Alte Universität (Marburg)

Gebäude der Philipps-Universität Marburg, gotische Bauten des ehemaligen Dominikanerklostes, im neogotischen Stil ausgebaut.

Die Alte Universität ist ein Profanbau der Philipps-Universität Marburg im neogotischen Stil. Erbaut wurde sie 1873–1879 (Westflügel/Seminar- und Auditorientrakt) und 1887–1891 (Aulatrakt) nach Plänen des Universitätsbaumeisters Carl Schäfer. Der Bau fügt sich beinahe nahtlos an die ab 1291 erbaute und in das Ensemble integrierte Klosterkirche, die spätere Universitätskirche, an, deren Sakristei sogar unmittelbar in den neuen Gebäudekomplex übernommen wurde und eine Zeitlang Raum für das Universitätsarchiv bot; der Komplex ist heute Sitz des Fachbereichs Evangelische Theologie.

Alte Universität im Hintergrund der Weidenhäuser Brücke
Alte Universität von Osten
Alte Universität von Süden
Alte Universität, Detail
Wasserspeier
Hundefigur
Ansicht um 1875 während des Umbaus der ehemaligen Klosteranlage der Dominikaner

Geschichte

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Nach der Annexion Kurhessens durch Preußen 1866 wurde die Philipps-Universität allmählich ausgebaut. In diese Zeit fällt der Bau der heutigen Alten Universität, der als qualitätvolles Beispiel eines Profanbaus der deutschen Neogotik gelten kann. Die Gliederung des Vorgängerbaus, eines Dominikanerklosters mit Kreuzgang und Flügelbauten, wurde im Sinne des Alten als Bedeutungsträger in das architektonische Konzept Carl Schäfers übernommen. Seine Bauweise ist inspiriert vom mittelalterlichen Bild der Marburger Oberstadt mit dem alles überragenden Schloss als „Krone“ wie von der Gestalt der gotischen Elisabethkirche mit ihren schlanken Türmen und dekorativen Farbglasfenstern. Wie bei St. Elisabeth wurde weißer Wehrdaer Sandstein als Baumaterial verwendet. Die Schlusssteine der Gewölbe tragen die Wappen deutscher Universitätsstädte. Eine Hundefigur auf dem Dach über dem einstigen Abortbau in der Nordwestecke des Universitätsgebäudes hält die Erinnerung an die früheren Hausherren der Anlage wach, an die Domini canes, die „Hunde des Herren“, wie die Dominikaner(-Mönche) – wortspielerisch – wegen ihres Glaubenseifers bezeichnet wurden: „Domini canes Evangelium latrantes per totum orbem“ 'Die Hunde des Herren bellen der ganzen Welt das Evangelium'. Im Gebäude befindet sich auch ein musealer Universitätskarzer.

Die Aula besitzt eine Orgel und ist mit 27 m Länge, 14 m Breite und 8,50 m Höhe von beachtlicher Größe. Die Innenausstattung der Jahre zwischen 1893 und 1902 geht auf den Frankfurter Architekten Alexander Linnemann zurück, dessen bemalte Holzdecke, eine freitragende Konstruktion, erhalten blieb. Seine ganzfigurigen Gemälde der Hohenzollern-Kaiser Wilhelm I. und Friedrich III. flankierten einst an der Südwand des Raumes das Bild des Universitätsstifters, Philipps des Großmütigen. Drei sechsteilige Fenster mit reichem Maßwerk und Grisaillenmalerei auf Antikglas lassen gedämpftes Tageslicht in den Raum. Professorengestühl aus Eichenholz mit den geschnitzten Wappen deutscher Universitäten, eine Wandtäfelung ebenfalls aus Eichenholz, zwei imposante Kronleuchter, ein reichlich verziertes Katheder und kunstvoll beschlagene und bemalte Türen vervollständigen den Raumschmuck. Höhepunkt ist das 1903 eingebrachte Bildprogramm des Düsseldorfer Historienmalers Johann Peter Theodor Janssen (1844–1908), das die Marburger Lokal- und Universitätsgeschichte zu einer preußisch-deutschen Bildungsgeschichte transformiert. Sieben Hauptbilder an den Wänden, ein Sagenzyklus „Otto der Schütz“ in den Zwickeln der großen Fenster, 13 Medaillons bedeutender Gelehrter der hiesigen Universität sowie ein Medaillon des Landgrafen Wilhelm VI., des Wiederbegründers der Universität 1653, beeindrucken den Besucher. Wilhelm VI. hatte die im Dreißigjährigen Krieg nach Kassel ausgewichene reformierte Marburger Universität an die Lahn zurückverlegt. Zwei Tafeln im nördlichen Kreuzgang enthalten Holzschnitte und Namen von Professoren, die vor 1653 an der Philippina tätig waren.

Am 17. Juni 1934 hielt der damalige Vizekanzler Franz von Papen in der Aula der Universität Marburg die (regimekritische) sogenannte Marburger Rede, und am 21. August 1951 hielt der Arzt und Schriftsteller Gottfried Benn in der Marburger Universitätsaula seinen vielbeachteten Vortrag über „Probleme der Lyrik“.

