihm habe der Herr geantwortet: „Ich gehe, und du wirst warten, bis ich zurückkehre.“ Wie gesagt wird, verjüngt sich dieser Jude alle hundert Jahre von einem Greis wieder zu einem Mann von dreißig Jahren, und er kann nicht sterben, bis der Herr kommt.[9]

Roger von Wendover, 1228

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Den vermutlich einzigen ausführlichen Bericht über den ‚ewig Lebenden‘ vor 1602 schrieb der englische Mönch Roger von Wendover († 1236) in seiner Weltchronik Flores Historiarum (‚Blumen der Geschichte‘).

Gemäß Rogers Eintrag zum Jahr 1228 erzählte ein armenischer Erzbischof von einem Mann namens Joseph, der die Passion Jesu miterlebt habe und immer noch lebe. Joseph, der damals Cartaphilus geheißen habe und Türhüter im Dienste des Pontius Pilatus gewesen sei, habe den verurteilten Jesus geschlagen und spottend aufgefordert, schneller zu gehen. Als Strafe habe ihn dieser dazu verdammt, lebend seine Wiederkunft zu erwarten. Joseph sei nun ein vorbildlicher Christ und werde als Zeuge der Auferstehung Christi von den Bischöfen sehr geschätzt.

Die Worte Christi („ich gehe, und du wirst warten, bis ich zurückkehre“) sind in Rogers Bericht fast dieselben wie in der italienischen Chronik von 1223, und auch das Motiv der regelmäßigen Verjüngung der Hauptfigur kommt in beiden Versionen vor.

Roger von Wendovers Nachfolger Matthaeus Parisiensis († 1259) übernahm die Erzählung in seinem Werk Chronica maiora mit geringfügigen Änderungen; in einer Illustration am Rand des Manuskripts stellte er aber Cartaphilus als Juden dar. Seine Chronik erfreute sich später großer Beliebtheit. Sie wurde 1571 in London und 1589 in Zürich gedruckt, könnte also dem Autor der Schrift von 1602 bekannt gewesen sein.[10] Die Kurtze Beschreibung und Erzehlung stimmt in der Darstellung des gottesfürchtigen und demütigen Bekehrten, welcher das Passionsgeschehen bezeugen kann, weitgehend mit Roger von Wendovers Bericht überein.[11]

Philippe Mouskes, um 1245

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Philippe Mouskes aus Flandern († 1282) berief sich in seiner Reimchronik auf den gleichen armenischen Erzbischof wie Roger von Wendover. In altfranzösischen Versen gestaltete er folgende Version der Legende:

„Als die Juden den Herrn zum Tode abführten, sagte jener zu ihnen: „Wartet auf mich, ich gehe auch dahin, um den falschen Propheten gekreuzigt zu sehen.“ Der wahre Gott sah ihn an und sprach: „Sie werden dich nicht erwarten; doch wisse, du wirst mich erwarten.“ Und noch wartet er, denn er ist nicht gestorben. Alle hundert Jahre wird er wieder jung. Man erzählt, dass Ananias, einer der wahren Propheten, ihn taufte. So wird er zur Strafe warten und nicht sterben können bis zum Tage des Gerichts.[12]

Die Taufe durch Ananias ist der Version von Mouskes und derjenigen von Roger von Wendover gemeinsam; die regelmäßige Verjüngung wird bereits zum dritten Mal erwähnt. Das Vergehen der Hauptfigur hingegen wird von Mouskes eigenwillig abgewandelt. Ob der Sünder selbst ein Jude war, geht aus den Versen nicht direkt hervor, aber er wird im wörtlichen Sinn als Mitläufer der Juden dargestellt, die Jesus zum Kreuz führten. Diese nennt Mouskes li faus Judeu, „die falschen Juden“: Die oben zitierte Übersetzung von Leonhard Neubaur (1893) unterschlägt das Adjektiv.

Biblische Anknüpfungspunkte

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Motiv des „Ewigen Juden“ in einer Studie zur Vorbereitung des Gemäldes Christus vor Pilatus, Mihály von Munkácsy, 1880
 
Christus vor Pilatus, Mihály von Munkácsy, 1881

Die mittelalterliche Legendenfigur Johannes Buttadeus bzw. Cartaphilus („der sehr geliebte“[13], was ebenfalls auf den ‚Lieblingsjünger‘ Johannes hinweist) geht wahrscheinlich auf eine Verschmelzung von zwei ganz unterschiedlichen biblischen Motiven im Volksglauben zurück: einerseits Unsterblichkeit als Belohnung für Johannes, anderseits Gewalt gegenüber Jesus bzw. seine Verspottung während der Passion.[14]

Leben bis zur Wiederkehr Christi: Johannes

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Auf dem Titelblatt der Kurtzen Beschreibung von 1602 wurde „Mathei am 16.“ zitiert (Mt 16,28 EU):

„Warlich ich sage euch/ es stehen allhie etliche/ die werden den Todt nit schmecken/ biß das sie deß Menschen Sohn kommen sehen in sein Reich.[4]

Noch wichtiger für die Entstehung von Legenden über einen ‚ewig Lebenden‘ war wohl eine Stelle am Ende des Johannesevangeliums (Joh 21,22–23 EU),[15] wo Jesus zu Petrus über seinen Lieblingsjünger Johannes sagt:

„Wenn ich will, dass er bleibt, bis ich komme, was geht das dich an? Du folge mir nach!“

Der Evangelist stellt klar, dass Jesus nicht gesagt habe, Johannes werde nicht sterben – wie andere Jünger gefolgert hätten. Doch der Glaube an die Unsterblichkeit des Johannes hielt sich im Volksglauben hartnäckig, wie Quellen aus dem 3., 4. und 12. Jahrhundert belegen.[16]

Übeltäter: „Malchus“

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In den Evangelien werden mehrfach Frevler erwähnt, die Jesus misshandelten und verspotteten, z. B. Diener des Hohepriesters (Mk 14,65 EU) und römische Soldaten (Mk 15,16–19 EU). Die wichtigsten Anknüpfungspunkte dieser Art lieferten wahrscheinlich die folgenden zwei Schilderungen im Johannesevangelium:[17]

