Labrys

bronzezeitliche Doppelaxt
(Weitergeleitet von Amazonenaxt)

Die Labrys (λάβρυς, unbekannter, wohl ägäischer oder anatolischer Herkunft), auch Doppelaxt oder selten Amazonenaxt genannt, bezeichnet eine Axt mit zwei gegenüberliegenden gerundeten Schneiden, die etwa ab 2000 v. Chr. in der frühen Bronzezeit als Kultgegenstand oder Statussymbol Verwendung fand, vereinzelt aber auch früher. Als Waffe wurde beispielsweise die persische Doppelaxt verwendet. Der Name Labrys wird allein bei Plutarch überliefert und von ihm aus dem Lydischen hergeleitet: „Die Lyder nennen die Doppelaxt (Pelekys) Labrys“.[1] Der Pelekys (griechisch πέλεκυς) war die eigentliche Doppelaxt der Griechen.

Goldene minoische Labrys (Original­schmuck­stück; Archäo­logisches Museum in Heraklion, Kreta)

Verbreitet war die Labrys vor allem im minoischen Kreta (möglicherweise mit dem Wortstamm von Labyrinth zusammenhängend), sowie bei den balkanischen Thrakern und den vorderasiatischen Karern. In der griechischen Mythologie homerischer Zeit kämpften vor allem nichtgriechische Gegner mit der Labrys, in späteren Mythen trugen die Amazonen eine „Amazonenaxt“ als Waffe. Ab geometrischer Zeit ist sie religiöses Symbol der Heiligkeit bei Theseus, Herakles und Hephaistos. In der Religion des afrikanischen Yoruba-Volkes trägt der Gott Shango eine Doppelaxt.

In der Neuzeit wurde sie als Symbol vom französischen Vichy-Regime und griechischem Faschismus benutzt. Heute ist die Labrys ein Sinnbild von Lesben, Feministinnen und des Neopaganismus, meist als Verkörperung der Weiblichkeit verstanden (vergleiche Labien).

Minoische Kultur

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Kretominoische Votivdoppelaxt (goldener Schmuck­anhänger)
 
Göttin mit drei Mohnkapseln und einer doppelten Labrys auf einem goldenen Ring (gefunden im griechischen Mykene 1500 v. u. Z. im Nordosten der Peloponnes; Abzeichnung)

Die Labrys war als Kultgerät während der minoischen Kultur im 3. und 2. Jahrtausend v. Chr. auf der Mittelmeerinsel Kreta in Gebrauch.[2] Manche der gefundenen Äxte waren mehr als mannshoch und wurden vermutlich für Opferungen von Stieren verwendet, die in der minoischen Kultur eine wichtige Rolle spielten (siehe auch Stier in der Mythologie). Bei archäologischen Ausgrabungen im Palast von Knossos wurde das Symbol der Labrys häufig entdeckt. Nach den Funden war die Doppelaxt eine zeremonielle Waffe der Priesterinnen, ein Symbol der Fruchtbarkeit und eines der heiligsten Symbole der Minoer (vergleiche auch die zeremonielle Axt auf der indonesischen Insel Bali). Die minoische Bedeutung der Doppelaxt unterscheidet sich von anderen Kulturen des Nahen Osten, bei denen Waffen üblicherweise männliche Gottheiten repräsentieren: Auf Kreta wird sie ausschließlich in der Hand von Frauen – Priesterinnen oder Göttinnen – abgebildet.[3]

Eine Verwendung der Labrys als Waffe auf Kreta ist nicht nachgewiesen. Als Werkzeug ist die Doppelaxt beispielsweise für das Schlagen von Feuerholz oder für Feldfrüchte einsetzbar, oder als Wiegemesser. Dieser Verwendung steht allerdings das meist zu weiche Material der gefundenen Objekte entgegen. Gebrauchsspuren sind zumeist nicht erkennbar, was auf eine symbolische, schmückende oder kultische Bedeutung hinweist.