Im Innenhof erinnert eine Büste an Professor Rudolf Bultmann (1884–1976), einen der wirkungsmächtigsten evangelischen Theologen des 20. Jahrhunderts. Sein Name steht für die Überwindung überkommener Formen der Frömmigkeit und einer orthodoxen Theologie, um für ein dem Wesen des Glaubens und den Erfordernissen der Gegenwart gleichermaßen entsprechendes Christentum einzutreten. Die Büste wurde zum 20. Todestag Bultmanns von zwei norwegischen Verehrern gestiftet; Bildhauer war der Norweger Hugo Frank Wathne (1932–2017). Die im Aufgang am Lahntor aufgestellte Bronzebüste des Reichsfreiherrn Karl vom und zum Stein erhielt 1931 zunächst im (oberen) Eingangsbereich der Universität in der Reitgasse einen Ehrenplatz. Die Büste, um 1970 an ihren heutigen Platz versetzt, war ein Geschenk der preußischen Staatsregierung anlässlich des 100. Todestages des in Nassau geborenen Reformers und großen Sohns der Provinz Hessen-Nassau. Nach dem „Deutschen Bruderkrieg“ 1866 war die kurhessische Philippina königlich-preußisch geworden und nunmehr auch Landesuniversität für den nassauischen Teil dieser Provinz (für Studenten aus Nassau war vertraglich zuvor Göttingen Landesuniversität, eine Wahl, die Goethe in einem Brief an den „Urfreund“ Karl Ludwig von Knebel vom Oktober 1817 wie folgt kommentierte: „Nassau hatte ohnehin kein schickliches Local, Gießen und Marburg zu nah und so unbedeutend.“). Der mit dem preußischen Kultusminister Carl Heinrich Becker (1876–1933) befreundete Bildhauer Jakob/Jacob Hübel (damals Bergnassau, geb. am 16. Dezember 1889 in Schmargendorf bei Berlin, gest. nach 1950 in Berlin?) gestaltete die Büste des Freiherrn. Den Aufgang zieren ferner eine Bauinschrift, die in lateinischer Sprache auf die Gründung der Universität 1527 und die Fertigstellung des (neuen Hörsaal-)Gebäudes 1879 verweist, sowie eine Erinnerungstafel für den russischen Universalgelehrten Michail Lomonossow (1711–1765), der 1736–1739 in Marburg bei dem Philosophen Christian Wolff (1679–1754) studiert und 1740 eine Marburgerin geheiratet hat. Weiter bergan grüßt aus einem Drahtkäfig in luftiger Höhe Landgraf Philipp der Großmütige; Peter Joseph Schöneseiffer (1846–1922) fertigte 1901 die Statue. Zu Füßen der Philippsfigur gedenkt eine Bronzetafel des jüdischen Gelehrten Hermann Cohen (1842–1918), der mit seinen Kant-Interpretationen die so genannte Marburger Schule des Neukantianismus begründete, eine Strömung in der Philosophie, die in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg zahlreiche Jungakademiker aus dem In- und Ausland zum Studium nach Marburg führte, zum Beispiel den später aus Deutschland vertriebenen Ernst Cassirer (1874–1945), ferner den spanischen Soziologen und Kulturphilosophen José Ortega y Gasset (1883–1955) und den russischen Dichter und Nobel-Preisträger Boris Pasternak (1890–1960).

 
Die Mühltreppe an der Straße Pilgrimstein

An der Stützmauer neben der Mühltreppe im Osten erinnert eine Tafel an den Mathematikprofessor, Physiker und genialen Erfinder Denis Papin (1647–ca. 1712), einen Hugenotten, der am Marburger Markt (Nr. 15) wohnte und am Ort unter anderem eine frühe Form der Hochdruckdampfmaschine entwickelt hat.

Vorgeschichte der Alten Universität

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Kaiser Friedrich II. entläßt nach Preußen ziehende Deutsch-Ordensritter, 1236, Wandgemälde in der Aula von Peter Janssen

Die Vorgeschichte der Alten Universität lässt sich bis in die letzten Jahre des 13. Jahrhunderts zurückverfolgen, als Landgraf Heinrich I. (1244–1308) dem Predigerorden der Dominikaner (ordo fratrum praedicatorum) Land zum Bau eines Klosters an der Südostecke der Stadt zur Verfügung stellte. Der hochragende Chor der Kirche wurde um 1320 vollendet, diese noch als Basilika begonnen; der Bau blieb aber ein Torso. Ein flaches Kirchenschiff aus der Zeit um 1420 mit einem Seitenschiff hinter dicken Säulen schließt das Gebäude im Westen unsymmetrisch ab. Der Dachreiter stammt aus dem 18. Jahrhundert (dem Bettelorden der Dominikaner war der Bau repräsentativer Kirchtürme verwehrt).

Nach dem Einzug der Universität in die Klostergebäude 1527 fand die Kirche zunächst keine Verwendung, das Inventar wurde verkauft. Zeitweilig diente die Kirche dann für Begräbnisfeiern der Professoren. Nach dem Lahnhochwasser von 1552 sollte das nutzlose Gebäude abgerissen werden, man benötigte Steine zur Wiederaufrichtung der beiden beim Hochwasser zerstörten mittleren Brückenbögen der Weidenhäuser Brücke. 1579 wurde die Kirche schließlich zu einem herrschaftlichen Kornspeicher eingerichtet (bis 1653). Die vermauerten Lüftungsluken für Speicherböden sind über dem Westportal noch zu erkennen. Der Kornmarkt an der Längsseite der Kirche, einst der Mönchsfriedhof, erinnert noch an die säkulare Funktion des Ortes. Anlässlich der 400-Jahr-Feier der Universität 1927 wurde das Innere der Kirche umfassend restauriert. Sehenswert ist der Lettner mit seiner expressionistischen Brüstung.

Die Kirche erfüllt heute eine Doppelfunktion: Sie ist Kirche der evangelisch-reformierten Stadt- und der Universitätsgemeinde. Seit ihrer Wiederherstellung für den evangelischen Gottesdienst durch Landgraf Wilhelm VI. (1629–1663) im Jahre 1658 war sie bis zum Zweiten Weltkrieg zugleich auch Garnisonskirche. Ihre religiöse Ausrichtung verdankt sie der seit 1607 bestehenden kleinen niederhessisch-reformierten Gemeinde (anfänglich Angehörige des Hofes, der Garnison, der Beamtenschaft und der Universität). Die Universität war mit der Einführung der „Verbesserungspunkte“ 1605 durch Landgraf Moritz den Gelehrten (1572–1632) vom lutherischen ins reformierte Lager übergetreten. Moritz hatte 1604 das Erbe seines kinderlos verstorbenen Onkels Ludwig IV. (1537–1604), eines Lutheraners, angetreten. Leere Nischen und zerstörte Reliefs an der Westseite der Kirche weisen auf das Bilderverbot der Reformierten (mauritianischer Bildersturm). Die reformierte Ausrichtung der Universität dauerte bis ins 19. Jahrhundert fort, unterbrochen von einer lutherischen Periode im Dreißigjährigen Krieg,[1] als Marburg zur Landgrafschaft Hessen-Darmstadt gehörte (1624–1645) und der dortige Landgraf die 1607 als lutherische Ausbildungsstätte gegründete Universität Gießen mit Marburg vereinigte und die alte hessische Samtuniversität in Marburg für seine Territorien wieder aufrichtete.