  • Malchus, Mitglied der bewaffneten Tempelwache, die Jesus festnehmen sollte, soll dabei auf den Widerstand des Simon Petrus gestoßen sein, der ihm mit dem Schwert ein Ohr abhieb (Joh 18,1–10 EU).
  • Ein anderer, ungenannter Diener soll beim Verhör Jesu durch Hannas zugegen gewesen sein und Jesus ins Gesicht geschlagen haben, als dieser den Hohepriester auf die öffentlichen Zeugen seiner Predigt verwies (Joh 18,22–23 EU). Der Schläger wurde schon von altkirchlichen Autoren wie Johannes Chrysostomos mit Malchus identifiziert, womit dieser als besonders verächtlich galt.[18]

Die Bestrafung solcher Übeltäter ist in den Evangelien kein Thema. Doch lag es nahe, sich eine solche vorzustellen, und das Motiv ewiger Strafe für Frevel gegenüber einer Gottheit war aus der antiken Sagenwelt bekannt.[19]

Zu ruheloser Wanderschaft verdammt: Kain

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In Kain, den Gott nach seinem Brudermord an Abel zu ruheloser Wanderschaft verurteilte, zugleich aber mit einem Zeichen vor Totschlag schützte (Gen 4,11–15 EU), sah man nach christlicher Interpretation ab dem 4. Jahrhundert eine biblische Analogie zum Schicksal des jüdischen Volkes.[20] Zur mittelalterlichen Figur Johannes Buttadeus bzw. Cartaphilus passt der Vergleich mit Kain relativ schlecht, denn dieser war nicht unsterblich und Cartaphilus kein ‚Wanderer‘. Der Autor der Schrift von 1602 hingegen könnte aus der Geschichte Kains das Motiv des Zwangs zur Wanderschaft bezogen haben.

Josef von Arimathäa; Ahasveros

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Gelegentlich wurde der Ewige Jude auch mit Josef von Arimathäa in Verbindung gebracht, der den Leichnam Jesu bestatten ließ (z. B. Lk 23,50–54 EU). Ihm wurde in Legenden ebenfalls Unsterblichkeit nachgesagt,[21] ähnlich wie dem Jünger Johannes. Gemäß Roger von Wendover nahm Cartaphilus nach seiner Taufe den Namen Joseph an, und am Anfang seiner Erzählung steht die Frage an den armenischen Erzbischof, ob er jenen oft erwähnten Joseph kenne, der Zeuge der Passion Jesu gewesen sei und immer noch lebe.[22]

Ahasveros war ursprünglich ein persischer Name. Er bezeichnet in der Bibel verschiedene antike Großkönige, unter anderem Xerxes I. (486–465 v. Chr.). Im Buch Ester wird Ahasveros erwähnt, der die Jüdin Ester zur Hauptfrau nahm und dessen Name dem mittelalterlichen Judentum als Moralanekdote für einen Dummkopf galt.[23]

Verbreitung

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Im 13. Jahrhundert berichtete der Astrologe Guido Bonatti, der Mann, welcher seit Christi Zeit lebe, sei 1267 auf einer Pilgerreise durch Forlì in Italien gekommen.[24] Er nannte ihn Johannes Buttadeus („Schlage-Gott“) – fast gleich wie Burchard von Straßburg etwa 80 Jahre zuvor („Johannes Buddeus“). Am Anfang des 15. Jahrhunderts tauchte offenbar in Siena und in Florenz ein „Wanderer“ auf, der sich diesen Namen zugelegt hatte und behauptete, ein Zeuge der Passion Christi zu sein.

Ein ‚real existierender Wanderer‘ des 16. Jahrhunderts war der so genannte Jürgen, der in verschiedenen Städten des Baltikums Aufsehen erregte. Er berief sich nicht auf die Buttadeus-Legende, fiel aber durch extremen religiösen Eifer auf und machte angeblich eine Prophezeiung, die sich erfüllte. Möglicherweise wurde der Autor der Schrift von 1602 durch Berichte über ihn beeinflusst.

Die älteren Versionen der Legende wurden nur regional verbreitet. Erst die Fassung von 1602 machte den ‚ewig Lebenden‘ zum rastlos wandernden Juden, und sie wurde in kürzester Frist in vielen europäischen Ländern nachgedruckt. Im 17. Jahrhundert sind bereits 70 deutschsprachige Ausgaben davon bekannt, mehr als 100 weitere aus den Niederlanden, Frankreich, England, Italien, Dänemark, Schweden, Estland, Finnland und Polen.

Man schmückte die Legende vielfach weiter aus und gab Ahasver verschiedene Namen, z. B. Isaak Laquedem in Holland oder Juan Espera-en-Dios („Hoffe auf Gott“) in Spanien. Der Name Buttadeo wurde in der italienischen Volkssage als „der von Gott Verstoßene“ gedeutet. Er gelangte auch in die Bretagne (Boudedeo).

Deutungstradition

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Der wandernde Ewige Jude, Farbholzschnitt nach Gustave Doré, 1852, Reproduktion in einer Ausstellung in Yad Vashem, 2007

Fast alle der vorwiegend mündlich überlieferten Orts- und Volkssagen entstanden nach 1602 und beruhten auf der Leidener Legende. Doch sie lösten den ewigen Wanderer bald von seiner Beziehung zur Passion Jesu und machten ihn zum Sinnbild für die Leidensgeschichte des ganzen Judentums. Seine Rastlosigkeit wurde nicht mehr als durch konkrete Schuld verursachte göttliche Strafe, sondern als natürliche Eigenschaft aller Juden verstanden.