Interpretation

Es gibt verschiedene Deutungen der Symbolik der minoischen Doppelaxt mit ihren beiden gerundeten Schneiden. Der britische Schriftsteller und Mythologe Robert Graves sah sie als Symbol für die zunehmende und die abnehmende Mondsichel der großen Göttin, der Sonne-Mond-Bewegungen und des An- und Abschwellens des Mondes zu beiden Seiten des Vollmonds am Himmel; für ihn war die Labrys sogar das „Symbol der kretischen Herrschaft“.[4]

Die litauisch-amerikanische Anthropologin Marija Gimbutas sah in der Doppelaxt ein Symbol des Schmetterlings und der Muttergöttin;[5] dieser Deutung folgen auch viele Postfeminist(inn)en.

Außerhalb Kretas

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Doppelaxt aus Schweden (Endneo­lithikum, um 2500 v. Chr.; Zeichnung von 1912)
 
Griechische Silbermünze mit Zeus/Hera und einer Labrys (100–70 v. Chr., mysische Insel Tenedos, heute Bozcaada)

Die Doppelaxt gehört zu den Leitformen der neolithischen Trichterbecherkultur und wird im Rahmen des Kulturkreises in verschiedene Typen eingeteilt. So fand man beispielsweise Doppeläxte aus Stein in Wommelshausen und im Landkreis Meppen.[6]

Im südlichen Kaukasusraum, vor allem in Aserbaidschan, aber auch in Armenien und Georgien, wurden Doppeläxte („Amazonenäxte“) in vielen Gräbern der späten Bronze- und frühen Eisenzeit entdeckt,[7] von denen schon einige 1935 durch A. A. Iessen kartiert wurden.[8] Neuere Funde von Gussformen belegen, dass es sich nicht um Importe handelt, sondern die Doppeläxte lokal produziert wurden. Diese „Amazonenäxte“ fanden sich nach Angaben der Archäologin Ateshi–Gadirova vor allem in Frauengräbern, die neben Schuck und anderen Grabbeigaben teilweise auch Waffen enthielten.

Es gab einen männlichen Gott, der die Labrys als Waffe in seiner Hand und in seinem Beinamen trug: Zeus Labraundos,[9] der Hauptgott der Karer.[10] Sie lebten in den vorchristlichen Jahrhunderten in Karien an der Südwestküste der heutigen Türkei, um die antiken Städte Halikarnassos (heute Bodrum) und Mylasa herum (heute Milas). Die Labrys des karischen Zeus war der Sage nach die Amazonenaxt der Amazonenkönigin Hippolyte, die zur Zeit des sagenumwobenen Königs Gyges um die Mitte des 7. Jahrhunderts v. Chr. ins Land gebracht wurde;[11] diese Doppelaxt symbolisierte die (kriegerische) Kampfkraft des Gottes – und der Karer, die auch als bezahlte Soldaten arbeiteten (Söldner). Das große und weitläufige Hauptheiligtum des Gottes stand in Labraunda an einem Berghang unterhalb einer durch einen früheren Blitzeinschlag gespaltenen Felswand, 14 Kilometer von Mylasa entfernt und von dort aus gut sichtbar.

Die Doppelaxt ist auch symbolisches Attribut des kilikischen Gottes Sandan,[12] der vor allem im (heute türkischen) Tarsus verehrt wurde; seine Doppelaxt erzeugte Sturm, vergleichbar dem Hammer Mjölnir des germanischen Gottes Thor.

