Achsknick

zeitlich getrennte Ostung der Längsachsen von Langhaus und Chor nach der aufgehenden Sonne am örtlich gegebenen Horizont
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Der Achsknick (auch Achsenneigung, Achsenbrechung[2]) ist die Knickung der Mittelachsen von Teilen desselben Bauwerks, die normalerweise in gleicher Linie verlaufen. Die Ursachen können unterschiedlich sein: Der Achsenknick kann durch Rücksichtnahme auf ältere Bauteile oder Kultstätten oder durch Geländeschwierigkeiten, häufig aber auch durch Messfehler und Planänderungen während der Bauzeit bedingt sein.[2][3]

Grundriss des Doms St. Petri in Bautzen mit Achsknick[1]
Achsknick vom Langhaus zum Chorraum in der Kirche St-Guénolé in Batz-sur-Mer

Im mittelalterlichen Kirchenbau ist die unterschiedliche Richtung der Längsachsen von Langhaus und Chor gemeint. Der Knickpunkt befindet sich meist am Übergang, Langhaus und Chor aneinanderstoßen.[4][5] Der häufigste Grund für den Achsknick ist nicht nur im Kirchenbau baugeschichtlich begründet, indem zeitlich unterschiedliche Bauabschnitte geänderte Längsachsen mit sich brachten, weil die Ostung des Bauwerks nach der aufgehenden Sonne jeweils unterschiedlich bestimmt wurde.

Ursachen der Bauachsenänderung

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Für die Aussage über einen Achsknick werden interdisziplinär eine Reihe von Erkenntnisquellen und Methoden kombiniert: Exakte Vermessungsdaten, das Wissen um die historische Arbeitstechnik mit Groma und Messkette, das Wissen zu den üblichen Aufteilungsformen und Bauproportionen in Klaftern, das errechnete Wissen zum Sonnenstand zum örtlichen vermessenen Horizont bezogen auf die wahrscheinlichen Jahre, kirchlicher Festtagskalender und die chronologische Steigerung der Festtage (z. B. in Richtung zum Osterfest).

Grundlage der näheren Erforschung, ob ein bewusster, theologisch begründeter Achsknick vorliegt, sind zunächst die historischen Daten über den Beginn des Baues. Hinweise auf die Wochentage (z. B. Palmsonntag, Christtag, Karfreitag, Kirchweihtag, Patronatstag), an denen eine Bauachse festgelegt (abgesteckt) wurde und damit das Gründungsjahr können sich, wenn keine konkreten Urkundendaten vorhanden sind, zunächst aus den jeweiligen Kalenderdaten speziell der beweglichen Feste (z. B. Ostertermine) ergeben. Die Kalenderangaben sind in Fachpublikationen (z. B. Handbuch von Grotefend) zugänglich. Wochentage fallen meist nur in mehrjährigen Abständen wieder auf den gleichen Kalendertag, sodass der Baubeginn dadurch eingegrenzt werden kann.

 
Grundriss St. Peter im Moos Orientierungstage der Bauachsen

Die Kalenderdaten werden mit dem (errechenbaren) Wissen um den Sonnenaufgang an diesen Tagen kombiniert: wenn z. B. die Sonne an einer gewissen Stelle aufgeht und die Kirchenachse auf diesen Punkt zuläuft, ergibt sich daraus der Wochentag der Absteckung. Wenn nun ein Teil der Kirchenachse auf eine andere Stelle ausgerichtet ist, kann der in Frage kommende andere Tag (z. B. der Tag einer Oktav, des Triduum Sacrum usw.) festgestellt und das Bauprogramm der Kirche bestätigt werden.

