Die Wundbehandlung oder Wundversorgung ist die Beurteilung, Reinigung und Versorgung von Wunden. Die Wundbehandlung umfasst diverse Maßnahmen, wie die Wunddokumentation oder das Wunddébridement und beinhaltet zudem die Anwendung verschiedener Materialien wie Wundauflagen und Wundspüllösungen. Wundversorgung wird sowohl in ambulanten als auch in stationären Einrichtungen unter anderen von Gesundheits- und Krankenpflegern und Altenpflegern ausgeübt, die eine Fachweiterbildung als Wunddiagnostiker oder Wundtherapeuten abgeschlossen haben. Die Wundbehandlung zielt ab auf die Verhinderung einer Wundinfektion und die rasche komplikationslose funktionserhaltende Regeneration des zerstörten Gewebes unter Wahrung der Lebensqualität des Patienten.

Moderne Wundauflagen

Geschichte der Wundversorgung

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Aus der Antike sind Darstellungen von Wundverbänden überliefert, die zum Teil einen Detailgrad aufweisen, der nahelegt, dass die Wundversorgung als professionelle Aufgabe verstanden wurde, nicht als spontane Maßnahme. So ist auf der Schale des Sosias, die zur Antikensammlung Berlin gehört, eine entsprechende Szene aus dem Trojanischen Krieg dargestellt: Achilleus versorgt seinen Freund Patroklos, der offensichtlich eine Pfeilwunde im Oberarm hat, mit einem komplexen mehrlagigen Verband.[1]

Erste schriftliche Erkenntnisse zur systematischen Behandlung von Wunden sind ebenfalls aus der Antike überliefert. Der Arzt Hippokrates, der um 400 v. Chr. auf der Ägäisinsel Kos praktizierte, beschrieb die Wundversorgung unter den Gesichtspunkten der damals verbreiteten Vier-Elemente-Lehre, die er auf die Vorgänge im menschlichen Körper anwandte. Demnach sei eine feuchte Wunde mit einem krankhaften Zustand verbunden, während eine trockene Wunde auf eine fortschreitende Heilung hindeute.[2] Arbeiten und Ansichten des Hippokrates sind uns in erster Linie durch Erwähnungen in den Werken späterer Schriftsteller überliefert, unter denen sich mit Soranos von Ephesos und Galenos selbst zwei bedeutende griechische Mediziner befanden, die beide im zweiten Jahrhundert in Rom praktizierten. Von beiden sind Bescheibungen zahlreicher Wundverbände überliefert – Soranos listet 60 auf und Galen, der hauptberuflich Gladiatoren versorgte, kam sogar auf 108.[1] Galen stützte sich im Wesentlichen auf die Vier-Säfte-Lehre, also die medizinische Umsetzung der Grundgedanken der Vier-Elemente-Lehre. Neben seiner Tätigkeit als Gladiatorenarzt in Rom und Pergamon, sowie als Leibarzt Mark Aurels, verfasste Galen zahlreiche Texte, die unter anderen als lateinische Übersetzungen arabischer Schriften überliefert wurden. Im Jahr 1525 veröffentlichte der Verleger Aldo Manuzio die erste Gesamtausgabe von Galens Arbeiten in griechischer Sprache in Venedig. Diese sogenannte „Aldina“ wurde Grundlage der lateinischen Übersetzung „Juntina“, die im Jahr 1541 ebenfalls in Venedig erschien.[3]

Rückgriff auf antike Prinzipien

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Der französische Wundarzt Ambroise Paré, der spätere Direktor des Hôtel-Dieu Krankenhauses in Paris, schloss sich in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts den Truppen des französischen Königs Franz I an. Als Feldscher sammelte Paré in Norditalien Erfahrungen mit der Versorgung von Schussverletzungen. Der zu dieser Zeit üblichen Methode des Ausbrennens solcher Wunden mit siedendem Öl setzte Paré eine eigene Methode entgegen, die von den antiken römischen Heilkundigen inspiriert war: er trug ein Gemisch aus Eigelb, Rosenöl und Terpentin auf, womit er bedeutend bessere Ergebnisse erzielte. Später beschrieb Ambroise Paré seine Erfahrungen und erkenntnisse in dem Lehrbuch La méthode de traicter les playes faictes par hacquebutes et aultres bastons à feu et de celles qui sont faictes par flèches, dardz et semblables, aussy des combustions spécialement faictes par la pouldre à canon, das 1545 in Paris erschien und sich rasch zum Standardwerk entwickelte.[4] Bis weit in das 18. Jahrhundert hinein war die Profession des Wundarztes von den deutlich höher angesehenen akademisch ausgebildeten Medizinern getrennt. Dies änderte sich in Frankreich 1731 und in Deutschland 1795 mit der Gründung der Militärmedizinischen Akademie im Königreich Preußen. Entsprechend erweiterten die Erfahrungen der Feldchirurgie das Verständnis von der Versorgung komplexer Wunden.[5]

