Überwachungsgesamtrechnung

Konzept zur Erfassung der Gesamtheit aller staatlichen Überwachungsmaßnahmen

Die Überwachungsgesamtrechnung ist ein Konzept zur Erfassung der Gesamtheit aller staatlichen Überwachungsmaßnahmen.

Beschreibung des Konzepts

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Die Überwachungsgesamtrechnung ist ein im Jahr 2010 vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) angeregtes Konzept, dessen Ziel es ist, die Gesamtheit der staatlichen Überwachungsmaßnahmen einer Gesellschaft zu erfassen, zu bewerten und auf ihre Verhältnismäßigkeit zu prüfen. Der Begriff wurde von Alexander Roßnagel, Rechtswissenschaftler und Universitätsprofessor für öffentliches Recht geprägt:

„Die moderne Informations­technik gäbe es her, alle Aktivitäten aller Bürger umfassend und voll­ständig zu über­wachen. Die verfassungs­rechtlich geforderte zivilisatorische Leistung ist es, im Interesse der Freiheit darauf zu verzichten.“

Alexander Roßnagel: Die „Überwachungs-Gesamt­rechnung“ – Das BVerfG und die Vorrats­daten­speicherung, Neue Juristische Wochen­schrift 2010, 1238

Ziel der Überwachungsgesamtrechnung ist es, als Grundlage für die Evaluation bestehender Sicherheitsgesetze zu dienen, bevor neue Gesetze eingeführt werden und damit die Debatte über die Sicherheitsgesetzgebung in Deutschland zu versachlichen, sowie die Rechtfertigungslast für die Einführung neuer Überwachungsgesetze zu erhöhen.[1] Das Bundesministerium des Innern und für Heimat erteile dazu am 10. Januar 2024 den Auftrag ans Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht.[2]

Überwachungsbarometer

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Das Max-Planck-Institut hatte bereits 2022 vorrangig ein Instrument, das sogenannte „Überwachungsbarometer“ zur Messung der reellen Überwachungslast in einer Gesellschaft entwickelt, welches aus sechs zentralen Punkten besteht:[3][4]

1. Erfassung der Überwachungsmaßnahmen: Quantitative Erfassung der verschiedenen Überwachungsmaßnahmen, die von staatlichen Behörden durchgeführt werden.

2. Spezifizierung der Überwachungsmaßnahmen: Detaillierte Spezifizierung der Maßnahmen hinsichtlich ihrer Zielsetzung und Eingriffswirkung.

3. Gewichtung der Eingriffswirkung: Bewertung der Eingriffswirkung der Überwachungsmaßnahmen, um ihre Intensität und Auswirkungen auf die Grundrechte zu bestimmen.

4. Aggregierte statistische Daten: Nutzung aggregierter statistischer Daten, um ein realistisches Abbild der Überwachungssituation zu erstellen.

5. Verfassungsrechtliche Einordnung: Verfassungsrechtliche Bewertung der Überwachungsmaßnahmen, um ihre rechtliche Zulässigkeit und Grenzen zu bestimmen.

6. Transparenz und öffentliche Diskussion: Förderung der Transparenz und der öffentlichen Diskussion über die Überwachungsaktivitäten durch Bereitstellung der erhobenen Daten und Analysen

Überraschend haben sich die Innenminister und -Senatoren im Juni 2024 auf dem halbjährlichen Treffen gegen das Konzept gewendet und statt der Überwachungsgesamtrechnung eine Sicherheitsgesamtrechnung gefordert, welche vorrangig Schutzlücken analysiert und die Praxistauglichkeit von Ermittlungsbefugnissen prüft.[5] Bundesinnenministerin Nancy Faeser hatte bereits im Zusammenhang mit Disziplinarverfahren gegen Staatsbedienstete im August 2023 vorgeschlagen, in bestimmten Fällen eine Beweislastumkehr einzuführen.[6] Eine fortschreitende Politik solcher Generalverdächtigungen ohne Gegenstimmen würde die Bürger und Bürgerinnen eines Staates womöglich per Gesetz kriminalisieren und den Staat in das falsche Licht eines „Bürger-Gefängnisses“ stellen.

Siehe auch

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Einzelnachweise

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  1. Annett Witte: „Überwachungsgesamtrechnung“ – Wie der Staat Bürger überwacht. In: Friedrich Naumann Stiftung. Abgerufen am 4. Juli 2024.
  2. Startschuss für die unabhängige wissenschaftliche Untersuchung der Sicherheitsgesetze. In: Pressemitteilung. Bundesministerium des Innern und für Heimat, 10. Januar 2024, abgerufen am 4. Juli 2024.
  3. Ralf Poscher, Michael Kilchling, Lukas Martin Landerer: Überwachungsbarometer für Deutschland – Ein Modellkonzept. In: Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht. 10. Januar 2024, abgerufen am 4. Juli 2024.
  4. Ralf Poscher: How Can We Effectively Assess the Level of Surveillance in a Society? In: Youtube. Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht, 2022, abgerufen am 4. Juli 2024 (englisch).
  5. Anna Biselli: Innenministerkonferenz attackiert Überwachungsgesamtrechnung. In: netzpolitik.org. 2. Juli 2024, abgerufen am 4. Juli 2024.
  6. Nancy Faeser will Vorschlag zur Beweislastumkehr prüfen. In: Zeit online. 13. August 2023, abgerufen am 4. Juli 2024.