Im Wappenwesen (Heraldik) und auf Münzen kommt die Doppelaxt im Lauf der Jahrhunderte immer wieder vor, bekannt sind die Münzen Kleinasiens und des römischen Reiches: Auf ihnen ist häufig eine Amazone zu sehen, bei der es sich vermutlich um Smyrna, Gründerin der gleichnamigen Stadt (heute İzmir), handelt, die zusammen mit einer Labrys dargestellt wurde.[13]

Neuzeitliche Verwendung

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Flagge des Staatschefs im franzö­sischen Vichy-Regime (1940–1945)
 
Die Doppelaxt als Sinnbild

Die Doppelaxt, vorgeblich die Waffe des gallisch-keltischen Fürsten Vercingetorix, war das Symbol der Partei von Philippe Pétain in Vichy-Frankreich 1940–1945.[14] Sie wurde als Symbol auf vom Pétain-Regime in den Jahren 1941 bis 1944 aufgelegten Münzen geprägt.[15] Auch als Symbol des Faschismus in Griechenland wurde sie von der Jugendorganisation Ethniki Organosis Neoleas (EON) in der Zeit von 1936 bis 1941 verwendet.

In der brasilianischen Candomblé-Religion trägt der Gott Shango eine Doppelaxt.[16] Ebenso findet sie sich als Symbol in neureligiösen Wicca-Kulten und im hellenistischen Neuheidentum.[17]

Im Zusammenhang mit weiblichen Lebensformen und Sexualität ist die Doppelaxt ein Sinnbild für die lesbische Lebensweise[18] und wird beispielsweise als Tätowierung oder Schmuckstück getragen.[19] Sie soll die Streitbarkeit der Amazonen und die Frauenbefreiung symbolisieren. Im feministischen Zusammenhang steht die Doppelaxt für eine matriarchale Gesellschaft oder für den Glauben an eine Muttergöttin.

