2-Carboxybenzaldehyd

chemische Verbindung

2-Carboxybenzaldehyd ist zugleich ein aromatischer Aldehyd (Benzaldehyd) und eine aromatische Carbonsäure (Benzoesäure) mit orthoständiger Anordnung der Substituenten. Die 2-Formylbenzoesäure steht im Gleichgewicht (Ring-Ketten-Tautomerie) mit dem cyclischen Lactol 3-Hydroxyphthalid, das mit Alkyl- und Aryl-Grignard-Verbindungen substituierte Phthalide bildet.[6] Neben Phthalid-Derivaten leiten sich aus 2-Carboxybenzaldehyd auch andere benzoanellierte Heterocyclen, wie z. B. Isoindolinone oder Phthalazinone[7] mit unterschiedlichen pharmakologischen Eigenschaften ab, darunter u. a. das Antihistaminikum Azelastin.

Strukturformel
Strukturformel von 2-Carboxybenzaldehyd
Allgemeines
Name 2-Carboxybenzaldehyd
Andere Namen
  • 2-Formylbenzoesäure
  • Phthalaldehydsäure
  • Benzaldehyd-2-carbonsäure
  • 3-Hydroxyphthalid
Summenformel C8H6O3
Kurzbeschreibung

weißes bis blassrotes Kristallpulver[1]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 119-67-5
EG-Nummer 204-342-3
ECHA-InfoCard 100.003.948
PubChem 8406
ChemSpider 8099
Wikidata Q27102472
Eigenschaften
Molare Masse 150,13 g·mol−1
Aggregatzustand

fest

Dichte

1,404 g·cm−3 (20 °C)[2]

Schmelzpunkt
  • 94–96 °C[3]
  • 97–101 °C[2]
Löslichkeit

löslich in Wasser, Diethylether, Ethanol[4], in Methanol[1] und Dimethylsulfoxid

Brechungsindex

1,4500 (25 °C, 589 nm)[5]

Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung[2]
Gefahrensymbol

Achtung

H- und P-Sätze H: 315​‐​319​‐​335
P: 261​‐​280​‐​305+351+338​‐​304+340​‐​405​‐​501[2]
Toxikologische Daten
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet.
Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen (0 °C, 1000 hPa). Brechungsindex: Na-D-Linie, 20 °C

Vorkommen und Darstellung

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2-Carboxybenzaldehyd wurde erstmals 1887 als Phthalaldehydsäure aus Phthalid dargestellt und beschrieben.[8] Durch Einwirkung von Brom auf Phthalid entsteht 2-Bromphthalid, das durch Erhitzen mit Wasser in einer Gesamtausbeute von 78 bis 83 % in 2-Formylbenzoesäure überführt wird.[9]

 
Synthese von 2-Carboxybenzaldehyd aus Phthalid

Die Synthese von 1-Dichlormethyl-2-(trichlormethyl)benzol durch Photochlorierung von o-Xylol wurde ebenfalls 1887 berichtet.[10]

 
Synthese von 2-Carboxybenzaldehyd aus o-Xylol

Die Hydrolyse des Pentachlorxylols zum 2-Carboxybenzaldehyd erfolgt durch Kochen mit FeCl3-haltiger Salzsäure.[11]

Bei der Umsetzung von Phthalsäureanhydrid mit Natriumtetracarbonylferrat wird nur eine der Carboxygruppen zum Aldehyd reduziert, die zweite bleibt unverändert.[12]

 
Synthese von 2-Carboxybenzaldehyd aus Phthalsäureanhydrid

Dabei wird 2-Carboxybenzaldehyd in einer Ausbeute von 61 % erhalten.

In einer Laborvorschrift ist die Oxidation von Naphthalin mit alkalischem Kaliumpermanganat angegeben, die allerdings nur eine Reinausbeute an 2-Carboxybenzaldehyd von 39 % liefert.[13] Auch die Oxidation von Naphthalin mit Ozon zu 2-Formylbenzoesäure[14] bietet keine wesentlichen Vorteile.