So gab der lutherische Theologe und Orientalist Johann Jacob Schudt (1664–1722) der Figur in seinem Werk Jüdische Merckwürdigkeiten (1714–1717) folgende Deutung:[25]

„Dieser umlauffende Jude seye nicht eine eintzelne Person, sondern das gantze Jüdische nach der Creutzigung Christi in alle Welt zerstreuete umherschweifende und nach Christi Zeugnuss biss an den jüngsten Tag bleibende Volck.“

Im Vormärz kam in Preußen eine intensive Debatte über die Jüdische Emanzipation auf, die mit Bruno Bauers Aufsatz von 1843 unter dem Titel Die Judenfrage begann und von Karl Marx mit der Rezension Zur Judenfrage beantwortet wurde. In diesem Zusammenhang veröffentlichte Constantin Frantz 1844 den Aufsatz Ahasverus oder die Judenfrage. Darin hieß es:[26]

„Das jüdische Volk selbst ist der ewige Jude. Es hat den Heiland von sich gewiesen, und so ist es über die ganze Erde zerstreut, und findet nirgends Ruhe; es will sich mit den Völkern vermischen und also sein Volkstum ertöten, und kann es nicht …“

Der Schweizer Dichter Gottfried Keller stellte in seiner Novelle Das Fähnlein der sieben Aufrechten von 1860 das unsterbliche jüdische Volk den vergänglichen erdverbundenen Völkern gegenüber: Es schleppe sich dahin

„… wie der ewige Jude, der nicht sterben kann, dienstbar allen neu aufgeschossenen Völkern, er, der die Ägypter, die Griechen und Römer begraben hat.“

Den sterblichen Völkern gehöre die Erde, sie hätten das Recht, diese zu beherrschen, während das Volk der Juden unheimlich und sinnlos weiterexistiere. Damit wurde die Figur zum Symbol für das Umherschweifende, Unsesshafte, Fremde, nicht Integrierbare, auch für das Geniale, das Degenerierte und die Dekadenz.[27] Diese vom Ursprung der Legende abgelösten Stereotype gingen in den Antisemitismus ein. Der Nationalsozialismus griff sie auf und benutzte die Figur für seine NS-Propaganda. Alfred Rosenberg verknüpfte 1930 in seinem Mythus des 20. Jahrhunderts das Stereotyp des „ewigen Juden“ mit dem des jüdischen Parasiten, um die jüdische Minderheit zu dämonisieren:

„Wenn irgendwo die Kraft eines nordischen Geistesfluges zu erlahmen beginnt, so saugt sich das erdenschwere Wesen Ahasvers an die erlahmenden Muskeln; wo irgendeine Wunde aufgerissen wird am Körper einer Nation, stets frißt sich der jüdische Dämon in die kranke Stelle ein und nutzt als Schmarotzer die schwachen Stunden der Großen dieser Welt. Nicht als Held sich Herrschaft erkämpfen ist sein Sinnen, sondern sich die Welt ‚zinsbar‘ zu machen, leitet den traumhaft starken Parasiten. Nicht streiten, sondern erschleichen; nicht Werten dienen, sondern Ent-Wertung ausnutzen, lautet sein Gesetz, nach dem er angetreten und dem er nie entgehen kann – solange er besteht.“[28]

 
Ausstellung Der ewige Jude im Deutschen Museum (München) vom 7.–8. November 1937

1935 nannte Heinrich Himmler den ewigen Juden in einer Rede vor den SS-Spitzen „Führer der mörderischen Untermenschen“. Das Schüren von Judenhass war auch der Zweck des aufwendig produzierten Propagandafilms Der ewige Jude, der am 28. November 1940 erstmals gezeigt wurde.

Die Ahasverlegende wird bis heute literarisch stark aufgegriffen (Achim von Arnim, Berthold Auerbach, Ludwig Bechstein, Clemens von Brentano, Adelbert von Chamisso, Wilhelm Hauff, Heinrich Heine, Nikolaus Lenau, Adalbert Stifter, Richard Wagner, im 20. Jahrhundert dann von Nelly Sachs, Stefan Heym und Walter Jens) – ambivalent sowohl Mitleid heischend und als Projektionsfläche zur Deutung der jüdischen Identität als auch für antijüdische Agitation verwendet. So deutet das Engelwerk Ahasver in seinem programmatischen, auf die Gründerin Gabriele Bitterlich zurückgehenden Handbuch als „gestürzten Erzengel“ und „Geist des verfluchten Judenvolkes“ (S. 244). Dahinter steht die traditionelle antijudaistische Identifikation des Judentums mit Luzifer als dem Teufel.

 
François Georgin: Der wandernde Jude, 1896

Künstlerische Verarbeitung

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Die Figur des Ewigen Juden hat zum einen Neuauflagen und die Erforschung alter Legenden, zum anderen zahlreiche epische, lyrische und dramatische Texte, Opern und Bilddarstellungen angeregt. Sie wurde zum Hauptthema gemacht, in die Darstellung anderer Themen eingeflochten oder zum Symbol für bestimmte Ideen, Prinzipien und Gegenwartsbezüge verwendet. Dabei wurden die Züge der christlichen Legende vielfach erweitert, verändert, mit anderen Motiven verknüpft und in neue Zusammenhänge gestellt.

Dieses kreative Interesse begann im Zeitalter der Aufklärung und setzte sich besonders in der deutschen Romantik fort: Damals wurde die Figur als Romanstoff so beliebt, dass Heinrich Heine 1826 vom Mythos des ewigen Juden sprach. Die Nachkriegs- und DDR-Literatur hat diesen Mythos erneut aufgegriffen.

Die folgende Aufzählung der bekannten Werke zur Figur des Ewigen Juden basieren im Wesentlichen auf den Werkszusammenstellungen Friedrich Helbigs, Albert Soergels, Werner Zirus' und George Kumler Andersons.

