Anamorphose

Bilder, die nur unter einem bestimmten Blickwinkel bzw. mittels eines speziellen Spiegels oder Prismensystems zu erkennen sind

Als Anamorphose (altgriechisch ἀναμόρφωσις anamorphosis, griechisch αναμόρφωση ‚die Umformung‘, von altgriech. μορφή morphe, deutsch ‚Gestalt, Form‘) bezeichnet man seit 1657[1] die Voraussetzung, dass man Bilder nur unter einem bestimmten Blickwinkel bzw. mittels eines speziellen Spiegels oder Prismensystems erkennen kann.

Anamorphose, die nur durch den zylindrisch gewölbten Spiegel erkennbar wird
Längenanamorphose beim Wort "Bus". Dieselben Buchstaben sind links verzerrt von der Seite und rechts aus dem Blickwinkel der Autofahrenden nahezu unverzerrt zu sehen.
Hans Holbein der Jüngere, Die Gesandten, 1533. Der Totenkopf in der Mitte unten wird sichtbar, wenn man ihn aus einem sehr flachen Winkel von rechts nach links unten betrachtet…
… oder einen Löffel ansetzt
Anamorphotisches Porträt von Karl I. von England. Die Position für die Aufstellung des zylindrischen Spiegels ist durch den Totenkopf markiert.

Auch in der Zoologie findet der Begriff Verwendung und bezeichnet hierbei einen Vorgang der Larvalentwicklung von Tausendfüßern, bei dem die beinlosen Körperringe eines Stadiums im folgenden Stadium zu beintragenden Körperringen umgewandelt werden.

Anamorphosen, welche einen Spiegel zur Entschlüsselung des Bildinhaltes benötigen, werden als katoptrische Anamorphosen bezeichnet.

Bei Anamorphosen, die ohne Spiegel erkannt werden können, handelt es sich meist um Längenanamorphosen, bei denen das Bild sehr stark in die Länge gezerrt ist. Blickt man sehr flach auf eine solche Längenanamorphose, erscheint es entzerrt. Verkehrszeichen auf Straßenoberflächen, wie Zahlen, Pfeile und Zebrastreifen, sind anamorphisch aufgebracht, da die Autofahrenden aus einem flachen Winkel auf die Straße schauen.[2][3]

In der Kartografie bezeichnet man mit Kartenanamorphose Darstellungen mit uneinheitlichem Maßstab oft auch als Anamorphose oder Anamorphote.

Geschichte

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Seit dem Mittelalter kennt man diese Möglichkeit der Verschlüsselung von Botschaften und brachte es in vielen Kirchen Italiens zu einer wahren Meisterschaft. Zur Entschlüsselung muss man den richtigen Blickwinkel kennen. Häufig wurden verbotene Motive, wie z. B. erotische Szenen, dargestellt. Zahlreiche Künstler malten Anamorphosen aus wissenschaftlichen Gründen; einige von ihnen waren gleichzeitig Mathematiker.

Eines der bekanntesten Beispiele für eine Anamorphose in der bildenden Kunst ist das Gemälde von Hans Holbein dem Jüngeren, Die Gesandten aus dem Jahr 1533, das in der National Gallery in London hängt. Weitere Künstler und Grafiker, die (teils versteckte) anamorphotische Darstellungen wählten, sind unter anderem Cornelis Anthonisz, Gaspard Antoine de Bois-Clair, Lodovico Buti, Hans Heinrich Glaser, Adrian P. Goddijn, Athanasius Kircher, Jean-François Niceron, Erhard Schön, Caspar Schott, Guillem Scrotes und Johann Stommel.

Seit der Renaissance wird Anamorphose bei der illusionistischen Deckenmalerei eingesetzt, um die Deckenwölbungen und Unregelmäßigkeiten perspektivisch vom Standpunkt eines angenommenen Betrachters (von unten blickend) auszugleichen. Arthur Samuel Mole (1889–1983), ein amerikanischer Fotograf, verwendete die Technik der Anamorphose für riesige Bilder, die er aus bis zu 30.000 Menschen zusammenstellte. Sie waren erst von einem hohen Beobachtungsturm aus unverzerrt zu erkennen.

In der Videokunst ist die Anamorphose ein häufig verwendetes Mittel, um das menschliche Auge zu überlisten. Die amerikanische Rockband OK Go hat ihr Video zu The Writing’s On the Wall komplett mit und über dieses Stilmittel als One Shot gedreht.

In der jüngeren Gegenwartsmalerei hat sich René Luckhardt mit seinem Zyklus Anamorphic Portraits mit der Anamorphose auseinandergesetzt.[4]

Zoologie

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Auch in der Zoologie wird der Begriff Anamorphose verwendet. Dabei geht es um einen Vorgang in der larvalen Entwicklung von Tausendfüßern. Das Gesetz der Anamorphose besagt, dass alle beinlosen Körperringe eines bestimmten Stadiums im folgenden Stadium zu beinpaartragenden Ringen werden. Sie tragen im vorausgehenden Stadium jedoch schon kleine Beinknospen. Gefolgt werden die beinlosen Körperringe von einer Zone mit frühen Ansätzen der zukünftigen beinlosen Körperringe. Meist ist diese Zone heller gefärbt und wenig sklerotisiert (verhärtet).

Literatur

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  • Kyung-Ho Cha, Markus Rautzenberg (Hrsg.): Der entstellte Blick. Anamorphosen in Kunst, Literatur und Philosophie. Wilhelm Fink, Paderborn 2008, ISBN 978-3-7705-4611-4
  • Thomas Eser: Schiefe Bilder. Die Zimmernsche Anamorphose und andere Augenspiele aus den Sammlungen des Germanischen Nationalmuseums. Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg 1998, ISBN 3-926982-55-1
  • Georg Füsslin, Ewald Hentze: Anamorphosen. Geheime Bilderwelten. Füsslin, Stuttgart 1999, ISBN 3-9803451-6-5
  • Harald Hauser, Karin Voigtländer: Doppelfüßer (Diplopoda) Deutschlands. 1. Auflage. Deutscher Jugendbund für Naturbeobachtung, Göttingen 2019, ISBN 978-3-923376-26-X.
  • Fred Leeman, Joost Elffers, Mike Schuyt: Anamorphosen. Ein Spiel mit der Wahrnehmung, dem Schein und der Wirklichkeit. DuMont, Köln 1982, ISBN 3-7701-0854-X
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Commons: Anamorphosis – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Nach Jurgis Baltrušaitis, Anamorphoses (1984), hat Caspar Schott den Begriff als erster gebraucht; im ersten Band, Teil 1, Buch 3 De Magia anamorphotica seiner Magia universalis naturae et artis, Würzburg, 1657.
  2. Ein weiter gehendes Beispiel, das auch die Wände in die Straßenzeichnung einbezieht, ist das visuelle Leitsystem im Eureka Tower Parkhaus in Melbourne (Memento vom 25. Dezember 2011 im Internet Archive)
  3. Georg Glaeser: Geometrie und ihre Anwendungen in Kunst, Natur und Technik. 2. Auflage. Spektrum Akademischer Verlag, Elsevier GmbH, München 2007, ISBN 978-3-8274-1797-8, S. 263.
  4. Die Tiroler Tageszeitung berichtet unter dem Titel Verkehrte Welt unter Palmen über die Ausstellung in der Galerie Bernd Kugler Innsbruck, 17. Dezember 2017 [1]