 
Synthese von 2-Carboxybenzaldehyd aus Naphthalin

Eigenschaften

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Reiner 2-Carboxybenzaldehyd ist ein weißes Kristallpulver, das sich in Wasser und in kurzkettigen Alkoholen löst. In fester Form und in den meisten Lösungsmitteln liegt die Substanz in Folge von Ring-Ketten-Tautomerie als (racemisches) 3-Hydroxyphthalid (Lactol) vor.[11]

 
Gleichgewicht 2-Carboxybenzaldehyd-3-Hydroxyphthalid

Anwendungen

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In der Lactol-Form als 3-Hydroxyphthalid [3-Hydroxy-1(3H)-isobenzofuranon] verhält sich 2-Carboxybenzaldehyd wie ein Carbonsäureanhydrid und reagiert mit Alkoholen glatt zu 3-Alkoxyphthaliden.[11]

 
Reaktion von 3-Hydroxyphthalid mit Nukleophilen

Auch mit anderen nucleophilen Verbindungen, wie z. B. Thiolen, Aminen, Amiden usw., reagiert 3-Hydroxyphthalid ohne Katalysatorzusatz zu den entsprechenden Derivaten.[11] So liefert die Umsetzung mit z. B. Morpholin in 91%iger Ausbeute 3-Morpholinylphthalid.[15]

3-Hydroxyphthalid reagiert mit Thionylchlorid glatt unter Austausch der Hydroxygruppe (80–90 % Ausbeute) zum 3-Chlorphthalid.[15]

Mit Grignard-Verbindungen lässt sich die Hydroxygruppe gegen den entsprechenden Alkyl- bzw. Aryl-Rest austauschen.[6]

 
Reaktion von 3-Hydroxyphthalid mit Grignard-Verbindungen

In Gegenwart von (+)-Cinchonin können bei der Umsetzung von (racemischem) 3-Hydroxyphthalid mit Carbonsäureanhydriden zu den entsprechenden chiralen 3-substituierten Phthaliden bei hohen Produktausbeuten Enantiomerenüberschüsse bis zu 90 % ee erzielt werden.[16]

Einen alternativen Zugang zu (racemischen) 3-substituierten Phthaliden mit hohen Ausbeuten eröffnet die Reaktion von 2-Carboxybenzaldehyd und β-Ketosäuren in Gegenwart der Base 4-Anisidin und in Glycerin als Lösungsmittel.[17]

 
Reaktion von 3-Hydroxyphthalid mit β-Ketosäuren

Mit Hydrazin bzw. Alkylhydrazinen entstehen unter Säurekatalyse mit K10-Montmorillonit und Mikrowellenbestrahlung in quantitativer Ausbeute 1-(2H)-Phthalazinone in praktisch quantitativer Ausbeute.[18]

 
Reaktion von 2-Carboxybenzaldehyd mit Alkylhydrazinen

Phthalazinone [1(2H)-Phthalazinone] sind wichtige Bausteine für Naturstoffe, Feinchemikalien und pharmazeutische Wirkstoffe.[19]

Das als Vasodilatator wirksame Antihypertensivum Hydralazin ist aus 1(2H)-Phthalazinon nach Chlorierung zum 1-Chlorphthalazin und Reaktion mit Hydrazin zugänglich.[20]

 
Synthese des Vasodilatators Hydralazine

2-Carboxybenzaldehyd eignet sich auch zur Darstellung von N-substituierten Isoindolinonen (1-Isoindolinonen, 2,3-Dihydroindol-1-onen), die bei der Reaktion mit primären Aminen in Gegenwart von Platin-Nanodrähten und geringem Wasserstoffdruck in 1,4-Dioxan in sehr hohen Ausbeuten entstehen.[19]

 
Synthese von Isoindolinonen durch 3-Komponentenreaktion

Führt man die Reaktion von 2-Carboxybenzaldehyd mit primären Aminen in Gegenwart von Dimethylphosphit durch, erhält man zunächst die entsprechenden Isoindolin-1-on-3-phosphonate, die nach Aktivierung mit Butyllithium mit aromatischen Aldehyden, wie z. B. Benzaldehyd in einer Horner-Wadsworth-Emmons-Reaktion in sehr hohen Ausbeuten in 3-(Arylmethylen)isoindolin-1-one überführt werden können.[21]

 
Synthese von Arylmethylenisoindolinonen

In jüngerer Zeit hat 2-Formylbenzoesäure wegen seiner Reaktivität größeres Interesse als vielseitig verwendbarer Molekülbaustein in Multikomponentenreaktionen, z. B. der Ugi-Reaktion, zum Aufbau heterocyclischer annellierter Aromaten gefunden.