Epische Werke, Romane

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18. Jahrhundert

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19. Jahrhundert

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20. Jahrhundert

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  • August Vermeylen (1872–1945): Der Ewige Jude (Roman, Flämisch 1906, Deutsch 1923 mit 12 Holzschnitten von Frans Masereel)
  • Anna von Krane (1853–1937): Das Siegesfest der sechsten Legion (Novelle, Köln 1915). Ahasver wandert nach der Zerstörung Jerusalems in das römische Germanien.
  • Matthias Blank (1881–1928): Ahasverus Brautfahrt (1908)
  • Paul Ludwig von Heyse (1830–1914): Weltende (1909)
  • Jacob Leopold Windholz (* 1871): Ahasver. Der Einsiedler. Zwei Erzählungen (1909)
  • Ludwig Bär (unbekannt): Ahasver. Tagebuch (1909) (gilt als verschollen)
  • Albert Ehrenstein (1886–1950): Tubutsch (1912)
  • Lion Feuchtwanger (1884–1958): Gespräche mit dem Ewigen Juden (1920). Satirische Erzählung über den frühen Nationalsozialismus.
  • Franz Werfel (1890–1945): Stern der Ungeborenen (1946–1945 beendet, nach Werfels Tod erschienen)
  • Leo Perutz (1882–1957): Der Marques de Bolibar (1920). Eine wichtige Figur des Romans – Salignac, ein napoleonischer Offizier, der Unglücksfälle anzieht, aber selbst dabei nie stirbt – wird von vielen Gestalten des Romans und schließlich auch vom Ich-Erzähler für den Ewigen Juden gehalten.
  • Heinrich Nelson (1854–1929): Ahasvers Wanderung und Wandlung. Ein Märchen-Roman (1922)
  • Alfred Joseph Werner Winckler (1881–1966): Der Irrgarten Gottes. Der chiliastische Pilgerzug (1922)
  • Emil Szittya (1886–1964): Klaps oder Wie sich Ahasver als Saint Germain entpuppt (1924)
  • Ludwig Diehl (1866–1947): Ahasver (1924)
  • Egon Erwin Kisch (1885–1948): Der tote Hund und der lebende Jude (1934)
  • Jorge Luis Borges (1889–1986): Der Unsterbliche, (1949)
  • Walter M. Miller, Jr.: Lobgesang auf Leibowitz, 1971 (engl. A Canticle for Leibowitz, 1960). Der hier teilweise Benjamin genannte Jude ist die verbindende Gestalt der fast zwei Jahrtausende überdeckenden Romanhandlung.
  • Gabriel García Márquez (1927–2014): Ein Tag nach dem Samstag, 1955; Das Leichenbegängnis der Großen Mama, 1962; Hundert Jahre Einsamkeit, 1967
  • Walter Jens (1923–2013): Ahasver. Hamburg 1956
  • Pär Lagerkvist (1891–1974): Die Sibylle, 1956; Der Tod Ahasvers, 1960
  • Romain Gary (1914–1980): Der Tanz des Dschingis Cohn, 1967, deutsch 1970. Der komische Roman verknüpft das Motiv des untoten Dibbuk mit einem wandernden Juden, der für immer in einem seiner Nazi-Mörder haust.[Anm 1]
  • Friedrich Dürrenmatt (1921–1990): Der Verdacht: Darin identifiziert Dürrenmatt den KZ-Überlebenden Gulliver, der Jagd auf untergetauchte Nazis macht, mit dem Ewigen Juden.
  • Stefan Heym: Ahasver (1913–2000): Roman. (1981). Dieses Hauptwerk Heyms erzählt die Geschichte Ahasvers auf drei miteinander verknüpften Ebenen: als Engel im Dialog mit Jesus Christus über den richtigen Weg zur Erlösung der Welt, wobei er die irdische Sozialrevolution vertritt, als Schuhmacher zur Zeit Jesu und als eine verschiedene Gestalten annehmende Figur, die schließlich das Missfallen Paul von Eitzens auf sich zieht, der, zumindest in der legendarischen Überlieferung des Volksbuchs, Zeuge des Auftretens Ahasvers gewesen sei und damit als Beglaubigungsinstanz fungiert, was im Roman Heyms allerdings ironisch gebrochen wird. Hinzu kommt ein ironischer Briefwechsel zwischen dem Gen. Prof. Dr. Dr. Siegfried Beifuß, Chef des fiktiven DDR-Instituts für wissenschaftlichen Atheismus, Behrensstraße 39a, 108 Berlin, und einem Apologeten der Existenz Ahasvers, dem Prof. Jochanaan Leuchtentrager (Luzifer) von der Hebrew-University, Jerusalem, Israel, über die Möglichkeit der Existenz des Ewigen Juden.
  • Arkadi und Boris Strugazki: Die Last des Bösen. Roman (1988). Sowjetunion, 21. Jahrhundert: Demiurg und sein treuer Gehilfe, der Versicherungskaufmann Ahasver Lukitsch, tauchen in Taschlinsk auf.
  • Carlo Fruttero, Franco Lucentini: L’amante senza fissa dimora (1986, deutsch: Der Liebhaber ohne festen Wohnsitz, 1988). In Venedig trifft eine Antiquitätenhändlerin den Reiseführer David Ashaver Silvera. Beide lösen einen Fall von Kunstschmuggel und gehen eine kurze, aber heftige Liebesaffäre ein.[29]
  • Carlo Fruttero & Franco Lucentini: Der Liebhaber ohne festen Wohnsitz, Piper 1986, München, übers. v. Dora Winkler, ISBN 3-492-03147-1.

21. Jahrhundert

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  • Wilfried A. Resch: Rhoems letzte Welten (2000). Der Ewige Jude zieht neben anderen Figuren als Alfred Tawinsky gemeinsam mit seiner unsichtbaren Band („The Invisible Background Noise Band“) durch ein mit einer Mauer vom verwüsteten Süden getrenntes Europa und erzählt in verschiedenen Etappen von seinem ersten Jahrhundert.
  • Wolfgang Hohlbeins Raven Nr. 9 Im Turm der Lebenden Toten
  • Oliver Buslau: Die fünfte Passion München (2009), Verlag Goldmann
  • Alexander Lomm: Der Skaphander Ahasvers (Erzählung), erschienen in Die Rekonstruktion des Menschen, Verlag Neues Leben, Berlin, 1980
  • Isajon Sulton: Der ewige Jude (Boqiy Darbadar), Tashkent, 2011.
  • Michael Ende: Einer langen Reise Ziel (Erzählung), erschienen in Das Gefängnis der Freiheit, Weitbrecht, 1992. Auf seiner Suche nach dem Motiv eines surrealistischen Gemäldes trifft Lord Cyril Abercromby auf den Wandernden Juden, der ihn zu einem noch unerforschten Stückchen Erde aussendet.