Das Langhaus entsprach bei dieser Betrachtung dem irdischen und der Chor dem himmlischen Bereich, wobei gemäß den kanonischen Anforderungen beim Abstecken des Kirchengrundrisses zuerst das Langhaus und danach der Chor abgesteckt wurde. Aus der Stärke des Knicks lassen sich die Tage zwischen den beiden Absteckvorgängen errechnen. Da eine Steigerung der Höhe des Festtages eingehalten wurde, wie auch thematische Hintergründe des Patronatsherrn, des Bischofs oder einer Ordenstradition die Festtage bestimmten, lässt sich anhand des Achsknicks, der eine Zeitmarke darstellt, das Gründungsjahr der Kirche und teils auch die damit verbundene Stadtgründung oder Stadterweiterung bestimmen. Es ist weiters mit der Stiftskirche im Stift Rein ein Kirchenbau dokumentiert, bei dem nicht die Hauptachse einen Achsknick aufweist, sondern einige Querachsen (Gewölbeachsen, die im Regelfall normal zur Hauptachse verlaufen) um wenige Grad schräg zur Hauptachse verlaufen. Das wird in der Literatur als Knick in der Querachse bezeichnet[6] und mit Messergebnissen dahin begründet, dass diese Querachsen an unterschiedlichen Sonnenaufgängen nach den heiligen Tagen (triduum paschale) in der Karwoche orientiert wurden.[7]

Die Verpflichtung zur Orientierung nach der aufgehenden Sonne wurde beim Konzil von Trient (1545–1563) aufgehoben.

Knicke in Gebäudeachsen kommen aber auch in nicht-mittelalterlicher Architektur vor, so im Felsengrab der Nefertari oder der Pfarrkirche Liesing (dort als „gebrochene Hauptachse“ bezeichnet). Sie werden auf sehr verschiedene Ursachen zurückgeführt (gekrümmter Jenseitsraum der ägyptischen Mythologie oder bessere Bauplatzausnutzung).

 
Achsknick der Pfarrkirche St. Peter im Moos in Niederösterreich

Forschungsgeschichte

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Die These über die Herkunft des Achsknicks und ihre Belege wurde im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts an Beispielen aus Ostösterreich erarbeitet. Diese These wird gelegentlich auch kontrovers diskutiert.[8]

Beispiele

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Der Stephansdom in Wien:[9] Die Achse des Langhauses ist auf den Sonnenaufgang am Stephanitag 26. Dezember 1137[Anm. 1] orientiert, die Achse des Chores zum Sonnenaufgang am folgenden Sonntag, den 2. Jänner 1138.

Der romanische Dom von Wiener Neustadt:[9] Hier weist die Achse des Langhauses zum Sonnenaufgang am Pfingstsonntag, den 24. Mai 1192, den Tag der Belehnung von Herzog Leopold V. durch Kaiser Heinrich VI. mit der Steiermark. Die Achse des romanischen Chores weist auf den Sonnenaufgang am Pfingstsonntag, den 16. Mai 1193.

Die gotische Stadtpfarrkirche hl. Margareta in Marchegg als Gründung von König Přemysl Ottokar II. von Böhmen:[9] Ihre Langhausachse weist zum Sonnenaufgang am Gründonnerstag, den 5. April 1268 und die Achse des Chores auf den Sonnenaufgang am Ostersonntag 8. April 1268.[10]

 
Orientierungstage für St. Peter im Moos

In Linz konnte mittels Achsknick das Jahr der Stadterweiterung näher bestimmt werden.[11] Weitere Beispiele sind die Pfarrkirche von Laa an der Thaya, deren Orientierungstage dem Palmsonntag und dem Ostersonntag des Jahres 1207 entsprechen, auch in den früheren Kirchengrundrissen der Klosterkirchen Stift Heiligenkreuz[5] und Stift Göttweig ist ein Achsknick belegbar, aber nicht mehr erkennbar: Bei diesen Kirchen wurde der romanische Chor später durch einen gotischen Neubau ersetzt, der keinen Achsknick aufweist.[12] An der Pfarrkirche von Unterloiben ist der Achsknick auch im Verlauf des Daches deutlich zu erkennen.[13]

