Westminster-System

parlamentarische Regierungsform
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Das Westminster-System, in einschlägiger englischer Literatur Westminster system, Westminster model[1] oder in deutscher Literatur auch Westminster-Demokratie genannt, ist ein parlamentarisches Regierungssystem, das im 13. Jahrhundert im Königreich England gebildet[2] und über die Jahrhunderte weiterentwickelt wurde und als eines der ältesten parlamentarischen Systeme der Welt gilt.

Palace of Westminster mit dem Victoria Tower (links) und dem Elizabeth Tower mit Big Ben

Einflüsse des britischen Westminster-Systems können überall dort in anderen Ländern der Welt gefunden werden, wo die britische Sicht des Parlamentarismus direkt oder indirekt, als ehemalige britische Kolonie gewollt oder ererbt übernommen wurde.[3] So findet das Westminster-System noch heute in mehr oder weniger abgewandelter Form in den meisten Commonwealth-Staaten Nord- und Mittelamerikas, Asiens, in Australien, Neuseeland und in einigen Staaten Ozeaniens Anwendung.

Namensherkunft

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House of Commons 1851

Die Bezeichnung Westminster system bzw. Westminster model bezieht sich auf eine Regierungsform, die ab dem 13. Jahrhundert in England entwickelt wurde. Sie erhielt ihren Namen von dem Palace of Westminster, der im Stadtteil Westminster in London liegt und in dem die beiden Kammern des britischen Parlamentes, das House of Commons (Unterhaus) und das House of Lords (Oberhaus), ihren Sitz haben.[4] Mit dem Begriff versucht man nach wie vor das politische und parlamentarische System des Vereinigten Königreichs zu benennen.

Grundzüge des britischen Westminster-Systems

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Obwohl es bis heute keine allgemein gültige Beschreibung bzw. Definition des Westminster system gibt[5], so lassen sich doch einige institutionelle Grundzüge des Systems beschreiben.[6]