Die Marburger Hochschulgründung ist der Reformation geschuldet, die ab 1526 (Homberger Synode) unter dem jungen Landgrafen Philipp in Hessen Einzug hielt. Der neue Glaube bedurfte zur Ausbildung von Pfarrern, Richtern, Beamten, Lehrern und Ärzten einer Bildungsanstalt, die vom fürstlichen Landesherren dann aus eigener Machtvollkommenheit gestiftet wurde. Der Freiheitsbrief Landgraf Philipps für seine Stiftung datiert vom 31. August 1529, die Dotationsurkunde zur wirtschaftlichen Absicherung vom 4. Oktober 1540; das für die reichsweite Anerkennung von akademischen Graden wichtige Universitätsprivileg wurde nachträglich erst am 16. Juli 1541 von Kaiser Karl V. erteilt, eine sonst auch übliche päpstliche Bestätigung fehlte aus einsichtigem Grund.

Zunächst ohne abgesicherten Rechtsstatus, verstärkte die Universität Marburg den Kreis älterer deutscher Hochschulen wie Heidelberg (gegr. 1386), Leipzig (gegr. 1409), Tübingen (gegr. 1477) oder Wittenberg (gegr. 1502). Das universale studium Marpurgense wurde am 30. Mai 1527 mit der Immatrikulation von 105 Personen (Professoren, Studenten, Beamte) eröffnet und feierlich im alten Dominikanerkloster am 1. Juli 1527 als erste protestantische Universitätsgründung von Bestand auf den Weg gebracht. Nach dem Willen des Stifters war die neue Hochschule dem „gemeinen Nutz“ verpflichtet. Das Kloster war zuvor – wie auch das Kloster der Franziskaner am südwestlichen und das der Kugelherren am westlichen Stadtrand – säkularisiert worden, Gebäude und klösterliche Güter sowie die Einnahmen daraus der Universität zur Nutzung und finanziellen Ausstattung zugewiesen. Die Dominikanermönche und ihr Prior, zuletzt 12 Personen, wurden einvernehmlich zum Auszug bewogen und mit Geldzahlungen abgefunden; Gerätschaften und Bücher durften sie behalten. Bücher aus dem Besitz der Franziskaner mit ihrem widerständigen Guardian Nikolaus Ferber und Schrifttum der Kugelherren gingen später hingegen in den Bestand der Universitätsbibliothek Marburg über.

Das Kloster der Dominikaner umfasste neben der Kirche einen an diese angefügten großen Ostflügel mit Sakristei, Refektorium (Speisesaal), Dormitorium (Schlafsaal im Winter) und Kapitelstube (Versammlungszimmer) sowie den Zellen der Mönche im Obergeschoss. An der Westseite des Ostflügels war ein Küchentrakt angebracht. Südlich der Kirche, an den Kreuzgang anschließend, befand sich ein weiteres Gebäude, der sogenannte „Südbau“, der ab 1529 als Pädagogium und damit als Schule und auch Herberge für junge Stipendiaten (Hessische Stipendiatenanstalt) und andere Schüler genutzt wurde, die hier auf das Universitätsstudium vorbereitet wurden. Das Gebäude enthielt zuletzt Klassenräume, Wohnungen für den Schuldirektor und einen Karzerwärter sowie einen Gymnasialkarzer; im Dachgeschoss waren zudem vier Karzerzellen für disziplinarisch auffällig gewordene Studenten vorgesehen. Das gesamte Klostergelände war von einer Mauer umgeben. Das Dominikanerkloster wurde Hauptgebäude der neuen Hochschule. Mit Bezug auf seine Lage erhielt es den Namen Collegium Lani „Lahn-Kolleg“ und wurde der Fakultät der Juristen überlassen, bot außerdem Raum für die Universitätsverwaltung und den Senat sowie im ersten Jahr der Universität auch Lehrraum und Unterkunft für Studenten und Professoren, bis 1528 das Franziskanerkloster übernommen werden konnte. Das einstige Refektorium der Dominikaner wurde zu einem prachtvollen Saal (großes Auditorium, Aula) umgestaltet und später mit Bildnissen der Landesherren und ab 1600 mit Professorenbildnissen ausgestattet. Ein früher Nutznießer des alten Klostergartens war wohl der Humanist, Botaniker und erste Medizinprofessor Euricius Cordus (1486–1535) aus Simtshausen bei Wetter, der im Kloster eine Wohnung bezog.

 
Blick in die Karzer-Zelle

Der Abriss des Klosters begann im Sommer 1873, nachdem 1846 bereits die südliche Futtermauer (Stützmauer) und ein Teil des ehemaligen Küchenbaus eingestürzt waren; acht Schüler des Pädagogs und nunmehrigen Gymnasiums wurden beim Einsturz damals verschüttet, drei von ihnen überlebten das Unglück nicht. Der Neubau der Universität erfolgte im neugotischen Stil nach Plänen des Universitätsbaumeisters Carl Schäfer (1844–1908) in zwei Abschnitten; Kirche und ehemalige Sakristei blieben erhalten. Von 1874 bis 1879 wurde ein Trakt für Auditorien, Seminarbibliotheken, Sitzungszimmer sowie Räume für die Verwaltung und das Rektorat errichtet, zudem waren im westlichen Obergeschoss eine Wohnung für den Kastellan und auf gleicher Ebene zwei Studentenkarzer vorgesehen. Begünstigt von den Baumaßnahmen waren insbesondere die philologisch-historischen Disziplinen, die Juristen und die Theologen; Naturwissenschaftler und Mediziner hatten im nördlichen Stadtgebiet in den Jahrzehnten zuvor zum Teil neue Gebäude beziehen können. Die Einweihung des ersten Bauabschnitts fand vom 28. bis 30. Mai 1879 im Beisein des preußischen Kultusministers Adalbert Falk (1827–1900) statt. Zwischen 1885 und 1891 schloss sich östlich der Bau der Aula, eines Senats- und Promotionssaals sowie weiterer Hörsäle an. Die feierliche Inbesitznahme dieses Gebäudes fiel auf den 26. Juni 1891; der Innenausbau der Aula sollte mit der Anbringung der letzten Bilder Peter Janssens bis 1903 andauern. Umbaumaßnahmen in neuerer Zeit, in den Jahren 1964–1967 zugunsten der nunmehr allein im Hause untergebrachten Theologen, führten unter anderem zur Auflösung der alten Gartenanlage (heute: Parkplatz), zur Umgestaltung des Innenhofes und zur Entfernung ursprünglichen Mobiliars.

Barfüßerkloster und erste Universitätsbibliothek

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Ein von der Straße abgetrennter Gebäudekomplex des heutigen Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften Am Plan (Nr. 1–2) erhielt seine architektonische Gestalt im 19. Jahrhundert. Hier befand sich, am Südwestausgang der Stadt, das Franziskaner-Minoriten- oder Barfüßerkloster (nach den unbeschuhten Füßen der Brüder). Die Mönche waren vermutlich mit der hl. Elisabeth (1207–1231) nach Marburg gekommen und hatten ihre Niederlassung nach 1235 an dieser Stelle errichtet, nachdem der Deutschritterorden (Deutscher Orden) das in der Talaue gelegenen Franziskushospital mit dem Grab seiner im Alter von gerade einmal 24 Jahren verstorbenen Gründerin übernommen hatte und die Minderbrüder nicht zum Zuge gekommen waren. Die Brüder hielten nach Einführung der Reformation an ihrem alten Glauben fest und verließen unter Protest Ende Mai 1528 ihr Kloster. Dieses wurde der Universität als weitere Räumlichkeit in ihrer Anfangszeit übertragen und führte nach seiner Lage zwischen Stadtgraben und westlicher Stadtmauer zunächst den Namen Collegium Pomerii, ‚Kolleg am Stadtgraben‘, später Collegium philosophicum.

Das Kloster hatte keinen nennenswerten Besitz. Ein zugehöriges Brauhaus wurde vom Landgrafen bereits 1527 der Stadt geschenkt. Die im Norden des Areals befindliche Kirche mit ihrem schlanken Dachreiter fiel wüst und war zeitweilig Holzlager; auf ihren Fundamenten und unter Einbeziehung der südlichen Kirchenwand sollte 1731/32 das Universitätsreithaus („Trockene Reitbahn“) entstehen. Philipp hatte noch die im Gotteshaus ruhenden Gebeine seiner Mutter in die Elisabethkirche umbetten lassen, auch wurden Grabsteine entfernt. Das Hauptgebäude im Süden, in voller Länge auf der Stadtmauer ruhend, diente den Artisten, also den später der Philosophischen Fakultät zuzurechnenden Fächern, als Vorlesungs- und Disputationsstätte, und die Mediziner mit ihrem Hörsaal waren hier untergebracht. In der ehemaligen Sakristei wurde 1609 ein chemisches Laboratorium (Johannes Hartmann (Universalgelehrter)) installiert. Darüber hinaus waren im Hauptbau zwei Dienstwohnungen für Professoren, darunter eine für den Bibliothekar, und ein Raum für die Universitätsbibliothek eingerichtet. Ein Querbau im Osten des Geländes, mit Fassade zum Plan, war den Academici (Studenten) unter den Stipendiaten vorbehalten, zeitweise um die 30 Minoren (Anfänger) und ca. ein halbes Dutzend Majoren (Fortgeschrittene, jüngere Lehrer). Das Stipendiatengebäude enthielt einen Karzer, wie ein Verzeichnis der Räume aus dem Jahre 1743 vermuten lässt, wo von einer Stube mit der Bezeichnung „Das Gefängnis“ die Rede ist. Der Leiter und akademische Mentor der Stipendiaten, Ephorus genannt, hatte seinen Haushalt an der Ostecke des Hauptgebäudes, das hier über den gedeckten „Collegiengang“ mit dem Stipendiatengebäude verbunden war. Über diesen Gang erreichten die Stipendiaten ihre Latrine, die sich – wie der Abtritt des Ephorus – hoch oben an der talseitigen Außenwand des Hauptgebäudes befand. Außerdem standen innerhalb des Klosterbereichs noch Wirtschaftsgebäude, ein Kreuzgang und ein kleiner Garten zur Verfügung.

Den Grundstock für die Marburger Universitätsbibliothek bildete eine auf dem Schloss aufgestellte Büchersammlung. Diese Sammlung vereinnahmte zunächst auch Bücher und Handschriften aus aufgelösten hessischen Klöstern, etwa solche aus dem Alsfelder Augustinerkloster und aus der Zisterzienserabtei Haina. Aus dem Besitz der Marburger Franziskaner und des Kugelklosters, der dritten Heimstatt der Philippina, stammten nachweislich ebenfalls eine Anzahl Schriften. Im Jahre 1606 umfasste der gesamte Buchbestand der Bibliothek ungefähr 1150 Bände, darunter eine Schenkung von 500 Bänden aus dem Nachlass des Grafen Christoph Ernst zu Diez (1543–1603), eines Sohnes Philipps aus seiner Nebenehe. Der Bestand enthielt in der Mehrzahl Werke mit theologischem oder religiösem Bezug, darunter die Hauptwerke der Reformatoren.

Die Bibliothek war ab 1533 in einem relativ dunklen Raum von der Größe 46 Fuß × 26 Fuß × 10 Fuß (1 Fuß = ca. 0,285 m) im westlichen Obergeschoss des Südgebäudes der Franziskaner untergekommen. Der Zugang erfolgte über die Dienstwohnung des auf gleicher Etage wohnenden Bibliothekars, eines Professors, der die Aufgabe des Universitätsbibliothekars im – besoldeten – Nebenamt versah. Der Fonds zur Anschaffung neuer Bücher war bescheiden. Die in den Statuten der Universität von 1564 niedergelegte Vorschrift, die Bücher – wie in den alten Klosterbibliotheken – an Ketten zu legen, wurde unterlaufen, um die Ausleihe an Professoren zu ermöglichen. 1627 führte ein Rechtsstreit zwischen dem Darmstädter und dem Kasseler Landgrafen zur Aufteilung des Bibliotheksbestandes unter den Universitäten Marburg und Gießen. Die zwischen 1624 und 1645 in Marburg wirkenden Gießener – die reformierte Marburger Universität war ja nach Kassel ausgewichen – haben ihren Anteil nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges nach Gießen verbracht, so dass bei Rückverlegung der Marburger Universität 1653 gerade einmal um die 800 Bände in der hiesigen Bibliothek gezählt wurden.