Lyrische Werke

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18. Jahrhundert

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19. Jahrhundert

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20. Jahrhundert

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Dramatische Werke

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Märchen, Volksbücher und Legendensammlungen

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  • Anonymus: Der ewige Jude, die Schildbürger von Utopien und viele andere Legenden, Mährlein [usw.] (= Der Leitmeritzer Hausfreund, erster Teil), Prag, Leitmeritz und Teplitz 1837: Ahasver hat sich hier auch während der Christenverfolgungen der Römerzeit als Henker der Christen angedient: „Und manches unschuldige Opfer wurde von seinen Händen erwürgt mit doppelter Qual.“ Später ist er Bundesgenosse Mohammeds und nimmt an der muslimischen Rückeroberung Jerusalems teil; beim Versuch, den Tempel anzuzünden, begegnet ihm Christus und bekehrt ihn. Er wird Klosterbruder, Kreuzfahrer und energischer Verteidiger des wahren Glaubens.
  • Karl Joseph Simrock: Der ewige Jude. In: Zeitschrift für deutsche Mythologie und Sittenkunde, herausgegeben von Johann Walter Wolf, Band 1, Göttingen 1853.
  • Ludwig Bechstein: Die verwünschte Stadt. In: Neues deutsches Märchenbuch, Leipzig 1856.
  • Johann Georg Theodor Grässe: Der Tannhäuser und Ewige Jude, Dresden 1861.
  • Friedrich Helbig: Die Sage vom Ewigen Juden, ihre poetische Wandlung etc., Berlin 1874.
  • Moncure Daniel Conway (1832–1907): The Wandering Jew, London 1881.
  • Paulus Cassel: Das Buch Esther. Ein Beitrag zur Geschichte des Morgenlandes, aus dem hebräischen Urtext übersetzt, historisch und theologisch erläutert, Berlin und Leipzig 1885.
  • Ludwig Aurbacher: Ein Volksbüchlein. Enthaltend: Die Geschichte des ewigen Juden, die Abenteuer der sieben Schwaben, nebst vielen andern erbaulichen und ergötzlichen Historien. Zweyte, vermehrte und verbesserte Ausgabe für Volksfreunde, München 1835; Münchener Volksschriften Nr. 29. Geschichte des ewigen Juden / Geschichte des Doktor Faustus; Legende vom Ritter St. Georg. Kevelaer, Neuauflage, um 1905/1910.
  • Franz Pehr: Der ewige Jude in Sagen aus Kärnten, 1913.[30]

Philosophische Abhandlungen

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  • Le Juif errant (1812) ist ein Melodram von Louis-Charles Caigniez mit Musik von Louis Alexandre Piccinni.
  • Carl Loewe, Der ewige Jude (1834), Legende von Alois Schreiber, op. 36,3
  • Richard Wagner verarbeitete das Motiv des Ewigen Juden mehrfach: In Gestalt des ruhelos die Meere durchziehenden Seemanns in seiner Oper Der fliegende Holländer (1843) gibt Wagner am deutlichsten diesem Mythos Ausdruck, wie er in Eine Mitteilung an meine Freunde von 1851 erläutert, „eine merkwürdige Mischung des Charakters des Ewigen Juden mit dem des Odysseus“, eine Mischung aus mittelalterlich-christlicher Todessehnsucht und hellenischer „Sehnsucht nach der Heimat, Haus, Herd und Weib.“ Dieter Borchmeyer (2002) meint, Wagner habe in der Gestalt des nicht sterben könnenden, ewig unbehausten Wanderers ein Existenzsymbol seiner selbst und seines Künstlertums gesehen, dessen „Wandlungen“ auch seine eigene Wirkungsgeschichte abbildeten. Zugleich spiegelte sich für Wagner in der Ahasver-Legende das Schicksal des von ihm gehassten Judentums: Dies deute darauf hin, dass Wagner eigentlich eine verleugnete Nähe zu manchen Traditionen des jüdischen Denkens gehabt habe.
  • Fromental Halévy, Le Juif errant (1852), Oper in fünf Akten nach dem Roman von Eugène Sue
  • In Leoš Janáčeks Oper Die Sache Makropulos (1926) kann die Figur der Elina Makropulos (Emilia Marty) als weiblicher Ahasver gesehen werden.
  • Peter Jona Korn komponierte seine vierte Symphonie Ahasver, op. 91, in den Jahren 1989–90.
  • Die finnische Doom-Metal-Gruppe Reverend Bizarre thematisierte die Figur des ewigen Juden in ihrem Titel „The Wandering Jew“ von der EP Harbringer Of Metal (2003).

Bildende Kunst

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  • Gustave Doré schuf 1856 eine Serie von zwölf Holztafeln über das Thema.
  • Samuel Hirszenberg stellte 1899 den Ewigen Juden aus jüdischer Sicht dar.
  • Marc Chagall: Le Juif errant, 1923–25.
  • Sarnath Banerjee veröffentlichte 2007 eine indische Graphic Novel namens „The Barn Owl’s Wondrous Capers“, die von der Legende des wandernden Juden inspiriert wurde.

In dem Stummfilm Der Golem, wie er in die Welt kam (1920) wird Ahasveros vom Kaiser und seinem Gesinde ausgelacht. Daraufhin lässt er dessen Palast zusammenstürzen. Der Golem rettet die Anwesenden.

Weitere Filme waren Ahasver und Ahasver, der ewige Jude.

Der schweizerische Schriftsteller, Journalist und Türkeiexperte Max Rudolf Kaufmann reichte bei der US-Copyrightstelle 1934 ein Filmdrehbuch „Ahasver“ in deutscher Sprache ein. Ob und wie es realisiert wurde, ist nicht bekannt.[31]

Im Film Das siebte Zeichen (1988) mit Demi Moore und Jürgen Prochnow in den Hauptrollen stellt Prochnow den Messias und Bringer der Apokalypse dar. Cartaphilos erkennt die Zeichen, die das Ende ankünden, und will alles, was diese Abfolge unterbräche, verhindern – denn wenn Jesus sein weltliches Reich antritt, kann er (Cartaphilos) endlich sterben.