  1. Das Westminster-System britischen Vorbilds besitzt keine in einem einzelnen Dokument zusammengefasste (geschriebene) Verfassung. Verfassunggebende Elemente sind über viele Gesetze des Landes verteilt, werden, genauso wie allgemein im angelsächsischen Rechtskreis, durch Rechtsprechung definiert oder sind einfach durch althergebrachte Praxis entstanden.[7] Gesetze und damit auch verfassunggebende Elemente können mit einfacher Mehrheit im Parlament geändert werden.[8] Bis auf das Vereinigte Königreich und Neuseeland haben heute alle anderen Länder mit Westminster-System-Adaption eine geschriebene Verfassung, die nur mit einer höher definierten Mehrheit als der einfachen Mehrheit geändert werden kann.
  2. Im britischen Westminster-System hat das Parlament zwei Kammern, das House of Commons, dessen Repräsentanten direkt vom Volk gewählt werden und das die gesetzgeberische Macht hat, und das House of Lords, das ein aufschiebendes Vetorecht besitzt und in dem vom Staatsoberhaupt ernannte Personen (Lords, früher war dies der Erbadel) sitzen. Charakteristisch ist zudem die Anordnung der Sitze, durch die Regierung und Opposition sich im Parlament gegenüber statt nebeneinander sitzen und abwechselnd häufig heftige verbale Schlagabtausche liefern. Hierbei wird jedoch stets das Wort an den Sprecher gerichtet und nur in dritter Person übereinander geredet. Es gibt außerdem einen offiziellen Oppositionsführer. Der Vertreter der Krone ist Teil des Parlaments, hat aber kein Wahlrecht.
  3. Das Staatsoberhaupt ist zumeist ein Erbmonarch (auch außerhalb des Vereinigten Königreichs häufig der britische Monarch) und hat vor allem repräsentative Funktionen, die Regierungsgewalt liegt jedoch beim Chef der Exekutive. Über das Staatsoberhaupt hat der Regierungschef erhebliche Reservebefugnisse, inklusive dem Erlass von Verordnungen mit Gesetzeskraft, ein Veto-Recht gegen Gesetze und die Parlamentsauflösung. Das Staatsoberhaupt gibt jedoch normalerweise mit seiner Unterschrift nur Parlamentsgesetzen Rechtskraft und eröffnet mit der Verlesung des Regierungsprogramms die jeweilig neue Sitzungsperiode des Parlamentes.
  4. Die Regierung besteht aus dem Premierminister, den Ministern und ist dem Parlament gegenüber rechenschaftspflichtig.[9] Sie werden jedoch nicht vom Parlament gewählt, sondern allein vom Staatsoberhaupt ernannt, wobei dieser allerdings in der Regel den Vorsitzenden der stärksten Partei ernennt. Zudem müssen die Minister der Regierung zwingend Mitglieder des Parlamentes sein.[10] Die politische Macht konzentriert sich dabei auf ein kollektiv arbeitendes und gegenüber dem Parlament verantwortliches Kabinett. Dieses versammelt sich wöchentlich zu politischen Beratungen, bildet die „Kernmannschaft“ der Regierung und besteht aus dem Premierminister und rund 20 Ministern. Es wird von den Ministern verlangt, uneingeschränkt die Politik der Regierung zu vertreten und gegenüber dem Parlament und der Öffentlichkeit zu verteidigen. Walter Bagehot beschreibt in seinem Buch The English Constitution, dass das Geheimnis der Leistungsfähigkeit der englischen Verfassung in der fast vollständigen Verschmelzung der exekutiven und legislativen Gewalten besteht und das Bindeglied zwischen ihnen das Kabinett darstellt.[11] Er beschreibt das Kabinett als eine Art „geheimen Ausschuss“, in dem keine Sitzungsprotokolle angefertigt werden und keine Informationen über Sitzungsinhalte nach außen dringen.[12]
  5. Die gesetzgebende Macht ist im Gegensatz zu einem föderalen System zentral organisiert und die Zentralregierung durch entsprechende Vertreter in den Regionen repräsentiert. Im britischen System gibt es zwar seit 1998 für Schottland, Wales und Nordirland auf dem Wege der Devolution jeweils ein mit eigenen Rechten versehenes Parlament,[13] trotzdem verbleibt die entscheidende politische Macht in London.
  6. Der Souverän ist weder das Volk noch der Monarch, sondern kollektiv das Parlament. Seit der Magna Carta handelt es sich somit um eine konstitutionelle Monarchie, in dem das Staatsoberhaupt nicht über dem Gesetz steht. Allerdings kann der Monarch das Parlament für Neuwahlen auflösen.
  7. Im britischen Parlamentswahlsystem gibt es lediglich ein einfaches Mehrheitswahlsystem. Demnach ist gewählt, wer die einfache Mehrheit der Wählerstimmen in einem Wahlbezirk auf sich vereinigt hat. Das System bevorzugt größere Parteien. Minderheiten haben kaum Chance, politisch im Parlament vertreten zu sein, wenn sie nicht geographisch in einem oder mehreren Wahlkreisen konzentriert sind. Das Kreis der Wählenden wurden in mehreren Reformen im 19. Jahrhundert mehrfach erweitert (1832, 1867, 1884) und 1918 wurde schließlich mit dem Representation of the People Act 1918 das allgemeine Männerwahlrecht ohne Besitzschränken eingeführt. Frauen durften erst ab 1918 wählen, aber nur, wenn sie über 30 Jahre alt waren. 1928 wurde ihr Wahlalter auf 21 Jahre heruntergesetzt damit der Regelung für Männer angeglichen.[14] Über lange Zeit war Großbritannien, begünstigt durch sein Mehrheitswahlsystem, für sein Zweiparteiensystem bekannt, in welchem die beiden Parteien sich unter sozioökonomischen Gesichtspunkten unterschieden.[6] Die Mehrheitspartei stellte die Regierung und die zweitgrößte Partei die Opposition. Dass dies nicht mehr uneingeschränkt gilt, zeigte spätestens die Wahl im Jahr 2010, bei der die Conservative Party keine Mehrheit mehr fand und mit den Liberal Democrats eine Regierungskoalition bilden musste. Die Labour Party stellte seinerzeit die Opposition.
  8. Die Anerkennung des Rule of Law, in dem jeder vor dem Gesetz gleich ist, das Gesetz vor Willkür schützt und Rechte aus der Rechtsprechung entstehen, stellt eine wesentliche Grundlage der Bürgerrechte dar und ist Bestandteil des Westminster-Systems.[15]
  9. In der Vergangenheit war das Westminster-System gekennzeichnet von Gewaltenverschränkung: Nicht nur der Monarch, in dem alle Gewalten (Exekutive, Legislative, Judikative) vereint waren, sondern auch andere Institutionen (wie der Kronrat oder das Oberhaus) hatten Befugnisse in mehreren der Bereiche.
  10. Mit dem Act of Settlement 1701 wurde erstmals die Unabhängigkeit der Justiz eingeführt. Davor konnten missliebige Richter vom König abgesetzt werden. Mit dem Gesetz wurde festgeschrieben, dass Richter des High Court auf Lebenszeit ihr Amt bekamen und nur durch eine Entscheidung der beiden Kammern des Parlamentes im Einverständnis mit der Krone ihres Amtes enthoben werden konnten. Dies ist seitdem nie geschehen.[16]

Varianten des Westminster-Systems

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Varianten des Westminster-Systems sind in folgenden Staaten zu finden:

  • Irland ist eine Republik mit einem Präsidenten als Staatsoberhaupt. Es besitzt ein Zwei-Kammer-Parlament, wobei im Unterschied zum britischen Parlament die Mitglieder des Oberhauses (Seanad Éireann) mehrheitlich indirekt gewählt werden, sechs Mitglieder durch die Graduierten von den zwei Universitäten und 43 Mitglieder durch gesellschaftliche Gruppen aus Kultur, Bildung, Landwirtschaft, Gewerkschaften, Industrie und Handel und der öffentlichen Administration. 11 Mitglieder werden durch den Premierminister bestimmt.[17] Das Oberhaus, auch Senat genannt, hat hingegen legislative Aufgaben und kann in Sachen Finanzen, Parlamentswahlen und Auflösung der Regierung keinen Einfluss nehmen.[18]

Naher Osten

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Nord- und Mittelamerika

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  • Bangladesch
  • Indien bekam während seiner Zeit als Kolonie des Vereinigten Königreichs in einer Serie von fünf Verfassungsreformen zwischen den Jahren 1861 und 1935 das britische Westminster-System installiert.[19] Nach seiner Unabhängigkeit im Jahr 1947 gab sich Indien 1950 eine auf dem Westminster-System basierende Verfassung.[20] Abweichend vom britischen System wurde Indien eine Republik mit einem Präsidenten als Staatsoberhaupt und gab sich eine föderale Struktur mit heute 28 Bundesstaaten und neun Unionsterritorien. Das Oberhaus, Rajya Sabha genannt, besteht abweichend vom britischen Modell aus gewählten Vertretern der Bundesstaaten und der Unionsterritorien. In Indien findet das Common Law Anwendung. Die Schwäche in der indischen Westminster-Adaption besteht darin, dass das Westminster-System bestens ausgelegt ist für eine homogene Gesellschaft, aber durch seine Machtkonzentration in der Exekutive in tief gespaltenen Gesellschaften mit großen ethnischen, religiösen und kulturellen Differenzen wie in Indien die gesellschaftlichen Probleme eher noch verstärkt.[21]

Australien und Ozeanien

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Siehe auch

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Literatur

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  • Westminster Legacies. Democracy and Responsible Government in Asia and Pacific. University of New South Wales Press, Sydney 2005, ISBN 0-86840-848-4 (englisch).
    • R. A. W. Rhodes, Patrick Weller: Westminster Transplanted and Westminster Implanted: Exploring Political Change. In: Westminster Legacies. 2005, S. 1–12.
    • Haig Patapan, John Wanna: The Westminster Legacy: Conclusion. In: Westminster Legacies. 2005, S. 242–255.
  • Simon James: British Cabinet Government. 2. Auflage. Routledge, London 1999, ISBN 0-415-17977-7 (englisch).
  • R. K. Mosley: Westminster Workshop. A Student Guide to British Government. 5. Auflage. Pergamon Press, Oxford 1985, ISBN 0-08-031834-7 (englisch).
  • John P. Mackintosh: The Government and Politics of Britain. 4. Auflage. Hutchinson & Co, London 1977, ISBN 0-09-131341-4 (englisch).
  • Herman Finer: The Major Government of Modern Europe. 2. Auflage. Harper & Row Publishers, New York 1962, LCCN 60-014418, OCLC 313405752 (englisch).
  • Walter Bagehot: Die englische Verfassung. Hrsg.: Wilhelm Hennis, Hans Maier (= Politica. Band 33). Luchterhand, Neuwied 1971 (englisch: The English Constitution (2nd Edition) 1872. Übersetzt von Klaus Streifthau, Ersterscheinung der englischen Ausgabe im Jahr 1867).
  • Janine Hayward (Hrsg.): New Zealand Government and Politics. 6. Auflage. Oxford University Press, Melbourne 2015, ISBN 978-0-19-558525-4 (englisch).
  • Clements Juergenmeyer: India: A Westminster Model of Democracy? In: Ajay K. Mehra, Gert W. Kueck (Hrsg.): The Indian Parliament: A Comparative Perspective. Konrad-Adenauer-Stiftung, New Delhi 2003, ISBN 81-220-0654-X (englisch, crossasia-repository.ub.uni-heidelberg.de [abgerufen am 20. Januar 2021]).
  • Muiris MacCarthaigh: Accountability in Irish Parliamentary Politics. Institute of Public Administration, Dublin 2005, ISBN 1-904541-31-3 (englisch).
  • David Hamer: Can Responsible Government Survive In Australia? The Department of the Senate Parliament House, Canberra, Australia 2004, ISBN 0-642-71433-9 (englisch, aph.gov.au [PDF; 3,2 MB; abgerufen am 25. Dezember 2015]).
  • Jörg Neuheiser: Großbritannien und Irland. In: Handbuch der europäischen Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert. Institutionen und Rechtspraxis im gesellschaftlichen Wandel. Band 3: 1848–1870. Hrsg. von Werner Daum unter Mitwirkung von Peter Brandt, Martin Kirsch und Arthur Schlegelmilch. Bonn 2020, S. 171–212.

Weitergehende Literatur

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Einzelnachweise

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  1. Rhodes, Weller: Westminster Transplanted and Westminster Implanted: Exploring Political Change. In: Westminster Legacies. 2005, S. 2.
  2. Parliament Brief: What is Parliament? In: parliament.nz. New Zealand Parliament, 21. März 2014, abgerufen am 20. Januar 2021 (englisch).
  3. Patapan, Wanna: The Westminster Legacy: Conclusion. In: Westminster Legacies. 2005, S. 242 f.
  4. Westminster System. Australien Politics, abgerufen am 15. Juni 2015 (englisch).
  5. Patapan, Wanna: The Westminster Legacy: Conclusion. In: Westminster Legacies. 2005, S. 244.
  6. a b Richard Shaw: The Westminster Tradition. In: Janine Hayward (Hrsg.): New Zealand Government and Politics. 6. Auflage. Oxford University Press, Melbourne 2015, ISBN 978-0-19-558525-4, S. 358 (englisch).
  7. Mackintosh: The Government and Politics of Britain. 1977, S. 11.
  8. Mosley: Westminster Workshop. 1985, S. 3–5.
  9. How government works. Government UK, abgerufen am 15. Juni 2015 (englisch).
  10. David Hamer: Can Responsible Government Survive In Australia? 2004, Part 1 – The origins of responsible government, S. 3–20 (englisch, aph.gov.au [abgerufen am 25. Dezember 2015]).
  11. Bagehot: Die englische Verfassung (Übersetzung). 1971, S. 53, 55.
  12. Bagehot: Die englische Verfassung (Übersetzung). 1971, S. 55 f.
  13. Devolution of powers to Scotland, Wales and Northern Ireland. Government UK, abgerufen am 15. Juni 2015 (englisch).
  14. Herman Finer: The Major Government of Modern Europe. 2. Auflage. Harper & Row Publishers, New York 1962, LCCN 60-014418, OCLC 313405752, S. 66–67 (englisch).
  15. Mosley: Westminster Workshop. 1985, S. 12–13.
  16. Mosley: Westminster Workshop. 1985, S. 15.
  17. Seanad Éireann. House of the Oireachtas, abgerufen am 19. Juni 2015 (englisch).
  18. MacCarthaigh: Accountability in Irish Parliamentary Politics. 2005, S. 50.
  19. Robert W. Stern: India's Westminster System. In: Westminster Legacies. 2005, S. 152.
  20. Juergenmeyer: India: A Westminster Model of Democracy? In: The Indian Parliament: A Comparative Perspective. 2003, S. 42.
  21. Juergenmeyer: India: A Westminster Model of Democracy? In: The Indian Parliament: A Comparative Perspective. 2003, S. 43–44.
  22. John Wanna: New Zealand's Westminster Trajectory: Archetypal Transplant to Maverick Outlier. In: Westminster Legacies. 2005, S. 152.
  23. Neill Atkinson: 1.2 New Zealand Politics 1935 to 1984. In: New Zealand Government and Politics. 2015, S. 17.
  24. Kenneth Keith: On the Constitution of New Zealand: An Introduction to the Foundations of the Current Form of Government. In: dpmc.govt.nz. Cabinet Office, 20. November 2017, abgerufen am 20. Januar 2021 (englisch).