Funktionalisierte Isoindolinone sind in einer Dreikomponenten-Reaktion auch mit 2-Formylbenzoesäure und 2-Bromanilinen durch Palladium-katalysierte Carbonylierung in hohen Ausbeuten zugänglich.[22]

 
Synthese von funktionalisierten Isoindolinonen

Eine weitere Dreikomponenten-Reaktion – hier als Strecker-Synthese ausgeführt – mit 2-Carboxybenzaldehyd, primären Aminen und Kaliumcyanid in Methanol liefert im sauren Medium ein N-substituiertes Isoindolinon-1-carbonitril, formal mit zwei Mol HCN ein Aminoacetonitril-Derivat des Isoindolinons.[23]

 
Synthese von Isoindolinonen aus 2-Carboxybenzaldehyd via Strecker-Synthese

Beim Einsatz von 2-Formylbenzoesäure, Kaliumcyanid und äquimolarer Mengen primärer aromatischer Amine und Essigsäure werden substituierte Isochromen-1-one (Isocumarine, 1H-2-Benzopyran-1-one) in guten Ausbeuten erhalten.[24]

 
Synthese von Isochromenonen durch 3-Komponentenreaktion mit Kaliumcyanid

Die erhaltenen Isochromenone lagern sich beim Erhitzen in DMSO unter Ringverengung in substituierte Isobenzofurane bzw. mit katalytischen Mengen Iod in Triethylamin quantitativ in Isoindolinone um.[25]

Mit Isonitrilen statt Kaliumcyanid reagieren 2-Carboxybenzaldehyd und primäre aromatische Amine in Methanol zu substituierten Isochromen-1-onen, die mit Säurespuren zu Isoindolinonen umlagern.[26]

 
Synthese von Isochromenonen durch 3-Komponentenreaktion mit Isocyaniden

Synthesevarianten für das als Lokalanästhetikum wirksame Isochinolin-Derivat[27] Quinisocain[28] und das Antihistaminikum Azelastin[29] basieren ebenfalls auf 2-Carboxybenzaldehyd als Ausgangsstoff.