In dem Mystery-Thriller The Gathering (2002) wird ebenfalls inhaltlich an den Mythos vom Ahasver angeknüpft. Der Ahasver erscheint hier als der Prototyp des Gaffers.

In der dritten Staffel der US-amerikanischen Serie „Fargo“ (2017) tritt ein „Paul Marrane“ gespielt von Ray Wise auf.

Verwandte Legenden

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In vom Islam geprägten Ländern fand eine ähnliche Figur Verbreitung: Im Koran wird Sameri, der Samaritaner, von Mose zur ewigen Wanderschaft verflucht, weil er den Israeliten beim Herstellen des Goldenen Kalbes half. Die islamische Tradition kennt außerdem den mystischen Propheten al-Chidr, der ebenfalls unsterblich – aber nicht ruhelos – durch die Welt wandern soll.

Das Motiv des Umherirrens bis zum Jüngsten Tag als Folge eines Fluches findet sich in der Sage vom Fliegenden Holländer. Sie scheint aber vergleichsweise jung zu sein (die frühesten schriftlichen Zeugnisse stammen aus dem späten 18. Jahrhundert), und ihr religiöser Bezug ist wenig ausgeprägt. In der bekanntesten Version verflucht sich der holländische Kapitän aus Sturheit und Überheblichkeit selbst; in anderen Versionen trifft ihn göttliche Strafe dafür, dass er einen Seemann über Bord wirft oder ein Versprechen bricht.

Literatur

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  • Leonhard Neubaur (1847–1917): Die Sage vom ewigen Juden. Leipzig 1884. 2. Auflage: Hinrichs, Leipzig 1893 (online).
  • Otto Heller: Ahasver in der Kunstdichtung. In: Modern Philology, Band 3, Nr. 1, 1905, ISSN 0026-8232, S. 61–68, JSTOR:432610.
  • Werner Zirus: Ahasverus, der ewige Jude (= Stoff- und Motivgeschichte der deutschen Literatur. 6, ZDB-ID 533024-5). de Gruyter, Berlin u. a. 1930.
  • Siegfried Behn: Der ewige Jude. Eine Legende. Thomas, Kempen 1947.
  • Hellmut Andics: Der ewige Jude. Ursachen und Geschichte des Antisemitismus. Molden, Wien 1965.
  • Galit Hasan-Rokem, Alan Dundes (Hrsg.): Wandering Jew. Essays in the Interpretation of a Christian Legend. Indiana University Press, Bloomington IN 1986, ISBN 0-253-36340-3.
  • Leander Petzoldt: Der ewige Verlierer. Das Bild des Juden in der Volksliteratur. In: Leander Petzoldt: Märchen, Mythos, Sage. Beiträge zur Literatur und Volksdichtung. Elwert, Marburg 1989, ISBN 3-7708-0893-2, S. 35–65.
  • George K. Anderson: The Legend of the Wandering Jew. 3rd printing. University Press of New England, Hanover NH u. a. 1991, ISBN 0-87451-547-5.
  • Stefan Rohrbacher, Michael Schmidt: Judenbilder. Kulturgeschichte antijüdischer Mythen und antisemitischer Vorurteile (= Rowohlts Enzyklopädie. 498, Kulturen und Ideen). Rowohlt-Taschenbuch-Verlag, Reinbek bei Hamburg 1991, ISBN 3-499-55498-4, S. 246–252.
  • Angelika Rahm: Irrlichternd durch Raum und Zeit : die Gestalt des Ahasver in der europäischen Literatur. In: Peter Csobádi et al. (Hrsg.): Europäische Mythen der Neuzeit : Faust und Don Juan. Müller-Speiser Anif, Salzburg 1993, S. 665–678.
  • Manfred Frank: Die unendliche Fahrt. Die Geschichte des Fliegenden Holländers und verwandte Motive (= Reclam-Bibliothek. 1537). Reclam, Leipzig 1995, ISBN 3-379-01537-7.
  • Mona Körte, Robert Stockhammer (Hrsg.): Ahasvers Spur. Dichtungen und Dokumente vom „Ewigen Juden“ (= Reclams Universal-Bibliothek. 1538). Reclam, Leipzig 1995, ISBN 3-379-01538-5.
  • Michael Tilly: Der „Ewige Jude“ in England. Die mittelalterliche Cartaphilus-Legende in ihrem historischen Kontext. In: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte, Band 47, Nr. 4, 1995, S. 289–303, JSTOR:23899342.
  • Avram Andrei Baleanu: Fünftes Bild: Der ewige Jude. In: Julius H. Schoeps, Joachim Schlör (Hrsg.): Bilder der Judenfeindschaft. Antisemitismus – Vorurteile und Mythen. Lizenzausgabe. Bechtermünz, Augsburg 1999, ISBN 3-8289-0734-2, S. 96–102.
  • Mona Körte: Die Uneinholbarkeit des Verfolgten. Der Ewige Jude in der literarischen Phantastik (= Schriftenreihe des Zentrums für Antisemitismusforschung. 6). Campus, Frankfurt am Main u. a. 2000, ISBN 3-593-36452-2 (Zugleich: Berlin, Technische Universität, Dissertation, 1998).
  • Jean-Claude Schmitt: La genèse médiévale de la légende et de l'iconographie du Juif Errant. In: Juliette Braillon-Philippe (Hrsg.): Le juif errant: un témoin du temps. Anlässlich der Ausstellung Le Juif Errant, Un Témoin du Temps im Musée d'Art et d'Histoire du Judaïsme (Museum für Kunst und Geschichte des Judentums), vom 26. Oktober 2001 bis 24. Februar 2002. Biro, Paris 2001, ISBN 2-913391-14-1, S. 55–76.
  • Alfred Bodenheimer: Wandernde Schatten. Ahasver, Moses und die Authentizität der jüdischen Moderne. Wallstein, Göttingen 2002, ISBN 3-89244-509-5.
  • Dieter Borchmeyer: Richard Wagner. Ahasvers Wandlungen. Insel, Frankfurt am Main u. a. 2002, ISBN 3-458-17135-5.
  • Tobias Lagatz: Der „Ewige Jude“ des 19. Jahrhunderts im Fokus von Römischer Inquisition und Indexkongregation. Zerrbild seiner selbst und Spiegelbild der Zeit. In: Florian Schuller, Giuseppe Veltri, Hubert Wolf (Hrsg.): Katholizismus und Judentum. Gemeinsamkeiten und Verwerfungen vom 16. bis zum 20. Jahrhundert. Pustet, Regensburg 2005, ISBN 3-7917-1955-6, S. 209–221.
  • Jürgen Beyer: Jürgen und der Ewige Jude. Ein lebender Heiliger wird unsterblich. In: Arv. Nordic Yearbook of Folklore, Band 64, 2008, ISSN 0066-8176, S. 125–140.
  • Frank Halbach: Ahasvers Erlösung. Der Mythos vom Ewigen Juden im Opernlibretto des 19. Jahrhunderts (= Theaterwissenschaft, 14). Herbert Utz, München 2009, ISBN 978-3-8316-0834-8 (Zugleich: München, Universität, Dissertation, 2005).
  • Avram Andrei Baleanu: Ahasver. Geschichte einer Legende. Aus dem Rumänischen von Georg Aescht. be.bra Wissenschaft Verlag, Berlin-Brandenburg 2011 (Sifria – Wissenschaftliche Bibliothek Band IX), ISBN 978-3-937233-77-2.
  • Galit Hasan-Rokem: Ahasver. In: Dan Diner (Hrsg.): Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur. Band 1: A–Cl. Metzler, Stuttgart u. a. 2011, ISBN 978-3-476-02501-2, S. 9–13.
  • Ingrid Maier, Jürgen Beyer, Stepan Šamin: Die Legende vom Ewigen Juden in einer russischen Übersetzung des Jahres 1663. In: Slovo, Band 54, 2013; ZDB-ID 228575-7; S. 49–73 (PDF) moderna.uu.se.
  • Gunnar Och: Ahasver, der Ewige Jude. Geschichte eines Mythos. Wallstein, Göttingen 2018. ISBN 978-3-8353-5473-9.
  • Iris Shagrir: The Hidden Jew of Jerusalem: The Legend of the Eternal Jew in Medieval and Early Modern Pilgrimage Narratives. In: Viator. Band 49, 2018, S. 333–359.
  • Bernd Appel: Antisemitismus und Ahasver (= Hamburger Beiträge zur Germanistik. Nr. 69). Peter Lang Verlag, Berlin/Bern/Bruxelles u. a. 2022, ISBN 978-3-631-88120-0.