Entdeckung von Asepsis und Antiseptik

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Für einen komplizierten Wundverband sprach sich der sächsische Mediziner Karl August Weinhold bei der Versorgung von chronischen Beinwunden aus. Er beschrieb im Jahr 1810 mit seinem „Circulair-Pflaster“ einen Klebeverband, der durch eine Kombination von Kompressionstherapie und Exsudatmanagement die Abheilung eines chronischen Ulcus cruris befördern sollte.[2] Aufbauend auf den Entdeckungen Louis Pasteurs entwickelte der schottische Chirurg Joseph Lister in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts neue Prinzipien zur Erstellung von Wundverbänden, indem er Karbolsäure zur Bekämpfung von Keimen bei der Desinfektion von Wunden und Behandlungsräumen nutzte. Durch sein Engagement hielten das Prinzip der aseptischen Vorgehensweise und die Antiseptik Einzug in die Wundversorgung. Auch das Verständnis davon, was ein Wundverband leisten soll, änderte sich. Diente der Verband bisher lediglich als Schutz vor weiteren Verletzungen oder als Träger eines Therapeutikums, sowie zum Aufnehmen des Wundexsudats, gewann er nun zunehmend an Bedeutung bei der Verhinderung des Eindringens von Keimen und somit in der Vorbeugung von Wundinfekten.[1] Erstmals wandte Lister einen solchen desinfektierenden Verband am Schienbein eines Jungen im Jahr 1865 an.[6] Seine Ergebnisse, die er 1867 im medizinischen Fachjournal The Lancet veröffentlichte, wurden von der Fachöffentlichkeit größtenteils ablehnend aufgenommen.[7] Lister entwickelte eine achtlagige Bandagierungstechnik zur Wundversorgung, die als „Listerscher Verband“ bekannt wurde, zudem ist die Listerschere zur Entfernung von Verbänden nach ihm benannt.

Von trockener zu feuchter Wundversorgung

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Wundwatte von Hartmann

Ein weiterer entscheidender Schritt in der Entwicklung der Materialien zur Wundversorgung, der auf Joseph Listers Erkenntnissen aufbaute, war die Einführung von entsprechend behandelter Baumwolle als Verbandmittel durch eine Idee des deutschen Chirurgen Viktor von Bruns.[8] Durch ein spezielles Verfahren gelang es ihm, Baumwolle zu bleichen und zu entfetten, dadurch wurde das Material einerseits keimarm, andererseits besonders saugfähig, und konnte als Wundwatte verwendet werden.[9] Auf Basis von Viktor von Bruns Idee begann der Schweizer Unternehmer Heinrich Baeschlin 1871 die industrielle Fertigung von Wundwatte.[10] In Deutschland wurde das Konzept vom schwäbischen Unternehmer Paul Hartmann aufgegriffen, der in Heidenheim eine traditionsreiche Spinnerei betrieb.[9] Im Jahr 1979 gelang dem walisischen Pharmazeuten Terence Dudley Turner der Nachweis, dass ein feuchtwarmes Wundmilieu der Abheilung förderlicher ist, als trockene Umgebungsbedingungen. Auf Basis seiner Erkenntnisse formulierte Turner die Kriterien für einen idealen Wundverband. Hierzu gehört die thermische Isolierung der Wunde unter Gewährleistung eines ausreichend feuchten Wundbereichs bei gleichzeitiger Beseitigung überschüssigen Exsudats.[11] Auf Basis von Terence Turners Erkenntnissen wurde das Prinzip der trockenen Wundversorgung, das noch auf den Maßgaben von Hippokrates fußte, von der modernen feuchten Wundversorgung abgelöst.

Bedeutung der Wundbehandlung

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Die Wundbehandlung zielt ab auf die Verhinderung einer Wundinfektion und eine rasche funktionsgerechte Regeneration des zerstörten Gewebes.[12] Man unterscheidet zwischen trockener und feuchter Wundbehandlung. Letztere kommt beispielsweise bei der Dauerversorgung chronischer Wunden zum Einsatz, insbesondere bei der sekundären Wundheilung. Von diesen sind Dekubitalgeschwüre, diabetisches Fußsyndrom und das gefäßbedingte Ulcus cruris am häufigsten. Die trockene Wundbehandlung wird beispielsweise an chirurgisch verschlossenen Wunden angewandt (Nähte, Klammern – Ziel: Heilung per primam) oder bei endständigen Nekrosen (z. B. bei nekrotischen Zehen) bis zur chirurgischen Sanierung oder bei Sterbenden, um zu lindern und den Patienten nicht unnötig mit überbordenden Maßnahmen zu belasten. In Deutschland betrifft dies ca. drei bis vier Millionen Menschen (ca. 300.000–400.000 in Österreich bzw. der Schweiz). Die jährlichen Kosten für die Behandlung chronischer Wunden wurden 1997 auf 2,15 bis 3,25 Milliarden, 2008 auf rund fünf Milliarden Euro geschätzt.[13] Durch die fortschreitende Überalterung der Bevölkerung und die gleichzeitige Zunahme von Übergewicht und Diabetes mellitus ist mit weiteren Belastungen in den kommenden Jahren zu rechnen.

Wundreinigung

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Die Reinigung der Wunde dient der Säuberung von Fremdkörpern, Gewebetrümmern, Belägen und Resten von Verbandmitteln, sowie der Verringerung der Keimlast.[14] Die Wundreinigung ist einerseits die Voraussetzung für eine zutreffende Beurteilung des Wundzustands, andererseits die wesentliche Grundlage des störungsfreien und erfolgreichen Heilungsverlaufs.[15] Sie ist somit notwendiger Bestandteil einer jeden Wundversorgung. Wunden sind niemals steril und auch sauber erscheinende, frische Wunden sind stets von Keimen besiedelt, die aus der unmittelbaren Umgebung auf den Wundgrund gelangen. Hierbei handelt es sich meist zunächst um Vertreter der Hautflora. Hinzu kommen Wasserkeime, Darmbakterien und auch Sporenbildner. Bei unsauberen und chronischen Wunden findet sich nicht nur eine größere Anzahl, sondern auch eine erheblich höhere Bandbreite an Keimen. Neben Keimen können auch Fremdkörper wie Verbandreste vom Rand in die Wunde gelangen. Beides kann das fragile Gleichgewicht auf dem Wundgrund beeinflussen und die Abheilung stören. Daher ist eine Wunde immer von innen nach außen zu reinigen.[16]

Geeignet zum Einsatz bei der Wundreinigung sind zum Beispiel Ringerlösung und spezielle Wundspüllösungen, die Hypochlorige Säure, Natriumhypochlorit, Octenidin oder Polihexanid enthalten. Bei Wunden, die Anzeichen einer Infektion zeigen, oder infektgefährdet sind, kommen für einen begrenzten Zeitraum von maximal etwa zwei Wochen Wundantiseptika wie seit der Zeit des Hippokrates von Kos (in Form von Wein) eingesetzte[17] Alkohole zum Einsatz.[15] Unfiltriertes Leitungswasser gilt als ungeeignet für die Wundreinigung.[18]

Interdisziplinäres und interprofessionelles Vorgehen

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Um eine Heilung beziehungsweise bestmögliche Resultate zu erreichen und die Belastung für Patienten, Helfer, Angehörige und das Gesundheitssystem zu begrenzen, ist eine Zusammenarbeit aller dabei beteiligten Personen und Institutionen erforderlich (Interdisziplinär – Transsektoral – Intradisziplinär). Um nicht nur die Wunde, sondern auch die individuellen Bedürfnisse des Patienten, seine Lebensgewohnheiten und Vor- und Begleiterkrankungen zu berücksichtigen, stimmen sich Patient, Angehörige, Ärzte und Pflegende gemeinsam ab, um ein individuelles Therapiekonzept zu erarbeiten. Durch regelmäßige Kontrollen (auch Hausbesuche) mit ausführlicher Wunddokumentation lassen sich Erfolge, aber auch Therapiefehler schneller erkennen.

Experimentelle Ansätze

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Es gibt experimentelle Therapien und eine Vielzahl spezieller apparativer Verfahren, welche zur Wundbehandlung zur Verfügung stehen.

Beispiele sind:

Siehe auch

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Literatur

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  • Anette Vasel-Biergans, Wiltrud Probst: Wundversorgung für die Pflege. Ein Praxisbuch. 2. Auflage. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2011, ISBN 978-3-8047-2798-4.
  • Conrad Brunner: Geschichte der Wundbehandlung. In: Neue deutsche Chirurgie. 2. Auflage. 1926.
  • Kerstin Protz: Moderne Wundversorgung. Praxiswissen, Standards und Dokumentation. 6. Auflage. Urban & Fischer, München 2011, ISBN 978-3-437-27883-9.
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Wiktionary: Wundbehandlung – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

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  1. a b c Hans Schadewaldt: "Zur Geschichte des Wundverbandes" in Langenbeck’s Archives of Surgery 339, 573–585 (1975)
  2. a b Joachim Dissemond, Knut Kröger (Hrsg.): Chronische Wunden. Diagnostik, Therapie, Versorgung, 2. Auflage, Urban & Fischer Verlag, München 2024, ISBN 978 3 437 25642 4, Seite 4–15
  3. Kurt Pollak: Wissen und Weisheit der Alten Ärzte. Die Heilkunde der Antike, Bechtermünz, Eltville am Rhein 1993, ISBN 3 86047 061 2, Seite 198–200
  4. Stefanos Asimopoulos, Panagiotis Asimopoulos: "Ambroise Paré: The father of modern surgery" in Medical Joirnal (2016) Vol. 22, No 2, 96–98
  5. Hans Lippert: Wundatlas. Kompendium der komplexen Wundbehandlung, 2. Auflage, Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2006, ISBN 978-3-13-140832-7, Seite 5
  6. M. di Bella: "Fünf Fakten zu Joseph Lister", Artikel vom 3. September 2024 in der Rechtsdepesche, aufgerufen am 21. November 2024
  7. Sabine Schuchart: "Berühmte Entdecker von Krankheiten. Joseph Baron Lister, der Herr der Keime", Artikel im Deutschen Ärzteblatt (online), aufgerufen am 21. November 2024
  8. Eberhard Stübler: Bruns, Viktor. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 2, Duncker & Humblot, Berlin 1955, ISBN 3-428-00183-4, S. 687 (Digitalisat).
  9. a b Hans Irion (Hrsg.): Drogisten-Lexikon. Band Eins. Die wissenschaftlichen Grundlagen der Drogistenpraxis, Springer, Berlin Heidelberg 1955, ISBN 978-3-642-92638-9, Seite 1039–1042
  10. Bundesverband Medizintechnologie: Geschichte und Trends der MedizintechnologieSeite, Berlin 2004 4–5
  11. Kerstin Protz: Moderne Wundversorgung Praxiswissen, Standards und Dokumentation, 10. Auflage Elsevier Verlag München 2022, ISBN 978-3-437-27887-7, Seite 25
  12. Klaus-Jürgen Bauknecht, Joachim Boese-Landgraf: Wunde, Wundheilung, Wundheilungsstörung, Wundbehandlung, Tetanusprophylaxe. In: Rudolf Häring, Hans Zilch (Hrsg.): Lehrbuch Chirurgie mit Repetitorium. (Berlin 1986) 2., durchgesehene Auflage. Walter de Gruyter, Berlin/New York 1988, ISBN 3-11-011280-9, S. 7–17, hier: S. 14–16.
  13. R.E. Horch, D. Nord et al.: Ökonomische Aspekte in der chirurgischen Wundbehandlung. In: Der Chirurg. Band 79, Nr. 6, 2008, S. 518–525, doi:10.1007/s00104-008-1500-3.
  14. I care Pflege, 1. Auflage, Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2020, ISBN 978-3-13-241828-8, Seite 672
  15. a b Kerstin Protz: Moderne Wundversorgung. Praxiswissen, Standards und Dokumentation, 9. Auflage, Elsevier Verlag, München 2019, ISBN 978-3-437-27886-0, Seite 23–28
  16. Andreas Schwarzkopf: Wunde auswischen – aber wie? Stellungnahme aus der Sicht eines medizinischen Mikrobiologen. In: Wundmanagement. Jahrgang 11, 2017, Ausgabe 6, S. 204–305.
  17. Nicolai Guleke: Kriegschirurgie und Kriegschirurgen im Wandel der Zeiten. Vortrag gehalten am 19. Juni 1944 vor den Studierenden der Medizin an der Universität Jena. Gustav Fischer, Jena 1945, S. 14.
  18. Wundreinigung mit Trinkwasser. Können Wunden mittels Trinkwasser gereinigt werden? Glossar zur Infektions- und Krankenhaushygiene auf der Website des Robert Koch-Instituts, Stand 2012. Abgerufen am 17. Januar 2022.
  19. Desinfizieren und Heilen mit kaltem Plasma (Memento vom 8. Oktober 2017 im Internet Archive) Artikel auf www.weltderphysik.de vom 3. Dezember 2009