Einzelnachweise

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  1. a b c d Eintrag zu 2-Carboxybenzaldehyd bei TCI Europe, abgerufen am 30. Juli 2017.
  2. a b c d Datenblatt 2-Carboxybenzaldehyde bei Alfa Aesar, abgerufen am 30. Juli 2017 (Seite nicht mehr abrufbar).
  3. Datenblatt 2-Carboxybenzaldehyde bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 30. Juli 2017 (PDF).
  4. William M. Haynes: CRC Handbook of Chemistry and Physics, 97th Edition. CRC Press, Boca Raton, FL, U.S.A. 2016, ISBN 978-1-4987-5429-3, S. 3–278.
  5. Carl L. Yaws: Thermophysical Properties of Chemicals and Hydrocarbons, 2nd Edition. Elsevier Inc., Oxford, UK 2015, ISBN 978-0-323-28659-6, S. 183.
  6. a b P. Cannone, J. Plamondon, M. Akssira: Reactions selectives de organomagnesiens avec les lactols et les lactones. Synthese des diols primaires-secondaires. In: Tetrahedron. Band 44, Nr. 10, 1988, S. 2903–2912, doi:10.1016/S0040-4020(88)90027-0.
  7. V. Lad, J.G. Mulla, B.R. Agarwal, M. Farooqui: Nano TiO2: A recyclable catalyst for one pot synthesis of 2-(substituted phenyl)phthalazin-1(2H)-one. In: J. Chem. Pharm. Res. Band 7, Nr. 4, 2015, S. 257–261 (jocpr.com [PDF]).
  8. S. Racine: VIII. Ueber Phthalaldehydsäure. In: Justus Liebigs Ann. Chem. Band 239, Nr. 1, 1887, S. 78–91, doi:10.1002/jlac.18872390106.
  9. R.L. Shriner, F.J. Wolf: Phthalaldehydic acid In: Organic Syntheses. 23, 1943, S. 74, doi:10.15227/orgsyn.023.0074; Coll. Vol. 3, 1955, S. 737 (PDF).
  10. A. Colson, H. Gautier: Nouveau mode de chloruration des carbures. In: Ann. Chim. Phys. Band 6, Nr. 11, 1887, S. 19–32.
  11. a b c d D.D. Wheeler, D.C. Young, D.S. Erley: Reactions of phthalaldehydic acid. In: J. Org. Chem. Band 22, Nr. 5, 1957, S. 547–556, doi:10.1021/jo01356a022.
  12. Y. Watanabe, M. Yamashita, T-a. Mitsudo, M. Tanaka, Y. Takegami: The facile synthesis of aldehydes and aldehydic acids from carboxylic acid anhydrides using sodium tetracarbonylferrate. In: Tetrahedron Lett. Band 14, Nr. 37, 1973, S. 3535–3536, doi:10.1016/S0040-4039(01)86963-X.
  13. J.H. Gardner, C.A. Naylor, Jr.: Phthalaldehydic acid In: Organic Syntheses. 16, 1936, S. 68, doi:10.15227/orgsyn.016.0068; Coll. Vol. 2, 1943, S. 523 (PDF).
  14. L. Seekles: Ortho phthalaldehydic acid. In: Rec. Trav. Chim. Band 43, Nr. 5, 1924, S. 329–340, doi:10.1002/recl.19240430506.
  15. a b K.B. Sloan, S.A.M. Koch: Effect of Nucleophilicity and Leaving Group Ability on the SN2 Reactions of Amines with (Acyloxy)alkyl a-Halides: A Product Distribution Study. In: J. Org. Chem. Band 48, Nr. 5, 1983, S. 635–640, doi:10.1021/jo00153a002.
  16. D. Niedek, S.M.M. Schuler, C. Eschmann, R.C. Wende, A. Seitz, F. Keul, P.R. Schreiner: Synthesis of enantioenriched phthalides and isoindolinone derivatives from 2-formylbenzoic acid. In: Synthesis. Band 49, Nr. 02, 2017, S. 371–382, doi:10.1055/s0036-1589404.
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  18. V.M. Outerbridge, S.M. Landge, H. Tamaki, B. Török: Microwave-promoted solid-acid-catalyzed one-pot synthesis of phthalazinones. In: Synthesis. Band 11, 2009, S. 1801–1806, doi:10.1055/s-0028-1088074.
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  20. J. Druey, B.H. Ringier: 21. Hydrazinderivate der Phthalazin- und Pyridazinreihe. In: Helv. Chim. Acta. Band 34, Nr. 1, 1951, S. 195–210, doi:10.1002/hlca.19510340122.
  21. M.A. Reyes-Gonzàlez, A. Zamundio-Medina, M. Ordónez: Practical and highly selective synthesis of 3-(arylmethylene)isoindolin-1-ones from 2-formylbenzoic acid. In: Tetrahedron Lett. Band 53, Nr. 43, 2012, S. 5756–5758, doi:10.1016/j.tetlet.2012.08.040.
  22. K. Natte, J. Chen, H. Li, H. Neumann, M. Beller, X.F. Wu: Palladium-catalyzed carbonylation of 2-bromoanilines with 2-formylbenzoic acid and 2-halobenzaldehydes: Efficient synthesis of functionalized isoindolinones. In: Chemistry. Band 20, Nr. 44, 2014, S. 14184–14188, doi:10.1002/chem.201404446.
  23. T. Opatz, D. Ferenc: An unexpected three-component condensation leading to amino-(3-oxo-2,3-dihydro-1H-isoindol-1-ylidene)-acetonitriles. In: J. Org. Chem. Band 69, Nr. 24, 2004, S. 8496–8499, doi:10.1021/jo0486802.
  24. T. Opatz, D. Ferenc: Facile preparation of 3-amino-4-(arylamino)-1H-isochromen-1-ones by a new multi-component reaction. In: Eur. J. Org. Chem. Band 5, 2005, S. 817–821, doi:10.1002/ejoc.200400685.
  25. T. Opatz, D. Ferenc: Ring contracting rearrangements of 3-amino-4-(arylamino)-1H-isochromen-1-ones. In: Eur. J. Org. Chem. Band 1, 2006, S. 121–126, doi:10.1002/ejoc.200500575.
  26. C. Faggi, M. Garcia-Valverde, S. Macaccini, G. Menchi: Isolation of Ugi four-component condensation primary adducts: A straightforward route to isocoumarins. In: Org. Lett. Band 12, Nr. 4, 2010, S. 788–791, doi:10.1021/ol9028622.
  27. J.W. Wilson, N.D. Dawson, W. Brooks, G.E. Ullyot: Local anesthetics. Aminoalkoxyisoquinoline derivatives. In: J. Am. Chem. Soc. Band 71, Nr. 3, 1949, S. 937–938, doi:10.1002/ja01171a047.
  28. F. v. Bruchhausen et al. (Hrsg.): Hagers Handbuch der Pharmazeutischen Praxis, 5. Aufl. Springer, Berlin 1994, ISBN 978-3-642-63389-8, S. 482, doi:10.1007/978-3-642-57880-9.
  29. G. Scheffler, J. Engel, B. Kutscher, W.S. Sheldrick, P. Bell: Synthese und Kristallstrukturanalyse von Azelastin. In: Arch. Pharm. Band 321, Nr. 4, 1988, S. 205–208, doi:10.1002/ardp.19883210406.