Anmerkungen

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  1. “It has been my fate to add a new dimension to the legend of the Wandering Jew: that of the immanent Jew, omnipresent, entirely assimilated, forever part of each atom of the German earth, air, and conscience. All I need is a pair of wings & a little pink ass to become a beautiful Jewish angel. You are probably familiar with the new twist given to our old saying in all the bierstuben around Buchenwald, when a sudden silence falls in the conversation: A Jew is passing by…”, engl. Fassung Garys, von der frz. Erstfassung leicht unterschieden

Einzelnachweise

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  1. Letters Writ by a Turkish Spy. Book 3, Letter I, 1644 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  2. A table of the letters and matters. In: The Turkish Spy, Band 3, A. Wilde, London 1770; archive.org.
  3. Marcello Massenzio: Le Juif errant entre mythe et histoire. Trois variations sur le thème de la Passion selon le Juif errant, Annuaire de l’École pratique des hautes études (EPHE), Section des sciences religieuses, 115
  4. a b c d Unbekannt: Kurtze Beschreibung und Erzehlung/ von einem Juden/ mit Namen Ahasverus. Christoff Creutzer, Leyden 1602. Digitalisat / Text der Ausgabe von Bautzen (1602) auf Zeno.org.
  5. Iris Shagrir: The Hidden Jew of Jerusalem: The Legend of the Eternal Jew in Medieval and Early Modern Pilgrimage Narratives. In: Viator. Band 49, 2018, S. 336.
  6. Johannes Moschos: Leimon, Kapitel 30. – Der altgriechische Originaltext lautet: Καὶ μετὰ δύο ἡμέρας, θεωρῶ ἄνδρα Αἰθίοπα, ῥάκη περιβεβλημένον, καὶ λέγοντά μοι· Ἐγὼ καὶ σὺ ὁμοῦ κατεδικάσθημεν εἰς μίαν κόλασιν. Καὶ λέγω αὐτῷ· Σὺ τίς εἶ; Καὶ ἀπεκρίνατό μοι, λέγων ὁ φανεὶς Αἰθίοψ· Ἐγώ εἰμι ὁ ῥαπίσας ἐπὶ τῆς σιαγόνος τὸν Ποιητὴν τῶν ἁπάντων, τὸν Κύριον ἡμῶν Ἰησοῦν Χριστὸν ἐν τῷ καιρῷ τοῦ πάθους. Διὰ τοῦτο οὖν, φησὶν ὁ μοναχὸς, οὐ δύναμαι ἐνδοῦναι τοῦ κλαίειν.
  7. Der lateinische Originaltext lautet: Dictum est mihi veraciter, quod in transmarinis partibus in terra sancta quidam nomine Johannes Buddeus, qui interfuit passioni Domini nostri Jesu Christi, adhuc sit vivens et ultra vivere debeat ad novissimam diem. – Jules de Saint-Genois (Hrsg): Voyages faits en terre sainte par Thetmar, en 1217, et par Buchard de Strasbourg, en 1175, 1189 ou 1225. In: Mémoires de l’Académie Royale des Sciences, des Lettres et des Beaux-Arts de Belgique. Band 26, 1851, S. 61 (zitiert nach Shagrir 2018, S. 337).
  8. Shagrir 2018, S. 338.
  9. Der lateinische Originaltext lautet: Eodem anno quidam transeuntes per Ferrariam ex ultramontanis partibus retulerunt abbati et fratribus eiusdem loci, quod viderant in Armenia quendam Iudeum, qui fuerat in paxione Christi et iniuriose pepulerat eum euntem ad paxionem, dicens ei: „Vade, seductor, ad recipiendum quod mereris.“ Cui fertur respondisse dominum: „Ego vado et tu expectabis me donec revertar.“ Qui Iudeus, sicut dicitur, per omnia centenaria annorum de sene iuvenescit in etatem XXX annorum nec potest mori quousque Dominus veniat. – Augusto Gaudenzi (Hrsg): Ignoti Monachi Cisterciencis S. Mariae de Ferraria Chronica et Ryccardi de Sancto Germano Chronica priora. Neapel 1888, S. 38 (zitiert nach Shagrir 2018, S. 338).
  10. Shagrir 2018, S. 341. – Zürcher Ausgabe von 1589, S. 339: De Joseph, qui … (nicht illustriert).
  11. Leonhard Neubaur: Die Sage vom ewigen Juden. 2. Auflage. Hinrichs, Leipzig 1893, S. 48–49.
  12. Neubaur 1893, S. 10. – Der Originaltext lautet:
    Et cil om, quant li faus Judeu / Menèrent crucefiier Deu, / Lor dist : «Atendés-moi, g’i vois, / S’iert mis li faus profète en crois.» / Et li vrais Dieux se regarda, / Si li a dit que n’i tarda. / «Icist ne t’atenderont pas, / Mais saces, tu m’atenderas.» / Et encor atent cil ensi. / K’il ne moru puis ne transi. / Al cief de C ans le voit-on / Rajovenir en cel roïon, / Et là, dient, teus gens i a, / Qu’ Ananias le baptisa, / Ki fu li uns des vrais profètes. / S’atendera cil ses désertes, / Et ne morra pas voirement / Jusques au jours del jugement. – Chronique rimée de Philippe Mouskes, publiée par le Baron de Reiffenberg. Band 2. Bruxelles 1838, S. 491–493 (online).
  13. Siehe Erklärung des Namens im Artikel „Cartaphilus“.
  14. Neubaur 1893, S. 6. / Shagrir 2018, S. 336. / Michael Tilly: Der „Ewige Jude“ in England. Die mittelalterliche Cartaphilus-Legende in ihrem historischen Kontext. In: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte, Band 47, Nr. 4, 1995, S. 296–297, JSTOR:23899342.
  15. Tilly 1995, S. 296–297.
  16. Neubaur 1893, S. 2. / Tilly 1995, S. 297.
  17. Tilly 1995, S. 296.
  18. Wolfgang Pöhlmann: Ahasver, der wandernde Jude. Eine europäische Legende, darin: 6.2 Malchus. In: Katarzyna Stokłosa, Andrea Strübind (Hrsg.): Glaube – Freiheit – Diktatur in Europa und den USA. Festschrift für Gerhard Besier zum 60. Geburtstag. Göttingen 2007, S. 344f.
  19. Tilly 1995 (S. 297) nennt als Beispiele Sisyphus, Ixion und Tantalus.
  20. Tilly 1995, S. 297–298.
  21. Joseph of Arimathea auf glastonburyabbey.com (englisch).
  22. „Er wurde unter anderem nach Joseph gefragt, jenem Mann, von dem unter den Menschen oft die Rede ist, der bei der Passion des Herrn zugegen war und mit ihm sprach, der immer noch lebt zur Bezeugung des christlichen Glaubens: ob er ihn einmal gesehen oder etwas über ihn gehört habe.“ – Henry O. Coxe (Hrsg.): Rogeri de Wendover Chronica, sive Flores Historiarum. Band 4. London 1842, S. 176 (lateinisch).
  23. David Daube: Ahasver. In: The Jewish Quarterly Review New Series, 45, 3, Januar 1955, S. 243–244.
  24. „Und es wurde damals gesagt, dass es einen anderen [extrem alten Menschen] gebe, der bereits zur Zeit Jesu Christi gelebt habe und Johannes Buttadæus heiße, weil er den Herrn angetrieben habe, als er zum Kreuz geführt wurde; und dieser habe ihm gesagt: ‚Du wirst auf mich warten, bis ich komme.‘ … und jener Johannes ging durch Forli, unterwegs zum heiligen Jakobus, im Jahr Christi 1267.“ – Et dicebatur tunc quod erat quidam alius qui fuerat tempore Iesu Christi, & vocabatur Ioannes Buttadæus, eo quod impulisset Dominum quando ducebatur ad patibulum, & ipse dixit ei, Tu expectabis me donec venero. … & ille Ioannes transivit per Forlivium vadens ad sanctum Iacobum æra Christi millesima ducentesima sexagesima septima. – Guidonis Bonati Foroliviensis Mathematici de Astronomia tractatus X. Basel 1550, S. 209 (online).
  25. Alex Bein: Die Judenfrage Band 1: Anmerkungen, Exkurse, Register, Deutsche Verlagsanstalt 1980, S. 77.
  26. Alex Bein: Die Judenfrage Band 1: Anmerkungen, Exkurse, Register, Deutsche Verlagsanstalt 1980, S. 4.
  27. Alex Bein: Die Judenfrage Band 1: Anmerkungen, Exkurse, Register, Deutsche Verlagsanstalt 1980, S. 77f.
  28. Zitiert nach Cornelia Schmitz-Berning: Vokabular des Nationalsozialismus. Walter de Gruyter, Berlin/New York 2007, ISBN 978-3-11-092864-8, S. 462 f. (abgerufen über De Gruyter Online).
  29. Carlo Fruttero, Franco Lucentini: Der Liebhaber ohne festen Wohnsitz. Roman, 1. Auflage 1990, Piper-Verlag, ISBN 3-492-21173-9 (Rezension (Memento des Originals vom 20. Juni 2006 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.lesekost.de).
  30. Franz Pehr: Der ewige Jude in Sagen aus Kärnten, Digitalisat
  31. Max Rudolf Kaufmann: Ahasver -eine Filmdichtung, New York 1934 (Eintrag im US-amerikanischen Copyright Verzeichnis, Library of Congress); archive.org.
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Wikisource: Ewiger Jude – Quellen und Volltexte
Commons: Ewiger Jude – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien