Administrativhaft

Inhaftierung auf der Grundlage von Verwaltungshandeln

Als Administrativhaft, auch Verwaltungshaft, ist eine freiheitsentziehende Maßnahme, die nicht auf einem Gerichtsurteil oder sonstigen richterlichen Entscheidung beruht, sondern durch die Polizei angeordnet werden darf. Sie ist keine Strafe, sondern wird je nach Staat im Zuge der Abwehr von illegaler Einwanderung, Terrorismus oder anderer Gefahren für den Staat verhängt. Administrativhaft wird unter anderem in der Volksrepublik China, in Großbritannien, den israelisch besetzten Gebieten und in der Schweiz praktiziert.

In China gibt es mehrere Formen der Administrativhaft, denen Straftäter, aber auch politische Dissidenten unterworfen werden. Menschen, die durch „schlechte Gewohnheit oder Sitten“ auffallen, sollen auf diesem Weg wieder in die Gesellschaft integriert werden.[1] Eine Form der Administrativhaft ist die Umerziehung durch Arbeit („Laogai“), die in Arbeitslagern stattfindet. Besonders hart sind davon Menschen betroffen, die für die Unabhängigkeit Tibets oder Xinjiang eintreten. Administrativhaft verhängen die chinesischen Polizeibehörden für bis zu drei Jahren (gegebenenfalls um ein Jahr verlängerbar), ohne dass den Betroffenen die Möglichkeit gegeben wird, die Entscheidung richterlich überprüfen zu lassen oder Einspruch dagegen zu erheben.[2] Diese Haftform widerspricht nicht nur der Charta der Vereinten Nationen,[1] sondern auch der chinesischen Verfassung und anderen Rechtsnormen der Volksrepublik. Die Kommunistische Partei Chinas verkündete 2013 ihre Abschaffung.[3] Ein Zeitplan für die Abschaffung wurde jedoch nicht genannt. Deshalb wird sie nach wie vor verhängt.[4]

Großbritannien

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Kurz nach den Terroranschläge am 11. September 2001 beschloss das britische Unterhaus den Anti-Terrorism, Crime and Security Act, der den Sicherheitsorganen des Vereinigten Königreichs weitreichende Vollmachten gibt, darunter auch die Verhängung von Administrativhaft: Danach können Menschen ohne britische Staatsbürgerschaft auf unbestimmte Zeit ohne relevante Gerichtsentscheidung in Haft genommen werden, sobald vom Innenminister bestätigt wurde, dass sie internationale Terroristen sind oder waren.[5]

Israelisch besetzte Gebiete

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In den israelisch besetzten Gebieten im Westjordanland gelten Bestimmungen, die auf eine 1945 von der britischen Mandatsmacht erlassenen Militärverordnung zurückgeht: [6] Danach dürfen die israelischen Behörden Palästinenser, die verdächtigt werden, eine Sicherheitsgefahr darzustellen, ohne Gerichtsverfahren für unbestimmte Zeit in Haft nehmen. Dies gilt auch, wenn der betroffenen Person unterstellt wird, sie werde in Zukunft einen Anschlag verüben. Beweise für diesen Verdacht müssen nicht vorgelegt werden. Jüdische Siedler fallen nicht unter diese Regelung, für sie als israelische Staatsbürger gelten die Schutzbestimmungen des Rechtsstaats.[7] Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel 2023 stieg die Zahl der Administrativhäftlinge deutlich an: Am 1. November 2023 soll ihre Zahl über 2000 betragen haben. Laut der Menschenrechtsorganisation Amnesty International kam es in der Administrativhaft auch zu Fällen von Folter.[8]

Vereinzelt wurden auch Juden wegen Siedlergewalt in Administrativhaft genommen, doch teilte Verteidigungsminister Israel Katz von der Likud im November 2024 mit, er werde diese Praxis nicht fortsetzen. Im Januar 2025 veranlasste er die Freilassung aller fünf jüdischen Israelis, die sich derzeit in Admininstrativhaft befanden.[9]