1687 war deren Bestand bereits wieder auf 1414 Bände angewachsen; theologische Schriften lagen von der Anzahl her obenan, gefolgt von Werken der Philosophie, der Jurisprudenz, der Historie und der Medizin. Inzwischen war es auch Studenten erlaubt, gegen Bürgschaft Bücher zu entleihen. Die Bibliothek wurde an zwei Tagen in der Woche für 1–2 Stunden geöffnet. Zur Stärkung des Bibliotheksetats mussten Doktoranden und Neuimmatrikulierte im 18. Jahrhundert einen finanziellen Beitrag leisten. Aber auch mit diesen zusätzlichen Mitteln war eine nennenswerte Bestandserweiterung und Buchpflege kaum möglich. Willkommen waren daher Schenkungen wie die des Orientalisten Johann Joachim Schröder (1680–1756), der seltene Fachbücher stiftete, oder die des Universitätskanzlers Johann Georg Estor (1699–1773), der seine knapp 9000 Bände umfassende Bibliothek, zumeist Bücher zur Rechtswissenschaft und Geschichte, 1768 der Universität vermachte und deren Buchbestand mehr als verdoppelte. Um die Estor’schen Bücher aufnehmen zu können, wurde der Bibliotheksraum beträchtlich erweitert durch Hinzunahme der angrenzenden Professorenwohnung. Die nunmehr hellen Räumlichkeiten erhielten Tische und Stühle, so dass in der Bibliothek jetzt unmittelbar gearbeitet werden konnte. Nach dem Urteil Friedrich Gedikes von 1789 war indes die Marburger Universitätsbibliothek „unbedeutend, höchstens 18000 Bände ohne Plan. Der größte Theil dieses kleinen Fonds kommt von einem Antheil an den Strafgefällen her, vornehmlich wenn sich ein Student vom Carcer loskauft, wofür er für jeden Tag 3 Thaler zahlt.“ (Fester 1905, S. 40 f.).

Ankäufe von Professorenbibliotheken sowie weitere Schenkungen, beispielsweise 1816 die des Philosophen Johannes Bering (Philosoph) (1748–1825) im Umfang von 1230 Bänden, halfen schließlich den Bestand vermehren. Den größten diesbezüglichen Schub erhielt die Universitätsbibliothek bereits in der Westphälischen Zeit (1807–1813), als umfangreiche Bestände der Deutschordenskommende Lucklum, der Benediktinerabtei Corvey und der aufgelösten Universität Rinteln nach Marburg gelangten. Nach der „Erdbeschreibung des Kurfürstenthums Hessen“ von 1826 (S. 130) besaß Marburg damals eine fast 100.000 Bände starke Bibliothek bei annähernd 400 eingeschriebenen Studenten. Als 1866 die Preußen die Marburger Universität übernahmen, war zuletzt die Studentenzahl wieder auf unter 300 gesunken; die gewöhnliche Jahresfrequenz der Philippina in den ersten drei Jahrhunderten ihres Bestehens überschritt nur selten die Zahl 200.

Seit den 1820er Jahren erfolgten wiederholt Umbau- und Erweiterungsmaßnahmen in der Bibliothek, äußerlich war das Bibliotheksgebäude 1860 dann vollendet. Der Westflügel, der bis 1878 das Archäologische Institut beherbergte, entstand 1850 und war auch als Wohnung für den Bibliothekar bestimmt. Das marode Stipendiatengebäude und der „Collegiengang“ wurden 1811/12 abgebrochenen; das konviktartige Zusammenleben der Stipendiaten war damit beendet. Die Universitätsbibliothek bezog im Jahre 1900 einen Neubau in der Universitätsstraße 25. Die freigewordenen Räumlichkeiten am Plan nutzte unter anderem das Germanistische Seminar bis zu dessen Umzug 1967 in die Türme in der Wilhelm-Röpke-Straße, und nach 1945 fanden in dem Gebäudekomplex weitere Institute der Philosophischen und der Staatswissenschaftlichen Fakultät ein Unterkommen.

Zweite Universitätsbibliothek

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Eine steile Treppe an der Ostecke des heutigen Seminargebäudes am Plan führt hinab zur Universitätsstraße. Man erhält hier einen ungewöhnlichen Blick auf die durch Strebepfeiler verstärkte mächtige Stadtmauer, die das Seminargebäude in seiner vollen Länge trägt. Der Weg führt weiter zur Rückseite des Bibliotheksneubaus von 1900, ein im spätgotischen Stil errichteter achtstöckiger Klinkerbau, der durch seine markanten Treppengiebel auffällt. Der Buchbestand der Bibliothek, einschließlich der im Kriege zeitweilig ausgelagerten Bestände, fand darin bis 1946 eine Bleibe. Danach zog die Universitätsbibliothek vorübergehend in die Räume des Hessischen Staatsarchivs am Friedrichsplatz, um dann, nach Fertigstellung eines modernen Bibliotheksgebäudes in der Wilhelm-Röpke-Straße 4 (früher: Krummbogen), in den Jahren 1967/68 erneut umzuziehen. Zwischen 1946 und Anfang der 1970er Jahre waren im Bibliotheksgebäude in der Universitätsstraße kriegsbedingt ausgelagerte Buchbestände der Preußischen Staatsbibliothek Berlin untergekommen, die 1945 von den Amerikanern u. a. aus der Schachtanlage Ransbach-Heimboldshausen (Philippstal) nach Marburg gebracht worden waren (Westdeutsche Bibliothek); auch im Wilhelmsbau des Marburger Schlosses wurden Teilbestände damals eingelagert. Das Bibliotheksgebäude Universitätsstraße 25 wird heute vom Fachbereich Wirtschaftswissenschaften genutzt, der seine einst dezentralen Fachbibliotheken hier unter einem Dach vereinigt hat.

Universitätsreithaus

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Der stattliche Barockbau mit seinem Mansardendach in der Barfüßerstraße 1/Ecke Am Plan war einst dem Reitvergnügen der Studenten vorbehalten: er beherbergte die Reithalle der Universität.

Errichtet wurde das Gebäude auf den Fundamenten der ehemaligen Klosterkirche der Franziskaner. An seiner Westseite ist der frühere (östliche) Chorraum der Kirche in die Architektur des Neubaus aufgenommen worden. Über dem vermauerten Osteingang am Plan finden sich die Initialen des Stifters, des Landgrafen Friedrich I. (1676–1751), und das Jahr der Einweihung (1731). Das Nordportal des Gebäudes schmückt ein hessisches Wappen und die Jahreszahl 1732 (Gebäudevollendung?). Bis ca. 1870 unterhielt die Universität unter der Leitung eigens angestellter Reitlehrer ein Reitinstitut für Studierende. Auf dem Gelände befand sich auch ein Pferdestall für gut ein Dutzend Tiere (später fälschlicherweise als "Torhaus", "Barockhäuschen" deklariert, vgl. Carsten Lind, Marburger UniJournal Nr. 65, S. 35). Der Reitbetrieb kam in den Folgejahren zum Erliegen, auch weil die Universität für mehrere Jahre keinen Reitlehrer mehr beschäftigte, bis schließlich in den 1880er Jahren in einem neuen Reitstall in der Haspelstraße 35 und erneut unter Leitung eines Universitätsreitlehrers der Unterricht wieder aufleben konnte.

Die Universität hat 1876 ihr Reithaus zwischenzeitlich an die Stadt verpachtet, die das Gebäude als „Gesellschaftsbau“ nutzte und im Haus zwei Säle für Musik- und Theateraufführungen herrichten ließ („Saalbau“). In den Räumlichkeiten fanden 1877 auch die Feierlichkeiten zum 350. Gründungsjubiläum der Marburger Universität statt. Während der Bauarbeiten am ehemaligen Dominikanerkloster wurden zwischen 1872/73 und 1879 die Studentenkarzer in die oberste Etage des Reithauses verlegt. Diese wurden 1906 endgültig aufgelöst, als im Gebäude Raum für die archäologischen Sammlungen der Universität benötigt wurde. 1898 wurde der große Saal im Hause in eine akademische Turnhalle umgewandelt, der später noch ein Gymnastiksaal folgen wird. 1920 bis 1923 fand die erste Mensa academica Unterschlupf im alten Reithaus, das dann ab 1924 dem neu gegründeten Institut für Leibesübungen zur Verfügung stand und das noch heute ein Zentrum der Sportwissenschaft und des Studentensports ist.

Marburger Kugelkloster

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Kugelkirche von Nordosten
 
Kugelhaus von Nordosten
 
Kugelhaus Südostecke mit Inschriften von 1491
 
Wappen des Schöffen Heinrich Imhof und seiner Ehefrau Elisabeth, geb. von Treisbach in der Kugelkirche

Kugelkirche (St. Johannes Evangelist (Marburg)) und Kugelhaus (Kugelgasse 10), der dritte Gebäudekomplex aus der Gründungszeit der Philippina, verdanken ihre Existenz dem begüterten Marburger Schöffen Heinrich Imhof, genannt Rode, einem ehemaligen Rektor der Universität Leipzig, und seiner Ehefrau Elisabeth, geb. von Treisbach. Beide wünschten ihr irdisches Vermögen in eine geistliche Stiftung einzubringen, zu der eine Kollegiatkirche und ein Haus gehören sollten, in dem Kleriker und Laien in christlicher Gemeinschaft leben konnten. Vorbild war die im 14. Jahrhundert in den Niederlanden entstandene Reformgemeinschaft der „Brüder vom gemeinsamen Leben“, der Kugelherren, wie diese nach ihrer kapuzenartigen Kopfbedeckung, der Gugel (mittellateinisch cuculla), genannt wurden. Nach Zustimmung des Landgrafen und Bestätigung durch den Papst wurde die Stiftung 1477 installiert und drei Fraterherren aus Münster nach Marburg berufen. Die Kirche wurde ab 1478 erbaut, ihre Weihe erfolgte 1485, im gleichen Jahr wurde auch der an der Südseite der Kirche angelegte Friedhof für die Angehörigen der Gemeinschaft geweiht. Das sich anschließende Konventshaus wurde nach Vollendung des Kirchenbaus errichtet. Die Angabe 1491 auf einem Quader in der Südostecke des Baus weist auf das Jahr der Fertigstellung. Das in einem benachbarten Quader eingehauene Wappen der Stifter wurde – wie anderer figürlicher Schmuck am Haus – während des mauritianischen Bildersturms 1605 zerstört. Eine Inschrift bezieht sich auf dieses Wappen, das dem Haus den Namen gegeben hat: „Diß heisset das fraterhuß zˉm lewˉnbach“, also „Fraterhaus zum Löwenbach“ – nach dem schreitenden Löwen über einem schrägen Bach im Wappen der Stifter. 1506 wurde der Bau nach Westen erweitert.

Die spätgotische Kugelkirche ist ein einschiffiger Quaderbau mit sieben kurzen Jochen und einem sechsseitigen Dachreiter. Das Netzgewölbe wurde um 1520 vielfarbig ausgemalt, aus gleicher Zeit stammt der steinerne Wandtabernakel in Form eines sechseckigen Turmes. Alte Eingänge an den Nebenräumen der Nord- und der Südseite wurden später zugemauert. Das Fraterhaus mit Kreuzgang und den bergseitig zwei und talwärts drei Stockwerken sowie dem turmartigen Abortanbau im Westen sitzt dort direkt auf der Stadtmauer auf. Ein Wehrgang auf der Mauer verpflichtete die Brüder zu besonderen Dienstleistungen. Zwischen Kirche und Fraterhaus stand einmal ein hölzernes Verbindungsgebäude, das abgerissen und 1879 durch einen Anbau ersetzt wurde (Treppenturm und Waschhaus). Der große Staffelgiebel im Osten des Gebäudes wurde 1860 zurückgebaut.

Im Jahre 1514 bildeten acht Fratres den hiesigen Konvent. Ohne Ablegung eines eigentlichen Gelübdes gaben die Brüder sich geistlichen Übungen und Studien hin. Sie waren bemüht, die Heilige Schrift in der Ursprache zu lesen und wurden so zu Förderern der Klassischen Studien. Ihre Bibliothek enthielt zahlreiche Werke griechischer und römischer Autoren. Geld verdienten sie unter anderem mit dem Abschreiben von Büchern, namentlich der Bibel. Daneben betrieben sie eine eigene Schule, die von Söhnen adliger wie auch bürgerlicher Familien besucht wurde. Der als Gelehrter gerühmte Fraterherr Heinrich Keck war Lehrer des jungen Landgrafen Philipp. Bei Einführung der Reformation 1526 gehörten ein Pater und elf weitere Personen zur Brüdergemeinschaft. Einige von ihnen traten zum evangelischen Glauben über und durften im Hause wohnen bleiben, andere wurden abgefunden; einzelne studierten an der neuen Hochschule. Mönche aus anderen aufgelösten Klöstern erhielten vorübergehend ebenfalls im Fraterhaus Wohnrecht.

Die Kirche der Brüder wurde theologischer Hörsaal, das Fraterhaus ab 1533 zum ökonomischen Gebrauch der theologischen Stipendiaten sowie zur Wohnung des Professor primarius der Theologischen Fakultät bestimmt. Im Hause untergebracht wurden ein weiterer Professor sowie der Ökonom, der Universitätsvogt, der die Einkünfte, darunter vielfältige Naturallieferungen (Getreide, Gänse, Hühner, Holz), des früheren Dominikanerklosters, des Kugelklosters und des Frauenstifts Caldern (Kloster Caldern) verwaltete. Einnahmen aus „Universitätsgut“ und „Universitätswald“ Caldern trugen laut Haushaltsplan des Landes Hessen noch im Jahre 2000 zur Finanzierung der Philipps-Universität bei! Ab 1546 wohnten auch Stipendiaten im Haus.

Ein bis ins 19. Jahrhundert im Kugelhaus ansässiger Universitätspropst besorgte den Gemeinen Tisch der ab 1560 bis 1811 dann in einem Gebäude im alten Barfüßerkloster konzentrierten Stipendiaten; gegen Entgelt wurden zugleich andere Studenten aus Küche und Backhaus der „Propstei“, die zeitweilig dem Kugelhaus diesen Namen gab, versorgt. Zuletzt speisten 1848 die theologischen Stipendiaten in der Mensa im Haus. Die Stipendiaten-Anstalt besaß – wie alle anderen ehemaligen Klostergebäude auch – einen Karzer, denn 1725 gibt Propst Jungclas d. Ä. an, er habe „den alten carzer außmauern laßen, deßgleichen ein thürgestell nebst der thür mit bandt und riegel“ (Meyer zu Ermgassen 1977, S. 170). 1855 zog das Pharmazeutisch-Chemische Labor der Universität in den Kugelhof.

1653 fanden die Feierlichkeiten zur Wiedereröffnung der nunmehr reformierten Marburger Universität in der Kugelkirche statt; 1658 wechselte die reformierte Gemeinde in die ehemalige Dominikanerkirche. 1687 wurde die Kugelkirche Gottesdienstlokal für französische Glaubensflüchtlinge. Seit 1823 stand das Gebäude leer, und Kurfürst Wilhelm II. (Hessen-Kassel) überließ die Kirche der wachsenden katholischen Gemeinde Marburgs, die hier seit 1827 Gottesdienst hält. Das ab 1853 leer stehende Fraterhaus wurde im gleichen Jahr den hiesigen Justizämtern im Tausch gegen Räumlichkeiten im Deutschen Haus an der Elisabeth-Kirche überwiesen. Die sanitären Anlagen im Kugelhaus entsprachen zu der Zeit noch den früheren, also den mittelalterlichen Verhältnissen, und so beklagte sich immerhin sechs Jahre nach Übernahme ein Justizbeamter: „Am Eingang zu den Lokalen der Justizämter I und II befinden sich die Abtritte derselben. Diese Kloaken, welche nicht einmal gereinigt werden können, verbreiten einen solchen pestilenzialischen, namentlich mein Geschäftslokal durchdringenden, der Gesundheit nachteiligen Gestank, daß es nicht auszuhalten ist [...].“ (Keller 1982, S. 82). Der um Abhilfe gebetene Landbaumeister hielt eine Verlegung der Abtritte für „untunlich“, zog immerhin aber Maßnahmen zur Beseitigung des üblen Geruchs in Erwägung. Das Kugelhaus fiel nach dem Umzug der Justizbehörden in ein neues Amtsgerichtsgebäude in der Universitätsstraße (Nr. 24) 1894 an die Universität zurück und beherbergte zum Beispiel ab 1923 das neugegründete Psychologische Institut; nach 1945 fanden hier unter anderem das Institut für Mittelalterliche Geschichte und das Forschungsinstitut Deutscher Sprachatlas Arbeitsräume. 1970/72 wurde das Haus umgebaut und bot dem Institut für Völkerkunde und Einrichtungen der Sportwissenschaft Unterkunft. Der Entwicklungsplan der Universität sieht mittlerweile die Aufgabe des stark sanierungsbedürftigen, in der Zuständigkeit der Landesverwaltung befindlichen Gebäudes vor.

Literatur

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  • Academia Marburgensis. Bd. 20 (2024): Schäufele, Wolf-Friedrich (Hrsg.): Fünfhundert Jahre Theologie in Marburg. Eine Geschichte der Evangelisch-Theologischen Fakultät. Münster / New York.
  • Hans Günther Bickert / Norbert Nail: Marburger Karzer-Buch. Kleine Kulturgeschichte des Universitätsgefängnisses. Dritte, neu bearbeitete und vermehrte Auflage. Marburg 2013.
  • Martin Cremer: Westdeutsche Bibliothek (Sammlung der ehem. Preußischen Staatsbibliothek). Aufbau und Entwicklung 1946 – 1949. Marburg 1950.
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  • Die Universitätsstraße in Marburg. Herausgegeben vom Fachbereich Planen, Bauen und Umwelt der Universitätsstadt Marburg. Marburg 2013 (Marburger Stadtschriften zur Geschichte und Kultur; 100). [darin u. a. Ulrich Hussong, Zwischen Fronhof und "Heiligem Kreuz", S. 3–63; Ulrich Hussong, Das Gebiet der Universitätsstraße vor der Bebauung, S. 65–72; Katharina Schaal, Bauten der Universität an der Universitätsstraße: Bibliothek, Landgrafenhaus, Savignyhaus, Altes Amtsgericht und die Planungen für das Universitätskuratorium, S. 491–533].
  • Erdbeschreibung des Kurfürstenthums Hessen nach der neuesten Staatseintheilung abgefaßt und zum Gebrauche für Bürger- und Volksschulen eingerichtet von Conrad Wiegand, Lehrer der Mädchenschule zu Gudensberg im Kreise Fritzlar. Dritte vermehrte und verbesserte Auflage. Cassel 1826.
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  • Andrea Jacobi: 100 Jahre "Alte Aula". Ein Höhepunkt des preußischen Universitätsausbaus in Marburg. Marburg 1991 (Marburger Universitätsreden; 16).
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  • Katharina Krause (Hrsg.): 500 Jahre Bauten der Philipps-Universität Marburg. Marburg 2018.
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  • Kurt Meschede: Marburgs zweitälteste Ordensniederlassung. Das Barfüsser- oder Franziskaner-Kloster. In: Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde 79 (1968), S. 77–86.
  • Heinrich Meyer zu Ermgassen: Tisch und Losament. Verköstigung und Unterbringung der Stipendiaten in Marburg. In: Studium und Stipendium. Untersuchungen zur Geschichte des hessischen Stipendiatenwesens herausgegeben von Walter Heinemeyer. Marburg 1977 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen in Verbindung mit der Philipps-Universität Marburg; 37), S. 101–240.
  • Norbert Nail: Was Professoren einst ärgerte. Aus der Frühzeit des Marburger Universitätsneubaus von 1879/91. In: Studenten-Kurier 2/2010, S. 17–21. Auch in: https://www.uni-marburg.de/de/uniarchiv/unijournal/beschwerden-19-jhd-muj-40.pdf .
  • Norbert Nail: Russi intra muros. Studenten aus Sankt Petersburg 1736–1739 bei Christian Wolff in Marburg. In: Studenten-Kurier 1/2012, S. 15–19. [1]
  • Norbert Nail: Vom „Karzer-Maler“ zum Malkünstler: Martin Disteli und Wolfgang Wolff – zwei ungewöhnliche Studentenkarrieren. In: Studenten-Kurier 4/2020, S. 24–28 [Jena, Marburg]. [2]
  • Norbert Nail: Alles schon mal dagewesen: Pandemien und „Lockdowns“ im ersten Jahrhundert der Marburger Philipps-Universität. In: Marburger Geographische Gesellschaft, Jahrbuch 2020. Marburg: Selbstverlag, 2021, S. 163–181, ergänzt [3]
  • Helmuth Nuhn: Die Universität als Waldbesitzerin – Teil 1: Nutzung und Erträge bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. In: Marburger Geographische Gesellschaft e. V. Jahrbuch 2019. Marburg/Lahn 2020, S. 129–163.
  • Helmuth Nuhn: Die Universität als Waldbesitzerin – Teil 2: Ausgewählte Aspekte der wirtschaftlichen Inwertsetzung des Universitätswaldes 1866–1963. In: Marburger Geographische Gesellschaft e. V. Jahrbuch 2020. Marburg/Lahn 2021, S. 182–213.
  • Alfred Pletsch: Marburg. Entwicklungen – Strukturen – Funktionen – Vergleiche (mit Routenvorschlag für eine Stadtexkursion) [Anlage: Stadtkarte Marburg 1750]. Marburg 1990 (= Marburger Stadtschriften zur Geschichte und Kultur. Band 32).
  • Katharina Schaal (Hrsg.): Von mittelalterlichen Klöstern zu modernen Institutsgebäuden. Aus der Baugeschichte der Philipps-Universität Marburg. Münster / New York 2019 (= Acadedemia Marburgensis. Band 15).
  • Carl Schäfer: Von Deutscher Kunst. Gesammelte Aufsätze und nachgelassene Schriften. Mit 3 Bildnissen, 9 Tafeln und 139 Textabbildungen. Berlin 1910. [Darin: Zur Geschichte des alten Universitätsgebäudes zu Marburg (S. 81–86); Neubau der Universitäts-Aula zu Marburg (S. 377–384)].
  • Jutta Schuchard und Ulrich Klein (Hrsg.): Neugotik in Marburg und Hessen. mit Beiträgen von Ulrich Hussong, U. Klein, Susann Schlesinger und J. Schuchard. Marburg 2017 (Marburger Beiträge zur hessischen Geschichte; 23).
  • Christiane Stamm-Burkhart: Die Planungs- und Baugeschichte der Alten Universität in Marburg (1872–1891). Darmstadt und Marburg 2003 (Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte; 133).
  • Die Universitätsbibliothek Marburg 1527–1977. Eine bauhistorische Darstellung. Von Herwig Gödeke und Franz-Heinrich Philipp. Photographische Arbeiten: Annemarie Mauersberger. Aus Anlaß des Universitätsjubiläums 1977 herausgegeben von der Universitätsbibliothek Marburg. Gladenbach 1977.
  • Gottfried Zedler: Geschichte der Universitätsbibliothek zu Marburg von 1527-1887. Mit drei Tafeln. Marburg 1896.

Siehe auch

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Commons: Alte Universität Marburg – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. vgl. Konfessionsverhältnisse in der Landgrafschaft Hessen-Kassel

Koordinaten: 50° 48′ 28,5″ N, 8° 46′ 18,4″ O