Literatur

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  • Hans-Günter Buchholz: Zur Herkunft der kretischen Doppelaxt. Geschichte und auswärtige Beziehungen eines minoischen Kultsymbols. Kiefhaber Elbl, München 1959 (Doktorarbeit von 1949).
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Commons: Labrys – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Plutarch, moralia 302 a: Λυδοὶ γάρ ‘λάβρυν’ τὸν πέλεκυν ὀνομάζουσι.
  2. Martin Persson Nilsson: Geschichte der griechischen Religion. Band 1: Die Religion Griechenlands bis auf die griechische Weltherrschaft. Beck, München 1992, ISBN 3-406-01370-8, S. 276 (Neuauflage der 3., durchgesehenen und ergänzten Ausgabe von 1976; Seitenansicht in der Google-Buchsuche): „Daß die Doppelaxt ein Kultgerät, vielleicht ein Kultgegenstand von hervorragender Bedeutung war, ist sicher.“
  3. Jeremy B. Rutter: Lesson 15: Minoan Religion – Double Axe. In: Aegean Prehistoric Archaeology. Dartmouth College, 1999, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 23. September 2015; abgerufen am 22. Januar 2014 (englisch).
  4. Robert Graves: Griechische Mythologie. Band 1, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1955, S. 269 (Neuausgabe 2003 in einem Band: ISBN 3-499-55404-6).
  5. Marija Gimbutas, Mirijam Robbins Dexter: The Living Goddesses. University of California Press, Berkeley u. a. 1999, ISBN 0-520-22915-0, S. 131–150: The Minoan Religion in Crete (englisch; Neuauflage 2001: Seitenansichten in der Google-Buchsuche).
    Marija Gimbutas: Die Sprache der Göttin. Das verschüttete Symbolsystem der westlichen Zivilisation. Zweitausendeins, Frankfurt 1995 (amerikanisch: 1989), ISBN 3-86150-120-1, S. 273: Kapitel 24.6: Der minoische Schmetterling, vor allem Abbildung 427: „Der doppelaxtförmige Schmetterling in einem Ei symbolisiert das neue Leben […] (Palast von Phaistos, Kreta; um 1700 v. Chr.).“ Ebenda: S. 275: Abbildung 432 (2): Typologie der Schmetterlingsmotive.
  6. Norbert Gebauer: Das Fragment einer Doppelaxt der norddeutschen Trichterbecherkultur bei Bad Endbach-Wommelshausen. In: Hinterländer Geschichtsblätter. Biedenkopf, Nr. 1, März 1991, S. 58 u. 59, Geschichtsbeilage des Hinterländer Anzeigers; Uta von Freeden, Siegmar von Schnurbein (Hrsg.): Spuren der Jahrtausende, Archäologie und Geschichte in Deutschland. Theiss, Stuttgart, 2002, ISBN 3-8062-1337-2, Seite 149, Abb. 256.
  7. Zu den „Amazonenäxten“ im südlichen Kaukasusgebiet: Nourida Ateshi Gadirova: Zur Identifizierung von bewaffneten Frauen in den Gräbern des 2. bis 1. Jahrtausends v. Chr. in Aserbaidschan auf Basis der archäologischen Funde. In: Archäologische Informationen 37, 2014, S. 245–247.
  8. Abbildung der Verbreitungskarte bei Nourida Ateshi Gadirova: Zur Identifizierung von bewaffneten Frauen in den Gräbern des 2. bis 1. Jahrtausends v. Chr. in Aserbaidschan auf Basis der archäologischen Funde. In: Archäologische Informationen 37, 2014, S. 245, Abb. 5.
  9. Bilddatenbank: Tempel des Zeus – Labraunda (Labranda), Ortaköy. In: Arachne. Deutsches Archäologisches Institut, Berlin, 2014, abgerufen am 22. Januar 2014.
  10. Angelos Chaniotis: Alltagsskizzen aus Aphrodisias. In: Ruperto Carola. Heft 1, Universität Heidelberg 2002 (online): „Der Labrys (Doppelaxt) war in Aphrodisias das Symbol des karischen Zeus.“
  11. Plutarch, quaestiones Graecae 45 (= Moralia 301F–302A; englische Übersetzung).
  12. Gertrude Rachel Levy: The Oriental Origin of Herakles. In: Journal of Hellenic Studies. Band 54, Nr. 1, 1934, S. 47 (englisch).
  13. Dietrich O. A. Klose: Die Münzprägung von Smyrna in der römischen Kaiserzeit. de Gruyter, Berlin 1987, ISBN 3-11-010620-5, S. 27 (Snippet-Ansicht in der Google-Buchsuche).
  14. Michael Dietler: A Tale of Three Sites. The Monumentalization of Celtic Oppida and the Politics of Collective Memory and Identity. In: World Archaeology. Band 31, Nr. 1, 1998, S. 72–89 (englisch).
  15. Richard S. Yeoman: A Catalog of Modern World Coins 1850–1964. Western Publishing, Racine 1978, ISBN 0-307-90538-1 (englisch).
  16. Eintrag: Xangô. In: Terra Brasileira. Rio de Janeiro, 2000, archiviert vom Original am 18. Dezember 2009; abgerufen am 22. Januar 2014 (portugiesisch, Infoseite über brasilianische Folklore).
  17. Edain McCoy: Celtic Women’s Spirituality. Llewellyn, St. Paul 1998, ISBN 1-56718-672-6, S. 170 f. (englisch; Seitenansichten in der Google-Buchsuche): „…the feminist Pagan path known as the Dianic Tradition has adopted the labrys as its symbol.“
  18. Eintrag: Symbole: Doppelaxt/Labrys. In: Lesweb.de – Das Portal für die lesbische Frau. Delango, 2004, archiviert vom Original am 17. April 2009; abgerufen am 22. Januar 2014: „Heute steht sie als Erkennungszeichen politisch aktiver Lesben.“
  19. Eintrag: Symbols. In: Bonnie Zimmerman, George E. Haggerty (Hrsg.): Lesbian Histories and Cultures. Band 1, Garland, New York 2000, ISBN 0-8153-1920-7, S. 747 (englisch; E-Buch: Seitenansicht in der Google-Buchsuche).