 
Pfarrkirche Notre-Dame in Vitré

Als Beispiele außerhalb Österreichs werden der Brixner Dom, die Kathedrale St. Pierre in Genf, Mont St. Michel, Southwark Cathedral und der Dom von Passau[14] genannt, weiters der Dom von Speyer,[15] der Dom zu Caorle in Italien und die Kathedrale Notre Dame de Vitré in Frankreich.[16] Der weitere Erklärungsansatz, die geknickte Kirchenachse mit dem geneigten Haupt Christi am Kreuz zu begründen,[1] wird von Reidinger als Fehlinterpretation bezeichnet.[4] Als weitere Gründe für einen Achsknick werden später entdeckte Unregelmäßigkeiten im Baugrund (z. B. ein wenig tragfähiger Bodenbereich) oder ein Patroziniumswechsel (allenfalls nach längerer Bauzeit) genannt, nach dem eine Neuausrichtung einer Kirchenachse erfolgte.[1]

 
St Martin’s Church, Cwmyoy, Wales

Weitere Beispiele:

Siehe auch

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Literatur

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  • Maria Firneis, Herta Ladenbauer: Studien zur Orientierung mittelalterlicher Kirchen. In: Mitteilungen der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für Ur- und Frühgeschichte. 28 / 1, Wien 1978, S. 1–12.
  • Hans Koepf: Bildwörterbuch der Architektur, 2. Auflage; Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 1985, ISBN 3-520-19402-3, S. 3 (Lemma „Achsenneigung“)
  • Erwin Reidinger: Allgemeines zum Thema Kirchenorientierung (= Sancta Crux. Zeitschrift des Stiftes Heiligenkreuz. 70. Jahrgang, Nr. 126). 2010, ZDB-ID 302220-1, S. 7–29 (heimat.eu [PDF]).
  • Erwin Reidinger: Planung oder Zufall. Wiener Neustadt 1192. Böhlau Verlag, Wien 1995, ISBN 3-205-99339-X.
  • Christian Wiltsch: Das Prinzip der Heliometrie im Lageplan mittelalterlicher Kirchen. Nachweis der Ausrichtung von Kirchenachsen nach Sonnenständen an Kirchweih und Patronatsfest und den Folgen für die Stadtplanung. Dissertation an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule RWTH Aachen. In: Berichte aus der Geschichtswissenschaft. Shaker Verlag, Aachen 2014, ISBN 978-3-8440-2812-6.
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Commons: Achsknick – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen

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  1. Diese Jahresangabe folgt dem Julianischen Kalender. Nach dem sogenannten „Weihnachtsstil“, bei dem der 25. Dezember als Jahresanfang verwendet wurde, fielen beide Daten in das Jahr 1138. Siehe dazu auch Reidinger: Stadtplanung 2010, S. 173, Fußnote 37.
    Für die Grundsteinlegung des Stephansdomes Ende des Jahres 1137 gibt es zwar keine Urkunde, aber zahlreiche Hinweise, siehe Joseph Kopallik: Österreich unter den Babenbergern. In: Wiener Diöcesanblatt. Nr. 20, Jahrgang 1894, S. 223 im Jahresband (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).

Einzelnachweise

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  1. a b c d Gottfried Kiesow: Die Sonne und der Achsenknick. Vier Thesen zur Achsenverschiebung im Kirchenbau. In: monumente-online.de. Magazin der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, März 2005, abgerufen am 17. November 2020 (am Beispiel des Doms von Bautzen).
  2. a b Hans Koepf: Bildwörterbuch der Architektur, 2. Auflage; Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 1985, ISBN 3-520-19402-3, S. 3 f. (Lemma „Achsenneigung“)
  3. Achsenneigung. In: hist-arch-vocab.org (Bamberger Vokabular für historische Architektur). 21. November 2022, abgerufen am 24. Dezember 2023.
  4. a b Erwin Reidinger: St. Stephan: Lage, Orientierung und Achsknick, ein Vergleich mit der Tempelanlage in Jerusalem. In: Karin Domany, Johann Hisch (Hrsg.): Der Stephansdom. Orientierung und Symbolik. Wiener Dom-Verlag, Wien 2010, ISBN 978-3-85351-216-6, S. 85 (heimat.eu [PDF]).
  5. a b Erwin Reidinger: Die Stiftskirche von Heiligenkreuz. Achsknick und Orientierungstage. Antworten aus der Gründungsplanung (= Sancta Crux. Zeitschrift des Stiftes Heiligenkreuz. 70. Jahrgang, Nr. 126). 2010, ZDB-ID 302220-1, S. 37 (heimat.eu [PDF]).
  6. Erwin Reidinger: 1130: Stiftskirche Rein. Himmlischer Code entschlüsselt. Neue Erkenntnisse durch Archäoastronomie. Winzendorf, Niederösterreich. 2024. ISBN 9798876623621. S. 58–59.
  7. Reidinger: Rein, S. 74–77.
  8. Gudrun Wolfschmidt (Hrsg.): Himmelswelten und Kosmovisionen. Imaginationen, Modelle, Weltanschauungen (= Nuncius Hamburgensis. Band 51). 2019, ISBN 978-3-347-02431-1, S. 193–196.
  9. a b c Erwin Reidinger: Stadtplanung im hohen Mittelalter: Wiener Neustadt – Marchegg – Wien. In: Ferdinand Opll, Christoph Sonnlechner (Hrsg.): Europäische Städte im Mittelalter (= Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte. Hrsg. vom Verein für Geschichte der Stadt Wien. Band 52). StudienVerlag Innsbruck–Wien–Bozen, Wien 2010, ISBN 978-3-7065-4856-4, S. 155–176 (heimat.eu [PDF] Wiener Neustadt S. 159–169, Marchegg S. 169–172, Wien S. 172–174).
  10. Die Pfarrkirche Hl. Margareta. In: natuerlich-marchegg.at. Abgerufen am 17. November 2020.
  11. Erwin Reidinger: Mittelalterliche Stadtplanung am Beispiel Linz. In: Archiv der Stadt Linz (Hrsg.): Historisches Jahrbuch der Stadt Linz 2001. Linz 2003, S. 35–39, 70 und 87–89 (heimat.eu [PDF] Achsknick am Beispiel der Stadtpfarrkirche Linz).
  12. Erwin Reidinger: Orientierung mittelalterlicher Kirchen. In: Amt der NÖ Landesregierung (Hrsg.): Gestalte(n). Das Magazin für Bauen, Architektur und Gestaltung. N° 139, März 2013, ZDB-ID 2708987-3, S. 46–47, gesamter Artikel S. 43–47 (noe-gestalten.at [abgerufen am 21. September 2014] verlangt Adobe Flash Player).
  13. Reidinger: Speyerer Dom. S. 53.
  14. Erwin Reidinger: Passau, Dom St. Stephan 982: Achsknick = Zeitmarke. In: Der Passauer Dom des Mittelalters (= Veröffentlichungen des Instituts für Kulturraumforschung Ostbaierns und der Nachbarregionen der Universität Passau. Band 60). 2009, ISBN 978-3-932949-91-3, ISSN 0479-6748, S. 7–32 (heimat.eu [PDF]).
  15. Erwin Reidinger: 1027: Gründung des Speyerer Domes. Sonne – Orientierung – Achsknick – Gründungsdatum – Erzengel Michael (= Schriften des Diözesan-Archivs Speyer. Band 46). Pilger Verlag Annweiler, Speyer 2014, ISBN 978-3-942133-76-0, S. 111 (heimat.eu [PDF]).
  16. Reidinger: Speyerer Dom. S. 54.