Administrativhäftlingen wird oft nicht mitgeteilt, welche Vorwürfe gegen sie erhoben werden. Daher können sie oft auch keine Beschwerde beim Advisory Appeals Committee einlegen, das die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte 1970 einrichteten. Es gilt als keine praktikable Berufungsinstanz. Strafgefangene in israelischen Gefängnissen sind gegenüber Administrativhäftlingen insofern besser gestellt.[10] Administrativhäftlinge machen einen großen Teil der palästinensischen Gefangenen aus, die bei dem Waffenstillstandsabkommen zwischen Israel und der Hamas vom 15. Januar 2025 freikommen sollen.[9]

Weil von Administrativhaft nahezu ausschließlich Palästinenser betroffen sind, verstehen verschiedene Menschenrechtsorganisation sie als Teil eines Systems dauerhafter Diskriminierung. Daher werfen sie Israel vor, in den besetzten Gebieten völkerrechtlich verbotene Apartheid zu betreiben. Dieser Vorwurf wurde sowohl von der israelischen Regierung als auch von dem deutschen Botschafter in Israel, Steffen Seibert, zurückgewiesen.[11]

In der Schweiz wird Administrativhaft auf Grundlage von Art. 73–79 Ausländergesetz in vier Formen verhängt: Als Vorbereitungshaft, Ausschaffungshaft zur Sicherstellung der Rückreise oder der Ausschaffung, aufgrund fehlender Mitwirkung bei der Beschaffung von Reisedokumenten und als Durchsetzungs- oder Beugehaft.[12]

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Einzelnachweise

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  1. a b Chinesischer Minister verteidigt System der Administrativhaft in seinem Land. hib-Meldung, 20. Juni 2001.
  2. Björn Alpermann: China. In: Hans-Joachim Lauth (Hrsg.): Politische Systeme im Vergleich. Formale und informelle Institutionen im politischen Prozess. Walter de Gruyter, Berlin/Boston 2014, ISBN 978-3-486-71919-2, S. 89–126, hier S. 119.
  3. Johnny Erling: China schafft die willkürliche Lagerhaft ab. Die Welt, 15. November 2013.
  4. Katja Levy: Fünfzehn Jahre Deutsch-Chinesischer Rechtsstaatsdialog – Zeit für eine Positionsbestimmung. In: Walter Pape, Susanne Preuschoff, Wei Yuqing, Zhao Jin (Hrsg.): China und Europa- Sprache und Kultur, Werte und Recht. Walter de Gruyter, Berlin/Boston 2014, ISBN 978-3-11-031317-8, hier S. 288.
  5. Vasiliki Chalkiadaki: Gefährderkonzepte in der Kriminalpolitik. Rechtsvergleichende Analyse der deutschen, französischen und englischen Ansätze. Springer, Wiesbaden 2017, ISBN 978-3-658-16010-4, S. 235.
  6. Glossar. In: Gabriele Rosenthal: (Hrsg.): Etablierte und Außenseiter zugleich. Selbst- und Fremdbilder in den palästinensischen Communities im Westjordanland und in Israel. Campus, Frankfurt am Main 2015, S. 313–323, hier S. 322.
  7. Katja Belousova: Häftlinge in Israel: Warum die Verwaltungshaft in der Kritik steht. zdf.de, 6. Dezember 2023.
  8. Fälle von Folter palästinensischer Gefangener und Zunahme willkürlicher Festnahmen. amnesty.de, 8. November 2023.
  9. a b Christian Meier: Teil des Gaza-Deals: Tausende Häftlinge gegen knapp hundert Geiseln. faz.net, 19. Januar 2025.
  10. Lothar Kuhl: Die Untersuchungs- und Berichtstätigkeit des "Special Committee to Investigate Israeli Practices" der Generalversammlung der Vereinten Nationen. Duncker & Humblot, Berlin 1994, ISBN 3-428-08392-X, S. 329 ff.
  11. Lisa Wiese: Vorwürfe von Menschenrechtsorganisationen: Was ist dran am Apart­heid-Vor­wurf gegen­über Israel?. Legal Tribune Online, 28. Juli 2022.
  12. Simone Marti: Innere Grenzziehungen. Das Nothilfe-Regime im schweizerischen Asylsystem. transcript, Bielefeld 2023, ISBN 978-3-8376-6574-1, S. 92.